Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 379/2001
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U 379/01

Urteil vom 20. September 2002
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ursprung; Gerichtsschreiberin
Fleischanderl

A.________, 1960, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dominique
Chopard, Werdstrasse 36, 8004 Zürich,

gegen

Basler Versicherungs-Gesellschaft, Aeschengraben 21, 4051 Basel,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Oskar Müller,
Wengistrasse 7, 8026 Zürich

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 26. September 2001)

Sachverhalt:

A.
A. ________, geb. 1960, arbeitete seit 15. Juni 1996 als Zimmermädchen im
Hotel Q.________ und war damit bei der Basler Versicherungs-Gesellschaft
(nachfolgend: "Basler") obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und
Nichtberufsunfällen versichert. Am 10. März 1998 kollidierte sie bei einem
Überholmanöver als Lenkerin eines Personenwagens seitlich mit einem
Lieferwagen sowie anschliessend, durch den Zusammenstoss nach rechts
abgedreht, frontal-seitlich mit einem entgegenkommenden Fahrzeug. Sie erlitt
eine Kontusion der Wirbelsäule und des Beckens. Die "Basler" erbrachte für
den Vorfall, welcher nebst ambulanten Untersuchungen und Behandlungen auch
stationäre Spital- und Klinikaufenthalte nach sich zog, die gesetzlichen
Leistungen (Heilungskosten, Taggelder). Mit Verfügung vom 21. Mai 1999 lehnte
sie die Ausrichtung weiterer Versicherungsleistungen mit der Begründung ab,
es lägen keine unfallbedingten Beschwerden mehr vor. Daran hielt sie auf
Einsprache hin fest, wobei auch dem Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung
mangels Nachweises der Bedürftigkeit nicht entsprochen wurde
(Einspracheentscheid vom 5. Mai 2000).

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des
Kantons Aargau insofern teilweise gut, als es der Versicherten für das
Einspracheverfahren die unentgeltliche Rechtspflege gewährte; im Übrigen wies
es die Rechtsvorkehr ab (Entscheid vom 26. September 2001).

C.
A.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, es sei
der vorinstanzliche Entscheid, soweit die Beschwerde abweisend, aufzuheben
und der Unfallversicherer zu verpflichten, ihr weiterhin die gesetzlichen
Leistungen zu erbringen. Ferner ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen
Verbeiständung.

Während die "Basler" auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliessen lässt, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze
bezüglich des für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten
natürlichen Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfall und dem eingetretenen
Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod; BGE 118 V 289 Erw. 1b mit Hinweis; vgl.
auch BGE 119 V 337 Erw. 1) sowie der weiter erforderlichen Adäquanz des
Kausalzusammenhangs im Allgemeinen (BGE 121 V 49 Erw. 3a mit Hinweisen; siehe
auch BGE 123 III 112 Erw. 3a, 123 V 103 f. Erw. 3d, 139 Erw. 3c, 122 V 416
Erw. 2a, je mit Hinweisen) und bei psychischen Unfallfolgen im Besonderen
(BGE 115 V 133) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. Gleiches
gilt für die Erwägungen zu dem im Sozialversicherungsrecht üblichen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 121 V 47 Erw. 2a, 118 V
289 f. Erw. 1b, je mit Hinweisen; vgl. auch BGE 125 V 195 Erw. 2, 119 V 338
Erw. 1) sowie zur Würdigung ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 122 V 160
Erw. 1c mit Hinweisen; vgl. ferner BGE 125 V 352 ff. Erw. 3). Zu ergänzen
bleibt, dass bei der Beurteilung der Adäquanz von organisch nicht
(hinreichend) nachweisbaren Unfallfolgeschäden wie folgt zu differenzieren
ist: Es ist zunächst abzuklären, ob die versicherte Person beim Unfall ein
Schleudertrauma der Halswirbelsäule (HWS), eine dem Schleudertrauma
äquivalente Verletzung (SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 Erw. 2) oder ein
Schädel-Hirntrauma erlitten hat. Ist dies nicht der Fall, gelangt die
Rechtsprechung gemäss BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa zur Anwendung. Ergeben die
Abklärungen indessen, dass die versicherte Person eine der soeben erwähnten
Verletzungen erlitten hat, muss beurteilt werden, ob die zum typischen
Beschwerdebild einer solchen Verletzung gehörenden Beeinträchtigungen (vgl.
dazu BGE 119 V 338 Erw. 1, 117 V 360 Erw. 4b) zwar teilweise vorliegen, im
Vergleich zur psychischen Problematik aber ganz in den Hintergrund treten.
Trifft dies zu, sind für die Adäquanzbeurteilung ebenfalls die in BGE 115 V
140 Erw. 6c/aa für Unfälle mit psychischen Folgeschäden aufgestellten
Grundsätze massgebend; andernfalls erfolgt die Beurteilung der Adäquanz
gemäss den in BGE 117 V 366 f. Erw. 6a und 382 f. Erw. 4b festgelegten
Kriterien (BGE 123 V 99 Erw. 2a mit Hinweisen).

2.
Wie die Vorinstanz in umfassender Würdigung der medizinischen Akten -
insbesondere des Austrittsberichtes der Dres. med. W.________ und Rheuma- und
Rehabilitationsklinik V.________, vom 24. Juni 1998, des Berichtes des med.
pract. D.________, Äquivalenzausweis der FMH für Psychiatrie/Psychotherapie,
vom 15. Februar 1999 sowie des Gutachtens des Dr. med. B.________, Klinik
Z.________, Rheumatologie, vom 29. März 1999 - zu Recht erkannt hat, lagen im
Moment der Leistungseinstellung durch die "Basler" kaum noch objektivierbare
organische Befunde als Unfallfolgen vor. Zu diesem Zeitpunkt existierende
somatische Beeinträchtigungen fanden ihre Ursache mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit in vorbestehenden unfallfremden Leiden oder beruhten auf
den festgestellten, in erheblichem Ausmass aufgetretenen psychischen
Beschwerden. Der natürliche Kausalzusammenhang zwischen den psychischen
Gesundheitsstörungen und dem Unfall ist sodann mit dem kantonalen Gericht zu
bejahen, zumal es rechtsprechungsgemäss genügt, wenn das Unfallereignis eine
Teilursache für die Beschwerden und die dadurch eingetretene Arbeits- bzw.
Erwerbsunfähigkeit darstellt (BGE 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, je mit
Hinweisen).

3.
Streitig und zu prüfen ist im Weiteren der adäquate Kausalzusammenhang.

3.1 Auf Grund der ärztlichen Berichte, namentlich der Feststellung des Dr.
med. B.________ in dessen Gutachten vom 29. März 1999, wonach die
Arbeitsunfähigkeit nicht auf ein somatisches Leiden, sondern auf die
schizoaffektive Psyche zurückzuführen sei, ist davon auszugehen, dass die
Beschwerdeführerin unfallbedingt zwar eine Kontusion der Wirbelsäule und des
Beckens, allenfalls ein HWS-Distorsionstrauma erlitten hat (vgl.
Austrittsbericht der Dres. med. W.________ und Klinik V.________ vom 24. Juni
1998), jedoch bereits anfangs 1999 die psychische Problematik im Vordergrund
stand bzw. keine rechtsgenüglichen Anhaltspunkte eine durch - unfallkausale -
physische Beschwerden verursachte Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit zu
belegen vermögen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin können den
gutachtlichen Schlussfolgerungen des Dr. med. B.________ nicht allein deshalb
die rechtsprechungsgemäss erforderlichen Kriterien für beweiskräftige
ärztliche Entscheidungsgrundlagen (vgl. BGE 125 V 352 Erw. 3a mit Hinweisen)
abgesprochen werden, weil der Rheumatologe die Arbeitsunfähigkeit mit dem
psychischen Beschwerdebild begründet. Vielmehr stützt dieser sich, wie die
"Basler" vernehmlassungsweise richtig festgehalten hat, auf den kurze Zeit
vorher durch med. pract. D.________ mit Bericht vom 15. Februar 1999
erhobenen Befund, nach welchem aus psychiatrischer Sicht eine vollständige
Arbeitsunfähigkeit attestiert wurde. Im Lichte der in Erw. 1 hievor in fine
dargelegten Grundsätze ist die Adäquanz daher nach Massgabe der in BGE 115 V
133 umschriebenen Kriterien zu beurteilen.

3.2
3.2.1Sowohl bezüglich der Zuordnung des Unfalles vom 10. März 1998 zum
mittleren Bereich (keine Frontalkollision) wie auch der Würdigung der in
solchen Fällen in die Beurteilung einzubeziehenden objektiven Einzelkriterien
(BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa) kann auf die zutreffenden und sorgfältig
begründeten Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden.

3.2.2 Sämtliche Einwendungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit
nicht bereits durch das kantonale Gericht entkräftet, ändern an diesem
Ergebnis nichts. Insbesondere ist keines der massgebenden Adäquanzkriterien,
welche nur unter Ausklammerung der Auswirkungen psychischer Komponenten zu
berücksichtigen sind (BGE 117 V 367 Erw. 6a), in besonders ausgeprägter Weise
erfüllt, noch liegen mehrere Kriterien in gehäufter oder auffallender Form
vor. Der Argumentation der Beschwerdeführerin ist entgegenzuhalten, dass
keine besonders dramatischen Begleitumstände ersichtlich sind und nicht von
einer besonderen Eindrücklichkeit des Unfalles gesprochen werden kann. Auch
kann keine Rede von einer schweren oder besonderen Art der Verletzungen sein,
die erfahrungsgemäss geeignet ist, psychische Fehlentwicklungen auszulösen.
Objektivierbare traumatische Frakturen konnten keine gefunden werden; die
Diagnose einer Kontusion der Wirbelsäule und des Beckens bzw. eines
HWS-Distorsionstraumas vermag die Schwere oder besondere Art der erlittenen
Verletzungen für sich allein nicht zu begründen. Aus somatischer Sicht
ebenfalls nicht erfüllt ist alsdann das Kriterium der ungewöhnlich langen
Dauer der ärztlichen Behandlung. Die Versicherte hielt sich stationär vom 10.
März bis 3. April 1998 im Spital X.________ und im Spital Y.________ sowie
vom 28. Mai bis 18. Juni 1998 in der Rheuma- und Rehabilitationsklinik
V.________ auf. Anschliessend erfolgte bis Ende November eine ambulante
Physiotherapie. Ab diesem Zeitpunkt bestand die Behandlung - nebst der
Medikamentenabgabe - im Wesentlichen in einer Ende Mai 1998 begonnenen
psychotherapeutischen Betreuung durch med. pract. D.________ und in einer
primär der Abklärung des Beschwerdebildes dienenden ambulanten Untersuchung
durch Dr. med. B.________ im März 1999. Nach dem Unfall hat die
Beschwerdeführerin die Arbeit nicht mehr aufgenommen und über andauernd
heftige Schmerzen geklagt. Diese beiden Kriterien können indessen nicht als
in besonders ausgeprägter Weise erfüllt gelten, da die Beschwerden nach
einhelliger Auffassung der Ärzte schon bald psychisch überlagert waren.
Selbst wenn sie jedoch als teilweise erfüllt zu betrachten wären, ist
gesamthaft gesehen die für den adäquaten Kausalzusammenhang notwendige
Häufung zu verneinen.

3.3 Kein anderes Resultat herbeizuführen vermag ferner der Umstand, dass der
Beschwerdeführerin durch die IV-Stelle des Kantons Aargau rückwirkend ab 1.
März 1999 bei einem Invaliditätsgrad von 100 % eine ganze Rente zugesprochen
wurde, hat die Invalidenversicherung als final konzipierte Versicherung den
Gesundheitszustand - anders als der Unfallversicherer - gesamtheitlich zu
betrachten und sich folglich nicht mit der Ursache des Gesundheitsschadens zu
befassen (Meyer-Blaser, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung, Zürich
1997, S. 14).

4.
4.1 Da es im vorliegenden Verfahren um Versicherungsleistungen geht, sind
gemäss Art. 134 OG keine Gerichtskosten zu erheben.

4.2 Im Hinblick auf das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ist
festzustellen, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht als aussichtslos
zu bezeichnen ist und auch die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a
und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Die Frage nach der im Weiteren
erforderlichen Bedürftigkeit ist - der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin
hat das ihm zugestellte Formular zur Erlangung der unentgeltlichen
Rechtspflege trotz Aufforderung und Fristverlängerung nicht eingereicht -
mangels Zeugnisses auf Grund der Akten zu entscheiden (Urteil R. vom 29.
Dezember 2000, H 359/00).

4.2.1 Bedürftig im Sinne von Art. 152 Abs. 1 OG ist eine Person, wenn sie
ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie nötigen Lebensunterhaltes
nicht in der Lage ist, die Prozesskosten zu bestreiten (BGE 127 I 205 Erw.
3b, 125 IV 164 Erw. 4a). Massgebend sind die wirtschaftlichen Verhältnisse im
Zeitpunkt der Entscheidung über das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
(BGE 108 V 269 Erw. 4). Bei der Beurteilung der Bedürftigkeit ist das
Einkommen beider Ehegatten zu berücksichtigen (BGE 115 Ia 195 Erw. 3a, 108 Ia
10 Erw. 3, 103 Ia 101 mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung liegt die
Grenze für die Annahme von Bedürftigkeit im Sinne der Regeln über die
unentgeltliche Verbeiständung höher als diejenige des betreibungsrechtlichen
Existenzminimums. Bei der Prüfung der prozessualen Bedürftigkeit geht es um
die Frage, ob und inwieweit einer Partei zugemutet werden kann, zur Wahrung
ihrer Interessen neue Verpflichtungen einzugehen oder entsprechende
Verfügungen treffen zu müssen. Wohl dürfen von der Gesuch stellenden Person
gewisse Opfer verlangt werden; sie soll aber nicht gezwungen werden, sich in
eine Notlage zu begeben und die für den Prozess notwendigen Mittel dadurch zu
beschaffen, dass sie anderen dringenden Verpflichtungen nicht nachkommt. Für
die Annahme der prozessualen Bedürftigkeit genügt es, dass die Gesuch
stellende Person nicht über mehr Mittel verfügt, als zur Bestreitung eines
normalen, bescheidenen Familienunterhalts nötig sind. Dabei sind nicht nur
die Einkommensverhältnisse, sondern vielmehr die gesamten finanziellen
Verhältnisse ausschlaggebend. Zu berücksichtigen sind daher u.a. auch fällige
Steuerschulden (RKUV 2000 Nr. KV 119 S. 155 f. Erw. 2, 1996 Nr. U 254 S. 208
f. Erw. 2; vgl. auch BGE 124 I 2 Erw. 2a).

4.2.2 Der angefochtene Entscheid enthält in Bezug auf die Einkommenssituation
der Versicherten einzig, dass diese über kein Einkommen verfüge, während ihr
Ehemann einen monatlichen Verdienst von insgesamt Fr. 6'000.- (Fr. 4'200.-
und Fr. 1'800.-) erziele. Die "Basler" weist in ihrer letztinstanzlichen
Vernehmlassung vom 9. Januar 2002 überdies - zu Recht - präzisierend darauf
hin, dass die Beschwerdeführerin rückwirkend ab 1. März 1999 eine ganze Rente
der Invalidenversicherung bezieht. Weitere Angaben, insbesondere
ausgabenseitig sowie hinsichtlich der Vermögensverhältnisse, sind den Akten
nicht zu entnehmen, weshalb sie keine Beurteilung der prozessualen
Bedürftigkeit nach den hievor genannten Grundsätzen erlauben. Das Gesuch um
unentgeltliche Verbeiständung ist daher abzuweisen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 20. September 2002
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: