Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 415/2001
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U 415/01

Urteil vom 27. August 2002
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiberin
Durizzo

K.________, 1963, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Dr. Michael
Weissberg, Zentralstrasse 47, 2502 Biel/Bienne,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstras-
se 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung,
Bern

(Entscheid vom 29. Oktober 2001)

Sachverhalt:

A.
K. ________, geb. 1963, war seit August 1995 als Techniker bei der Firma
S.________ angestellt und damit bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Berufs-
und Nichtberufsunfällen versichert. Am 24. Juni 1998 erlitt er einen
Velounfall, bei dem er sich eine Gehirnerschütterung, zwei tiefe
Rissquetschwunden auf Stirne und Nasenwurzel sowie eine Verletzung an der
rechten Schulter (kleine ossäre SLAP- oder Kapselläsion) zuzog und sich
möglicherweise die linke Schulter ausrenkte. Nachdem Dr. med. T.________,
Allgemeine Medizin FMH, gemäss Bericht vom 27. Februar 1999 keine
pathologischen Befunde mehr erheben konnte, der Versicherte jedoch immer noch
an Restbeschwerden litt, veranlasste die SUVA, welche die gesetzlichen
Leistungen erbracht hatte, eine neuropsychologische (Gutachten der
Neurologischen Klinik und Poliklinik des Spitals X.________, Abteilung für
Neuropsychologische Rehabilitation, vom 17. Dezember 1999) sowie eine
psychiatrische Untersuchung (Gutachten der Psychiatrischen Poliklinik des
Spitals X.________ vom 4. April 2000). Mit Verfügung vom 6. Juni 2000 kam sie
zum Schluss, dass keine behandlungsbedürftigen Unfallfolgen mehr vorliegen
würden und die noch geklagten Beschwerden, insbesondere auch die psychischen
Probleme, in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfall stünden, und
stellte ihre Leistungen per 31. Mai 2000 ein. Daran hielt sie auch auf
Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 1. September 2000).

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 29. Oktober 2001 ab.

C.
K.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und sinngemäss
beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die SUVA zu
verpflichten, ihm weiterhin die gesetzlichen Leistungen zu erbringen.

Während die SUVA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst,
verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht
des Unfallversicherers zunächst vorausgesetzten natürlichen (BGE 119 V 337
Erw. 1, 117 V 360 Erw. 4a, 115 V 134 Erw. 3, je mit Hinweisen) und adäquaten
(BGE 125 V 461 Erw. 5a, 123 III 112 Erw. 3a, 122 V 416 Erw. 2a, je mit
Hinweisen) Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem
eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) zutreffend dargelegt.
Gleiches gilt in Bezug auf die Bedeutung der medizinischen
Entscheidungsgrundlagen (BGE 119 V 340 Erw. 2b/aa; vgl. auch BGE 122 V 168 f.
Erw. 1b mit Hinweisen) sowie hinsichtlich des im Sozialversicherungsrecht
allgemein üblichen Beweisgrades der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 119
V 338 Erw. 1, 118 V 290 Erw. 1; vgl. auch BGE 126 V 360 Erw. 5b mit
Hinweisen). Darauf kann verwiesen werden. Zu ergänzen ist, dass bei
medizinischer Diagnose eines Schleudertraumas der Halswirbelsäule (HWS) oder
einer äquivalenten Verletzung sowie eines Schädel-Hirntraumas und Vorliegen
des für diese Verletzungen typischen Beschwerdebildes mit einer Häufung von
Beschwerden wie diffusen Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrations- und
Gedächtnisstörungen, Übelkeit, rascher Ermüdbarkeit, Visusstörungen,
Reizbarkeit, Affektlabilität, Depression, Wesensveränderung usw. ein
natürlicher Kausalzusammenhang mit dem Unfall in der Regel anzunehmen ist
(BGE 117 V 360 Erw. 4, 376 Erw. 3). Des Weiteren wird nach der Rechtsprechung
zur adäquaten Kausalität bei Folgen eines Unfalles mit Schleudertrauma der
HWS ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle (BGE 117 V 359) im
Gegensatz zu der bei psychischen Unfallfolgen geltenden Praxis (BGE 115 V
133) bei den unfallbezogenen Kriterien, welche in die Beurteilung
miteinzubeziehen sind, auf eine Differenzierung zwischen physischen und
psychischen Komponenten verzichtet, weil nicht entscheidend ist, ob die
Beschwerden medizinisch eher als organischer und/oder psychischer Natur
bezeichnet werden (BGE 117 V 366 f. Erw. 6a). Schliesslich ist die
Adäquanzbeurteilung in Fällen, in welchen die zum typischen Beschwerdebild
eines Schleudertraumas der HWS gehörenden Beeinträchtigunen zwar teilweise
gegeben sind, im Vergleich zur ausgeprägten psychischen Problematik aber ganz
in den Hintergrund treten, praxisgemäss unter dem Gesichtspunkt einer
psychischen Fehlentwicklung nach Unfall vorzunehmen (BGE 123 V 99 Erw. 2a mit
Hinweisen).

2.
2.1 Dr. med. T.________ konnte gemäss Bericht vom 27. Februar 1999 keine
pathologischen Befunde erheben. Der Beschwerdeführer litt jedoch gemäss
psychiatrischem Gutachten des Spitals X.________ vom 4. April 2000 unter
rascher Ermüdbarkeit, Konzentrations- und Schlafstörungen, Ohrensausen,
frontalen Kopfschmerzen, permanenten occipitalen Schmerzen sowie Parästhesien
in beiden Händen beim Vorbeugen des Kopfes. Seine Stimmung habe sich
nivelliert und er verspüre immer wieder Todessehnsucht. Die psychiatrische
Exploration ergab Hinweise auf eine vorbestehende schizoide
Persönlichkeitsstörung sowie eine depressive Symptomatik, welche mutmasslich
erst nach dem Unfall aufgetreten sei. Der Unfall habe gemäss
neuropsychologischem Gutachten des Spitals X.________ vom 17. Dezember 1999
keine hirnorganische Schädigung verursacht; die neuropsychologische
Funktionsbeeinträchtigung - insgesamt als leicht zu wertende Störungen der
Aufmerksamkeit - sei Folge der Depression und des Schmerzerlebens. Der
Beschwerdeführer vermochte seine Erwerbstätigkeit nur mit Mühe (ab 15.
Februar 1999) auf das vor dem Unfall ausgeübte 80%BPensum zu steigern.

2.2 Nach der medizinischen Aktenlage wurden beim Versicherten keine
pathologischen Befunde erhoben, die seine Beschwerden erklären würden.
Insbesondere wurde - wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat - kein
Schleudertrauma der HWS diagnostiziert. Der Beschwerdeführer leidet jedoch
seit seinem Unfall an einer Depression, welche zu neuropsychologischen
Funktionsbeeinträchtigungen geführt hat und heute deshalb im Vordergrund
steht. Da es rechtsprechungsgemäss genügt, wenn das Unfallereignis eine
Teilursache für die Beschwerden und die dadurch eingetretene Arbeits- bzw.
Erwerbsunfähigkeit darstellt (BGE 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b), ist
der natürliche Kausalzusammenhang des Leidens zum Unfallereignis trotz
vorbestehender schizoider Persönlichkeitsstörung zu bejahen.

3.
3.1
3.1.1Die Adäquanz der Kausalität zwischen den noch bestehenden Beschwerden
und dem Unfallereignis vom 24. Juni 1998 kann vorerst mit der Vorinstanz nach
den von der Rechtsprechung für psychische Unfallfolgen entwickelten und
seither ständig angewandten Kriterien (BGE 115 V 133 ff.; bestätigt u.a. in
BGE 124 V 44 Erw. 5c/bb und 213 f. Erw. 4b; SVR 1999 UV Nr. 10 S. 31 Erw. 2)
geprüft werden (BGE 123 V 99 Erw. 2b).

3.1.2 Ausgehend vom augenfälligen Geschehensablauf und den erlittenen
Verletzungen hat das kantonale Gericht das Ereignis vom 24. Juni 1998 im
Rahmen der Einteilung, wie sie für die Belange der Adäquanzbeurteilung
Anwendung findet (BGE 115 V 138 ff. Erw. 6), den Unfällen im mittleren
Bereich zugeordnet. Dies ist im Lichte der Judikatur (dargestellt u.a. in
RKUV 1999 Nr. U 330 S. 122 ff. Erw. 4b/bb sowie 1995 Nr. U 215 S. 91 Erw. b)
nicht zu beanstanden. Die Adäquanz könnte daher nur bejaht werden, wenn ein
einzelnes der einschlägigen Beurteilungskriterien in besonders ausgeprägter
Form vorläge oder diese in gehäufter oder auffallender Weise gegeben wären
(BGE 115 V 140 f. Erw. 6c/bb).

3.1.3 Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass die Kriterien der
besonderen Eindrücklichkeit oder der besonders dramatischen Begleitumstände,
der Schwere oder besonderen Art der erlittenen Verletzungen und ihre
erfahrungsgemässe Eignung, psychische Fehlentwicklungen auszulösen, der
ärztlichen Fehlbehandlung, des schwierigen Heilungsverlaufes und der
erheblichen Komplikationen sowie des hohen Grades und der langen Dauer der
physisch bedingten Arbeitsunfähigkeit nicht vorliegen. Die ärztliche
Behandlung war gemäss Bericht des Dr. med. T.________ vom 20. April 1999 rund
zehn Monate nach dem Unfall abgeschlossen, während anschliessend lediglich
noch Kontrollen und diagnostische Abklärungen stattfanden. Die erneute
Arztkonsultation im November 2000 ist mit Blick auf den grundsätzlich
massgeblichen, richterlich zu beurteilenden Sachverhalt, wie er sich bis zum
Erlass des strittigen Einspracheentscheides entwickelt hat (1. September
2000; BGE 121 V 366 Erw. 1b mit Hinweisen) ausser Acht zu lassen. Einzig das
Kriterium der Dauerschmerzen ist beim Beschwerdeführer nach den medizinischen
Berichten erfüllt (Kopf, Schulter), genügt für sich allein mangels besonders
ausgeprägter Form und Vorliegens anderer Kriterien jedoch nicht.

Demnach fehlt ein adäquat-kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfall vom 24.
Juni 1998 und den noch geklagten Beschwerden, weshalb die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde als unbegründet abzuweisen ist.

3.2 Angesichts der diffusen, dafür typischen Symptome erscheint fraglich, ob
das Unfallereignis allenfalls eine hirnorganische Schädigung verursacht hat.
Auch bei einer Prüfung nach den in BGE 117 V 369 ff., insbesondere 383 Erw.
4b, entwickelten Kriterien (Verzicht auf eine Differenzierung zwischen
physischen und psychischen Komponenten) ist die Adäquanz indessen aus den
gleichen Gründen wie bei der adäquaten Kausalität der psychischen
Fehlentwicklung (Erw. 3.1.3 hievor) zu verneinen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 27. August 2002
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: