Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 49/2001
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U 49/01 Ge

                        II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter
Ursprung; Gerichtsschreiber Jancar

                Urteil vom 25. Februar 2002

                         in Sachen

P.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr.
Marco Biaggi, Picassoplatz 8, 4052 Basel,

                           gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmatt-
strasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin,

                            und

Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt, Basel

     A.- Der 1945 geborene, als Maler tätige und bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) versi-
cherte P.________ erlitt drei Unfälle, wobei er sich
zweimal beim Fussballspiel das linke Knie (Unfälle in den
Jahren 1968 und 1989) und einmal beim Aussteigen aus dem
Auto das rechte Knie verletzte (Unfall im Februar 1996).
Nach dem letzten Unfall meldete er der SUVA einen

Rückfall bezüglich des ersten Unfalls im Jahre 1968. Nach
Beizug verschiedener Arztberichte und kreisärztlicher Un-
tersuchungen sprach sie dem Versicherten für die Unfälle
aus den Jahren 1968 und 1996 ab 1. März 1999 eine Invali-
denrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 20 % und
eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse
von 10 % zu (Verfügung vom 21. Juli 1999). Die gegen diese
Verfügung erhobene Einsprache wies sie nach Beizug eines
Arztberichts des Dr. med. Z.________, Spezialarzt FMH für
Orthopädische Chirurgie, vom 27. September 1999, mit
Entscheid vom 15. November 1999 ab.

     B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versi-
cherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom
22. November 2000 ab.

     C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt der
Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei
die Sache zur Neubeurteilung an die SUVA zurückzuweisen.
Ferner ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechts-
pflege und Verbeiständung. Er legt ein Gutachten des Zen-
trums für medizinische Begutachtung (ZMB) in Basel vom
28. November 2000 auf.
     Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsge-
richtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversiche-
rung auf eine Vernehmlassung verzichtet.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.-  a) Ist der Versicherte infolge des Unfalles inva-
lid, so hat er Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 18
Abs. 1 UVG in der bis 30. Juni 2001 gültigen Fassung). Als
invalid gilt, wer voraussichtlich bleibend oder für längere
Zeit in seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt ist (Art. 18
Abs. 2 Satz 1 UVG). Für die Bestimmung des Invaliditätsgra-

des wird das Erwerbseinkommen, das der Versicherte nach
Eintritt der unfallbedingten Invalidität und nach Durchfüh-
rung allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihm
zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage er-
zielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen,
das er erzielen könnte, wenn er nicht invalid geworden wäre
(Art. 18 Abs. 2 Satz 2 UVG; allgemeine Methode des Einkom-
mensvergleichs; BGE 104 V 136 Erw. 2a und b; vgl. auch BGE
114 V 313 Erw. 3a).

     b) Es ist Aufgabe des Unfallmediziners, sämtliche Aus-
wirkungen eines Unfalles auf den Gesundheitszustand zu be-
urteilen und dazu Stellung zu nehmen, bezüglich welcher
konkreten Tätigkeiten und in welchem Umfang der Versicherte
arbeitsunfähig ist. Die ärztlichen Auskünfte sind sodann
eine wichtige Grundlage für die Beurteilung der Frage, wel-
che Arbeitsleistungen dem Versicherten im Hinblick auf sei-
ne persönlichen Verhältnisse noch zugemutet werden können.
Im Streitfall entscheidet der Richter (BGE 125 V 261
Erw. 4, 115 V 134 Erw. 2, je mit Hinweisen).
     Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichts ist
entscheidend, ob er für die streitigen Belange umfassend
ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die ge-
klagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorak-
ten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der
medizinischen Zusammenhänge und der medizinischen Situation
einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen des Experten be-
gründet und nachvollziehbar sind. Ausschlaggebend für den
Beweiswert ist grundsätzlich somit weder die Herkunft eines
Beweismittels noch die Bezeichnung der eingereichten oder
in Auftrag gegebenen Stellungnahme als Bericht oder Gutach-
ten (BGE 125 V 352 Erw. 3a; RKUV 2000 KV Nr. 124 S. 214).

     2.- a) Streitig und zu prüfen ist die Arbeitsfähigkeit
und damit die Feststellung des trotz Gesundheitsschadens
zumutbarerweise noch erzielbaren Einkommens (Invalidenein-
kommen).

     Unbestritten ist, dass vorliegend einzig über die Fol-
gen der unfallbedingten Leiden an beiden Knien zu befinden
ist. Nicht zu beurteilen sind die im ZMB-Gutachten vom
28. November 2000 zusätzlich diagnostizierten Leiden mit
Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit, nämlich Impingement der
linken Schulter, chronisches Lumbovertebralsyndrom und in-
trovertierte, narzisstisch strukturierte Persönlichkeit mit
Tendenz zu Impulsdurchbrüchen.

     b) aa) SUVA und Vorinstanz legten ihrem Entscheid den
Bericht des Dr. med. Z.________ vom 27. September 1999 zu
Grunde. Dieser stellte Folgendes fest: am rechten Knie ein
laterales Meniskusganglion; am linken Knie eine Vernarbung
des vorderen Kreuzbandes mit ungenügender Vitalität, eine
beginnende posttraumatische mediale Gonarthrose sowie eine
leichte Läsion des lateralen Meniskus. Weiter legte er dar,
dem Versicherten sei lediglich eine leichte Tätigkeit mög-
lich, bei der er vorwiegend sitzen sowie gelegentlich auf-
stehen und umhergehen könne. Die tatsächlich möglichen Ar-
beiten in Industrie und Gewerbe seien damit stark einge-
schränkt. Auch leichte industrielle Produktions- und Monta-
getätigkeiten erforderten häufiges Stehen und Gehen, oft
auch in ungünstiger Körperhaltung und mit zumindest leich-
ten Lasten. Denkbar wären jedoch Kontroll- und Überwa-
chungsfunktionen sowie Portierdienste, sofern diese vorwie-
gend im Sitzen ausgeübt werden könnten.

     bb) Der Beschwerdeführer beruft sich auf das Gutachten
des ZMB vom 28. November 2000. Darin wird bezüglich der
Kniebeschwerden folgende Diagnose gestellt: Gonarthrose
beidseits bei Chondrokarzinose (recte Chondrokalzinose)
beidseits; am rechten Knie Status nach lateraler Teilmeni-
sektomie und Resektion eines lateralen Meniskusganglions;
am linken Knie chronische antromediale Instabilität bei
VKB-Insuffizienz sowie Status nach medialer Teilmenisekto-
mie. Weiter wird dargelegt, der Beschwerdeführer sei vor

allem wegen des Knieleidens behindert. Es bestünden beid-
seits fortgeschrittene Gonarthrosen mit ausgeprägter Chon-
drokalzinose; des Weiteren seien die Kniegelenke trauma-
tisch vorgeschädigt. Daneben bestünden ein Handicap für
Überkopfarbeit wegen eines chronischen Impingement-Syndroms
der linken Schulter sowie ein Lumbovertebralsyndrom bei
deutlichen degenerativen radiologischen Veränderungen. Als
Maler sei der Versicherte aus orthopädischer Sicht nicht
mehr arbeitsfähig. In einer den diversen orthopädischen
Leiden angepassten Tätigkeit könnte er höchstens stunden-
weise in leichten Überwachungsfunktionen etc. eingesetzt
werden entsprechend einem Rendement von 30 %. Eine zusätz-
liche Einschränkung durch das psychiatrische Leiden ergebe
sich nicht; hingegen sei der Versicherte wegen der Impuls-
ausbrüche kaum teamfähig und nicht stressbelastbar.

     c) Zwischen dem Bericht des Dr. med. Z.________ und
dem ZMB-Gutachten bestehen einerseits Unterschiede bei der
Diagnose der Knieleiden. So haben die ZMB-Gutachter im Ge-
gensatz zu Dr. med. Z.________ auch am rechten Knie eine
Gonarthrose sowie an beiden Knien eine Chondrokalzinose
festgestellt.
     Im Weiteren geht Dr. med. Z.________ von einer
100%igen Arbeitsfähigkeit bei leichter Arbeit aus, während
im ZMB-Gutachten von einer höchstens stundenweisen 30%igen
Arbeitsfähigkeit bei leichter Arbeit gesprochen wird. Zwar
werden im ZMB-Gutachten bei der Bestimmung der Arbeitsfä-
higkeit auch die nicht unfallbedingten Schulter- und Rü-
ckenleiden mitberücksichtigt. Gleichzeitig wird jedoch aus-
drücklich gesagt, dass der Versicherte "vor allem" wegen
des Knieleidens behindert ist. Es fehlen jedoch Angaben
über den Anteil der Arbeitsunfähigkeit, die von den Knie-
leiden herrührt. Je nachdem, wie der Begriff "vor allem" zu
quantifizieren ist, ist somit nicht auszuschliessen, dass
hinsichtlich der Schätzung der Arbeitsunfähigkeit bezüglich
der Knieleiden eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem
ZMB-Gutachten und dem Bericht des Dr. med. Z.________ vor-
liegt.

     d) Die SUVA macht geltend, aus dem ZMB-Gutachten dürfe
nicht der Schluss gezogen werden, dass die Entscheidgrund-
lagen per November 1999 unvollständig oder falsch gewesen
seien, zumal sich das Gutachten nicht dazu äussere, ob
seither eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszu-
standes eingetreten sei. Selbstverständlich bleibe eine
Prüfung der Angelegenheit im Rahmen eines Rückfalls vorbe-
halten.
     Diesbezüglich ist Folgendes festzuhalten: Auch wenn
das ZMB-Gutachten knapp ein Jahr nach Erlass des
Einspracheentscheides (15. November 1999) erstellt wurde,
ist es geeignet, die Beurteilung bezogen auf den damaligen
Zeitpunkt zu beeinflussen (BGE 99 V 102 mit Hinweisen;
unveröffentlichtes Urteil M. vom 17. Dezember 2001 Erw. 2a,
U 246/01). Im Gutachten wird nicht gesagt, betreffend die
Knieleiden sei seit dem Bericht des Dr. med. Z.________ vom
27. September 1999 eine Verschlechterung eingetreten. Viel-
mehr hat der Versicherte im Rahmen der Begutachtung sogar
angeführt, dass beim rechten Knie seit der im Mai 2000
durchgeführten Operation (Entfernung des lateralen Menis-
kusrisses und -ganglions) eine deutliche Besserung hin-
sichtlich der lateralen Schmerzen eingetreten sei.
     Angesichts dieser Unklarheiten und Widersprüche ist
eine abschliessende Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und
somit des Invaliditätsgrades bezüglich der Knieleiden nicht
möglich. Eine neue Beurteilung der medizinischen Situation
unter Einbezug aller relevanten medizinischen Unterlagen
erweist sich deshalb als unumgänglich. Notwendig ist eine
differenzierte Stellungnahme zum Umfang der Arbeitsunfähig-
keit in den in Betracht fallenden Erwerbstätigkeiten. Da-
nach wird die SUVA über den Rentenanspruch neu verfügen.

     3.- Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem
Prozessausgang entsprechend steht dem Beschwerdeführer eine
Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 135 OG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung ist demnach gegenstandslos.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wer-
     den der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kan-
     tons Basel-Stadt vom 22. November 2000 und der Ein-
     spracheentscheid vom 15. November 1999 aufgehoben, und
     es wird die Sache an die SUVA zurückgewiesen, damit
     diese im Sinne der Erwägungen verfahre.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Die SUVA hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren
     vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
     Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
     Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

 IV. Das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt wird
     über eine Parteientschädigung für das kantonale Ver-
     fahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
     Prozesses zu befinden haben.

  V. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsge-
     richt des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für
     Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 25. Februar 2002

                                  Im Namen des
                      Eidgenössischen Versicherungsgerichts
                          Der Präsident der II. Kammer:

                             Der Gerichtsschreiber: