Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 325/2001
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U 325/01 Gi

                        IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari;
Gerichtsschreiber Ackermann

                  Urteil vom 27. Mai 2002

                         in Sachen

R.________, 1964, Beschwerdeführer, vertreten durch Für-
sprecher Marc Wälti, Dählhölzliweg 3, 3005 Bern,

                           gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstras-
se 1, Beschwerdegegnerin,

                            und

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

     A.- R.________, geboren 1964, arbeitete seit April
1988 als Gerüstmonteur für die G.________ GmbH, und war bei
der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen
Unfälle versichert. Am 12. September 1991 stürzte er aus
fünf bis sechs Metern Höhe vom Gerüst, worauf eine notfall-
mässige Hospitalisation erfolgte. Die Klinik und Poliklinik
für Orthopädische Chirurgie der Universität X.________

diagnostizierte im Austrittsbericht vom 8. Oktober 1991 ei-
ne mehrfragmentäre, intraartikuläre Tibiaplateaufraktur Typ
C 3.3 rechts, eine Tibiaschaftbiegungsfraktur rechts, ein
drohendes Unterschenkel-Compartment-Syndrom rechts, eine
Avulsion des Tuberculum maius rechts sowie eine Ablede-
rungsverletzung am frontalen Occiput.
     Nachdem R.________ die Arbeit (diesmal als Hilfsmon-
teur) im April/Mai 1993 wieder aufgenommen hatte, stürzte
er am 21. Dezember 1993 aus einer Höhe von etwa zwölf Me-
tern, was eine sofortige Hospitalisation und diverse Ope-
rationen erforderlich machte. Die Diagnose im Bericht der
Klinik und Poliklinik für Orthopädische Chirurgie der Uni-
versität X.________ vom 10. Februar 1994 lautete auf Poly-
trauma mit Rippenserienfrakturen 6 bis 10 rechts; Leberrup-
tur Segment V und VI, Pancreaskontusion, Serosariss Duode-
num, retroperitoneales Hämatom; Kompressionsfrakturen
Brustwirbelkörper 5 und 7, stabil ohne Neurologie; proxima-
le Humerusfraktur rechts; erstgradig offene proximale Vor-
derarmfraktur rechts; Acetabulumfraktur beidseits, links
disloziert; Compartment-Syndrom am linken Unterschenkel.
Die SUVA holte zahlreiche medizinische Berichte ein, veran-
lasste vom 23. Februar 1994 bis zum 22. April 1994 einen
Aufenthalt in der Rehabilitationsklinik A.________ (Aus-
trittsbericht vom 29. April 1994) und zog den (von der In-
validenversicherung in Auftrag gegebenen) Bericht betref-
fend beruflicher Abklärung der Y.________-Genossenschaft
vom 29. August 1995 bei. Auf Ende Juli 1996 stellte die
SUVA ihre Taggeldleistungen sowie die Heilbehandlung ein
und sprach R.________ mit Verfügung vom 4. Juli 1996 mit
Wirkung ab dem 1. August 1996 aufgrund einer Invalidität
von 30 % eine Invalidenrente zu, da ihm eine leichte, wech-
selbelastende Tätigkeit ganztägig zumutbar sei; weiter wur-
de eine Integritätsentschädigung aufgrund einer Integri-
tätseinbusse von 25 % zugesprochen. Mit Einspracheentscheid
vom 10. Oktober 1996 hielt die SUVA an ihrer Verfügung
fest.

     Mit Vorbescheid vom 4. Juni 1996 teilte die IV-Stelle
Bern R.________ mit, dass vorgesehen sei, ihm eine ganze
Rente der Invalidenversicherung, befristet vom 1. Dezember
1994 bis zum 31. Januar 1996, zuzusprechen; jedoch wurde -
wegen des eingereichten Privatgutachtens des Dr. med.
Z.________, Neurologie FMH, vom 21. August 1997 und des
laufenden unfallversicherungsrechtlichen Verfahrens - die
Verfügung bis jetzt noch nicht erlassen.

     B.- Die gegen den Einspracheentscheid der SUVA erhobe-
ne Beschwerde des R.________ wurde vom Verwaltungsgericht
des Kantons Bern mit Entscheid vom 23. August 2001
abgewiesen, nachdem das Privatgutachten des Dr. med.
Z.________ vom 21. August 1997 sowie ein Bericht des SUVA-
Arztes Dr. med. S.________, Spezialarzt FMH für Chirurgie,
vom 9. September 1997 eingereicht und die Akten der Invali-
denversicherung beigezogen worden waren.

     C.- R.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
führen mit den Anträgen, unter Aufhebung des vorinstanz-
lichen Entscheides sei die Sache an das kantonale Gericht
zur Neubeurteilung zurückzuweisen, eventualiter sei ihm un-
ter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des Ein-
spracheentscheides eine 50 % übersteigende Invalidenrente
und eine 25 % übersteigende Integritätsentschädigung zuzu-
sprechen.
     Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsge-
richtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversiche-
rung auf eine Vernehmlassung verzichtet.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- Die Vorinstanz hat den Begriff der Invalidität
(Art. 18 Abs. 2 Satz 1 UVG), die Ermittlung des Invalidi-
tätsgrads nach der Methode des Einkommensvergleichs (Art.

18 Abs. 2 Satz 2 UVG; BGE 116 V 248 Erw. 1b, 114 V 313
Erw. 3a, je mit Hinweisen) sowie die Bestimmungen und
Grundsätze zum Anspruch auf Integritätsentschädigung (Art.
24 UVG; Art. 36 Abs. 1 UVV), zu deren Abstufung nach der
Schwere des Integritätsschadens (Art. 25 Abs. 1 UVG und
Anhang 3 zur UVV, gestützt auf Art. 36 Abs. 2 UVV) und zur
Bedeutung der von der medizinischen Abteilung der SUVA er-
arbeiteten weiteren Bemessungsgrundlagen in tabellarischer
Form (sog. Feinraster; vgl. dazu auch BGE 124 V 32 Erw. 1c)
zutreffend dargelegt. Richtig sind auch die Ausführungen
über Bedeutung und Beweiswert ärztlicher Stellungnahmen bei
der Ermittlung des Invaliditätsgrads und der Schwere des
Integritätsschadens (BGE 125 V 261 Erw. 4 und 125 V 352
Erw. 3a). Darauf wird verwiesen.

     2.- Streitig ist zunächst der Invaliditätsgrad und in
diesem Zusammenhang vorab die Frage der Arbeitsfähigkeit.

     a) Das kantonale Gericht hat sich auf den Bericht des
SUVA-Arztes Dr. med. O.________ vom 1. Februar 1996 und den
Bericht der Y.________-Genossenschaft vom 29. August 1995
abgestützt und eine vollständige Arbeitsfähigkeit in einer
leichten Tätigkeit angenommen, während der Beschwerdeführer
auf die Stellungnahme des Dr. med. Z.________ vom 21. Au-
gust 1997 abstellt und von einer Arbeitsunfähigkeit von
mindestens 80 % ausgeht.

     b) Der anlässlich der Abschlussuntersuchung vom 1. Fe-
bruar 1996 verfasste Bericht des SUVA-Arztes Dr. med.
O.________ ist umfassend, beruht auf allseitigen Untersu-
chungen, berücksichtigt die geklagten Beschwerden und ist
in Kenntnis der Vorakten abgegeben worden; zudem ist er in
der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der
medizinischen Situation einleuchtend und beinhaltet begrün-
dete Schlussfolgerungen (BGE 125 V 352 Erw. 3a). Im Übrigen
stimmt dieser Bericht mit den beruflichen Abklärungen in

der Y.________-Genossenschaft überein, während deren ein
ganztägiger Arbeitseinsatz möglich gewesen ist.
     Auf die Stellungnahme des Dr. med. Z.________ zur Ar-
beitsfähigkeit kann dagegen weder abgestellt werden, noch
vermag sie gegen die Zuverlässigkeit der Einschätzung des
SUVA-Arztes Dr. med. O.________ zu sprechen (vgl. BGE 125 V
353 Erw. 3b/ee):
- Es ist nicht klar, ob der Experte von einer Arbeitsunfä-
higkeit von mindestens 80 % oder generell von 100 % aus-
geht, denn er führt in seinem Bericht unter der Frage der
Arbeitsunfähigkeit beide Zahlen auf, erklärt aber deren
gegenseitiges Verhältnis nicht;
- der Privatgutachter stellt seine Stellungnahme nicht zu-
letzt auf das mögliche Vorliegen eines Schädel-Hirntraumas
ab, welches jedoch nicht mit dem im Sozialversicherungs-
recht massgebenden Beweisgrad der überwiegenden Wahrschein-
lichkeit (BGE 126 V 360 Erw. 5b mit Hinweisen) nachgewiesen
ist, da der Versicherte erst sechs Jahre nach dem ersten
Unfall - von welchem die Narbe am Kopf stammt - über Kopf-
schmerzen geklagt hat und nach dem zweiten Unfall von De-
zember 1993 ein Computertomogramm des Schädels angefertigt
worden ist, das ohne Befund geblieben ist;
- im Übrigen stellt Dr. med. Z.________ für seine Stellung-
nahme zur Arbeitsfähigkeit auf nicht massgebende unfall-
fremde Kriterien wie die mangelnden Deutschkenntnisse ab.
     Damit ist von einer vollständigen Arbeitsfähigkeit in
einer leidensangepassten Tätigkeit auszugehen.

     c) Das zur Bemessung des Invaliditätsgrades herbeizu-
ziehende Einkommen ohne Gesundheitsschaden (Valideneinkom-
men) ist von der Vorinstanz zu Recht anhand des zuletzt er-
zielten Lohnes auf rund Fr. 48'000.-- festgesetzt worden,
während in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom (höheren)
versicherten Verdienst ausgegangen wird, der für die Bemes-
sung des Invaliditätsgrades jedoch nicht massgebend ist
(vgl. Art. 18 Abs. 2 UVG).

     Das Einkommen nach Eintritt der Invalidität (Invali-
deneinkommen) kann nicht - wie vom Versicherten gefordert -
auf den von der Y.________-Genossenschaft vorgeschlagenen
Stundenlohn von Fr. 8.-- festgesetzt werden, da es sich da-
bei nicht um einen effektiv verdienten Lohn handelt (BGE
126 V 76 Erw. 3b/aa) und dem Versicherten eine (besser ent-
löhnte) Tätigkeit ausserhalb einer geschützten Werkstätte
medizinisch zumutbar ist. Somit ist auf den von Vorinstanz
und SUVA ermittelten Betrag von Fr. 33'800.-- abzustellen,
was einen Invaliditätsgrad von 30 % zur Folge hat.

     3.- Die Integritätseinbusse ist vom SUVA-Arzt Dr. med.
O.________ auf insgesamt 25 % geschätzt worden, während der
Privatgutachter Dr. med. Z.________ von einem Wert von 65 %
bis 85 % ausgeht. Da sich der Experte Dr. med. Z.________
in erster Linie auf die subjektiven Beschwerdeangaben des
Versicherten stützt, kann schon aus diesem Grund nicht auf
dessen Einschätzung abgestellt werden, die deshalb auch die
nachvollziehbaren und überzeugenden Angaben des SUVA-Arztes
nicht in Zweifel zu ziehen vermag (BGE 125 V 353 Erw.
3b/ee). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer
Integritätseinbusse von 85 % der Beschwerdeführer in die
Nähe einer Paraplegie gerückt würde, die nach Anhang 3 zur
UVV eine Integritätsentschädigung von 90 % zur Folge hat;
in Anbetracht der Umstände und körperlichen Einschränkungen
des Versicherten kann davon jedoch nicht die Rede sein.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge-
     richt des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozial-
     versicherung zugestellt.

Luzern, 27. Mai 2002

                                  Im Namen des
                      Eidgenössischen Versicherungsgerichts
                          Die Präsidentin der IV. Kammer:

                             Der Gerichtsschreiber: