Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 85/2001
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U 85/01 Vr

                        II. Kammer

Präsident Lustenberger, Bundesrichter Rüedi und Meyer;
Gerichtsschreiberin Amstutz

               Urteil vom 12. November 2001

                         in Sachen

K.________, 1965, Beschwerdeführerin, vertreten durch
Rechtsanwalt Martin Hablützel, Lutherstrasse 4, 8004
Zürich,
                           gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmatt-
strasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin,

                            und

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

     A.- Die 1965 geborene K.________ arbeitete seit
1. Oktober 1992 als Spulereimitarbeiterin in der Y.________
AG und war damit bei der Schweizerischen Unfallversiche-
rungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen Unfälle versichert.
Am 28. April 1999 erlitt die Versicherte einen Arbeitsun-
fall, wobei sie sich eine rund 2 cm lange, oberflächliche
Rissquetschwunde am Hinterkopf zuzog, welche am Unfalltag
im Spital X.________ ambulant versorgt wurde. In den
folgenden Monaten blieb K.________ der Arbeit mit wenigen

Ausnahmen fern. Im abschliessenden Bericht vom 7. Oktober
1999 gelangte SUVA-Kreisarzt Dr. med. L.________ gestützt
auf die medizinische Aktenlage zum Schluss, es liege in
somatischer Hinsicht lediglich ein BagatellTrauma vor und
allein aufgrund dieser Verletzung wäre die Wiederaufnahme
der Arbeit spätestens zwei Wochen nach dem Unfall möglich
gewesen. Mit der Begründung, die fortdauernde Arbeitsun-
fähigkeit nach dem Unfall sei auf psychische Leiden zurück-
zuführen, welche in keinem adäquaten Kausalzusammenhang zum
Unfall von 28. April 1999 stünden, stellte die SUVA mit
Verfügung vom 15. Oktober 1999 sämtliche Leistungen rück-
wirkend ab 14. Mai 1999 ein und erklärte den Schadenfall ab
diesem Datum als abgeschlossen. Daran hielt sie mit Ein-
spracheentscheid vom 9. Mai 2000 fest.

     B.- Hiegegen liess K.________ Beschwerde erheben mit
dem sinngemässen Antrag, in Aufhebung des Einspracheent-
scheids vom 9. Mai 2000 sowie der Verfügung vom 15. Oktober
1999 sei die SUVA zu verpflichten, die gesetzlichen Leis-
tungen auch nach dem 14. Mai 1999 zu erbringen; gestützt
auf gerichtlich anzuordnende weitere Abklärungen seien ihr
zudem eine angemessene Rente sowie eine Integritätsentschä-
digung zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zur ergän-
zenden medizinischen Abklärung an die SUVA zurückzuweisen.
In prozessualer Hinsicht beantragte sie unter anderem die
Beiladung der Krankenkasse Intras zum Verfahren. Mit Ent-
scheid vom 17. Januar 2001 wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Bern die Beschwerde ab.

     C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert
K.________ ihre vorinstanzlich gestellten materiellen
Rechtsbegehren.
     Die SUVA beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichts-
beschwerde. Die Krankenkasse Intras als Mitinteressierte
und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf
eine Vernehmlassung.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- Die Vorinstanz hat die Rechtsprechung zu dem für
die Leistungspflicht des Unfallversicherers nach Art. 6
Abs. 1 UVG vorausgesetzten  natürlichen (BGE 119 V 337
Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b) und adäquaten (BGE 123 V 103
Erw. 3d, 139 Erw. 3c, je mit Hinweisen) Kausalzusammenhang
zwischen Unfallereignis und eingetretenem Gesundheitsscha-
den, insbesondere die für die Adäquanzbeurteilung massge-
benden Kriterien im Falle einer nach dem Unfall einsetzen-
den psychischen Fehlentwicklung mit Einschränkung der Ar-
beits- und Erwerbsfähigkeit (BGE 115 V 133), zutreffend
dargelegt. Entsprechendes gilt für die Erwägungen des kan-
tonalen Gerichts, wonach sich die adäquate Kausalität bei
Vorliegen einer Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) (sowie
eines "äquivalenten" Verletzungsmechanismus'; SVR 1995 UV
Nr. 23 S. 67 Erw. 2) oder eines Schädel-Hirn-Traumas pra-
xisgemäss nach der in BGE 115 V 133 entwickelten Recht-
sprechung beurteilt, wenn die zum typischen Beschwerdebild
eines Schleudertraumas der HWS gehörenden Beeinträchtigun-
gen im Vergleich zur ausgeprägten psychischen Problematik
gänzlich in den Hintergrund getreten sind (BGE 123 V 99
Erw. 2a). Darauf kann verwiesen werden.

     2.- Streitig und zu prüfen ist die Leistungspflicht
der SUVA für die nach dem 14. Mai 1999 festgestellten ge-
sundheitlichen Leiden mit Einschränkung der Arbeits- und
Erwerbsfähigkeit.

     a) Offen bleiben kann, ob die Vorinstanz den natürli-
chen Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und den
nach dem 14. Mai 1999 geklagten Beschwerden zutreffend
bejaht hat. Denn selbst wenn dem so wäre, fehlt es - wie
die nachstehenden Erwägungen zeigen - an der Adäquanz des
Kausalzusammenhangs (vgl. SVR 1995 UV Nr. 23 S. 68
Erw. 3c).

     b) Entgegen den Einwänden der Beschwerdeführerin hat
die Vorinstanz die Adäquanz des Kausalzusammenhangs zu
Recht nach Massgabe der in BGE 115 V 133 ff. entwickelten
Rechtsprechung betreffend psychische Unfallfolgen beur-
teilt. Wohl hat sich die Beschwerdeführerin gemäss Bericht
des Dr. med. R.________ vom 21. September 1999 beim Unfall
vom 28. April 1999 nebst der bereits von den (erst-)behan-
delnden Ärzten des Spitals X.________ festgestellten
kleinen Rissquetschwunde am Hinterkopf (Berichte vom
20. Mai sowie vom 9. und 10. Juli 1999) auch eine Commotio
cerebri sowie ein "HWS-Trauma" zugezogen. Ob dieser auf
"anamnestischen Erhebungen" beruhende Befund, auf den weder
das zuvor im Spital X.________ durchgeführte Schädel-CT
noch das ebenfalls dort angefertigte HWS-Röntgenbild hin-
deuteten, zutreffend ist, lässt sich aufgrund des Berichts
des Dr. med. R.________ nicht schlüssig beantworten.
Gleichwohl erübrigen sich die diesbezüglich beantragten
weiteren Abklärungen, zumal der hinreichende Nachweis ent-
sprechender Verletzungen nichts daran ändern würde, dass
die Frage des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen Unfall
und aktuellem Beschwerdebild nicht nach der Rechtsprechung
zu HWS-Verletzungen oder Schädel-Hirn-Traumata zu beur-
teilen ist, sondern nach jener betreffend psychische Fehl-
entwicklungen nach Unfällen gemäss BGE 115 V 133.

     aa) Am Unfalltag klagte die Beschwerdeführerin über
starke Kopfschmerzen im Bereich der Wunde, und anlässlich
der Nachbehandlung im Spital X.________ vom 10. bis 12. Mai
1999 gab sie starke Kopfschmerzattacken mit Augenflimmern
(Schmerzlokalisation vor allem okzipital, selten auch
frontal), Zittern des linken Armes sowie Herzklopfen,
starkes Schwitzen und Atemnotfälle an; zusätzlich leide sie
unter Waschzwang der Haare. Im September 1999 erklärte sie
schliesslich gegenüber der SUVA, sie habe "immer noch
Schmerzen im Hinterkopf und im Rücken" und leide an Herz-
klopfen, Angstzuständen, Schlafstörungen, bisweilen man-
gelnder Konzentrationsfähigkeit und habe Angst vor den Ma-

schinen im Betrieb. Bereits im Mai 1999 erhoben die behan-
delnden Ärzte des Spitals X.________ den Befund eines
psychotischen Zustandsbildes mit wahnhafter Verarbeitung
eines Bagatellunfalls, akustischen Halluzinationen, depres-
siv-gereizter Grundstimmung und Angstzuständen bis Panik-
attacken und diagnostizierten nebst einer psychogenen
Psychose erste Manifestationen einer Erkrankung aus dem
schizophrenen Formenkreis. In der Folge kam Dr. med.
S.________, Facharzt FMH für Psychiatrie, welcher die
Beschwerdeführerin zwischen dem 27. Mai und dem 6. Juli
1999 in sieben Sitzungen begutachtet hatte, zum Schluss, es
liege eine in Relation zum Unfall unverhältnismässige soma-
tische und psychische Reaktion bei vorbestehender narziss-
tischer Störung vor; die volle Arbeitsfähigkeit nach dem
Unfall führte er ausschliesslich auf die Psychopathologie
zurück (Bericht vom 22. August 1999). Aufgrund dieser Ak-
tenlage durfte die SUVA nach den zutreffenden Erwägungen
des kantonalen Gerichts von einer derart deutlichen Domi-
nanz der psychischen Problematik ausgehen, dass die Adä-
quanzbeurteilung in jedem Fall - selbst bei Annahme einer
HWS-Distorsion oder eines leichten Schädel-Hirn-Traumas -
nach der Rechtsprechung gemäss BGE 115 V 133 zu erfolgen
hat. Namentlich bestand kein Anlass zu weiteren medizini-
schen Abklärungen, da nichts darauf hindeutete, dass solche
die Annahme einer klar in den Vordergrund getretenen psy-
chischen Überlagerung zu widerlegen vermocht hätten.

     bb) Vorinstanz und Beschwerdegegnerin haben den Unfall
vom 28. April 1999 ausgehend vom augenfälligen Geschehens-
ablauf - während Reinigungsarbeiten fielen aus unbekannten
Gründen mehrere (maximal sechs) auf einem Wandschränkchen
deponierte Metall-Halterungen von je 3,8 kg aus einer Höhe
von 1 m 80 cm herunter, wobei die nach vorn gebückte Be-
schwerdeführerin am Hinterkopf getroffen wurde - richtiger-
weise als höchstens mittelschweres, im Grenzbereich zu den
leichten Unfällen liegendes Ereignis eingestuft. Entspre-
chend ist die Adäquanz des Kausalzusammenhangs praxisgemäss

nur dann zu bejahen, wenn die hiefür massgebenden Kriterien
entweder in gehäufter oder auffallender Weise erfüllt sind
oder einem einzelnen zu berücksichtigenden Faktor besonde-
res bzw. ausschlaggebendes Gewicht zukommt (BGE 115 V 141
Erw. 6c/bb).
     Dass sich der Unfall vom 28. April 1999 unter beson-
ders dramatischen Begleitumständen ereignet hat oder durch
besondere Eindrücklichkeit gekennzeichnet war, behauptet
die Beschwerdeführerin selber nicht. Von einer besonders
schweren oder besonders gearteten Körperverletzung, welche
erfahrungsgemäss geeignet ist, eine psychische Fehlentwick-
lung auszulösen, kann angesichts der bloss geringfügigen
Rissquetschwunde am Hinterkopf, welche mit zwei Stichen
genäht werden konnte, ebenfalls nicht die Rede sein; die
Verletzung führte im Übrigen weder zu einem Bewusstseins-
verlust noch zu Übelkeit, Erbrechen oder einer Stufen-
bildung über dem Schädel palpabel (Bericht des Spitals
X.________ vom 9. Juli 1999). Hinsichtlich einer allfäll-
igen Commotio cerebri und eines dem HWS-Schleudertrauma
äquivalenten,  vorliegend nicht erstellten Verletzungsme-
chanismus' (vgl. Erw. 2a hievor) wäre die grundsätzliche
Eignung, psychische Fehlentwicklungen auszulösen, zwar zu
bejahen; ein ausschlaggebendes Gewicht könnte einer derar-
tigen Verletzung namentlich angesichts der Schwere der
psychischen Leiden indessen nicht beigemessen werden. Den
Akten sind sodann keinerlei Anhaltspunkte dafür zu ent-
nehmen, dass die Kopfverletzung als solche eine besonders
lange Dauer der ärztlichen Behandlung erfordert oder deren
Heilungsverlauf sich besonders schwierig gestaltet hat. Die
Beschwerdeführerin steht zwar nach eigenen Angaben noch
heute in ärztlicher Behandlung; diese ist indessen in ers-
ter Linie psychiatrischer Art. Dass die zusätzlich konsul-
tierten Ärzte rheumatologischer/orthopädischer und allge-
mein-medizinischer Fachrichtung heute noch objektivierbare
organische Unfallschäden behandeln, ist durch nichts belegt
und kann aufgrund der bestehenden Aktenlage, wonach die
Risswunde rasch verheilte und sehr bald nach dem Unfall

eine deutliche psychische Fehlentwicklung eintrat, ausge-
schlossen werden. Für das Vorliegen körperlicher Dauer-
schmerzen sprechen allenfalls die wiederholt auftauchenden
Kopfschmerzen mit Augenflimmern, während die übrigen ge-
klagten Beschwerden (ohne organisches Substrat) nicht als
Körperschmerz einzustufen sind; besonders ausgeprägte phy-
sische Dauerschmerzen sind keine ausgewiesen. Ferner war
die Beschwerdeführerin nach dem Unfall physisch bedingt
höchstens während zweier Wochen arbeitsunfähig (Bericht des
Kreisarztes Dr. med. L.________ vom 7. Oktober 1999); die
spätere volle Arbeitsunfähigkeit wurde von ärztlicher Seite
ausschliesslich auf den psychopathologischen Zustand zu-
rückgeführt (Bericht des Dr. med. R.________ vom 22. August
1999). Aus dem Bericht der Frau Dr. med. A.________, Fach-
ärztin FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 19. Sep-
tember 2000 kann die Beschwerdeführerin nichts zu ihren
Gunsten ableiten. Denn es lassen sich daraus keine Rück-
schlüsse hinsichtlich einer körperlich bedingten Arbeits-
unfähigkeit im massgebenden Zeitraum bis zum Einsprache-
entscheid vom 9. Mai 2000 (vgl. BGE 121 V 366 Erw. 1b mit
Hinweisen) ziehen. Die Ärztin sah die Versicherte erstmals
am 31. Mai 2000 und stellte im September 2000 - nach fünf
psychiatrischen Sitzungen - lediglich fest, es bestehe "zur
Zeit" eine Erwerbsfähigkeit von 50 % bei einer den körper-
lichen Beschwerden angepassten Tätigkeit ohne Stresssitua-
tionen. Schon deshalb muss der Bericht unbeachtlich
bleiben. Im Übrigen liegt das (allein) diagnostizierte
"depressive(...) Zustandsbild(...) mit/bei somatoformer
Störung" gemäss Arztbericht in einer "multikausalen
Ätiologie aufgrund der mehreren psychosozialen Belastungen
(Unfall, Kündigung, Arbeitslosigkeit)" begründet. Ob
(teilweise) eine rein physisch bedingte Arbeitsunfähigkeit
vorliegt, bleibt damit unbeantwortet, ist aber aufgrund der
ärztlichen Angaben höchst unwahrscheinlich.

     c) Nach dem Gesagten kommt dem Arbeitsunfall vom
28. April 1999 mangels hinreichender Erfüllung der zu
berücksichtigenden Kriterien keine rechtlich massgebende
Bedeutung für die psychisch bedingte Einschränkung der
Arbeits- und Erwerbsfähigkeit nach dem 14. Mai 1999 zu.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge-
     richt des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche
     Abteilung, dem Bundesamt für Sozialversicherung und
     der Krankenkasse Intras zugestellt.

Luzern, 12. November 2001

                    Im Namen des
         Eidgenössischen Versicherungsgerichts
             Der Präsident der II. Kammer:

               Die Gerichtsschreiberin: