Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 352/2001
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U 352/01

Urteil vom 3. Dezember 2002

I. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Meyer, Lustenberger und Kernen;
Gerichtsschreiber Lanz

S.________, 1948, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Viktor
Estermann, Sempacherstrasse 6, 6003 Luzern,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg, Givisiez

(Entscheid vom 7. September 2001)

Sachverhalt:

A.
Der 1948 geborene S.________, gelernter Maschinenschlosser, zog sich im Juli
1968 bei einem Nichtbetriebsunfall Verletzungen am linken Fussgelenk, Bein,
Arm und am Rücken zu. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
als obligatorischer Unfallversicherer lehnte die Ausrichtung von Leistungen
wegen Wagnis ab. Gemäss seinen Angaben hatte sich der Versicherte,
wahrscheinlich in stark alkoholisiertem Zustand, auf einem Brückengeländer
bewegt und war zirka zehn bis zwölf Meter in die Tiefe gestürzt. Die
entsprechenden Akten sind nicht mehr vorhanden.

Am 26. April 2000 meldete die Garage Z.________ AG, wo S.________ seit Juli
1999 als Fahrzeugschlosser tätig war, Beschwerden im Bereich des linken
Fusses und Beines als Folge des Unfalls vom Juli 1968. Nach medizinischen
Abklärungen stellte die SUVA mit Verfügung vom 21. Juli 2000 fest, dass sie
bei einem seinerzeit abgelehnten Fall auch für die Folgen (Rückfall) nicht
aufkommen könne. Daran hielt die Anstalt mit Einspracheentscheid vom 11.
Dezember 2000 fest.

B.
Die von S.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht
des Kantons Freiburg mit Entscheid vom 7. September 2001 ab.

C.
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und die im kantonalen
Verfahren gestellten Rechtsbegehren (Zusprechung von Krankenpflege- und
Transportleistungen, Taggeldern, eventuell einer Rente sowie einer
Integritätsentschädigung) erneuern.

SUVA und Bundesamt für Sozialversicherung schliessen je auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

D.
In einer weiteren Eingabe lässt S.________ zu den Vorbringen von SUVA und
Bundesamt Stellung nehmen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitgegenstand bildet die Frage, ob ein Anspruch auf Leistungen nach dem
Unfallversicherungsgesetz (UVG) besteht für die im Jahre 2000 aufgetretenen
Folgen (Beschwerden, Arbeitsunfähigkeit) des im Juli 1968 unter der
Herrschaft des bis Ende 1983 in Kraft gestandenen Bundesgesetzes über die
Kranken- und Unfallversicherung (KUVG) erlittenen Nichtbetriebsunfalles, für
welchen seinerzeit gestützt auf Art. 67 Abs. 3 KUVG wegen Wagnis ein
Versicherungsausschluss verfügt worden war.

2.

3.
3.1.1 Nach Art. 67 Abs. 3 zweiter Satz KUVG war die SUVA befugt, bei
Nichtbetriebsunfällen ausserordentliche Gefahren und Wagnisse von der
Versicherung auszuschliessen. Von dieser Kompetenz hat die Anstalt durch
Erlass von Verwaltungsratsbeschlüssen Gebrauch gemacht.

Laut dem seit 1. Januar 1984 geltenden Art. 39 UVG kann der Bundesrat
Wagnisse bezeichnen, die in der Versicherung für Nichtberufsunfälle zur
Verweigerung sämtlicher Leistungen oder zur Kürzung der Geldleistungen
führen. Von dieser Befugnis hat die Exekutive mit dem Erlass von Art. 50 UVV
Gebrauch gemacht und die Wagnisse umschrieben (Abs. 2) sowie als Sanktionen
die hälftige Kürzung und in besonders schweren Fällen die Verweigerung der
Geldleistungen vorgesehen (Abs. 1). Die Änderungen betreffend
Wagnis-Umschreibung und Sanktionen bedeuten eine "Milderung" (vgl. Maurer,
Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, Bern 1985, S. 501). Was früher zum
Versicherungsausschluss führte, kann heute unter Umständen lediglich eine
hälftige Kürzung der Leistungen zur Folge haben.

3.1.2 Gemäss Übergangsbestimmung von Art. 118 Abs. 1 UVG werden
Versicherungsleistungen für Unfälle, die sich vor dem Inkrafttreten dieses
Gesetzes ereignet haben, und für Berufskrankheiten, die vor diesem Zeitpunkt
ausgebrochen sind, nach bisherigem Recht gewährt. Davon abweichend gelten
laut Art. 118 Abs. 2 UVG für Versicherte der SUVA in den in Absatz 1
erwähnten Fällen vom Inkrafttreten dieses Gesetzes an dessen Bestimmungen
u.a. über die Invalidenrenten und Integritätsentschädigungen, sofern der
Anspruch erst nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes entsteht (lit. c).

3.2 Das kantonale Verwaltungsgericht verneint die Leistungspflicht für die
gesundheitlichen und erwerblichen Folgen der im Jahr 2000 aufgetretenen, auf
den Nichtbetriebsunfall vom Juli 1968 zurückzuführenden Beschwerden unter dem
Titel Rückfall oder Spätfolgen mit der Begründung, es seien auch im Grundfall
keine Versicherungsleistungen gewährt worden. Art. 118 Abs. 2 UVG komme nur
bei den in Abs. 1 dieser Bestimmung genannten Fällen zur Anwendung, wenn also
das Unfallereignis vor Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetreten sei und
hiefür auch Leistungen ausgerichtet worden seien. Aus dem gemäss Art. 67 Abs.
3 KUVG von der Versicherung ausgeschlossenen Nichtbetriebsunfall des Jahres
1968 könnten daher mangels Gewährung von Leistungen unter altem Recht auch
unter neuem Recht keine Ansprüche abgeleitet werden.

In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird argumentiert, die SUVA habe zwar
aufgrund der damaligen Rechtslage die Ausrichtung von Versicherungsleistungen
wegen Wagnis abgelehnt. In Frage gekommen wären indessen lediglich
Heilkosten- und Taggeldleistungen, da die Voraussetzungen für eine
Invalidenrente oder Integritätsentschädigung mangels bleibender Behinderung
mit entsprechender Erwerbseinbusse nicht gegeben gewesen seien. Somit sei
nicht der Tatbestand der Verweigerung einer Rente oder
Integritätsentschädigung wegen Wagnis nach Art. 67 Abs. 3 KUVG vorgelegen,
weshalb auf den im Jahr 2000 erlittenen Rückfall Art. 118 Abs. 2 lit. c UVG
anwendbar sei. Art. 118 Abs. 1 UVG komme nicht zum Zuge. Zur Diskussion
stünden nicht Leistungen aus dem Unfall von 1968. Vielmehr sei ein am 1.
Februar 2000 nach Inkrafttreten des UVG erlittener Rückfall (Spätfolgen)
gegeben, welcher zum Entstehen der Berechtigung auf die in Art. 118 Abs. 2
lit. c UVG genannten Leistungen führe. Sinngemäss folge daraus, dass der
Wagnisbegriff nach heutigem Recht auszulegen sei. Dies ergebe sich auch aus
dem seit 1. Januar 1999 geltenden Art. 118 Abs. 4 Satz 2 UVG.

Die SUVA hält unter Verweisung auf die vorinstanzliche Vernehmlassung dafür,
dass infolge der verneinten Leistungspflicht wegen Wagnis nach Art. 67 Abs. 3
KUVG auch mit übergangsrechtlichen Erwägungen keine Ansprüche für unter der
Herrschaft des UVG aufgetretene Rückfälle und Spätfolgen begründet werden
könnten.

4.
4.1 Zu entscheiden ist die Frage, ob für einen Rückfall oder Spätfolgen, die
auf einen unter altem Recht als Wagnis von der Versicherung ausgeschlossenen
Nichtbetriebsunfall zurückgehen, eine Leistungspflicht nach dem
Unfallversicherungsgesetz besteht, namentlich gestützt auf die
Übergangsbestimmung von Art. 118 Abs. 2 lit. c UVG.

4.1.1 Ein Wagnis nach Art. 67 Abs. 3 KUVG hatte den Ausschluss von der
Versicherung, mithin vom Versicherungsschutz (vgl. BGE 97 V 84 Erw. 6b in
fine) zur Folge. Dem Versicherten standen überhaupt keine
Versicherungsleistungen zu ("Alles-oder-Nichts-Prinzip"; Alexandra
Rumo-Jungo, Die Leistungskürzung oder -verweigerung gemäss Art. 37-39 UVG,
Freiburg 1993, S. 49 und 235; Maurer, a.a.O., S. 500). Diese Sanktion
erstreckte sich ohne weiteres auch auf Rückfälle und Spätfolgen von
Nichtbetriebsunfällen mit Wagnis-Charakter. Denn ein Leistungsanspruch konnte
entweder gar nicht entstehen oder er ging mit dem rechtskräftigen Entscheid
über den Versicherungsausschluss unter.
Auch nach neuem Recht können Geldleistungen bei Wagnis in besonders schweren
Fällen vollständig (Maurer, a.a.O., S. 500) verweigert werden (Art. 39 UVG in
Verbindung mit Art. 50 Abs. 1 UVV). Von dieser Sanktion werden wie unter
altem Recht auch Rückfälle und Spätfolgen erfasst.

4.1.2 Es kann sich nicht anders verhalten, wenn der Rückfall oder die
Spätfolgen eines seinerzeit nach Art. 67 Abs. 3 KUVG als Wagnis von der
Versicherung ausgeschlossenen Nichtbetriebsunfalles erst unter Herrschaft des
neuen Rechts eintreten. Das Inkrafttreten des UVG hat nicht zur Folge, dass
die neuen differenzierteren Rechtsgrundlagen über das Wagnis zur Anwendung
gelangen und gestützt darauf trotz des seinerzeitigen umfassenden
Risikoausschlusses nach KUVG allenfalls Leistungen zu gewähren wären (vgl.
auch Maurer, a.a.O., S. 500 Fn. 1284a).

4.2 Nach dem Gesagten bedürfte die Neubeurteilung eines altrechtlich von der
Versicherung ausgeschlossenen Grundfalles im Lichte der geänderten
Wagnisregelung und gegebenenfalls die Bejahung der Leistungspflicht für
Rückfälle und/oder Spätfolgen einer gesetzlichen Grundlage. Eine solche
besteht nicht. Insbesondere können hiefür nicht Art. 118 Abs. 1 und 2 UVG
dienstbar gemacht werden.

Regelungsgegenstand des Art. 118 UVG bildet die Frage, nach welchem Recht bei
vor dem 1. Januar 1984 eingetretenen Nichtbetriebsunfällen sich die
Leistungen richten. Es gilt der Grundsatz der Anwendbarkeit des alten Rechts
(Abs. 1). Abweichend davon kommt bei den in Abs. 2 normierten Tatbeständen
unter den dort genannten Voraussetzungen neues Recht zum Zuge. Massgebliches
Kriterium in den Fällen nach lit. c (und auch lit. a) bildet der Zeitpunkt
der Entstehung des Anspruchs auf die jeweils in Frage stehende Leistung (vgl.
zum Begriff des Versicherungsanspruchs Maurer, Schweizerisches
Sozialversicherungsrecht, Bd. I, Bern 1979, S. 293). Dabei stellt Art. 118
Abs. 2 UVG nach Wortlaut und Gesetzessystematik (vgl. die Wendung "in den in
Absatz 1 erwähnten Fällen") eine Ausnahmeregelung zu Art. 118 Abs. 1 UVG dar.
Ist keiner der Ausnahmetatbestände nach lit. a-f von Abs. 2 gegeben, gilt
gemäss Abs. 1 für die Leistungsgewährung altes Recht.
Ob im Rahmen des Art. 118 Abs. 2 lit. c UVG auch die mildere Wagnisregelung
des Unfallversicherungsgesetzes anwendbar sei, wie in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemacht wird, ist fraglich, kann
indessen offen bleiben. Die Anwendung von Art. 118 UVG setzt in jedem Fall
voraus, dass für das altrechtliche Unfallereignis Versicherungsschutz besteht
und somit ein Anspruch auf Leistungen überhaupt entstehen kann. Dies ist bei
einem Versicherungsausschluss wegen Wagnis gerade nicht der Fall (Erw.
3.1.1).
4.3 Nach dem Vorstehenden entfaltet Art. 67 Abs. 3 KUVG weiterhin auch unter
dem neuen Recht seine (Ausschluss-)Wirkung des nicht versicherten Risikos.
Für den im Jahr 2000 erlittenen Rückfall des Unfalles von 1968 besteht daher
keine Leistungspflicht nach dem Unfallversicherungsgesetz. Es kann mithin
auch offen bleiben, wie das damalige Unfallereignis im Lichte der weniger
strengen neuen Wagnisregelung des Art. 39 UVG in Verbindung mit Art. 50 UVV
zu qualifizieren wäre.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg,
Sozialversicherungsgerichtshof, und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.
Luzern, 3. Dezember 2002

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: