Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1A.200/2002
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1A.200/2002 /zga

Urteil vom 19. Mai 2003

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Féraud, Catenazzi,
Gerichtsschreiberin Gerber.

Orange Communications SA, Alexander-Schöni-Strasse 40, 2503 Biel
Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokatin lic. iur. Ursula Hubschmid,
Aeschenvorstadt 4, Postfach 526, 4010 Basel,

gegen

X.________,
Y.________,
Beschwerdegegner,
Bauinspektorat des Kantons Basel-Stadt, Baudepartement, Rittergasse 4, 4001
Basel,
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht,
Bäumleingasse 1, 4051 Basel.

Antennenanlage für Mobilkommunikation auf der Liegenschaft Hegenheimerstrasse
43, 45, 47, 49 / Türkheimerstrasse 86, Basel,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des
Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht vom 17. Juni 2002.

Sachverhalt:

A.
Die Orange Communications SA beabsichtigt, eine Mobilfunk-Antennenanlage auf
dem Dach der Liegenschaft Hegenheimerstrasse 43-49/Türkheimerstrasse 86 in
Basel zu errichten. Die Anlage soll drei Antennen mit einer äquivalenten
Strahlungsleistung (ERP) von je 710 W im Frequenzband 1800 MHz umfassen. Am
25. Juli 1999 erteilte das Bauinspektorat des Kantons Basel-Stadt die
Baubewilligung.

B.
Hiergegen erhoben Y.________ und X.________ Rekurs an die
Baurekurskommission. Diese wies den Rekurs am 22. Oktober 1999 ab und
erteilte die Baubewilligung unter der Auflage, dass eine Abnahmemessung
vorgenommen werde. Diesen Entscheid hob das Appellationsgericht Basel-Stadt
als Verwaltungsgericht am 28. September 2000 auf und wies die Sache im Sinne
der Erwägungen an die Baurekurskommission zurück. Das Verwaltungsgericht
hielt die angeordnete Auflage für zu unbestimmt, weil unklar sei, wo welche
Werte gemessen werden sollten.

C.
Am 29. März 2001 hiess die  Baurekurskommission die Rekurse von Y.________
und X.________ gut und wies die Sache zur weiteren Bearbeitung an die
Verwaltung zurück. Die Rekurskommission ging davon aus, dass auch Balkone und
Terrassen als Orte mit empfindlicher Nutzung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 der
Verordnung vom 23. Dezember 1999 über den Schutz vor nichtionisierender
Strahlung (NISV; SR 814.710) zu betrachten seien. Das Standortdatenblatt
müsse deshalb ergänzt und die zu erwartende Strahlenbelastung auf den
Terrassen der Attikawohnung geprüft werden, die sich direkt unter der
geplanten Mobilfunkanlage befindet.

D.
Gegen diesen Entscheid der Baurekurskommission rekurrierte die Orange
Communications SA an das Verwaltungsgericht. Dieses wies den Rekurs am 17.
Juni 2002 ab.

E.
Gegen den verwaltungsgerichtlichen Entscheid erhob die Orange Communications
SA am 27. September 2002 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht.
Sie beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und es sei das
Baubegehren vom 15. April 1999 zu bewilligen. Eventualiter sei die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen

F.
Das Verwaltungsgericht beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Das
Baudepartement des Kantons Basel-Stadt hat auf eine Vernehmlassung
verzichtet. Y.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde; eventualiter
sei die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
X.________ beantragt, das verwaltungsgerichtliche Urteil sei zu bestätigen
und es sei das Baubegehren nicht zu bewilligen. Das BUWAL legt in seiner
Vernehmlassung vom 10. Dezember 2002 dar, weshalb Balkone und Terrassen
seines Erachtens keine Räume mit empfindlicher Nutzung im Sinne von Art. 3
Abs. 3 NISV darstellen. Den Verfahrensbeteiligten wurde Gelegenheit gegeben,
sich zur Vernehmlassung des BUWAL zu äussern.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid des
Verwaltungsgerichts Basel-Stadt, der sich auf die NISV und damit auf
Bundesverwaltungsrecht stützt (Art. 97 und 98 lit. g OG). Der angefochtene
Entscheid bestätigt einen Rückweisungsentscheid der Baurekurskommission und
schliesst damit das kantonale Verfahren nicht ab. Er enthält jedoch die
verbindliche Anweisung an die Verwaltung, Balkone und Terrassen als "Orte mit
empfindlicher Nutzung" zu behandeln und deshalb die zu erwartende Strahlung
an diesen Orten zu berechnen und gegebenenfalls nachzumessen. Insofern
enthält der angefochtene Entscheid einen Teilentscheid in der Hauptsache, der
wie ein Endentscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden
kann. Alle übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt. Auf die
Beschwerde ist daher einzutreten.

2.
Streitig ist, ob Balkone und Terrassen zu den Orten mit empfindlicher Nutzung
zählen, an denen die Anlagegrenzwerte der NISV einzuhalten sind (vgl. Ziff.
65 Anhang 1 NISV). Das Verwaltungsgericht hat diese Frage bejaht. Dagegen kam
das Bundesgericht in einem kürzlich veröffentlichten Entscheid (BGE 128 II
378 E. 6 S. 382 ff.) zum Ergebnis, dass Balkone und (Dach-) Terrassen nicht
zu den Orten mit empfindlicher Nutzung zählen. An dieser Rechtsprechung ist
festzuhalten, auch unter Berücksichtigung der Argumente des
Verwaltungsgerichts und der Beschwerdegegner.

2.1 Gemäss Art. 3 Abs. 3 NISV gelten als Orte mit empfindlicher Nutzung:
a. Räume in Gebäuden, in denen sich Personen regelmässig während längerer
Zeit aufhalten;
b. öffentliche oder private, raumplanungsrechtlich festgesetzte
Kinderspielplätze;
c. diejenigen Flächen von unüberbauten Grundstücken, auf denen Nutzungen nach
den Buchstaben a und b zugelassen sind.

2.2 Das Verwaltungsgericht hielt den Begriff des Raumes für mehrdeutig, wie
sich bereits an den Begriffen des "Lebensraums" und der "Raumplanung" zeige.
Dass die Verordnung als Orte mit empfindlicher Nutzung nicht nur umschlossene
Räume verstehen wolle, ergebe sich überdies aus den lit. b und c von Art. 3
Abs. 3 NISV.

2.2.1 Es trifft zu, dass der Begriff des "Raumes" für sich allein mehrdeutig
ist; Art. 3 Abs. 3 lit. a NISV präzisiert jedoch, dass es sich um Räume "in
Gebäuden" handeln muss. Balkone und Terrassen sind nach dem üblichen
Sprachgebrauch keine "Räume in Gebäuden", da sie nicht von Wänden umschlossen
sind, sondern dem Aufenthalt im Freien dienen. Sie sind von ihrer Funktion
her mit privaten Gärten vergleichbar, die eindeutig nicht unter Art. 3 Abs. 3
NISV fallen (vgl. Erläuternder Bericht des BUWAL zur NISV vom 23. Dezember
1999 S. 10 zu Art. 3 Abs. 3). Hinzu kommt, dass die Nutzung von Balkonen und
Terrassen vom Wetter abhängig ist und deshalb nicht regelmässig, sondern vor
allem an schönen Sommertagen und -nächten erfolgt. Schliesslich ist auch die
Aufenthaltsdauer auf Balkonen und Terrassen regelmässig kürzer als in Wohn-,
Schlaf- und Arbeitsräumen, Schulräumen oder Patientenzimmern in Spitälern
oder Altersheimen (so die Beispiele im Erläuternden Bericht des BUWAL S. 10
zu Art. 3 Abs. 3). Dies spricht dafür, Balkone und Dachterrassen nicht zu den
Orten mit empfindlicher Nutzung gemäss Art. 3 Abs. 3 lit. a NISV zu zählen
(so auch BUWAL, Vollzugsempfehlung zur NISV für Mobilfunk- und
WLL-Basisstationen, Ziff. 2.1.3 S. 13). Dieses Ergebnis wird durch einen
Blick auf die parallele Regelung in Art. 2 Abs. 6 LSV unterstützt. Danach
sind lärmempfindliche Räume "Räume in Wohnungen" und "Räume in Betrieben", in
denen sich Personen regelmässig während längerer Zeit aufhalten; Balkone und
Terrassen werden also nicht berücksichtigt.

2.2.2 Lit. b und c von Art. 3 Abs. 3 NISV betreffen zwar Orte im Freien; es
handelt sich jedoch um besondere Bestimmungen zum verstärkten Schutz von
Kindern einerseits (vgl. Erläuternden Bericht S. 10) und zur Sicherung der
von der Raumplanung festgelegten und erwünschten Nutzung andererseits (vgl.
BGE 128 II 340 E. 3.5 S. 348 und Entscheid 1A.194/2001  vom 10. September
2002 E. 2.1.2, publ. in URP 2002 780), die nicht zur Auslegung von lit. a
herangezogen werden können.

2.3 Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts gebieten auch Art. 1 USG
und der Zweck der NISV, Menschen vor schädlicher oder lästiger
nichtionisierender Strahlung zu schützen, nicht zwingend, Balkone und
Terrassen als Orte mit empfindlicher Nutzung zu behandeln.

Das Umweltschutzgesetz soll Menschen gegen schädliche oder lästige
Einwirkungen schützen (Art. 1 Abs. 1 USG) und Einwirkungen, die schädlich
oder lästig werden könnten, frühzeitig begrenzen (Art. 1 Abs. 2 USG). Zu den
Einwirkungen zählen auch die von Mobilfunkantennen ausgehenden Strahlungen
(Art. 7 Abs. 1 USG). Sie werden durch Massnahmen an der Quelle begrenzt
(Emissionsbegrenzungen; vgl. Art. 11 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 USG); verschärfte
Emissionsbegrenzungen werden angeordnet, wenn feststeht oder zu erwarten ist,
dass die Einwirkungen unter Berücksichtigung der bestehenden Umweltbelastung
schädlich oder lästig werden (Art. 11 Abs. 3 USG). Für die Beurteilung der
schädlichen oder lästigen Einwirkungen legt der Bundesrat durch Verordnung
Immissionsgrenzwerte fest (Art. 13 USG). Unabhängig von der bestehenden
Umweltbelastung sind Emissionen im Rahmen der Vorsorge so weit zu begrenzen,
als dies technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar ist
(Art. 11 Abs. 2 USG).

Dieses im USG vorgezeichnete zweistufige Konzept (Schutz vor schädlichen und
lästigen Einwirkungen / vorsorgliche Emissionsbegrenzung) konkretisiert die
NISV durch die Festlegung von Immissionsgrenzwerten einerseits und von
Anlagegrenzwerten andererseits.

2.3.1 Die Immissionsgrenzwerte, die dem Schutz vor schädlichen oder lästigen
Strahlungen dienen und insoweit Gefährdungswerte sind (Erläuternder Bericht
zur NISV, S. 5 Ziff. 32), müssen überall eingehalten sein, wo sich Menschen
aufhalten können (Art. 13 Abs. 1 NISV), wobei der Aufenthalt nicht von
längerer Dauer sein muss (vgl. Anh. 2 Ziff. 1 NISV, wonach die Immissionen
über 6 Minuten zu mitteln sind). Damit müssen die Immissionsgrenzwerte
selbstverständlich auch auf Balkonen und Terrassen eingehalten werden.

2.3.2 Dagegen müssen die Anlagegrenzwerte nur an Orten mit empfindlicher
Nutzung eingehalten werden (Anh. 1 Ziff. 65 NISV) und gelten nur für die von
einer einzelnen Anlage erzeugten Strahlung (Art. 3 Abs. 6 NISV). Sie dienen
der vorsorglichen Emissionsbegrenzung i.S.v. Art. 11 Abs. 2 USG und sollen,
unabhängig von der bestehenden Umweltbelastung, die Emissionen auf das
technisch und betrieblich mögliche und wirtschaftlich tragbare Mass
reduzieren. Zugleich sollen sie die beschränkte Schutzwirkung der heutigen
Immissionsgrenzwerte, welche nur die thermischen Wirkungen hochfrequenter
Strahlung berücksichtigen, durch wirksame Vorsorgemassnahmen ergänzen (BUWAL,
Erläuternder Bericht zur NISV, Ziff. 32 S. 6). Die Anlagegrenzwerte, welche
die zulässigen Feldstärkewerte an Orten mit empfindlicher Nutzung um einen
Faktor 10 reduzieren, stellen insofern auch eine Sicherheitsmarge gegen
allfällige gesundheitsschädigende nichtthermische Effekte einer langfristigen
Strahlungsexposition dar.

Dem Verordnungsgeber steht bei der Konkretisierung des Vorsorgeprinzips ein
gewisser Spielraum zu. Nach der Konzeption der NISV müssen die
Anlagegrenzwerte nicht überall, sondern nur an Orten eingehalten werden, an
denen sich Personen regelmässig während längerer Zeit aufhalten. Dies
entspricht der Funktion der Anlagegrenzwerte als Sicherheitsmarge gegen
allfällige Langzeitwirkungen von schwacher Hochfrequenzstrahlung. Balkone und
Terrassen dienen nicht regelmässig dem längeren Aufenthalt von Personen (vgl.
oben, E. 2.2.1). Werden sie zu den Orten mit empfindlicher Nutzung gezählt,
gibt es keinen Grund, private Gärten oder andere, zu bestimmten Jahres- oder
Tageszeiten vielfrequentierte Orte davon auszuschliessen. Es stand somit im
Ermessen des Verordnungsgebers, aus Gründen der Rechtssicherheit und der
Praktikabilität die Einhaltung der Anlagegrenzwerte auf die eigentlichen
Wohn-, Schlaf- und Arbeitsräume zu begrenzen. Da Dachterrassen und Balkone
immer in der Nähe eines Wohn- oder Arbeitsraums liegen, in dem der
Anlagegrenzwert eingehalten werden muss, wird der Anlagegrenzwert auf der
Dachterrasse bzw. dem Balkon in der Regel nur geringfügig überschritten
werden.

3.
Nach dem Gesagten ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutzuheissen, soweit
die Aufhebung des angefochtenen Entscheids des Verwaltungsgerichts beantragt
wird.

Dagegen kann das Bundesgericht nicht in der Sache über die Bewilligung des
Baubegehrens entscheiden: Im angefochtenen Entscheid des Verwaltungsgerichts
wurde nur über die Qualifikation von Balkonen und Terrassen als Orte mit
empfindlicher Nutzung verbindlich, im Sinne eines Teilendentscheids,
entschieden (vgl. oben, E. 1). Nur diese Frage ist Streitgegenstand des
bundesgerichtlichen Verfahrens.

Die Sache ist deshalb zur Neubeurteilung an das Verwaltungsgericht
zurückzuweisen, das auch die Kosten des kantonalen Verfahrens neu wird
verlegen müssen.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens unterliegen im Wesentlichen die privaten
Beschwerdegegner. Diese müssen deshalb die Gerichtskosten tragen (Art. 156
OG) und die Beschwerdeführerin für die Kosten des bundesgerichtlichen
Verfahrens entschädigen (Art. 159 BV). Bei der Bemessung der
Parteientschädigung ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerde nur teilweise
gutgeheissen wird, die Beschwerdeführerin also nicht mit sämtlichen Anträgen
erfolgreich war.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen und der
Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt als
Verwaltungsgericht vom 17. Juni 2002 aufgehoben. Die Sache wird zu neuem
Entscheid an das Appellationsgericht des Kantons Basel (als
Verwaltungsgericht) zurückgewiesen. Im Übrigen wird die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den privaten Beschwerdegegnern
auferlegt. Sie haften zu gleichen Teilen als Solidarschuldner.

3.
Die privaten Beschwerdegegner haben die Beschwerdeführerin für das
bundesgerichtliche Verfahren mit insgesamt Fr. 1'500.-- zu entschädigen. Sie
haften zu gleichen Teilen als Gesamtschuldner.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bauinspektorat des Kantons Basel-Stadt
und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht
sowie dem Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 19. Mai 2003

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: