Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1A.135/2002
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1A.135/2002 /mks

Urteil vom 29. Oktober 2002

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Féraud, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Steiner.

M. X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Jürg Friedli, "am Bahnhof",
Malerweg 2, Postfach 2078, 3601 Thun,

gegen

Kanton Bern,
handelnd durch die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des Kantons Bern,
Münstergasse 2, 3011 Bern,
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung,
Speichergasse 12, 3011 Bern.

OHG (Genugtuung),

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 22. Mai 2002.

Sachverhalt:

A.
Am 29. Mai 1999 wurde auf das Restaurant A.________ ein Handgranatenanschlag
verübt. M. X.________, geboren am .......... 1952, wurde schwer verletzt. Der
mutmassliche Täter richtete sich noch in der gleichen Nacht selbst. M.
X.________ verbrachte neun Tage im Spital und anschliessend acht Monate im
Paraplegiker-Zentrum in Nottwil; er wurde mehrfach operiert. Seinen Beruf als
Carrosseriespengler und sein Amt als Hauswart kann er nicht mehr ausüben.
Nach einer Umschulung zum kaufmännischen Angestellten ist er in seiner neuen
Tätigkeit zu 50 Prozent arbeitsfähig.
M. X.________ stellte am 28. Mai 2001 bei der Justiz-, Gemeinde- und
Kirchendirektion des Kantons Bern ein Gesuch um Ausrichtung einer Genugtuung.
Die Ehefrau des Opfers, E. X.________, machte als nahe Angehörige des
Schwerverletzten ebenfalls einen Genugtuungsanspruch geltend. Mit Arztbericht
vom 20. April 2001 wurde M. X.________ bescheinigt, dass er unter einer fast
vollständigen spastischen Lähmung des linken Beines und unter einer Störung
der Blasen- und Darmentleerung sowie der Sexualfunktion leide. Daneben
bestehe ein beidseitiger Tinnitus (Ohrenrauschen), wobei das Ausmass des
Hörverlustes noch nicht klar sei. M. X.________ könne kurze Strecken an zwei
Stöcken gehen, für längere sei er auf den Rollstuhl angewiesen. In teilweiser
Gutheissung des Gesuches sprach ihm die Justiz-, Gemeinde- und
Kirchendirektion mit Verfügung vom 21. Dezember 2001 nebst einer
Entschädigung für die Anwaltskosten eine Genugtuung in der Höhe von Fr.
50'000.-- zu.

B.
Am 28. Januar 2002 erhob M. X.________ Beschwerde an das Verwaltungsgericht
des Kantons Bern und beantragte die Aufhebung der Verfügung der Justiz-,
Gemeinde- und Kirchendirektion vom 21. Dezember 2001. Es sei ihm eine
Genugtuung in der Höhe von Fr. 160'000.-- zuzusprechen. Das
Verwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Urteil vom 22. Mai 2002 ab. Zur
Begründung wurde ausgeführt, die zugesprochene Genugtuung bewege sich
innerhalb des der Behörde bei der Bemessung der Genugtuungssumme zustehenden
erheblichen Beurteilungs- und Ermessensspielraums, den das Verwaltungsgericht
als Rechtsmittelinstanz grundsätzlich zu respektieren habe.

C.
Mit Eingabe vom 26. Juni 2002 erhebt M. X.________
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Er beantragt, der angefochtene Entscheid des
Verwaltungsgerichts vom 22. Mai 2002 sei aufzuheben und dem Beschwerdeführer
sei eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 160'000.-- zuzusprechen.
Das Verwaltungsgericht sowie die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des
Kantons Bern schliessen mit Vernehmlassungen vom 2. und 8. Juli 2002 auf
Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Justiz verzichtet mit Schreiben
vom 15. August 2002 auf eine Stellungnahme.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den kantonal letztinstanzlichen, auf
Bundesverwaltungsrecht gestützten Entscheid ist zulässig (Art. 97 OG). Der
Beschwerdeführer ist legitimiert (Art. 103 lit. a OG). Auf die fristgerechte
Beschwerde (Art. 106 und 34 OG) ist daher einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe den Sachverhalt in
mehreren Punkten offensichtlich unrichtig festgestellt. Der Beschwerdeführer
wirft der Vorinstanz überdies vor, in der Störung der Blasen-, Darm- und
Sexualfunktion ein wesentliches Sachverhaltselement mit einer fragwürdigen
Begründung nicht berücksichtigt zu haben. Diese Rüge betrifft sowohl die
Feststellung des Sachverhalts als auch die Bemessung der Genugtuung.

2.1 Die Feststellung des Sachverhalts bindet das Bundesgericht, wenn eine
richterliche Behörde als Vorinstanz den Sachverhalt nicht offensichtlich
unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt hat (Art. 104 lit. b i.V.m. Art. 105 Abs.
2 OG; BGE 125 II 230 E. 1d S. 233). Anders ist es mit anderen Worten nur
dann, wenn sich die Sachverhaltsermittlung als qualifiziert unkorrekt erweist
(BGE 124 II 361 E. 2a; 123 II 295 E. 3; 121 II 59 E. 2d S. 63; 119 Ib 166 E.
2a/bb S. 170). Fehlen die für die Rechtsanwendung erheblichen
Sachverhaltsfeststellungen und können diese aus den Akten nicht ohne
erheblichen Aufwand ergänzt werden, weist das Bundesgericht die Sache in der
Regel an die Vorinstanz zurück (BGE 125 II 105 E. 2d S. 110 f.; 123 II 16 E.
4 S. 23 f., 49 E. 5a und 6b).

2.2 Für die Abklärung des entscheiderheblichen Sachverhalts gilt im
Verwaltungsverfahren grundsätzlich die Untersuchungsmaxime (so auch Art. 18
Abs. 1 des Gesetzes vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege des
Kantons Bern [VRPG; BSG 155.21]). Diese ist im Bereich des Bundesgesetzes vom
4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG; SR 312.5) von
Bundesrechts wegen vorgesehen (Art. 16 Abs. 2 OHG). Der
Untersuchungsgrundsatz wird jedoch relativiert durch die Mitwirkungspflicht
der Parteien, welche namentlich insoweit greift, als eine Partei das
Verfahren durch eigenes Begehren eingeleitet hat und darin eigene Rechte
geltend macht (BGE 126 II 97 E. 2e S. 101 f.; 124 II 361 E. 2b S. 365, je mit
Hinweisen; vgl. Art. 20 Abs. 1 VRPG). Vom Gesuchsteller muss im OHG-Verfahren
verlangt werden, dass er soweit zumutbar diejenigen Angaben macht, die der
Behörde erlauben, den Sachverhalt von Amtes wegen abzuklären (BGE 126 II 97
E. 2e S. 101 f.). Die Behörde ist nicht gehalten, allen erdenklichen
Möglichkeiten, für welche in den Akten keine Anhaltspunkte bestehen,
nachzugehen. So ist es insbesondere Sache des Privaten, auf der allgemeinen
Lebenserfahrung widersprechende Verhältnisse hinzuweisen (Max Imboden/René A.
Rhinow, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Auflage, Basel 1976, Nr.
88 IIc S. 552 mit Hinweisen). Besonderes Gewicht wird der Obliegenheit, zur
Sachverhaltsermittlung beizutragen, im Rechtsmittelverfahren beigemessen (BGE
110 V 48 E. 4a S. 53; Urteil vom 3. Oktober 1979, in: BVR 1980, S. 236 ff.,
E. 2a S. 237; vgl. Thomas Merkli/ Arthur Aeschlimann/Ruth Herzog, Kommentar
zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, Art.
20 N 2 mit Hinweisen).

2.3 Nach Art. 12 Abs. 2 OHG kann dem Opfer eine Genugtuung ausgerichtet
werden, wenn es schwer betroffen ist und besondere Umstände es rechtfertigen.
Das Opferhilfegesetz enthält keine Bestimmungen über die Bemessung der
Genugtuung gemäss Art. 12 Abs. 2 OHG. Diese Leistungen unterscheiden sich
zwar in ihrer Rechtsnatur von den zivilrechtlichen Ansprüchen gemäss Art. 47
oder 49 OR. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind jedoch im Bereich
der Opferhilfe die von den Zivilgerichten entwickelten Grundsätze zur
Bemessung der Genugtuung sinngemäss heranzuziehen (BGE 125 II 554 E. 2a S.
555 f. mit Hinweisen). Dabei ist allerdings zu beachten, dass es sich bei der
opferrechtlichen Genugtuung um eine staatliche Hilfeleistung handelt (BGE 128
II 49 E. 4.1 S. 53; 125 II 169 E. 2b S. 173, 554 E. 2a S. 556). Sie erreicht
deshalb nicht automatisch die gleiche Höhe wie die zivilrechtliche, sondern
kann unter Umständen davon abweichen (BGE 125 II 169 E. 2b/bb und 2c S. 174
f.; 124 II 8 E. 3d/cc S. 15). Insbesondere kann berücksichtigt werden, dass
die Genugtuung nicht vom Täter, sondern von der Allgemeinheit bezahlt wird,
was namentlich dann eine Reduktion gegenüber der zivilrechtlichen Genugtuung
rechtfertigen kann, wenn diese aufgrund von subjektiven, täterbezogenen
Merkmalen (z.B. besonders skrupellose Art der Begehung) erhöht worden ist
(Urteil des Bundesgerichts vom 5. März 1999, BVR 1999 S. 486, E. 3c/cc; vgl.
Klaus Hütte, Genugtuung - eine Einrichtung zwischen Zivilrecht, Strafrecht,
Sozialversicherungsrecht und Opferhilfegesetz, in: Collezione Assista, Genf
1998, S. 264-287, 278 f.). Soweit der Beschwerdeführer die
Bundesrechtswidrigkeit des angefochtenen Entscheids mit der Brutalität, mit
welcher der Täter vorgegangen ist, zu begründen sucht, sind seine
Ausführungen nach dem Gesagten zum Vornherein unbehelflich.

2.4 Die Bemessung der Genugtuung ist eine Entscheidung nach Billigkeit, die
von der Würdigung der massgeblichen Kriterien abhängt. Innerhalb gewisser
Grenzen sind mehrere angemessene Lösungen möglich (BGE 123 II 210 E. 2c S.
212 f.). Die Höhe der zugesprochenen Genugtuung erweist sich nicht schon
deshalb als bundesrechtswidrig, weil das Bundesgericht oder eine kantonale
Instanz in einem anderen Fall einen höheren oder tieferen Betrag für
angebracht gehalten hat. Die Summe ist entgegen der Ansicht des
Beschwerdeführers nicht nach festen Tarifen festzusetzen, sondern muss dem
Einzelfall angepasst werden (BGE 127 IV 215 E. 2e S. 219). Den kantonalen
Behörden steht ein breiter Ermessensspielraum zu, in den das Bundesgericht
nur eingreift, wenn die kantonale Instanz ihr Ermessen überschritten oder
missbraucht hat (Art. 104 lit. a OG). Das Bundesgericht greift unter anderem
ein, wenn Tatsachen berücksichtigt werden, die für den Entscheid im
Einzelfall keine Rolle spielen dürfen oder wenn umgekehrt Umstände ausser
Betracht geblieben sind, die hätten beachtet werden müssen (BGE 127 IV 215 E.
2a S. 217; 125 II 169 E. 2b/bb S. 174; 125 III 412 E. 2a S. 417 f.; 123 III
10 E. 4c/aa S. 13, 306 E. 9b S. 315).

3.
3.1 Nach Ansicht des Beschwerdeführers wird im angefochtenen Entscheid in
qualifiziert unkorrekter Feststellung des Sachverhalts von einem blossen
Tinnitus und nicht von einem beidseits persistierenden Tinnitus ausgegangen.
Davon kann indessen keine Rede sein. Die Vorinstanz hat, wie sie in ihrer
Vernehmlassung hervorhebt, gemäss dem Arztbericht vom 20. April 2001 einen
beidseits persistierenden Tinnitus angenommen. Ausserdem rügt der
Beschwerdeführer den Vergleich der 50-prozentigen Arbeitsfähigkeit - diese
wird im vorliegenden Fall von allen Verfahrensbeteiligten übereinstimmend
zugrunde gelegt - mit anderen Sachverhalten aufgrund des in den
herangezogenen Entscheiden festgestellten Invaliditätsgrades als qualifiziert
unkorrekte Sachverhaltsfeststellung. Nach Auffassung des Beschwerdeführers
unangemessene Vergleiche sind indessen nicht als offensichtlich unrichtige
Sachverhaltsfeststellung zu rügen.

3.2 Das Verwaltungsgericht hält im angefochtenen Entscheid zunächst fest, der
Beschwerdeführer bestreite die von der Vorinstanz getroffenen
Sachverhaltsfeststellungen nicht. Im Rahmen der Prüfung der Bemessung der
Genugtuung durch die Justiz- Gemeinde- und Kirchendirektion findet sich zum
Sachverhalt folgende Präzisierung: "In den Akten erwähnt ist eine "Störung"
der Blasen- und Darmentleerung sowie der Sexualfunktion, doch ist nicht
erstellt, wie stark diese Störung ist. Es wäre dem Beschwerdeführer aufgrund
seiner Mitwirkungspflicht (Art. 20 VRPG) zuzumuten gewesen, näher darzulegen,
dass und inwiefern er dadurch schwer betroffen im Sinne von Art. 12 Abs. 2
OHG sei." Dazu ist zunächst zu bemerken, dass nur Art und Ausmass sowie die
Auswirkungen der Störung der erwähnten Körperfunktionen Gegenstand der
Sachverhaltsfeststellung sind. Rechtsfrage ist, ob das Opfer "schwer
betroffen" ist; dieser Begriff ist auszulegen (Peter Gomm/Peter Stein/Dominik
Zehntner, Kommentar zum Opferhilfegesetz, Bern 1995, Art. 12 N 28). Die
Mitwirkungspflicht des Gesuchstellers gemäss Art. 20 VRPG bezieht sich auf
die Ermittlung des Sachverhalts. Entsprechend macht das Verwaltungsgericht in
seiner Vernehmlassung geltend, es wäre Sache des Beschwerdeführers gewesen,
zumindest in zweiter Instanz die Leiden näher zu belegen. Aus dem Arztbericht
vom 20. April 2001 gehe die Art der genannten Störungen nicht hervor; auch
sei nicht von einer schweren Störung die Rede.

3.3 Der Beschwerdeführer hat vor Verwaltungsgericht geltend gemacht, er leide
unter einer Störung der Blasen- und Darmentleerung; die Sexualfunktion sei
ebenfalls bleibend geschädigt. Im Übrigen hat er auf den Arztbericht vom 20.
April 2001 verwiesen. Die Auswirkungen der Verletzungen des Beschwerdeführers
auf die Lebensfreude seien aufgrund der Rollstuhlabhängigkeit und auch der
gestörten Blasen-, Darm- und Sexualfunktion enorm. Bereits im
erstinstanzlichen Verfahren hatte er eine Harnröhrenstriktur und das
Anbringen eines Zystofixes im Paraplegikerzentrum Nottwil erwähnt. Er hatte
zudem geltend gemacht, die verletzungsbedingte Störung der Sexualfunktion
wirke sich stark belastend aus. Dies gelte sowohl für den Gesuchsteller als
auch für seine Ehefrau. Im parallel eingereichten Gesuch der Ehefrau hatte
der Vertreter des Beschwerdeführers gar behauptet, das Sexualleben der
Ehegatten sei zerstört. Damit stellt sich die Frage, ob die Vorinstanz
angesichts dieser Ausgangslage darauf verzichten durfte, weitere Abklärungen
zu treffen.

3.4 Dem Verwaltungsgericht kann keine offensichtlich unrichtige
Sachverhaltsfeststellung vorgeworfen werden, wenn es aufgrund der Aktenlage
annimmt, dass kein vollständiger Ausfall der Sexualfunktion vorliege.
Entsprechend führt der Beschwerdeführer dazu vor Bundesgericht aus, der
Verlust der Geschlechtsorgane oder der Fortpflanzungsfähigkeit habe eine
Integritätsentschädigung von 40 Prozent zur Folge, wogegen im vorliegenden
Fall eine solche in der Höhe von 10 Prozent angemessen sei. Im angefochtenen
Entscheid wird aber unter Hinweis auf die Mitwirkungspflicht auch keine
Sachverhaltsfeststellung zur Frage getroffen, ob sich die Einschränkung der
Sexualfunktionen auf das Eheleben und damit auch auf die
Persönlichkeitssphäre des Beschwerdeführers auswirkt (vgl. dazu BGE 112 II
220 E. 2g S. 225). Dies ist aber aufgrund der Akten sowie nach der
allgemeinen Lebenserfahrung anzunehmen. Die Störung der sexuellen Funktion
umfasst - vergleichbar einer entstellenden Verletzung und der vom
Beschwerdeführer behaupteten Wesensveränderung - über die diagnostizierten
körperlichen Beschwerden hinaus mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine
Beeinträchtigung der Beziehungen zu Mitmenschen (Karl Oftinger/Emil W. Stark,
Schweizerisches Haftpflichtrecht, Erster Band: Allgemeiner Teil, Zürich 1995,
§ 8 N 68). Der Beschwerdeführer musste angesichts der summarischen
erstinstanzlichen Begründung auch nicht davon ausgehen, die Justiz-,
Gemeinde- und Kirchendirektion habe den Sachverhalt insoweit falsch oder
unvollständig oder auch nur von den tatsächlichen Behauptungen des
Gesuchstellers abweichend festgestellt; demnach schadet ihm das Unterlassen
einer entsprechenden Rüge nicht (vgl. BVR 1980, S. 238). Dies bedeutet nicht,
dass die Behauptung des Beschwerdeführers, die Störung der Sexualfunktion
wirke sich stark belastend aus, unbesehen hätte übernommen werden müssen. Das
Verwaltungsgericht hätte aber aufgrund der diagnostizierten
Beeinträchtigungen in Verbindung mit der Lähmung eines Beines nach der
allgemeinen Lebenserfahrung zumindest darauf schliessen müssen, dass die
Spontaneität im sexuellen Bereich erheblich reduziert ist. Hätte die
Vorinstanz die behaupteten, stark belastenden Auswirkungen dieser Beschwerden
in Frage stellen wollen, hätte sie angesichts der Aktenlage weitere
Erhebungen zum Sachverhalt treffen müssen (vgl. zum Entscheid aufgrund der
Akten bei mangelhafter Beschwerdebegründung Alfred Kölz/Jürg Bosshart/Martin
Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2.
Auflage, Zürich 1999, § 23 N 20). Demnach ist der Sachverhalt insoweit
offensichtlich unvollständig festgestellt, ohne dass sich dies mit einer
verfahrensrechtlichen Begründung rechtfertigen liesse. In der Folge sind die
Auswirkungen der genannten Leiden auch nicht gewürdigt oder gar als
genugtuungserhöhender Umstand berücksichtigt worden. Die Vorinstanz hätte
entweder die Behauptungen des Beschwerdeführers zugrunde legen und würdigen
oder dem Untersuchungsgrundsatz gemäss vorgehen müssen. Damit erweist sich
die Sachverhaltsfeststellung in Bezug auf einen Punkt, der für die Bemessung
der Genugtuung von Bedeutung ist, als unzureichend im Sinne von Art. 105 Abs.
2 OG, was zur Gutheissung der Beschwerde führt. Da allenfalls Abklärungen zum
Sachverhalt zu treffen sind, ist der Fall an das Verwaltungsgericht des
Kantons Bern zurückzuweisen. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich, auf die
Vorbringen des Beschwerdeführers weiter einzugehen. Es sei allerdings
nochmals betont, dass die Bemessung der Genugtuung eine Entscheidung nach
Billigkeit ist. Werden die wesentlichen Tatsachen, die für den Entscheid im
Einzelfall eine Rolle spielen, nicht verkannt, auferlegt sich das
Bundesgericht bei der Überprüfung der Höhe opferrechtlicher Genugtuungssummen
grosse Zurückhaltung.

4. Das Verfahren ist kostenlos (Art. 16 Abs. 1 OHG; BGE 122 II 211 E. 4b S.
218 f.). Der Kanton Bern hat dem anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer eine
angemessene Parteientschädigung zu entrichten (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil
aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 1'800.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Justiz-, Gemeinde- und
Kirchendirektion sowie dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, und dem Eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartement schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. Oktober 2002

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: