Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 300/2001
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U 300/01 Ge

                        III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Kernen;
Gerichtsschreiber Widmer

                  Urteil vom 29. Mai 2002

                         in Sachen

H.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Dieter Kehl, Poststrasse 22, 9410 Heiden,

                           gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmatt-
strasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin,

                            und

Kantonsgericht Appenzell I.Rh., Appenzell

     A.- Der 1951 geborene H.________ war als Hilfsmaler
bei der Malerei X.________ angestellt und damit bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obliga-
torisch gegen Unfälle versichert. Am 18. April 1996 stürzte
er bei der Arbeit von einem Baugerüst. Nach der medizini-
schen Erstversorgung wurde er wegen starker Schmerzen lum-
bal, Kopfschmerzen und Schwindels neurologisch untersucht
und radiologisch abgeklärt. U.a. wurde ein Computertomo-

gramm des Schädels angefertigt, das einen normalen Befund
ergab. Bei einer ophtalmologischen Untersuchung wurden
keine Doppelbilder festgestellt. Am 17. Juni 1996 überwies
der Neurologe Dr. A________ den Versicherten zur
psychiatrischen Begutachtung und allfälligen Behandlung an
den Psychiater Dr. med. B.________. Dieser wies H.________
in die Psychiatrische Klinik X.________ ein, wo er vom
23. Juni bis 29. Juli und wiederum ab 7. August 1996
hospitalisiert war. Laut Bericht vom 29. Juli 1996 wurden
eine posttraumatische psychotische Reaktion und eine
depressive Entwicklung diagnostiziert. Mit Verfügung vom 2.
September 1996 eröffnete die SUVA dem Versicherten, dass
die Abklärung und die Behandlung der psychischen
Beschwerden nicht zu ihren Lasten gehe. Eine ärztliche
Behandlung der Unfallfolgen sei nicht mehr notwendig,
weshalb sie die Heilbehandlung mit sofortiger Wirkung
einstelle. Das Taggeld sei bis 22. Juni 1996 ausgerichtet
worden und bleibe mit diesem Datum eingestellt.
     Am 20. November 1998 liess H.________ um Wiederher-
stellung der Einsprachefrist ersuchen und gleichzeitig
Einsprache gegen die Verfügung vom 2. September 1996 erhe-
ben. Die SUVA erachtete die Voraussetzungen für eine Wie-
derherstellung der versäumten Frist als nicht erfüllt, wes-
halb sie auf die Einsprache zufolge Verspätung mit Ent-
scheid vom 13. Januar 1999 nicht eintrat.
     Mit Eingabe vom 15. Januar 1999 liess H.________ um
Revision der Verfügung vom 2. September 1996 ersuchen, wel-
ches Begehren die Anstalt mit Verfügung vom 8. März 1999,
bestätigt mit Einspracheentscheid vom 28. Mai 1999, ab-
lehnte, weil keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorlä-
gen, die zu einer anderen rechtlichen Beurteilung zu führen
vermöchten.

     B.- H.________ liess die beiden Einspracheentscheide
vom 13. Januar und 28. Mai 1999 beschwerdeweise anfechten.
Während er im ersten Fall zur Hauptsache beantragte, die

SUVA sei zu verpflichten, auf die Einsprache vom 20. Novem-
ber 1998 einzutreten, stellte er in der Beschwerde gegen
den Einspracheentscheid vom 28. Mai 1999 das Begehren, die
SUVA sei zu verhalten, ihm in prozessualer Revision der
Verfügung vom 2. September 1996 die gesetzlichen Leistungen
für die Folgen des Unfalls vom 18. April 1996 zu erbringen.
Das Kantonsgericht Appenzell-Innerrhoden vereinigte die
beiden Verfahren und wies die Beschwerden nach Eingang der
vom Versicherten veranlassten medizinischen Gutachten und
eingeholten Arztberichte mit Entscheid vom 26. Juni 2001
ab.

     C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt H.________
beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen
Entscheides sei festzustellen, dass seine vollständige
Invalidität Folge des Unfalls vom 18. April 1996 ist und
die SUVA sei zu verpflichten, ihm die gesetzlichen Leis-
tungen zu erbringen; eventuell sei diese zu verpflichten,
seine Ansprüche neu zu beurteilen, auf die Einsprache vom
20. November 1998 materiell einzutreten oder die Verfügung
vom 2. September 1996 prozessual zu revidieren. Des Weite-
ren habe die Anstalt die Kosten für die medizinischen Ab-
klärungen zu erstatten.
     Während die SUVA auf Abweisung der Verwaltungsge-
richtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für
Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
     Am 23. Januar 2002 reicht der Versicherte einen audio-
neurootologischen Bericht des Dr. med. C.________ vom
2. November 2001 ein.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- Mit Verfügung vom 2. September 1996 hat die SUVA
ihre weitere Leistungspflicht für die Folgen des Unfalls
vom 18. April 1996 formell rechtskräftig abgelehnt. Der

Beschwerdeführer reichte hiegegen erst am 20. November
1998, über zwei Jahre nach Ablauf der 30-tägigen Frist,
Einsprache ein, welche die Anstalt zufolge Fristversäumnis
mit Entscheid vom 13. Januar 1999 abwies. Anfechtungsgegen-
stand bildet insoweit einzig die Frage, ob SUVA und Vorin-
stanz die Voraussetzungen für die Wiederherstellung der
versäumten Einsprachefrist zu Recht verneint haben. Ande-
rerseits hat die SUVA in Bestätigung der Verfügung vom
8. März 1999 mit Einspracheentscheid vom 28. Mai 1999 das
Gesuch des Beschwerdeführers um prozessuale Revision der
Verfügung vom 2. September 1996 abgewiesen. In Bezug auf
diesen Entscheid ist lediglich zu prüfen, ob die SUVA es zu
Recht abgelehnt hat, die in formelle Rechtskraft erwachsene
Verfügung vom 2. September 1996 in Revision zu ziehen. Auf
den in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestellten Haupt-
antrag auf Feststellung der Unfallkausalität der Beschwer-
den und Zusprechung der gesetzlichen Leistungen ist demge-
genüber nicht einzutreten, da es mangels (rechtzeitig ange-
fochtener) Verfügung insoweit an einem Anfechtungsgegen-
stand und damit an einer Sachurteilsvoraussetzung fehlt
(BGE 125 V 414 Erw. 1a, 119 Ib 36 Erw. 1b, je mit Hinwei-
sen).

     2.- Die Vorinstanz hat die massgebliche Gesetzesbe-
stimmung über die Wiederherstellung der Frist (Art. 24
VwVG, anwendbar auf die SUVA nach Art. 1 Abs. 2 lit. c
VwVG) und die hiezu ergangene Rechtsprechung (BGE 112 V 255
Erw. 2a) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen wer-
den. Das Kantonsgericht hat in Würdigung der medizinischen
Unterlagen, insbesondere des Zeugnisses des Dr. med.
B.________ vom 18. April 1997, der dem Versicherten ab
16. März 1997 volle Arbeitsfähigkeit attestierte, sowie
gestützt auf die Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer
im März 1997 bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug anmeldete und am 7. April 1997 Antrag auf
Arbeitslosenentschädigung stellte, richtig festgehalten,
dass die bei Erlass der Verfügung vom 2. September 1996

bestehende Krankheit den Beschwerdeführer zwar daran
hinderte, innert Frist Einsprache zu erheben, er aber in
der Zeit danach, spätestens im Frühjahr 1997, in der Lage
gewesen wäre, einen Dritten mit der Interessenwahrung zu
beauftragen. Da er dies unterlassen und erst lange nach
Wegfall des Hindernisses einen Rechtsanwalt mit der
Geltendmachung seiner Ansprüche betraut hat, fällt eine
Wiederherstellung der versäumten Einsprachefrist ausser
Betracht. Hieran vermögen die Vorbringen in der Ver-
waltungsgerichtsbeschwerde nichts zu ändern. Der Einwand,
das Zeugnis des Dr. med. B.________ vom 18. April 1997 ent-
halte eine Fehlbeurteilung, ist eine durch nichts belegte
Behauptung.

     3.- Nach der Rechtsprechung ist die Verwaltung ver-
pflichtet, im Rahmen einer so genannten prozessualen Revi-
sion auf eine formell rechtskräftige Verfügung zurückzukom-
men, wenn neue Tatsachen oder neue Beweismittel entdeckt
werden, die geeignet sind, zu einer anderen rechtlichen
Beurteilung zu führen (BGE 126 V 24 Erw. 4b, 46 Erw. 2b, je
mit Hinweisen).
     Das Kantonsgericht hat unter Hinweis auf die Recht-
sprechung zu den Begriffen der neuen Tatsache und des neuen
Beweismittels (BGE 110 V 138 Erw. 2) in einlässlicher Wür-
digung der medizinischen Akten richtig festgestellt, dass
diese keine abweichende Beurteilung der Kausalitätsfrage
zulassen. Insbesondere fehlt der Nachweis einer unfallbe-
dingten organischen Schädigung, welche als wahrscheinliche
Ursache für die massiven psychischen Beschwerden zu be-
trachten wäre. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden
keine stichhaltigen Einwendungen gegen die Auffassung der
Vorinstanz, wonach die SUVA eine prozessuale Revision der
formell rechtskräftigen Verfügung vom 2. September 1996 zu
Recht abgelehnt habe, vorgebracht. Namentlich ist diese
Verfügung auch nicht mit derart schwerwiegenden Mängeln
behaftet, dass auf deren Nichtigkeit geschlossen werden
müsste.

     4.- Der Beschwerdeführer hat nachträglich einen audio-
neurootologischen Bericht des Dr. med. C.________ vom 2.
November 2001 eingereicht. Ungeachtet der Frage, ob dieses
nach Ablauf der Rechtsmittelfrist beigebrachte
Privatgutachten letztinstanzlich berücksichtigt werden
könnte (vgl. BGE 127 V 353), gilt es festzustellen, dass zu
entscheiden ist, ob die SUVA zu Recht die Revision der
formell rechtskräftigen Verfügung vom 2. September 1996
abgelehnt hat. Massgebend für die Beurteilung dieser Frage
sind die Tatsachen und Beweismittel, die dem Einspracheent-
scheid vom 28. Mai 1999 zu Grunde lagen, mit welchem die
Voraussetzungen für die prozessuale Revision in Bestätigung
der Verfügung vom 8. März 1999 verneint wurden (vgl.
BGE 116 V 248 Erw. 1a; RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101 Erw. 2a).
Ob der Bericht des Dr. C.________ vom 2. November 2001 neue
Tatsachen enthält oder als neues Beweismittel anzuerkennen
ist, das im Lichte der Rechtsprechung eine Revision der
Verfügung vom 2. September 1996 begründet, müsste zunächst
die SUVA entscheiden. Da der Beschwerdeführer den Bericht
jedenfalls innert 90 Tagen seit der damit verbundenen Ent-
deckung des allfälligen Revisionsgrundes (Art. 67 Abs. 1
VwVG; RKUV 1994 Nr. U 191 S. 145) dem Eidgenössischen Ver-
sicherungsgericht eingereicht hat, könnte ihm die SUVA
insoweit keine Fristversäumnis entgegenhalten, wenn er nach
Erhalt des vorliegenden Urteils ein neues Revisionsgesuch
stellen sollte.

     5.- Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e
contrario). Dem Prozessausgang entsprechend sind die Ge-
richtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG). Da der Versicherte
unterliegt, steht ihm keine Parteientschädigung zu
(Art. 159 in Verbindung mit Art. 135 OG). Demgemäss ent-
fällt auch der Anspruch auf Vergütung der Kosten der vom
Beschwerdeführer in Auftrag gegebenen medizinischen Gutach-
ten und Berichte (BGE 115 V 62).

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen,
     soweit darauf einzutreten ist.

 II. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwer-
     deführer auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvor-
     schuss verrechnet.

III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht
     Appenzell I.Rh. und dem Bundesamt für Sozialversiche-
     rung zugestellt.

Luzern, 29. Mai 2002

                                  Im Namen des
                      Eidgenössischen Versicherungsgerichts
                         Der Präsident der III. Kammer:

                             Der Gerichtsschreiber: