Sozialrechtliche Abteilungen U 219/2001
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2001
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2001
U 219/01 Gr IV. Kammer Präsident Borella, Bundesrichter Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; Gerichtsschreiber Grünvogel Urteil vom 13. Dezember 2001 in Sachen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmatt- strasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdeführerin, gegen E.________, 1952, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. X.________, und Verwaltungsgericht des Kantons Glarus, Glarus A.- Die 1952 geborene E.________ war bei der Firma Y.________ angestellt und damit bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen Unfälle versichert. Am 30. Januar 1994 erlitt sie bei einem Auffahrunfall einen Beschleunigungsmechanismus der Halswir- belsäule (HWS) mit Nacken-/Schulterschmerzen und Trümmel. Die SUVA anerkannte ihre Leistungspflicht. Während der Trümmel vorübergehender Natur war, persistierten die Schmerzen. Hinzu kamen zeitweilig auftretende Einschlaf- parästhesien in den Armen und Händen beidseits sowie Kopf- schmerzen. Sowohl die durchgeführten radiologischen Funk- tionsaufnahmen, wie auch die Computer- und die Magnetreso- nanztomographie brachten bis auf vorbestehende degenerative Bandscheibenveränderungen mittelthorakal keine Auffällig- keiten zu Tage. Auch der elektroneurographische wie auch der neurologische Befund blieben unauffällig, was endlich zur Diagnose eines chronischen zerviko-zephalen-vertebralen Schmerzsyndroms, einer Reizsymptomatik C7/C8/Th1 und von aufgepfropften Spannungskopfschmerzen führte (Gutachten der Neurologischen Poliklinik des Spitals X. vom 1. Juli 1997). Seit dem 12. April 1994 ging E.________ ihrer vor dem Unfall ausgeübten Tätigkeit zunächst zu 50 % und ab 19. August 1994 wieder zu 100 % nach. Die SUVA eröffnete E.________ mit Verfügung vom 15. Dezember 1998, die bisher gewährten Versicherungsleistungen (Heilbehandlung und Tag- geld) würden mit Verfügungsdatum eingestellt, weil einer- seits keine unfallbedingte Behandlung mehr erforderlich sei und andererseits die zurückgebliebenen Unfallfolgen die Versicherte in der Erwerbsfähigkeit nicht (mehr) wesentlich behindern würden. Mit Einspracheentscheid vom 9. November 1999 hielt die Anstalt an der Leistungseinstellung fest. In der Begründung führte sie aus, die von E.________ geklagten Beschwerden seien rein funktioneller Art, was sich insbe- sondere aus der Expertise des Universitätsspitals Zürich vom 1. Juli 1997 ergebe. Ein adäquat kausaler Zusammenhang dieser Beschwerden mit dem Unfall vom 30. Januar 1994 sei auszuschliessen. B.- Eine dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwal- tungsgericht des Kantons Glarus am 22. Mai 2001 teilweise gut, hob den Einspracheentscheid vom 9. November 1999 auf und wies die Sache für weitere Abklärungen und zu an- schliessender Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die SUVA zurück. In den Erwägungen bejahte das kantonale Gericht den natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen den Beschwerden und dem Unfall vom 30. Januar 1994. Gleichzeitig wies es die Anstalt an, die Rentenfrage zu prüfen und dabei die hiefür erforderlichen Abklärungen vorzunehmen. C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die SUVA, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und die Sache für ergänzende medizinische Abklärungen an die Anstalt zurückzuweisen. Während das Bundesamt für Sozialversicherung keine Vernehmlassung einreicht, lässt E.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Mit unaufgefordert eingereichter Eingabe vom 24. August 2001 beantragt die SUVA in verfahrensmässiger Hinsicht, die Stellungnahme der Versicherten sei wegen ungebührlichen Inhalts zur Verbesserung innert angesetzter Frist zurückzuweisen mit der Androhung, dass sie sonst unbeachtet bleibe; sodann sei eine angemessene Ordnungsbus- se auszufällen. Mit Schreiben vom 31. August 2001 verwahrt sich der Rechtsvertreter von E.________ gegen die bean- tragte Ordnungsbusse. Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1.- Die Stellungnahme der Beschwerdegegnerin weist mehrere Ausführungen ungebührlichen Inhalts auf, wie "die SUVA bei ihrem offensichtlich vorliegenden Psychiatrisie- rungssyndrom", "dem reduktionistischen Menschenbild der SUVA", "vom chronischsten Schleudertraumaleugner der SUVA" (gemeint ist Dr. S.________), "dass dieser Dr. S.________ nicht nur chronisch unzuverlässige Beurteilungen abgegeben hat, sondern sich auch nicht gescheut hat, andere Ärzte, die sich zum Wohl ihrer Patienten einsetzten, aufs Übelste zu beschimpfen", oder "der durch die Arbeitslast bedingten ständigen Verletzungen des Beschleunigungsgebotes". Indes- sen erweist sich eine Rückweisung gemäss Art. 30 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 135 OG - nachdem bereits in dem dem Rechtsvertreter kurz vor Ausarbeitung der Vernehmlassung zugestellten Urteil S. vom 12. April 2001, U 243/98, gleich entschieden worden war - insofern als nicht zweckmässig, als der Rechtsvertreter der Beschwerdegegnerin schon in anderen Verfahren mehrfach gezeigt hat, dass er anscheinend nicht gewillt ist, den gebotenen prozessualen Anstand zu wahren, und dass er sich auch durch wiederholte Ordnungs- bussen von dieser Haltung, die letztlich nicht im Interesse seiner Mandanten liegen kann, nicht abbringen liess. 2.- a) Die Vorinstanz hat die gesetzliche Bestimmung über den Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung (Art. 6 Abs. 1 UVG) sowie die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden im Allgemeinen (BGE 117 V 376), die gleichermassen in Fällen mit Schleu- derverletzungen der Halswirbelsäule (HWS) gilt (BGE 119 V 340 Erw. 2b/aa), zutreffend wiedergegeben. Richtig darge- legt hat es sodann auch die Rechtsprechung zu der für die Leistungspflicht der Unfallversicherung weiter vorausge- setzten Adäquanz des Kausalzusammenhangs zwischen einem Unfall und den in der Folge auftretenden Beschwerden im Allgemeinen (BGE 115 V 135). Darauf ist zu verweisen. b) Anzufügen ist, dass bei Unfällen mit Schleudertrau- ma der HWS oder äquivalenter Verletzung bei klar ausgewie- senen organischen Unfallfolgen die Adäquanz als rechtliche Einengung der sich aus dem natürlichen Kausalzusammenhang ergebenden Haftung praktisch keine Rolle spielt. Sie ist bei ausgewiesener natürlicher Kausalität ohne weiteres zu bejahen (BGE 127 V 103 Erw. 5b/bb, 123 V 102 Erw. 3b, 118 V 291 f. Erw. 3a, 117 V 365 Erw. 5d/bb mit Hinweisen). Bei der Beurteilung der Adäquanz von organisch nicht (hinrei- chend) nachweisbaren Unfallfolgeschäden muss bei Ereignis- sen mit Schleudertrauma der HWS oder äquivalenter Verlet- zung dagegen zunächst geprüft werden, ob die zum typischen Beschwerdebild einer solchen Verletzung gehörenden Beein- trächtigungen (vgl. dazu: BGE 119 V 337 Erw. 1, 117 V 360 Erw. 4b) zwar teilweise vorliegen, im Vergleich zur psy- chischen Problematik aber ganz in den Hintergrund treten. Trifft dies zu, sind für die Adäquanzbeurteilung die in BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa für Unfälle mit psychischen Fol- geschäden aufgestellten Grundsätze massgebend; andernfalls erfolgt die Beurteilung der Adäquanz gemäss den in BGE 117 V 366 Erw. 6a und 382 Erw. 4b festgelegten Kriterien (BGE 123 V 99 Erw. 2a). 3.- Die Beschwerdegegnerin leidet seit dem Unfall vom 30. Januar 1994 an einem zwischenzeitig chronisch geworde- nen zerviko-zephalen-vertebralen Schmerzsyndrom bei vorbe- stehenden degenerativen Bandscheibenveränderungen sowie persistierender radikulärer Reizsymptomatik C7/C8/Th1 und aufgepfropften Spannungskopfschmerzen. Die nach dem Unfall extensiv erfolgten Abklärungen hatten keine Hinweise auf eine strukturelle Läsion ausser den vorbestehenden degene- rativen Veränderungen hervorgebracht. Neurologische Ausfäl- le wurden ebenso wenig festgestellt. 4.- Wie von der Vorinstanz in Würdigung der Parteivor- bringen und der Akten festgestellt, stehen die Beschwerden in einem natürlich kausalen Zusammenhang zum versicherten Ereignis. Dies wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht näher in Frage gestellt. Streitig ist hingegen, ob die Diagnose der radikulären Reizsymptomatik, welche nach Aussage des Universitätsspitals Zürich vom 1. Juli 1997 die gesundheitliche Beeinträchtigung insgesamt erklärt, mit Vorinstanz und Beschwerdegegnerin als klarer organischer Befund zu werten ist, sodass der Frage nach der Adäquanz keine eigenständige Bedeutung beizumessen ist (vgl. Erw. 2b hievor). Die SUVA wendet dagegen ein, mit der Diagnose der ra- dikulären Reizsymptomatik werde lediglich das Beschwerde- bild fassbar gemacht. Ein eigentlicher organischer Befund läge damit aber nicht vor. Dieser sei vorliegend mangels ausgewiesener struktureller Schädigung der HWS und wegen fehlender neurologischer Ausfälle auszuschliessen, weshalb die adäquate Unfallkausalität nach den von der Rechtspre- chung für Schleudertraumen der HWS ohne nachweisbare orga- nische Unfallfolgen entwickelten Kriterien beurteilt werden müsse. Zur Klärung der Frage, ob dabei zwischen physischen und psychischen Komponenten und deren Auswirkungen auf die Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit zu differenzieren sei, wie dies die Judikatur bei einer beherrschenden Dominanz von psychischen Problemen über die übrigen zum typischen Beschwerdebild eines Schleudertraumas gehörenden Beein- trächtigungen verlange, seien zusätzliche Abklärungen unab- dingbar, was eine Rückweisung an die Anstalt zwecks weite- rer Abklärungen erforderlich mache. 5.- Wie dem Gutachten des Spitals X. vom 1. Juli 1997 zu entnehmen ist, kann eine radikuläre Reizsymptomatik durchaus auch funktioneller Natur sein, was heissen will, dass die Funktion des Organs gestört sein kann, ohne dass dieses selbst durch Unfall oder Krankheit verändert ist. Ob diesfalls von einem organisch klar nachweisbaren Funktions- ausfall gesprochen werden kann, der eine gesonderte Adäquanzprüfung obsolet werden lässt, ist fraglich. Wie es sich damit verhält, kann im Hinblick auf die nachstehenden Erwägungen indessen offen bleiben. 6.- Eine Beurteilung der Adäquanz nach der Rechtspre- chung beim Vorliegen eines Schleudertraumas oder einer äquivalenten Verletzung ohne organisch nachweisbare Funk- tionsausfälle ist entgegen der in der Verwaltungsgerichts- beschwerde vertretenen Auffassung für den hier interessie- renden Zeitraum bis zur Eröffnung des Einspracheentscheids (BGE 121 V 366 Erw. 1b mit Hinweisen) ohne weiteres mög- lich. Auch ohne zusätzliche Abklärungen zum psychischen Gesundheitszustand der Versicherten ist angesichts des Umstandes, dass keiner der sie bis zur Leistungseinstellung untersuchenden Ärzte einen klaren Verdacht auf das Vorlie- gen einer psychischen Störung geäussert hat, eine beherr- schende Dominanz psychischer Probleme über die persistenten Rücken-, Nacken-, und Kopfschmerzen sowie die Parästhesien auszuschliessen. 7.- a) Mit Blick auf den Unfallablauf (heftige Auf- fahrkollision) sowie die unmittelbar nach dem Unfallereig- nis aufgetretenen Beschwerden (Nacken- und Schulterschmer- zen sowie Trümmel) ist der Unfall als mittelschwer zu qua- lifizieren. Für die Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhangs muss daher eines der unfallbezogenen Beurteilungskriterien in besonders ausgeprägter Weise oder die zu berücksichti- genden Kriterien müssen in gehäufter oder auffallender Wei- se erfüllt sein (BGE 117 V 367 Erw. 6b). Auf eine Diffe- renzierung zwischen physischen und psychischen Komponenten und deren Auswirkungen auf die Arbeits- bzw. Erwerbsfähig- keit ist nach dem in Erw. 6 Gesagten zu verzichten (BGE 123 V 99 Erw. 2a). b) Der Unfall ereignete sich weder unter besonders dramatischen Begleitumständen noch ist er als besonders eindrücklich zu bezeichnen. Für das Vorliegen einer ärztli- chen Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich ver- schlimmerte, fehlt es in den Akten gänzlich an Anhaltspunk- ten. Die vor dem Unfall ausgeübte Teilzeittätigkeit konnte die Versicherte am 12. April zunächst zu 50 %, und am 19. August 1994 wieder vollständig aufnehmen, womit auch die Dauer der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht als erheblich zu bezeichnen ist. Dagegen liegen zwischen dem Unfall und dem Einstellungszeitpunkt immerhin schon gut 4 1/2 Jahre. Während dieser Zeit litt die Versicherte trotz zahlreicher Therapien an fluktuierenden Rücken-, Nacken- und Kopfbeschwerden bei einer radikulären Reizsymptomatik wechselnder Lokalität und einem chronischen zerviko-zepha- len-vertebralen Schmerzsyndrom. Die Beschwerden waren ein- zig im Sommer 1996 vorübergehend abgeklungen, was im Bericht des SUVA-Kreisarztes Dr. F.________ vom 12. Februar 1997 festgehalten ist. Weil die Behandlung dieser persis- tenten, wenn auch in schwankender Intensität auftretenden Beschwerden zum Verfügungszeitpunkt noch nicht abgeschlos- sen war - für die danach liegende Zeit bis zum Einsprache- entscheid finden sich in den Akten keine gesicherten Erkenntnisse -, sind die Kriterien der ungewöhnlichen langen Dauer der ärztlichen Behandlung, der Dauerbeschwer- den und des schwierigen Heilungsverlaufs als erfüllt zu betrachten. Darüber hinaus spricht auch die Art der erlit- tenen Verletzung für die Adäquanz (vgl. BGE 117 V 369 Erw. 7b). Auf Grund einer Gesamtwürdigung kommt dem Unfall vom 30. April 1994 eine massgebende Bedeutung für die zum Zeit- punkt der Leistungseinstellung vom 15. Dezember 1998 vor- handenen Beschwerden zu, weshalb das Bejahen der Adäquanz des Kausalzusammenhangs durch die Vorinstanz im Ergebnis zu bestätigen ist. Die SUVA wird daher ihre gesetzlichen Leis- tungen über den 15. Dezember 1998 hinaus zu erbringen haben. Sodann wird sie, wie im angefochtenen Rückweisungs- entscheid angeordnet, die Rentenfrage prüfen und hiefür die erforderlichen Abklärungen tätigen. 8.- Wegen Verletzung des durch die guten Sitten gebo- tenen Anstandes durch die in Erw. 1 hievor beispielhaft aufgezählten Äusserungen ist dem Rechtsvertreter der Beschwerdegegnerin in Anwendung von Art. 31 Abs. 1 OG eine Ordnungsbusse aufzuerlegen, die angesichts der Schwere des Disziplinarfehlers sowie des Umstandes, dass es sich um einen Wiederholungsfall handelt (Urteile S. vom 12. April 2001, U 243/98, und W. vom 17. Dezember 1996, U 155/96), im gesetzlichen Höchstbetrag festzusetzen ist. Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. III. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren vor dem Eidgenös- sischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwert- steuer) zu bezahlen. IV. Rechtsanwalt Dr. X.________ wird eine Ordnungsbusse von Fr. 300.- auferlegt. V. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge- richt des Kantons Glarus und dem Bundesamt für Sozial- versicherung zugestellt. Luzern, 13. Dezember 2001 Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: