Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1A.145/2002
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1A.145/2002 /sch

Urteil vom 13. November 2002

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Nay, Féraud,
Gerichtsschreiber Härri.

A. ________,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg,
Zaehringenstrasse 1, 1700 Freiburg,
Kantonsgericht Freiburg, Strafappellationshof,
place de l'Hôtel-de-Ville 2a, Postfach 56, 1702 Freiburg.

Art. 94 ff. IRSG (Vollstreckung eines Urteils),

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Freiburg,
Strafappellationshof, vom 17. April 2002.

Sachverhalt:

A.
Am 5. Juli 1996 erkannte das Fürstlich Liechtensteinische Landgericht den
Schweizer Staatsangehörigen A.________ schuldig des gewerbsmässigen schweren
Betruges sowie der Begünstigung eines Gläubigers und auferlegte ihm im Zusatz
zum Urteil eines französischen Gerichts vom September 1991 eine
Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 2 Monaten. Das Landgericht kam zum Schluss,
A.________ habe von 1986 bis 1990 als bestimmendes Organ der X.________ AG
Anleger um rund 13 Millionen Schweizer Franken und 1,7 Millionen DM betrogen.
Ausserdem habe er im Jahre 1990 nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der
X.________ AG einen ihrer Gläubiger begünstigt, indem er diesem aus den noch
vorhandenen Anlagegeldern einen Betrag von ca. 1 Million Schweizer Franken
ausbezahlt habe.

Der von A.________ dagegen erhobenen Berufung gab das Fürstlich
Liechtensteinische Obergericht am 28. Mai 1997 einzig in Bezug auf die Strafe
Folge und setzte diese auf 4 Jahre und 2 Monate herab.

Dieses Urteil focht A.________ mit Revision beim Fürstlich
Liechtensteinischen Obersten Gerichtshof an. Dieser gab der Revision am 5.
Februar 1998 keine Folge.

Am 25. Februar 1998 forderte das Fürstlich Liechtensteinische Landgericht
A.________ auf, die Freiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten innert
vier Wochen im Gefangenenhaus Vaduz anzutreten.

Mit Beschluss vom 4. November 1998 wies das Fürstlich Liechtensteinische
Landgericht den Antrag von A.________ um Bewilligung des Aufschubs des
Strafvollzuges ab.

Der dagegen von A.________ erhobenen Beschwerde gab das Fürstlich
Liechtensteinische Obergericht am 10. Februar 1999 keine Folge.

Da A.________ die Freiheitsstrafe nicht antrat, erliess das Fürstlich
Liechtensteinische Landgericht am 22. März 1999 einen Haftbefehl.

B.
Am 6. und 20. April 1999 ersuchte der Rechtsdienst der Regierung des
Fürstentums Liechtenstein die Schweizer Behörden um Übernahme der
Vollstreckung der Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 2 Monaten.

Am 14. September 2001 erklärte das Bundesamt für Justiz die Annahme des
Ersuchens und stellte dem Kanton Freiburg den Antrag, die Vollstreckung des
liechtensteinischen Urteils nach Durchführung des Exequaturverfahrens zu
übernehmen.
Mit Urteil vom 11. Januar 2002 erklärte der Präsident des
Wirtschaftsstrafgerichts des Kantons Freiburg den Entscheid des Fürstlich
Liechtensteinischen Obergerichtes vom 28. Mai 1997 für vollstreckbar. Er
beauftragte das Amt für Strafvollzug des Kantons Freiburg mit der
Vollstreckung der Strafe.

Die von A.________ dagegen erhobene Berufung wies das Kantonsgericht Freiburg
(Strafappellationshof) am 17. April 2002 ab, soweit es darauf eintrat.

C.
A.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Kantonsgerichtes aufzuheben; die Sache sei an dieses zur Neubeurteilung
zurückzuweisen mit der Auflage, verschiedene in der Beschwerde genannte
Dokumente bei den zuständigen Stellen einzufordern.

D.
Das Kantonsgericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg haben auf
eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesamt für Justiz hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen.

Das Kantonsgericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg haben auf
Bemerkungen zur Vernehmlassung des Bundesamtes verzichtet.

A. ________ hat zur Vernehmlassung des Bundesamtes eine Stellungnahme
eingereicht. Er hält darin an seinem in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
gestellten Antrag fest.

E.
Am 28. Juni 2002 hat der Präsident des bundesgerichtlichen Kassationshofes
der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

F.
Mit Schreiben vom 10. Juli 2002 teilte das Bundesgericht den Beteiligten mit,
dass der Fall, der bis dahin beim Kassationshof registriert war, von der I.
öffentlichrechtlichen Abteilung übernommen werde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Gemäss Art. 25 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über
internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1) unterliegen
Verfügungen letztinstanzlicher kantonaler Behörden, soweit das Gesetz nichts
anderes bestimmt, der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unmittelbar an das
Bundesgericht (Art. 97-114 OG).

Die Vorinstanz hat als letzte kantonale Instanz im Sinne von Art. 98 lit. g
OG entschieden. Sie stützt ihr Urteil auf Art. 94 ff. IRSG, also auf
öffentliches Recht des Bundes. Gegen den angefochtenen Entscheid ist daher
nach Art. 97 OG in Verbindung mit Art. 5 VwVG die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben. Ein Ausschlussgrund nach Art. 99 ff.
OG besteht nicht. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist einzutreten (vgl.
auch Urteil des Bundesgerichts 1A.134/2001 vom 11. Dezember 2001 E. 1.1).

2.
Im vorliegenden Verfahren geht es einzig um die Frage, ob die Voraussetzungen
für die Übernahme der Vollstreckung der in Liechtenstein ausgesprochenen
Strafe durch die Schweiz gegeben seien. Massgebend sind insoweit Art. 94 ff.
IRSG.

2.1 Gemäss Art. 94 Abs. 1 IRSG können rechtskräftige und vollstreckbare
Strafentscheide eines andern Staates auf dessen Ersuchen vollstreckt werden,
wenn: (a) der Verurteilte in der Schweiz seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat
oder sich hier wegen einer schweren Tat verantworten muss; (b) Gegenstand der
Verurteilung eine im Ausland verübte Handlung ist, die, wenn entsprechend in
der Schweiz begangen, hier strafbar wäre, und (c) die Vollstreckung in der
Schweiz insbesondere aus einem der Gründe nach Art. 85 Abs. 1 und 2 IRSG
angezeigt oder wenn sie im ersuchenden Staat ausgeschlossen erscheint. Gemäss
Art. 94 Abs. 2 Satz 1 IRSG werden im Ausland verhängte Sanktionen vollzogen,
soweit sie das Höchstmass der im schweizerischen Recht für eine entsprechende
Tat vorgesehenen Strafe nicht übersteigen.

Die Voraussetzungen für die Übernahme der Strafvollstreckung nach Art. 94
IRSG sind hier erfüllt. Die dem Beschwerdeführer in Liechtenstein auferlegte
Strafe von 4 Jahren und 2 Monaten ist rechtskräftig und vollstreckbar. Der
Beschwerdeführer hat im Kanton Freiburg seinen gewöhnlichen Aufenthalt. Die
gegenseitige Strafbarkeit ist gegeben. Die Handlungen des Beschwerdeführers
würden, wenn sie in der Schweiz begangen worden wären, von Art. 146 StGB
(Betrug) und Art. 167 StGB (Bevorzugung eines Gläubigers) erfasst. Da der
Beschwerdeführer die Strafe im Fürstentum Liechtenstein nicht angetreten hat
und er als Schweizer Bürger ohne seine schriftliche Zustimmung dorthin nicht
ausgeliefert werden darf (Art. 7 Abs. 1 IRSG), erscheint die
Strafvollstreckung dort ausgeschlossen. Die Strafe von 4 Jahren und 2 Monaten
übersteigt das Höchstmass der in der Schweiz für die entsprechende Tat
vorgesehenen Strafe nicht; dieses Höchstmass beträgt nach Art. 146 Abs. 2 in
Verbindung mit Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB 15 Jahre Zuchthaus.

Ein Grund für die Unzulässigkeit der Vollstreckbarerklärung gemäss Art. 95
IRSG oder für die Ablehnung der Vollstreckung gemäss Art. 96 IRSG liegt nicht
vor. Der Beschwerdeführer macht dies auch nicht geltend.

2.2 Er wendet im Wesentlichen ein, seine Auslieferung von Frankreich an
Liechtenstein sei rechtswidrig gewesen. Ausserdem habe er in Liechtenstein
kein faires Verfahren gehabt. So sei seinem Verteidiger zu wenig
Vorbereitungszeit zur Verfügung gestanden. Zudem seien zwar alle
Belastungszeugen angehört worden, dagegen sei die Einvernahme sämtlicher
Entlastungszeugen abgelehnt worden. Das Verfahren in Liechtenstein sei
einseitig geführt und überdies verschleppt worden. Der Beschwerdeführer sei
bei keiner Zeugeneinvernahme dabei gewesen und habe somit keine Gelegenheit
gehabt, sich mit kontradiktorischen Fragen zu verteidigen. Sinngemäss macht
er damit einen Ausschlussgrund nach Art. 2 IRSG geltend. Danach wird einem
Ersuchen um Zusammenarbeit in Strafsachen nicht entsprochen, wenn Gründe für
die Annahme bestehen, dass das Verfahren im Ausland den in der EMRK oder im
UNO-Pakt II festgelegten Verfahrensgrundsätzen nicht entspricht (lit. a) oder
andere schwere Mängel aufweist (lit. d).

Der Beschwerdeführer lebte mit einem gefälschten britischen Pass in
Frankreich, wurde dort verhaftet und an Liechtenstein ausgeliefert. Wie sich
aus den Akten ergibt, sagte er in der Verhandlung vor dem Fürstlich
Liechtensteinischen Landgericht aus, er sei mit der Auslieferung schliesslich
einverstanden gewesen. In Anbetracht dessen ist es widersprüchlich, wenn er
nun geltend macht, die Auslieferung sei rechtswidrig gewesen. Er hätte im
Übrigen die Möglichkeit gehabt, sich in Frankreich gegen die Auslieferung mit
den ihm dort zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln zu wehren. Aufgrund der
Akten - insbesondere im Lichte des Schreibens des Fürstlich
Liechtensteinischen Landgerichtes an das Bundesamt vom 11. September 2001 -
bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Auslieferung nach Liechtenstein
mit einem schweren Mangel behaftet wäre.

Die geltend gemachte Verletzung seiner Rechte im liechtensteinischen
Strafverfahren konnte der Beschwerdeführer im dortigen Rechtsmittelverfahren
rügen. Das hat er auch getan. Das Fürstlich Liechtensteinische Obergericht
und der Fürstlich Liechtensteinische Oberste Gerichtshof sind jedoch zum
Schluss gekommen, dass die Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers
beeinträchtigende Rechtsverletzungen nicht gegeben seien. Sollte der
Beschwerdeführer diese Auffassung als unzutreffend angesehen haben, so stand
es ihm frei, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg
anzurufen. Ernsthafte Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer in
Liechtenstein ein rechtsstaatliches Verfahren vorenthalten worden wäre oder
dass das dortige Verfahren sonstwie schwere Mängel aufgewiesen hätte, lassen
sich den Urteilen der Liechtensteinischen Gerichte und den weiteren Akten
nicht entnehmen. Der Beschwerdeführer legte im Übrigen in Bezug auf das
objektive Geschehen ein reumütiges Geständnis ab, was das Fürstlich
Liechtensteinische Obergericht strafmildernd berücksichtigt hat. Der
Beschwerdeführer legt nicht dar und es ist nicht ersichtlich, inwiefern ihm
bei dieser Sachlage durch die behaupteten Beeinträchtigungen seiner
Verteidigungsrechte ein schwerwiegender Nachteil entstanden sein soll. Die
Ablehnung der Übernahme der Strafvollstreckung gestützt auf Art. 2 IRSG fällt
daher ausser Betracht.

2.3 Der Einwand des Beschwerdeführers, das Urteil des Fürstlich
Liechtensteinischen Obersten Gerichtshofes sei ihm nicht rechtsgültig
zugestellt worden, geht fehl. Wie sich dem Schreiben des Fürstlich
Liechtensteinischen Landgerichts vom 11. September 2001 an das Bundesamt
entnehmen lässt, war der Beschwerdeführer während des gesamten
liechtensteinischen Verfahrens durch einen Rechtsanwalt vertreten. Diesem
wurde auch das Urteil des Obersten Gerichtshofes zugestellt. Gemäss § 37 der
liechtensteinischen Strafprozessordnung hat dann, wenn ein Verteidiger von
einem Angeklagten gewählt oder im Rahmen der Verfahrenshilfe bestellt ist,
die Zustellung der gerichtlichen Entscheidungen ausschliesslich an den
Verteidiger zu erfolgen. Die dem Beschwerdeführer auferlegte Strafe von 4
Jahren und 2 Monaten erwuchs mit dem Entscheid des Fürstlichen Obersten
Gerichtshofes am 5. Februar 1998 in Rechtskraft; seit diesem Zeitpunkt ist
sie vollstreckbar.

2.4 Entgegen dem Einwand des Beschwerdeführers genügt das liechtensteinische
Rechtshilfeersuchen den Anforderungen von Art. 103 IRSG. Dem Ersuchen lagen
insbesondere die amtlich als richtig bescheinigten Abschriften der
massgeblichen Urteile bei.

2.5 Die Sache ist aufgrund der vorliegenden Akten spruchreif. Der Beizug
weiterer Akten, insbesondere die Einholung der vom Beschwerdeführer auf S.13
der Beschwerde genannten Schriftstücke, rechtfertigt sich nicht.

3.
Die Beschwerde ist abzuweisen.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art.
156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Freiburg und dem Kantonsgericht Freiburg, Strafappellationshof, sowie dem
Bundesamt für Justiz schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. November 2002

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: