Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 411/2001
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2001
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2001


U 411/01 Ge

                        II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter
Ursprung; Gerichtsschreiber Jancar

                  Urteil vom 7. März 2002

                         in Sachen

Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft, Bundes-
gasse 35, 3011 Bern, Beschwerdeführerin, vertreten durch
Fürsprecher René W. Schleifer, Stampfenbachstrasse 42,
8006 Zürich,
                           gegen

M.________, 1942, Beschwerdegegnerin, vertreten durch
Rechtsanwältin Dr. Dorrit Freund, Susenbergstrasse 150,
8044 Zürich,
                            und

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

     A.- Die 1942 geborene M.________ arbeitete seit
1. Dezember 1994 als Angestellte bei der Sauna X.________
und war bei der Schweizerischen Mobiliar Versicherungs-
gesellschaft (nachfolgend Mobiliar) gegen Unfälle
versichert. Bei einem Verkehrsunfall vom 29. Juli 1995

erlitt sie als Beifahrerin in einem PW eine komplette LWK
1-Berstungsfraktur mit Cauda equina-Symptomatik, was drei
Operationen (vom 31. Juli 1995, 17. April 1996 und
6. Februar 1997) nach sich zog. Die Mobiliar erbrachte die
gesetzlichen Leistungen (Taggeld und Heilbehandlung). Mit
Verfügungen vom 17. Februar und 24. Dezember 1998 sprach
die IV-Stelle Zürich der Versicherten ab 1. Juli 1996 bis
28. Februar 1998 eine ganze Invalidenrente gestützt auf
einen Invaliditätsgrad von 100 % und ab 1. März 1998 eine
halbe Invalidenrente gestützt auf einen Invaliditätsgrad
von 51 % zu. Diese Verfügungen sind in Rechtskraft erwach-
sen. Nach Beizug verschiedener Arztberichte und Gutachten
sprach die Mobiliar der Versicherten ab 1. Februar 1999
eine Invalidenrente gestützt auf einen Invaliditätsgrad von
51 % sowie eine Integritätsentschädigung bei einer Integri-
tätseinbusse von 50 % zu (Verfügung vom 22. September
1999). Die dagegen erhobene Einsprache mit dem Antrag auf
Zusprechung einer Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad
von 100 % wies die Mobiliar mit Entscheid vom 2. Juni 2000
ab.

     B.- Auf Beschwerde der Versicherten hin, mit welcher
sie den Einspracheantrag erneuerte, hob das Sozialversiche-
rungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid auf
und wies die Sache an die Mobiliar zurück, damit diese im
Sinne der Erwägungen verfahre und hernach über den Leis-
tungsanspruch neu befinde (Entscheid vom 31. Oktober 2001).

     C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die
Mobiliar die Aufhebung des kantonalen Entscheides.
     Die Versicherte schliesst auf Abweisung der Verwal-
tungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozial-
versicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestim-
mungen und die Grundsätze über den Anspruch auf eine Inva-
lidenrente der Unfallversicherung (Art. 18 Abs. 1 UVG), den
Begriff der Invalidität (Art. 18 Abs. 2 Satz 1 UVG), die
Invaliditätsbemessung bei Erwerbstätigen nach der allgemei-
nen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 18 Abs. 2 Satz 2
UVG; BGE 104 V 136 Erw. 2a und b; vgl. auch BGE 114 V 313
Erw. 3a und AHI 2000 S. 309 Erw. 1a), die Übereinstimmung
des Invaliditätsbegriffs in der Invaliden- und der Unfall-
versicherung (BGE 127 V 135 Erw. 4d, 126 V 291 Erw. 2a, je
mit Hinweisen) sowie den Beweiswert von Arztberichten (BGE
125 V 352 Erw. 3a; RKUV 2000 Nr. KV 124 S. 214) zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

     2.- Streitig und zu prüfen ist die Arbeitsfähigkeit
der Beschwerdegegnerin.

     a) Mit Verfügungen vom 17. Februar und 24. Dezember
1998 hat die IV-Stelle Zürich der Versicherten ab 1. Juli
1996 eine ganze Invalidenrente gestützt auf einen Invalidi-
tätsgrad von 100 % und ab 1. März 1998 eine halbe Invali-
denrente gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 51 % zuge-
sprochen. Diese Verfügungen sind in Rechtskraft erwachsen.

     b) Die Mobiliar hat der Beschwerdegegnerin mit Verfü-
gung vom 22. September 1999 ab 1. Februar 1999 eine Invali-
denrente gestützt auf eine Erwerbsunfähigkeit von 51 % zu-
gesprochen. An dieser Verfügung hielt sie mit Einsprache-
entscheid vom 2. Juni 2000 fest.
     Die Vorinstanz hat den Entscheid aufgehoben mit der
Begründung, weder das diesem zu Grunde liegende Gutachten
von Prof. Dr. med. D.________, Chefarzt, und Dr. med.
M.________, Assistenzarzt, Orthopädische Universitäts-
klinik, Spital Z.________, vom 26. April 1999 noch

dasjenige des PD Dr. med. K.________, Spezialarzt für
Chirurgie FMH, vom 23. Juli 1999 noch die Berichte der
Klinik Y.________ seien schlüssig. Zudem sei die Verfügung
der Invalidenversicherung nicht massgeblich, da sie sich
auf eine "euphemistische Betrachtungsweise" stütze und die
Inkontinenzprobleme der Versicherten ausser Acht lasse.

     3.- a) Nachdem die Beschwerdegegnerin einzig an den
Folgen des Unfalls vom 29. Juli 1995 leidet und diesbezüg-
lich eine rechtskräftige IV-Verfügung vom 24. Dezember 1998
vorliegt, hat die Invaliditätsschätzung in casu nach den
Kriterien von BGE 126 V 288 ff. zu erfolgen. Danach besteht
grundsätzlich eine Bindungswirkung, es sei denn, es lägen
für ein Abweichen von der Feststellung der Invalidenversi-
cherung triftige Gründe vor (Rechtsfehler, nicht vertretba-
re Ermessensausübung, Vergleich zwischen den Parteien, un-
präzise Bestimmung des Invaliditätsgrades durch die Inva-
lidenversicherung, äusserst knappe und ungenaue Abklärun-
gen, kaum überzeugende oder nicht sachgerechte Schlussfol-
gerungen). Eine zwar auch vertretbare - allenfalls sogar
gleichwertige - Ermessensausübung genügt nicht (BGE 126 V
292 Erw. 2b, 294 Erw. 2d in fine und 298).

     b) Die IV-Stelle Zürich hat zur Begründung ihrer Ver-
fügung vom 24. Dezember 1998 festgehalten, aus medizini-
scher Sicht seien der Versicherten ab Dezember 1997 eine
rückenschonende, wechselbelastende Tätigkeit ohne Heben und
Tragen von Lasten über 5 kg im Rahmen von 50 %, d.h. halb-
tags, zumutbar. Zu denken sei an die Mitarbeit bei der Eti-
kettierung und Verpackung, Hilfsarbeiten in der Glacéfabri-
kation oder Arbeiten in einem Lager. Die Festsetzung der
Arbeitsfähigkeit auf 50 % erfolgte gestützt auf umfangrei-
che medizinische Abklärungen in der Klinik Y.________
(Berichte vom 15. April, 2., 17. und 18. Juni sowie 11. De-
zember 1997).

     c) Entgegen der Ansicht der Vorinstanz liegen keine
massgeblichen Umstände vor, auf die Beurteilung der IV-
Stelle nicht abzustellen:

     aa) Das Gutachten von Prof. Dr. med. D.________ und
Dr. med. M.________ vom 26. April 1999 erweist sich hin-
sichtlich der Einschätzung der Arbeitsfähigkeit als nicht
nachvollziehbar. Es wird ohne nähere Begründung erklärt,
dass zwar eine leichte, in aufrechter Haltung ausführbare
Haushalttätigkeit (wenn auch mit gewissen Einschränkungen)
zumutbar sei, jedoch eine ausserhäusliche körperliche
Erwerbsarbeit in wirtschaftlich verwertbarem Umfang nicht
mehr realisierbar sei. Diesen Widerspruch hat auch die
Vorinstanz festgestellt. Auf das Gutachten von Prof. Dr.
med. D.________ und Dr. med. M.________ kann daher
bezüglich der Arbeitsfähigkeit nicht abgestellt werden.

     bb) Das Gutachten des PD Dr. med. K.________ kommt zum
Schluss, es sei von einer 50%igen Arbeitsfähigkeit der Be-
schwerdegegnerin in einer geeigneten, rückenadaptierten und
wechselnd belastenden Tätigkeit (einfache industrielle Mon-
tagearbeiten, Kontrolling-Arbeiten am Fliessband einer
Grossmetzgerei, Grossbäckerei, Spitalküche und dergleichen)
auszugehen. Dies deckt sich demnach mit den Erkenntnissen
der Klinik Y.________ bzw. der IV-Stelle und es besteht
keine Veranlassung, gestützt auf dieses Gutachten an den
Feststellungen der rechtskräftigen IV-Verfügung etwas zu
ändern.

     cc) Der Standpunkt der Vorinstanz, die IV-Verfügung
gründe auf einer "euphemistischen Betrachtungsweise" und
berücksichtige die Inkontinenzprobleme der Versicherten
nicht, findet in den Akten keine Stütze. Es ist nicht er-
sichtlich, weshalb die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit
durch die Ärzte der Klinik Y.________ euphemistisch, d.h.
beschönigend, sein soll. Vielmehr ist nachvollziehbar, dass

die Versicherte für leichte, rückenschonende Tätigkeiten
halbtags arbeitsfähig ist. Der Hinweis im Gutachten des PD
Dr. med. K.________, wonach Querschnittgelähmte, die
vollumfänglich auf den Rollstuhl angewiesen sind, von
Rehabilitationsmedizinern in der Regel zu 50 % erwerbsfähig
bezeichnet werden, kann nicht als beschönigend bezeichnet
werden. Vielmehr wollte der Gutachter damit sagen, dass die
Arbeitsfähigkeit der Beschwerdegegnerin, welche immerhin
noch eine freie Wegstrecke von einer Stunde zurücklegen
kann, im Vergleich zu vollständig Querschnittgelähmten
eigentlich höher sein müsste. Diese Beurteilung ist als
genereller Hinweis denn auch nachvollziehbar. Sie spricht
zudem als Indiz gegen die Annahme von Prof. Dr. med.
D.________ und Dr. med. M.________, es sei ausserhäuslich
von einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit auszugehen.

     dd) Schliesslich ist entgegen der Annahme der Vorin-
stanz nicht davon auszugehen, die Invalidenversicherung
habe bei der Begutachtung der Arbeitsfähigkeit die Inkonti-
nenzschwierigkeiten der Versicherten unberücksichtigt ge-
lassen. Vielmehr ergibt sich aus den medizinischen Akten
der Invalidenversicherung, dass die Darm- und Blasenproble-
me seit Beginn der ärztlichen Untersuchungen und Therapien
bekannt waren und auch dokumentiert wurden (Berichte der
Klinik Y.________ vom 29. November und 18. Dezember 1995
sowie 18. Juni 1997).

     d) Mithin ist die Vorinstanz ohne triftige Begründung
von der Beurteilung des Invaliditätsgrades durch die Inva-
lidenversicherung abgewichen, weshalb sich die dagegen er-
hobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde als begründet erweist.

     4.- Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Der ob-
siegenden Beschwerdeführerin steht nach Gesetz (Art. 159
Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG) und Praxis (BGE 123 V
309 Erw. 10 mit Hinweisen) keine Parteientschädigung zu.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird
     der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kan-
     tons Zürich vom 31. Oktober 2001 aufgehoben.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

 IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversiche-
     rungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
     Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 7. März 2002

                                  Im Namen des
                      Eidgenössischen Versicherungsgerichts
                          Der Präsident der II. Kammer:

                             Der Gerichtsschreiber: