Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1A.155/2002
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1A.155/2002/sch

Urteil vom 20. August 2002

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Féraud,
Gerichtsschreiber Pfisterer.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Martin Lindemann,
Kaiserstrasse 24, Postfach 100 931, DE-32509 Bad Oeynhausen,

gegen

Bundesamt für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion
Auslieferung,
Bundesrain 20, 3003 Bern.

Auslieferung an Deutschland; Nachtragsersuchen -
B 132799-HUG/TAN,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Auslieferungsentscheid des Bundesamts
für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung, vom
5. Juni 2002.

Sachverhalt:

A.
Der deutsche Staatsangehörige X.________ wurde gestützt auf den Haftbefehl
des Landesgerichtes Bielefeld, Deutschland, am 23. April 2002 in Zürich wegen
Verdachts sexueller Nötigung und sexuellen Missbrauchs von Kindern
festgenommen. Da X.________ am 24. April 2002 einer vereinfachten
Auslieferung zustimmte, wurde er am 27. April 2002 nach Deutschland
ausgeliefert. Auf den Spezialitätsvorbehalt gemäss Art. 38 Abs. 1 des
Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in
Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG; SR 351.1) verzichtete er ausdrücklich
nicht.

B.
Am 24. Mai 2002 stellte die Senatsverwaltung für Justiz, Berlin, Deutschland,
ein Ersuchen um nachträgliche Zustimmung zur Auslieferung von X.________
gestützt auf den Haftbefehl des Amtsgerichtes Tiergarten, Deutschland, vom 2.
Mai 2002. Im Haftbefehl wird X.________ Betrug im Zusammenwirken mit einer
zweiten Person zur Last gelegt. X.________ warb über das Internet und über
Zeitungsinserate Interessierte an und versprach, ihnen über seine Firma
A.________ - Kanzlei für Wissenschaftsberatung - den "Dr."-Titel einer
deutschen Universität gegen Zahlung von erheblichen Geldbeträgen zu
verschaffen. Nach seinen Angaben sollte ein Teil des Geldes in bar an den als
Doktor-Vater fungierenden ordentlichen Professor übergeben werden. Die mit
X.________ zusammenarbeitende zweite Person fertigte in der Regel nach
Anzahlung von mehr als DM 15'000.-- an X.________ ein Gutachten in der Form
einer Dissertation an, das den Interessierten ausgehändigt wurde, oder sie
überarbeitete den ihr übergebenen Entwurf der Geschädigten und erhielt für
ihre Arbeit einen Teil der Zahlungen der Geschädigten. X.________ fertigte in
der Folge jeweils eine totalgefälschte Dissertationsurkunde an sowie eine
totalgefälschte Bescheinigung, wonach die mündliche Verteidigung der
Doktorarbeit entfallen könne, da die hervorragende Qualität der Dissertation
dies entbehrlich mache. Die Geschädigten leisteten daraufhin die restlichen
Beträge in der Meinung, den akademischen Titel ordnungsgemäss erworben zu
haben. Insgesamt hat X.________ zwischen Anfang 2000 und dem 23. April 2002
durch 85 selbstständige Handlungen mehr als € 1'000'000.-- von den
Geschädigten eingenommen.

C.
Am 5. Juni 2002 bewilligte das Bundesamt für Justiz die Auslieferung an
Deutschland für die dem Nachtragsauslieferungsbegehren der Senatsverwaltung
für Justiz, Berlin, Deutschland, zugrunde liegenden Straftaten.

D.
X.________ führt gegen diesen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans
Bundesgericht mit dem sinngemässen Antrag, das Auslieferungsbegehren sei
abzuweisen.
Auf die Einholung einer Vernehmlassung des Bundesamtes für Justiz wurde
verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Auslieferungsfragen sind in erster Linie auf Grund der massgebenden
Staatsverträge zu entscheiden. Im vorliegenden Fall gilt das Europäische
Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EAUe; SR 0.353.1), dem
sowohl die Schweiz als auch Deutschland beigetreten sind, sowie das zweite
Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 zu diesem Übereinkommen, das von beiden
Staaten ratifiziert worden ist (SR 0.353.12). Zusätzlich ist der Vertrag vom
13. November 1969 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der
Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des Europäischen
Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung
seiner Anwendung (Zusatzabkommen; SR 0.353.913.61) zu berücksichtigen. Das
schweizerische Recht - namentlich das Rechtshilfegesetz und die dazugehörige
Verordnung vom 24. Februar 1982 über internationale Rechtshilfe in
Strafsachen (Rechtshilfeverordnung, IRSV; SR 351.11) - kommt nur zur
Anwendung, wenn eine staatsvertragliche Regelung fehlt oder lückenhaft ist
oder wenn das innerstaatliche Recht das für die Auslieferung günstigere Recht
darstellt (BGE 123 II 134 E. 1a S. 136; 122 II 140 E. 2, 373 E. 1; 120 Ib 120
E. 1a, mit Hinweisen).

1.2 Gegen den angefochtenen Auslieferungsentscheid ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zulässig (Art. 55 Abs. 3
in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 IRSG). Der Beschwerdeführer ist durch den
Entscheid persönlich und direkt berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse
an dessen Aufhebung oder Änderung, so dass er zur Beschwerde befugt ist (Art.
21 Abs. 3 IRSG). Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher einzutreten.

1.3 Das Bundesgericht prüft die erhobenen Rügen grundsätzlich mit freier
Kognition. Es ist aber nicht verpflichtet, nach weiteren der Auslieferung
allenfalls entgegenstehenden Gründen zu forschen, die aus der Beschwerde
nicht hervorgehen (BGE 112 Ib 576 E. 3 S. 586).

2.
2.1 Der Beschwerdeführer macht in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend,
der dem Nachauslieferungsbegehren zu Grunde liegende Sachverhalt sei nach
schweizerischem Recht  nicht strafbar. Da die beidseitige Strafbarkeit nicht
gegeben sei, hätte dem Nachauslieferungsbegehren nicht stattgegeben werden
dürfen.

2.2 Somit ist zu prüfen, ob die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Taten
sowohl nach schweizerischem wie auch nach deutschem Recht strafbar sind (Art.
2 Ziff. 1 EAUe).

Dabei ist zunächst festzuhalten, dass das Auslieferungserfordernis der
beidseitigen Strafbarkeit nach ständiger Rechtsprechung nicht bedeutet, dass
die verfolgte Tat im ersuchenden und im ersuchten Staat unter gleich lautende
Strafbestimmungen fallen müsse. Sie muss nur nach dem Recht beider Staaten
überhaupt strafbar sein (BGE 124 II 184 E. 4b/cc S. 188; 117 Ib 337 E. 4a S.
342, je mit Hinweisen).

Auf das deutsche Recht bezogen trifft dies zu, indem die dem Beschwerdeführer
gemäss Auslieferungsbegehren angelasteten strafbaren Handlungen als Betrug
gemäss § 263 des deutschen Strafgesetzbuches (dStGB) zu erachten sind. Aber
auch nach schweizerischem Recht lässt sich das dem Auslieferungsbegehren zu
Grunde liegende Vorgehen des Beschwerdeführers ohne Weiteres unter den
Tatbestand des Betruges nach Art. 146 StGB bzw. der Urkundenfälschung nach
Art. 251 StGB subsumieren. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist es
auch in der Schweiz nicht erlaubt, mit Hilfe täuschender Machenschaften und
gegen Bezahlung von erheblichen Geldbeträgen totalgefälschte
Dissertationsurkunden abzugeben und die Geschädigten im Glauben zu bestärken,
sie hätten die Doktorwürde erlangt (vgl. im Übrigen BGE 108 Ib 296, 106 IV
269).

Das Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit nach Art. 2 EAUe ist damit
erfüllt. Weitere Gründe, die der Auslieferung allenfalls entgegenstehen, hat
der Beschwerdeführer nicht vorgebracht.

3.
Nach dem Gesagten ist die Bewilligung der Auslieferung durch das Bundesamt
für Justiz nicht zu beanstanden. Die Beschwerde ist abzuweisen.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten des bundesgerichtlichen
Verfahrens dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Bundesamt für Justiz,
Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 20. August 2002

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: