Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 93/2001
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U 93/01

Urteil vom 30. Juni 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Signorell

K.________, 1952, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Markus Schmid,
Steinenschanze 6, 4051 Basel,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt

(Entscheid vom 6. Dezember 2000)

Sachverhalt:

A.
K. ________, geb. 1952, war als selbstständiger Transportunternehmer
freiwillig bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen
die Folgen von Unfällen versichert, als er am 9. September 1994 beim Beladen
seines Fahrzeuges mit dem Kopf gegen die Umrandung eines Garagentores prallte
(Unfallmeldung vom 12. September 1994). Die Erstbehandlung erfolgte am 12.
September 1994 bei Dr. med. S.________, Allgemeine Medizin FMH, welcher im
Arztzeugnis UVG vom 22. September 1994 eine commotio eventuell contusio
cerebri diagnostizierte. Als Befund erhob er Schürfungen am Oberkopf sowie
starke Kopf- und Nackenschmerzen und ein fraglich positives Babinski-Zeichen
links. Nachdem trotz verschiedener medizinischen Behandlungen, insbesondere
bei Dr. med. X.________, Klinik Y.________, keine Verbesserung des
Gesundheitszustandes erreicht werden konnte, empfahl Dr. W.________,
Kreisarzt der SUVA, nach einer kreisärztlichen Untersuchung vom 29. September
1995 eine ganzheitliche Abklärung. Diese erfolgte anlässlich eines
Aufenthalts in der Klinik B.________ (Austrittsbericht vom 14. Dezember
1995). Die bisherigen Therapien wurden zunächst weitergeführt. Schliesslich
wurden die Akten dem Ärzteteam Unfallmedizin der SUVA unterbreitet. Dr. med.
H.________, Neurologe, empfahl in der ärztlichen Beurteilung vom 22. November
1996, den Fall abzuschliessen, wenn die neuropsychologische Beurteilung nicht
klar in Richtung einer Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit weise.
Bezüglich unfallbedingter Folge sehe er weder im neurologischen noch im
orthopädischen Bereich nachgewiesene somatisch bedingte Ausfälle. Die
psychischen Störungen müssten hinsichtlich ihrer Adäquanz zum Unfallereignis
von anderer Seite geklärt werden. Nachdem Dr. phil. Z.________ im
Zwischenbericht vom März 1997 bestätigt hatte, dass eine Wiederaufnahme der
Arbeit weder erfolgt noch vorgesehen sei, lehnte die SUVA weitere
Versicherungsleistungen über den 31. Mai 1997 hinaus ab mit der Begründung es
lägen keine organischen Unfallfolgen mehr vor. Für die psychischen
Beschwerden bestehe keine Leistungspflicht, da es diesbezüglich an einem
adäquat-kausalen Zusammmenhang mit dem Unfallereignis vom 9. September 1994
mangle (Verfügung vom 6. Mai 1997). Daran hielt sie im Einspracheentscheid
vom 8. August 1997 fest.

B.
Dagegen liess K.________ Beschwerde führen mit dem Antrag, es sei die SUVA zu
verpflichten, die gesetzlichen Leistungen über den 31. Mai 1997 hinaus zu
erbringen, eventuell seien die Akten zu ergänzenden Abklärungen an die SUVA
zurückzuweisen bzw. sei ein medizinisches Gutachten durch Dr. med. A.________
zu erstellen. Das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt (heute:
Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt) zog die IV-Akten (eingeschlossen das
vom Versicherten veranlasste Gutachten der Dres.  A.________ und M.________,
Spezialärzte für Neurologie FMH, vom 27. April 1998) bei und ordnete eine
Begutachtung durch Prof. C.________ an (Gutachten vom 29. Oktober 1999).
Schliesslich nahm es das vom Versicherten in Auftrag gegebene Gutachten von
PD Dr. med. G.________, FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 24.
August 2000 zu den Akten. Mit Urteil vom 6. Dezember 2000 hiess es die
Beschwerde teilweise gut und wies die Sache zur Festsetzung der
Invalidenrente und der Integritätsentschädigung im Sinne der Erwägungen an
die SUVA zurück.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt K.________ beantragen, es sei die
SUVA zur Erbringung der gesetzlichen Leistungen über den 31. Mai 1997 hinaus,
insbesondere zur Ausrichtung einer Invaliditätsrente auf der Basis einer 100
%igen Invalidität und einer angemessenen Integritätsentschädigung, zu
verpflichten, eventuell sei die Sache zur weiteren medizinischen Abklärung an
die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem ersucht er um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die massgeblichen Gesetzesbestimmungen über die
Anspruchsvoraussetzungen sowie die Rechtsprechung zum Kausalzusammenhang
zwischen der beim versicherten Unfall erlittenen Gesundheitsschädigung,
insbesondere auch den psychischen Beeinträchtigungen, und den erneut geltend
gemachten Beschwerden zutreffend dargestellt. Darauf wird ebenso verwiesen
wie auf die Erwägungen zum Beweiswert von ärztlichen Berichten.

Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober
2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden
Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids vom 8. August 1997
eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1,
121 V 366 Erw. 1b).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerden des Versicherten die Folgen
des Unfallereignisses vom 9. September 1994 sind.

2.1 Die Vorinstanz legte ihrer Beurteilung die Ergebnisse der Untersuchungen
des Dr. C.________ zu Grunde (Gutachten vom 29. Oktober 1999). Dieser erhob
seine Diagnose unter Beizug der medizinischen Vorakten sowie nach eigenen
Abklärungen, mithin aus umfassender Kenntnis. Er setzte sich eingehend mit
der medizinischen Würdigung der Gutachter A.________ und M.________
auseinander. Widersprüche sind im Bericht keine erkennbar. Die Beurteilung
ist überzeugend begründet. Weitere medizinische Abklärungen erübrigen sich
damit. Demnach besteht die Diagnose eines status nach leichter bis höchstens
mittelschwerer Gehirnerschütterung (commotio cerebri) und eines
Reklinationstraumas der Halswirbelsäule ohne Hinweise für eine gravierendere
Läsion ossärer oder ligamenter Strukturen der letzteren. Diese Diagnose
betrifft die Folgen des Unfalls. Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
bestehen jedoch nur noch geringfügige Restbeschwerden; nicht unfallkausal
sind das Ausmass und die Dauer der geklagten Beschwerden (Schmerzen), die
neuropsychologischen Defizite und die nicht organisch erklärbaren
Funktionsstörungen. Ein psychisches Leiden besteht nicht.

Die vom Beschwerdeführer in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebrachten
Einwände gegen die Beurteilung von Dr. C.________ vermögen nicht Zweifel an
der Richtigkeit zu erwecken.

2.2 Mit der sich aus dem Beschwerdebild ergebenden unfallbedingten
Einschränkung der Arbeitsfähigkeit setzt sich Dr. C.________ einlässlich
auseinander. Darauf wird verwiesen. Weil bereits im Zeitpunkt der Verfügung
der SUVA von einer Fortsetzung der Heilbehandlung keine namhafte Besserung
des Gesundheitszustandes mehr zu erwarten war, besteht kein Anspruch auf
Taggeldleistungen. Das kantonale Gericht durfte sich auf die klare und
widerspruchsfreie medizinische Beurteilung abstützen, wonach ohne
unfallfremde Elemente eine Arbeitsfähigkeit von mindestens 80 - 90 % möglich
wäre. Denkbar ist "allerhöchstens eine geringfügige Behinderung für gewisse
schwerere berufliche Tätigkeiten (wie das Auf- und Abladen besonders schwerer
Gegenstände)." Nachdem die Vorinstanz den adäquaten Kausalzusammenhang
zwischen dem Unfall und den somatischen Unfallfolgen bejaht hat, hat sie die
Adäquanz der psychischen Leiden nach den in BGE 115 V 140 Erw. 6c genannten
Kriterien geprüft. Sind aber somatische Folgen nach einem Unfall mit
Schleuder- oder Schädel-Hirn-Trauma nachgewiesen und anerkannt, bleibt kein
Raum, die Rechtsprechung gemäss BGE 117 V 369 ff. anzuwenden. Diese greift
nur in Fällen, in denen keine somatischen Unfallfolgen nachweisbar sind. Da
von einem mittelschweren Unfall im Grenzbereich zu den leichten Unfällen
auszugehen ist, müssten mehrere Kriterien erfüllt sein, um diese Adäquanz zu
bejahen. Dies ist indessen nicht der Fall.

2.3 Mit dem Gutachter bejaht die Vorinstanz schliesslich auch einen
grundsätzlichen Anspruch auf eine Integritätsentschädigung (gemäss
SUVA-Tabelle 7.2 im Umfang von 5 - 10 %). Auf die entsprechenden zutreffenden
Ausführungen wird verwiesen. Angesichts der Bejahung eines organisch
bedingten Dauerschadens hat die SUVA über eine allfällige
Integritätsentschädigung zu entscheiden.

3.
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird dem kantonalen Richter vorgeworfen,
den Streitgegenstand in unzulässiger Weise ausgedehnt zu haben, indem er in
einer für die SUVA bindenden Weise das Ausmass der Invalidität und der
Integritätseinbusse festgelegt habe, ohne dass diese darüber befunden hätte.

Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Zunächst ist festzuhalten, dass
die SUVA im Einspracheentscheid einen von ihr zu entschädigenden bleibenden
Gesundheitsschaden verneint. Sie lehnte damit einerseits die Übernahme
weiterer Behandlungskosten und die Ausrichtung von Taggeldern und
andererseits die Zusprechung einer Rente und/oder einer
Integritätsentschädigung ab. In Abweichung dieses Standpunktes ging die
Vorinstanz gestützt auf das medizinische Gutachten von einem bleibenden
Gesundheitsschaden aus, weshalb ein grundsätzlicher Anspruch auf Leistungen
zu bejahen war. Da die Unfallversicherung - im Gegensatz zur
Invalidenversicherung - nur für eine durch Unfall verursachte Invalidität
einzustehen hat, ist es Aufgabe des Arztes und des
Sozialversicherungsrichters festzulegen, in welchem Ausmass die bestehenden
Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit Folge des versicherten Unfalles sind und
in welchem Verhältnis zur gesamten Einschränkung sie stehen. In diesem Sinne
hat der Gutachter festgestellt, dass eine unfallbedingte Arbeits- bzw.
Erwerbsunfähigkeit besteht und deren Anteil an der Gesamtbeschränkung auf
10-15 % geschätzt. Diesbezüglich hat die SUVA den Invaliditätsgrad
festzulegen, wobei dem anzustellenden Einkommensvergleich die Annahme
zugrunde zu legen ist, dass dem Beschwerdeführer eine vollschichtige
Tätigkeit bei angepassten Arbeiten zuzumuten ist.

4.
Da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos
zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372
Erw. 5b, je mit Hinweisen), kann die unentgeltliche Verbeiständung gewährt
werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG). Es wird indessen
ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die
begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie
später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Advokat Markus
Schmid, Basel, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht
aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht  Basel-Stadt
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 30. Juni 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: