Sozialrechtliche Abteilungen U 319/2001
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U 319/01 Gr I. Kammer Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger; Gerichts- schreiber Nussbaumer Urteil vom 2. Mai 2002 in Sachen A.________, Beschwerdeführerin, Erbin des B.________, gestorben am 27. Januar 2001, gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmatt- strasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin, und Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Weinfelden A.- B.________, gelernter Schlosser, war bei der S.________ AG angestellt und dadurch bei der Schweizeri- schen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen Unfälle versichert. Am 20. Januar 1997 zog er sich als Mit- fahrer bei einem Verkehrsunfall eine Keilimpressionsfraktur Th12/L1 zu. Der Heilungsverlauf mit konservativer Behand- lung erfolgte zunächst ohne Komplikationen. Im Bericht des SUVA-Inspektors vom 26. Juni 1997 wird festgehalten, B.________ leide nach wie vor unter Rückenbeschwerden und Kopfweh. Die Arbeitstätigkeit habe er ab 2. Juni 1997 zu 25 % und ab 9. Juni 1997 zu 40 % aufgenommen, dabei aber beim Versuch, mit einem vollen Pensum zu arbeiten, unter Müdigkeit und Konzentrationsstörungen gelitten. Ab 16. August 1997 steigerte er sein Arbeitspensum mit leichter Tätigkeit auf 60 %. Im Bericht des Hausarztes Dr. med. W.________ vom 14. Oktober 1997 wird von teilweise grosser Müdigkeit sowie Rücken- und Kopfschmerzen bei stärkerer Belastung berichtet. Nach einer kreisärztlichen Untersuchung am 11. November 1997 hielt sich B.________ vom 5. Januar bis zum 4. März 1998 in der Rehabilitationsklinik Z.________ auf, wo eine orthopädische-traumatologische Frührehabilitation, eine berufliche Abklärung und ein psychosomatisches Konsilium durchgeführt wurden (Austrittsbericht vom 25. März 1998). Neben Kopfschmerzen, Höhenschwindel und Miktionsproblemen gab er Sensibilitäts- störungen in der rechten Wangenregion und in der rechten Zungenhälfte sowie im Geschmacksempfinden an. Das psycho- somatische Konsilium führte zu keiner definitiven psychiat- rischen Diagnose, doch wurde eine sehr eigentümliche Prä- sentation erwähnt. Aufgrund der beruflichen Abklärung war wegen den Rückenbeschwerden eine Umschulung auf eine leich- tere Tätigkeit wie in einem kaufmännischen Beruf angezeigt. Nach Zuweisung durch den Hausarzt veranlasste Dr. med. M.________, Neurologie FMH, Anfang Mai 1998 ein MRI der L- WS, HWS und des Kopfes. Dabei wurde ein diffus wachsendes Hirnstammgliom mit Ausdehnung ins rechte Kleinhirn festgestellt. Am 8. Juni 1998 wurde B.________ in der Neurochirurgischen Klinik des Universitätsspitals X.________ notfallmässig operiert. Mit Verfügung vom 6. Januar 2000 sprach die SUVA B.________ ab 1. Juli 1998 für die Unfallfolgen eine Invalidenrente für eine Erwerbsunfähigkeit von 10 % sowie eine Integritätsentschädigung für eine Integritätseinbusse von 15 % zu. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 18. Mai 2000 fest. B.- Hiegegen liess B.________ Beschwerde erheben mit dem Antrag, die SUVA sei für die Folgen der Tumorerkrankung als leistungspflichtig zu erklären. Am 27. Januar 2001 ver- starb er an den Folgen der Tumorerkrankung. Nachdem seine Mutter A.________ als seine einzige Erbin in den Prozess eingetreten war, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau die Beschwerde mit Entscheid vom 21. Februar 2001, eröffnet am 23. August 2001, ab. C.- A.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen unter Erneuerung des vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehrens. Eventuell sei die Sache zur weiteren Abklärung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Kantonales Gericht und SUVA schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozi- alversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1.- a) Gemäss Art. 6 UVG werden - soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt - die Versicherungsleistungen bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen und Berufskrankheiten gewährt (Abs. 1). Ausserdem erbringt die Versicherung ihre Leistungen für Schädigungen, die dem Verunfallten bei der Heilbehandlung im Sinne von Art. 10 UVG zugefügt werden (Abs. 3). Ferner bestimmt Art. 10 UVV, dass der Versicherer seine Leistungen auch für Körperschädigungen erbringt, die der Versicherte durch von ihm angeordnete oder sonstwie notwendig gewordene medizinische Abklärungsuntersuchungen erleidet. b) Nach Art. 10 Abs. 1 UVG hat der Versicherte Anspruch auf Heilbehandlung. Dabei hat der Versicherer die Pflegeleistungen nur solange zu erbringen, als davon eine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes erwartet werden kann (Art. 19 Abs. 1 UVG; Locher, Grundriss des Sozialver- sicherungsrechts, 2. Aufl. S. 170 N 11; Maurer, Schweizeri- sches Unfallversicherungsrecht, S. 274). Kommt die Versi- cherung zum Schluss, dass von einer Fortsetzung der Behand- lung keine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes erwartet werden kann, oder hält sie eine vom Versicherten oder dessen Arzt vorgeschlagene Behandlung für unzweckmäs- sig, kann sie gestützt auf Art. 48 Abs. 1 UVG die Fortset- zung der Behandlung ablehnen. Indem das Gesetz den Versi- cherer ermächtigt, im Einzelfall die diagnostischen und therapeutischen Massnahmen festzulegen, überbindet es die- sem die Verantwortung für die Heilbehandlung; es ist dies ein Ausfluss des für die Pflegeleistungen nach UVG gültigen Naturalleistungsprinzips (F.-X. Deschenaux, Le précepte de l'économie du traitement dans l'assurance-maladie sociale, en particulier en ce qui concerne le médecin, in: Fest- schrift 75 Jahre EVG, Bern 1992, S. 529 f.; Maurer, a.a.O., S. 299 und 274 f.). Konsequenz des Rechts des Unfallversi- cherers zur Anordnung von Behandlungsmassnahmen ist, dass er einerseits Leistungen zu erbringen hat für Schädigungen, welche dem Verunfallten bei der Heilbehandlung zugefügt werden (Art. 6 Abs. 3 UVG; BGE 118 V 286), andrerseits berechtigt ist, die Leistungspflicht für eine nicht bewil- ligte Heilmassnahme und der sich aus ihr ergebenden Folgen abzulehnen (RKUV 1995 Nr. U 227 S. 190; RDAT 1997 II Nr. 62 S. 226). c) Mit Art. 6 Abs. 3 UVG und Art. 10 UVV hat der Gesetzgeber die unter dem KUVG entwickelte Rechtsprechung (EVGE 1967 S. 19 Erw. 2, 1964 S. 207, 1961 S. 9 mit Hin- weis) kodifiziert (Alfred Bühler, Der Unfallbegriff, in Alfred Koller [Hrsg.], Haftpflicht- und Versicherungs- rechtstagung 1995, S. 256; Ghélew/Ramelet/Ritter, Commen- taire de la loi sur l'assurance-accidents [LAA], S. 58 f.). Sinn und Zweck dieser Bestimmungen sind die Tragung des Risikos durch den Unfallversicherer für die von ihm über- nommenen medizinischen Massnahmen; damit wird das Korrelat der Behandlungspflicht und der Weisungsgebundenheit des Versicherten hergestellt. Die Haftung erstreckt sich auf Gesundheitsschädigungen, die auf Behandlungsmassnahmen im Anschluss an einen Unfall zurückzuführen sind. Es muss weder ein Behandlungsfehler vorliegen noch der Unfallbe- griff erfüllt noch ein Kunstfehler oder auch nur objektiv eine Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht gegeben sein (BGE 118 V 292 Erw. 3b; Bühler, a.a.O., S. 256). Damit ist die medizinische Komplikation im Sinne einer mittelba- ren Unfallfolge mitversichert, und zwar selbst im Falle seltenster, schwerwiegendster Komplikationen (Werner E. Ott, Haftung des Arztes oder des Spitals infolge fehlerhaf- ter Unfallbehandlung, in Collezione Assista Genf 1998 S. 451; BGE 118 V 291 Erw. 3a mit Hinweis). Der Versicherer leistet denn auch nicht Schadenersatz im Sinne des Haft- pflichtrechts, sondern er erbringt Versicherungsleistungen nach UVG (Maurer, a.a.O., S. 259; Thomas A. Bühlmann, Die rechtliche Stellung der Medizinalpersonen im Bundesgesetz über die Unfallversicherung vom 20. März 1981, Diss. Bern 1985 S. 198). Angesichts dieser gesetzlichen Konzeption hat der Unfallversicherer nur für Schädigungen aufzukommen, die in einem natürlichen und adäquat kausalen Zusammenhang mit den durch den versicherten Unfall erfolgten Heilbehandlun- gen und medizinischen Abklärungsuntersuchungen stehen (BGE 122 V 32 unten Erw. 2b/bb zu Art. 18 Abs. 6 MVG; Jürg Maeschi, Kommentar zum Bundesgesetz über die Militär- versicherung [MVG] vom 19. Juni 1992, S. 177 f. N 41 zu A- rt. 18 MVG; a.A. Bühler, a.a.O., S. 256, wonach ein natürlich kausaler Zusammenhang genügt). Nicht unter den Anwendungsbereich der beiden Bestimmungen fallen hingegen ärztliche Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang mit Krankheiten, die ausserhalb der Heilbehandlung im Sinne von Art. 10 UVG liegen. So haftet der Unfallversicherer nicht gestützt auf diese beiden Bestimmungen für die Folgen einer vom versicherten Unfall völlig unabhängigen Gesund- heitsschädigung, auch wenn diese Folgen (z.B. Herzinfarkt) bei rechtzeitiger Diagnosestellung durch den vom Versiche- rer eingesetzten untersuchenden Arzt vermieden worden wären (EVGE 1961 S. 9; Alexandra Rumo-Jungo, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 2. Aufl., Zürich 1995, S. 61). 2.- Der Versicherte befand sich im Anschluss an den Unfall vom 20. Januar 1997 in (kreis-)ärztlicher Behandlung sowie vom 5. Januar bis 4. März 1998 in der Rehabilita- tionsklinik Z.________ zur orthopädisch-traumatologischen Frührehabilitation, zur Beurteilung der somatischen und psychosozialen Problematik sowie zur Abklärung der beruf- lichen Situation. Das Tumorleiden, an welchem er am 27. Januar 2001 verstorben ist, wurde am 2. Juni 1998 anlässlich einer Untersuchung mit dem MRI entdeckt. Dieser Tumor steht aufgrund der Akten weder mit dem Unfall noch mit der wegen den Unfallfolgen notwendigen Heilbehandlung und mit den medizinischen Abklärungsuntersuchungen in Zusammenhang. Vielmehr handelt es sich um ein davon völlig unabhängiges Krankheitsgeschehen. Unter diesen Umständen hat die Beschwerdegegnerin keine Leistungen nach Art. 6 Abs. 3 UVG und Art. 10 UVV zu erbringen. Sie haftet gestützt auf diese beiden Bestimmungen mithin nicht für eine allfällig verspätete Diagnosestellung der die Unfall- folgen behandelnden Ärzte. Es ist daher auch nicht Sache des Sozialversicherungsgerichts, sich zu dieser Frage zu äussern oder dazu ein Gutachten einzuholen. Aus diesem Grund sind die Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbe- schwerde zu diesen beiden Punkten unbehelflich. Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen. II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge- richt des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozi- alversicherung zugestellt. Luzern, 2. Mai 2002 Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts Der Präsident der I. Kammer: Der Gerichtsschreiber: