Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 268/2001
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U 268/01

Urteil vom 8. Mai 2003
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber
Schmutz

Z.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecherin Daniela Mathys,
Schwarztorstrasse 7, 3007 Bern,

gegen

La Suisse Versicherungen, Generaldirektion, avenue de Rumine 13, 1005
Lausanne, Beschwerdegegnerin,

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 14. August 2001)

Sachverhalt:

A.
Der 1946 geborene Z.________ arbeitete als Koch bei der Burgergemeinde
A.________ und war bei der La Suisse Unfall-Versicherungs-Gesellschaft
(nachfolgend: Versicherung) obligatorisch unfallversichert. Am 9. März 1998
injizierte ihm der Hausarzt Dr. med. K.________ Lokalanästhetika in die
Nackenmuskulatur. Z.________ erlitt einen Hirnstamminsult und ist seitdem
arbeitsunfähig. Mit Schreiben vom 24. April 1998 wandte sich der Hausarzt an
Prof. Dr. med. H.________, Chefarzt der Neurologischen Klinik des Spitals
Q.________, wo der Versicherte nach dem Ereignis vom 9. März 1998
hospitalisiert war. Er informierte ihn darüber, dass die
Haftpflichtversicherung Elvia-Versicherung demnächst um eine Beurteilung des
am 9. März 1998 Vorgefallenen bitten werde. Zu diesem Zwecke machte er nähere
Angaben dazu.

Die Unfallversicherung erhielt vom erwähnten Vorfall erstmals am 11. Januar
1999 durch die Rechtsvertreterin von Z.________, Fürsprecherin Daniela
Mathys, Kenntnis. Am 8. Februar 1999 erstattete die Arbeitgeberin eine
Unfallmeldung. Weil Z.________ und die Elvia-Versicherung bei PD Dr. med.
F.________, Spezialarzt FMH für Neurologie, Spital X.________, bereits ein
Gutachten in Auftrag gegeben hatten, teilte die Versicherung der
Rechtsanwältin am 17. Februar 1999 mit, dass eigene parallele Abklärungen
wenig sinnvoll seien, weshalb bei Bedarf Ergänzungsfragen an PD Dr. med.
F.________ gerichtet würden. Die Rechtsanwältin war mit diesem Vorgehen
grundsätzlich einverstanden und übermittelte der Versicherung den
Begutachtungsauftrag mit dem Fragenkatalog.

Nachdem PD Dr. med. F.________ am 24. November 1999 sein Gutachten erstattet
hatte, forderte die Rechtsanwältin die Versicherung am 21. Dezember 1999 auf,
zur Frage der Leistungspflicht Stellung zu nehmen. Am 7. Februar 2000 teilte
die Versicherung der Rechtsanwältin mit, die Deckungsfrage lasse sich anhand
des Gutachtens des PD Dr. med. F.________ nicht abschliessend beurteilen. Am
gleichen Tage ersuchte sie Prof. Dr. med. H.________, Fragen zum
Unfallcharakter des Ereignisses vom 9. März 1998 zu beantworten. Dazu
übermittelte sie ihm das Gutachten des PD Dr. med. F.________. Gestützt auf
die Stellungnahme von Prof. Dr. med. H.________ vom 6. März 2000 erklärte die
Versicherung am 13. März 2000, sie werde Leistungsansprüche aus der
obligatorischen Unfallversicherung ablehnen.
Am 5. April 2000 rügte die Rechtsanwältin, die Gewährung der Akteneinsicht
sei nur mangelhaft erfolgt und bei der Auftragserteilung an Prof. Dr. med.
H.________ sei das rechtliche Gehör verletzt worden. Man habe diesen
Sachverständigen bereits früher als Gutachter abgelehnt. Die Versicherung
räumte eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ein. Sie erklärte, da der
Bericht nicht berücksichtigt werden könne, werde für das Zusatzgutachten ein
anderer Sachverständiger beigezogen. Die Rechtsanwältin lehnte am 13. Juni
2000 eine weitere neurologische Begutachtung als weder zumutbar noch
notwendig ab, weil PD Dr. med. F.________ bereits ein umfassendes und auch
für die unfallversicherungsrechtlichen Belange schlüssiges Gutachten erstellt
habe. Die Versicherung habe sich am 17. Februar 1999 lediglich vorbehalten,
PD Dr. med. F.________ Ergänzungsfragen zu stellen.

Nachdem die Versicherung am 27. Juli 2000 vorerst weitere Fragen an PD Dr.
med. F.________ gerichtet hatte, welche dieser am 11. November 2000
beantwortete, kündigte die Versicherung am 29. November 2000 ihre
Stellungnahme in nächster Zeit an. Die Rechtsanwältin verlangte erneut die
unverzügliche Ausrichtung der Leistungen, weil auch die neuesten Abklärungen
bestätigt hätten, dass es sich beim Ereignis vom 9. März 1998 um einen Unfall
gehandelt habe. Die Versicherung widersprach dem mit Schreiben vom 26. Januar
2001. Für sie standen die Folgerungen der Gutachter F.________ und H.________
in Widerspruch zueinander. Sie gab bekannt, nun das vollständige medizinische
Dossier mit den beiden Gutachten dem Direktor der Neurologischen Klinik des
Spitals Y.________, Prof. Dr. med. S.________, vorzulegen. Die Rechtsanwältin
verlangte am 1. Februar 2001 ein weiteres Mal die umgehende Ausrichtung der
versicherten Leistungen und erinnerte daran, die Versicherung habe am 19. Mai
2000 ausdrücklich bestätigt, dass das Gutachten des Prof. Dr. med. H.________
auf Grund seiner Entstehungsumstände nicht verwendet werden könne. Es sei
nicht akzeptabel, dass dieser Bericht nun zur Begründung der Notwendigkeit
einer neuen Begutachtung diene. Die Verfügung sei sofort und gestützt auf die
vorhandenen Akten zu erlassen. Die Versicherung ersuchte Prof. Dr. med.
S.________ trotzdem um eine Stellungnahme zu den Gutachten F.________ und
H.________. Nach einer Intervention der Rechtsanwältin verzichtete der
Angefragte darauf, den Auftrag anzunehmen.
Am 1. März 2001 setzte die Rechtsanwältin der Versicherung Frist bis zum 15.
März 2001 zum Erlass einer Verfügung. Diese fragte am 5. März 2001 den
Direktor der Rheumaklinik des Spitals Y.________, Prof. Dr. med. M.________,
um eine Stellungnahme zu den Gutachten F.________ und H.________ an. Sie
berief sich gegenüber der Rechtsanwältin auf ihre Abklärungspflicht. Am 12.
März 2001 setzte diese ihr für den Erlass der Verfügung eine weitere Frist
bis Ende März. Sie kündigte an, sonst Rechtsverweigerungs- und
Aufsichtsbeschwerde einzureichen. Mit Schreiben vom 22. März 2001 hielt die
Versicherung an der Erstellung eines Aktengutachtens durch Prof. Dr. med.
M.________ fest.

B.
Am 2. April 2001 erhob Z.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern
Rechtsverweigerungsbeschwerde und beantragte, die Versicherung sei
anzuweisen, unverzüglich über die Leistungsansprüche aus der obligatorischen
Unfallversicherung zu entscheiden. Mit Verfügung vom 3. August 2001 schloss
die kantonale Instanz den Schriftenwechsel ab. Am 9. August 2001 (Eingang
beim Verwaltungsgericht am 14. August 2001) teilte die Versicherung der
Vorinstanz mit, sie anerkenne ihre Leistungspflicht im Zusammenhang mit dem
Ereignis vom 9. März 1998. Mit Schreiben an die Vorinstanz vom 14. August
2001 bezeichnete die Rechtsanwältin das Beschwerdeverfahren als
gegenstandslos und sie ersuchte darum, dieses abzuschreiben. Ebenfalls am 14.
August 2001 wies das kantonale Gericht die Rechtsverweigerungsbeschwerde ab,
weil auf Grund der Beweislage am 11. November 2000 (Ergänzungsgutachten des
PD Dr. med. F.________) die Anordnung eines weiteren medizinischen Gutachtens
gerechtfertigt erschien.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Z.________ beantragen, der kantonale
Entscheid sei aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, ihm für das kantonale
Verfahren eine Parteientschädigung zuzusprechen.

Während die Versicherung auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Unfallversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), sind im vorliegenden Fall
die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar.

2.
Der Beschwerdeführer begründet den Antrag auf Aufhebung des angefochtenen
Entscheids und Zusprechung einer Parteikostenentschädigung für das
vorinstanzliche Verfahren damit, dass die Vorinstanz das Verfahren - auf
Grund des kantonalen Prozessrechts - mangels Rechtsschutzinteresse hätte als
gegenstandslos abschreiben müssen, eventualiter sinngemäss damit, dass die
Vorinstanz zu Unrecht eine Rechtsverzögerung verneint habe.

3.
Wie die Beschwerdegegnerin in der Vernehmlassung zu Recht einwendet, war die
Rechtsverzögerungsbeschwerde im Zeitpunkt der vorinstanzlichen Urteilsfällung
nicht gegenstandslos (SVR 1998 UV Nr. 11 S. 29 Erw. 4, BGE 125 V 373 Erw. 1),
da sie die beantragte Leistungsverfügung bis dahin nicht erlassen hatte; im
Schreiben vom 9. August 2001 wurde die Leistungspflicht formlos anerkannt und
der Verfügungserlass erst in Aussicht gestellt. Auch wenn die Vorinstanz vor
Urteilsfällung in Besitz der Mitteilung des Versicherten vom 14. August 2001
gekommen wäre, hätte sie demnach die Beschwerde nicht wegen
Gegenstandslosigkeit abschreiben dürfen. Deshalb kann offen bleiben, ob vor
Urteilseröffnung am 15. August 2001 auf den bereits gefällten Entscheid vom
14. August 2001 hätte zurückgekommen werden müssen. Die Vorinstanz hat das
kantonale Verfahrensrecht jedenfalls nicht bundesrechtswidrig angewendet.

4.
Der Beschwerdeführer rügt, dass, nachdem die zwischen den Parteien
abgesprochene Ergänzung des Gutachtens durch PD Dr. med. F.________ erfolgt
war, die Einholung eines weiteren Gutachtens nicht erforderlich war, sondern
die Beschwerdegegnerin die Leistungsverfügung umgehend hätte erlassen müssen.

4.1 Im Urteil J. vom 21. August 2001 (I 671/00; Erw. 3b) erkannte das
Eidgenössische Versicherungsgericht, dass eine Rechtsverzögerung auch durch
unnötige Beweismassnahmen begangen werden kann. Eine Rechtsverzögerung und
damit eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV liegt nach der Rechtsprechung zu
Art. 4 aBV unter anderem dann vor, wenn eine Gerichts- oder
Verwaltungsbehörde sich zwar bereit zeigt, einen Entscheid zu treffen, diesen
aber nicht binnen der Frist fasst, welche nach der Natur der Sache und nach
der Gesamtheit der übrigen Umstände als angemessen erscheint (BGE 117 Ia 197
Erw. 1c, 107 Ib 164 Erw. 3b mit Hinweisen). Ausnahmsweise kann eine
Rechtsverzögerung aber auch in Form einer positiven Anordnung begangen
werden, wobei hiefür namentlich Verfahrensverlängerungen durch unnötige
Beweismassnahmen oder Einräumung ungehöriger langer Fristen in Betracht
fallen. Lehre und Rechtsprechung lassen in einem solchen Fall eine Beschwerde
bereits in diesem Zeitpunkt zu, so dass der Betroffene nicht zuwarten muss,
bis die Rechtsverzögerung tatsächlich eintritt, sondern sofort geltend machen
kann, die Verfügung habe eine ungerechtfertigte Verzögerung zur Folge (BGE
126 V 248 Erw. 2d [Fall einer prozessleitenden Verfügung]; Lorenz Meyer, Das
Rechtsverzögerungsverbot nach Art. 4 BV, Diss. Bern 1985, S. 71 f.).

Ob sich die gegebene Verfahrensdauer mit dem dargelegten Anspruch auf
Rechtsschutz innert angemessener Frist verträgt oder nicht, ist am konkreten
Einzelfall zu prüfen (BGE 107 Ib 165, 103 V 195 Erw. 3c in fine). Massgeblich
ist namentlich die Art des Verfahrens, die Schwierigkeit der Materie und das
Verhalten der Beteiligten (in RKUV 1991 Nr. U 151 S. 194 nicht
veröffentlichte Erw. 4a des Urteils K. vom 3. Juli 1992 mit Hinweisen auf VPB
1983 Nr. 150 S. 527 und EuGRZ 1983 S. 483). Indessen kann im
Rechtsverzögerungsbeschwerdeverfahren keine eingehende Beurteilung der Sach-
und Rechtslage erfolgen. Das Eingreifen des Gerichts hinsichtlich
angeordneter Abklärungsmassnahmen rechtfertigt sich nur, wenn die Behörde ihr
Ermessen offensichtlich überschritten hatte. So wurde im genannten Urteil
nicht beanstandet, dass der UVG-Versicherer das eingereichte medizinische
Privatgutachten einem Vertrauensarzt vorlegte und entsprechend dessen
Empfehlung zusätzliche Abklärungen anordnete (Erw. 5b).

4.2 Die Frage, ob die Einholung eines zweiten Gutachtens vorliegend zur
ausreichenden Sachverhaltsabklärung erforderlich war, kann offen gelassen
werden. Die sich selten stellende Rechtsfrage, ob eine ärztliche Behandlung
den Unfallbegriff erfüllt, ist derart heikel zu beantworten, dass nicht nur
in sachverhaltsmässiger, sondern auch in rechtlicher Hinsicht anspruchsvolle
Abklärungen erforderlich sind (vgl. André Largier, Schädigende medizinische
Behandlung als Unfall, Diss. Zürich 2002 [ausführliche Kasuistik S. 99 ff.]).
Deshalb hätte von einer Rechtsverzögerung im Zeitpunkt der vorinstanzlichen
Beschwerdeeinreichung auch dann nicht gesprochen werden können, wenn ein
weiteres Gutachten nicht erforderlich war. Die Vorinstanz hat damit zu Recht
eine Rechtsverzögerung verneint.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.

Luzern, 8. Mai 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: