Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 348/2001
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U 348/01 Bh

                        IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari;
Gerichtsschreiber Scartazzini

                  Urteil vom 5. Juli 2002

                         in Sachen

B.________, 1960, Beschwerdeführerin, vertreten durch
Advokat Dr. Jgnaz Jermann, Röschenzstrasse 23, 4242 Laufen,

                           gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmatt-
strasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin,

                            und

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

     A.- Die 1960 geborene B.________ arbeitete als Maschi-
nenführerin in der Abteilung Feinspinnerei der Q.________-
Werke und war damit bei der Schweizerischen Unfallversiche-
rungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Un-
fällen und Berufskrankheiten versichert. Am 26. November
1994 drang ihr bei der Arbeit an einer Seidenspule ein
Stück des Kupferdrahtes unterhalb des Musculus deltoideus
ein und blieb im Acromion des rechten Oberarms stecken. Der
Fremdkörper wurde am 29. November 1994 operativ entfernt
und die Arbeit am 19. Dezember 1994 wieder voll aufgenom-

men. In der Folge entwickelte sich ein schmerzhaftes Nar-
benkeloid, weshalb am 5. September 1995 eine Narbenexzision
vorgenommen werden musste. Die Versicherte klagte weiterhin
über eine berührungs- und druckempfindliche schmerzhafte
Narbe. Am 18. Dezember 1996 wurde von Dr. med. Z.________
ein Rückfall gemeldet, da die Versicherte am 7. November
1996 die Arbeit erneut niedergelegt hatte. Nach Wiederauf-
nahme der Arbeit wurde die Versicherte am 22. April 1998
zur intensiven stationären Physiotherapie und beruflichen
Rehabilitation in die Klinik U.________. Ab 20. Juli 1998
wurde ihr eine normale Arbeitsfähigkeit attestiert, am
21. Juli 1998 jedoch die Stelle gekündigt.
     Mit Verfügung vom 28. Juli 1998 bzw. mit Einsprache-
entscheid vom 30. April 1999 stellte die SUVA die Taggeld-
und Heilkostenleistungen per 20. Juli 1998 ein.

     B.- Die dagegen erhobene Beschwerde, mit welcher
B.________ im Wesentlichen geltend machte, es seien ihr in
Aufhebung des Einspracheentscheides und der Verfügung die
gesetzlichen Leistungen ab 20. Juli 1998 weiterhin auszu-
richten, wurde vom Versicherungsgericht des Kantons Solo-
thurn insbesondere nach Einholung einer gerichtlich ange-
ordneten medizinischen (vom 6. September 2000/7. Mai 2001)
und psychiatrischen (vom 18. August/1. Oktober 2000) Begut-
achtung mit Entscheid vom 5. September 2001 abgewiesen.

     C.- B.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
führen mit dem Rechtsbegehren, unter Kosten- und Entschädi-
gungsfolgen sei der vorinstanzliche Entscheid wegen Verlet-
zung des rechtlichen Gehörs und fehlerhafter Sachverhalts-
feststellung aufzuheben. Eventuell sei ihr in Abänderung
der angefochtenen Verfügung eine angemessene Invalidenrente
zuzusprechen.
     Während die SUVA und das kantonale Gericht auf Abwei-
sung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, verzich-
tet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehm-
lassung.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- In formellrechtlicher Hinsicht rügt die Beschwer-
deführerin, dass im Rahmen der gerichtlich angeordneten
medizinischen Expertise wegen fehlerhafter Exploration in
ihrer Muttersprache bzw. wegen des fehlenden Beizugs eines
fachkundigen Dolmetschers eine sachgemässe psychiatrische
Begutachtung nicht erfolgen konnte und auch die allgemeine
Untersuchung vom 6. September 2000/7. Mai 2001 wegen der
Sprachschwierigkeiten in Frage zu stellen sei. In den Be-
richt der psychiatrischen Begutachtung vom 1. Oktober 2000
habe sie im Übrigen erst nach Erlass des vorinstanzlichen
Entscheides und kurz vor der Ausarbeitung der Verwaltungs-
gerichtsbeschwerde Einsicht nehmen können. Zudem sei ihr
die Vernehmlassung der SUVA zur genannten Expertise vom
22. Juni 2001 nicht zugestellt worden.

     a) Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien An-
spruch auf rechtliches Gehör. Das rechtliche Gehör dient
einerseits der Sachaufklärung, anderseits stellt es ein
persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines
Entscheides dar, welcher in die Rechtsstellung einer Person
eingreift. Dazu gehört insbesondere deren Recht, sich vor
Erlass des in ihre Rechtsstellung eingreifenden Entscheids
zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Ein-
sicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträ-
gen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Be-
weise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweis-
ergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Ent-
scheid zu beeinflussen (BGE 127 I 56 Erw. 2b, 126 V 130
Erw. 2a; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende
Rechtsprechung: BGE 126 I 16 Erw. 2a/aa, 124 V 181 Erw. 1a,
375 Erw. 3b, je mit Hinweisen).

     b) Das Recht, angehört zu werden, ist formeller Natur.
Die Verletzung des rechtlichen Gehörs führt ungeachtet der
Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur

Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Es kommt mit anderen
Worten nicht darauf an, ob die Anhörung im konkreten Fall
für den Ausgang der materiellen Streitentscheidung von Be-
deutung ist, d.h. die Behörde zu einer Änderung ihres Ent-
scheides veranlasst wird oder nicht (BGE 126 V 132 Erw. 2b
mit Hinweisen).

     c) Der Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör be-
inhaltet das Recht, von sämtlichen dem Gericht eingereich-
ten Eingaben oder Vernehmlassungen Kenntnis und zu diesen
Stellung nehmen zu können. Unerheblich ist, ob die Vernehm-
lassung lediglich bereits in der angefochtenen Verfügung
genannte Tatsachen und Begründungen enthält oder neue Ent-
scheidgründe anführt. Es ist Sache der beteiligten Parteien
und nicht des Gerichts, ob sie zu einer Eingabe Bemerkungen
anbringen oder darauf verzichten (SZIER 2000 S. 553 mit
Hinweis auf VPB 61 [1997] Nr. 108 S. 955).
     Nach der Rechtsprechung kann eine - nicht besonders
schwerwiegende - Verletzung des rechtlichen Gehörs als ge-
heilt gelten, wenn die betroffene Person die Möglichkeit
erhält, sich vor einer Beschwerdeinstanz zu äussern, die
sowohl den Sachverhalt wie die Rechtslage frei überprüfen
kann. Die Heilung eines - allfälligen - Mangels soll aber
die Ausnahme bleiben (BGE 126 I 72, 126 V 132 Erw. 2b, je
mit Hinweisen).

     2. - a) Das kantonale Gericht führt in seiner Stel-
lungnahme vom 25. Oktober 2001 aus, es treffe zu, dass der
Beschwerdeführerin die genannte psychiatrische Begutachtung
von Prof. Dr. Y.________ vom 1. Oktober 2000 nicht zuge-
stellt wurde. Sie hätte diesen Bericht allerdings auch an-
fordern sollen bzw. können, da er im Hauptgutachten ja er-
wähnt gewesen sei. Ferner hält es dafür, nachdem aus dem
psychiatrischen Gutachten keine verlässlichen Aussagen ent-
nommen werden konnten, stütze sich der angefochtene Ent-
scheid in keiner Weise auf den Bericht vom 1. Oktober 2000
ab. Vielmehr gehe dieser von den Schlussfolgerungen des

Prof. Dr. X.________, Chefarzt der Klinik für Rheumatologie
des Spitals V.________ vom 7. Mai 2001 aus, welcher keine
organischen Beschwerdeursachen feststellte.
     Aus welchen Gründen aus dem psychiatrischen Gutachten
vom 1. Oktober 2000 keine verlässlichen Aussagen entnommen
werden konnten, geht aus den in der Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde wiedergegebenen Bemerkungen des erwähnten Prof.
Dr. X.________ vom 7. Mai 2001 hervor, welcher zur psy-
chiatrischen Beurteilung durch Prof. Dr. Y.________ vom
18. August 2000 und zum Bericht vom 1. Oktober 2000
Folgendes festhielt:

     "Die Untersuchung erfolgte in Anwesenheit der Tochter
der Patientin, welche als Übersetzerin fungierte. Wegen der
Übersetzung wird die Untersuchung erschwert. Eine Einschät-
zung der die Inhalte der Antworten der Patientin begleiten-
den Affekten ist gänzlich unmöglich...... Prof. Y.________
erwähnt in seiner Zusammenfassung, dass er zum Krankheits-
verhalten der Patientin wegen der schwierigen Untersuch-
ungsbedingungen nichts aussagen kann."

     Damit steht nach den Äusserungen der Gutachter Prof.
Dr. X.________ und Prof. Dr. Y.________ fest, dass eine
psychiatrische Beurteilung zum Vornherein nicht möglich
war, weil die Exploration nicht in der Muttersprache der
Beschwerdeführerin, d.h. in Portugiesisch, stattgefunden
hatte.

     b) Wenn das kantonale Gericht der Beschwerdeführerin
keine Einsicht in die psychiatrische Begutachtung vom
1. Oktober 2000 und in die Vernehmlassung der SUVA vom
22. Juni 2001 gegeben hat, entspricht dies einer Verletzung
des Anspruchs der Versicherten auf rechtliches Gehör. Al-
lerdings wiegt dieser Mangel nicht derart schwer, dass eine
Heilung im letztinstanzlichen Verfahren nicht mehr möglich
wäre. Nachdem Versicherungsleistungen streitig sind und dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht deshalb sowohl in tat-
beständlicher als auch in rechtlicher Hinsicht uneinge-
schränkte Überprüfungsbefugnis zusteht (Art. 132 OG), kann
die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Vorinstanz

als geheilt gelten, zumal sich die Beschwerdeführerin in
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zur psychiatrischen Ex-
ploration und zur vorinstanzlich von der Verwaltung einge-
reichten Vernehmlassung äussern konnte.

     c) Anders verhält es sich indessen bezüglich der nicht
in der Muttersprache der Versicherten stattgefundenen psy-
chiatrischen Exploration. Damit wurde ihr Anspruch auf
rechtliches Gehör insofern verletzt, als die psychiatrische
Untersuchung der Versicherten nicht in einer ihr geläufigen
Amtssprache des Bundes bzw. unter Beizug eines Dolmetschers
durchgeführt wurde (vgl. BGE 127 V 226 Erw. 2b/bb). Zudem
hat auch die Vorinstanz dargelegt, sich auf dieses Gutach-
ten nicht abgestützt zu haben. In der Verwaltungsgerichts-
beschwerde macht die Beschwerdeführerin jedoch geltend, sie
leide weiterhin sowohl an organischen als auch an psychi-
schen Gesundheitsstörungen, die mit dem am 26. November
1994 erlittenen Unfall in Verbindung stehen. Anderseits hat
das kantonale Gericht einen adäquaten Kausalzusammenhang
zwischen psychischem Leiden und Unfallereignis ausgeschlos-
sen, ohne sich dabei auf ein psychiatrisches Gutachten ab-
zustützen, und dies obwohl Prof. Dr. X.________ in seinen
Schlussfolgerungen vom 7. Mai 2001 bemerkte, das Krank-
heitsgeschehen sei auf eine psychosomatische Ebene verla-
gert und weitgehend fixiert, wobei grundsätzlich eine Ex-
ploration durch einen geschulten Psychologen und/oder Psy-
chiater in der Muttersprache der Patientin als sinnvoll zu
betrachten sei. Die von der Vorinstanz vorgenommene Be-
urteilung hätte unter diesen Umständen nicht stattfinden
dürfen, ohne dabei nach obengenanntem Vorgehen erstellte
psychiatrische Erkenntnisse zu berücksichtigen. Daraus
folgt, dass das kantonale Gericht das rechtliche Gehör der
Beschwerdeführerin verletzt hat, weshalb der angefochtene
Entscheid aus diesem Grund aufzuheben ist.

     d) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Gut-
achten des Prof. Dr. med. Y.________ vom 1. Oktober 2000
keine genügende Grundlage für eine zuverlässige Beurteilung
des streitigen Leistungsanspruchs bildet (vgl. BGE 122 V
160 Erw. 1c). Der Sachverhalt bedarf daher zusätzlicher
Abklärungen, wobei die Sache ohne Prüfung der weiteren
Rügen an die Vorinstanz zurückzuweisen ist, damit sie unter
Wahrung der Parteirechte ein neues, rechtmässig durchge-
führtes psychiatrisches Gutachten einhole. Gestützt darauf
wird sie sodann im Sinne der Erwägungen zu prüfen haben, ob
allfällige Beschwerden Folgen des Unfalles im Sinne einer
psychischen Fehlentwicklung sind und dementsprechend die
Beurteilung der natürlichen und adäquaten Kausalität sowie
des streitigen Leistungsanspruches vorzunehmen haben.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne
     gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsge-
     richts des Kantons Solothurn vom 5. September 2001 und
     der Einspracheentscheid der SUVA vom 30. April 1999
     aufgehoben werden und die Sache an die Vorinstanz zu-
     rückgewiesen wird, damit sie nach erfolgter Abklärung
     im Sinne der Erwägungen über den Leistungsanspruch neu
     verfüge.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Die SUVA hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren
     vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Par-
     teientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehr-
     wertsteuer) zu bezahlen.

 IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsge-
     richt des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für So-
     zialversicherung zugestellt.

Luzern, 5. Juli 2002

                Im Namen des
         Eidgenössischen Versicherungsgerichts
            Die Präsidentin der IV. Kammer:

               Der Gerichtsschreiber: