Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 200/2001
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2001
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2001


U 200/01

Urteil vom 9. Dezember 2002
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiberin
Fleischanderl

A._________, 1950, Beschwerdeführer, vertreten durch
Advokat Daniel Dietrich, Steinenschanze 6, 4051 Basel,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 25. April 2001)

Sachverhalt:

A.
Der 1950 geborene A._________ war seit 1988 als Gerüstbauarbeiter bei der
Firma R.________ AG tätig und damit bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Berufs- und
Nichtberufsunfällen versichert. Am 16. Mai 1996 erlitt er durch einen
Verkehrsunfall in Jugoslawien ein Polytrauma, welches in der Folge u.a. die
operative Versorgung einer hinteren Acetabulumfraktur rechts notwendig
machte. Nach mehreren Spital- und Rehabilitationsaufenthalten (vom 21. Mai
bis 12. Juni 1996 sowie vom 12. bis 14. Februar 1998 im Spital X.________,
vom 13. Juni bis 11. Juli 1996 in der Rehaklinik Y.________ und vom 25. März
bis 22. April 1998 in der Rehaklinik Z.________) sowie konservativer
medizinischer Behandlung holte die SUVA, welche Versicherungsleistungen
erbracht hatte (Heilungskosten, Taggelder), u.a. einen Austrittsbericht der
Rehaklinik Z.________ vom 26. Mai 1998, eine Stellungnahme ihres Kreisarztes
Dr. med. W.________ vom 8. Juni 1998 sowie - in beruflich-erwerblicher
Hinsicht - einen Lohnbuchauszug der ehemaligen Arbeitgeberin vom 3. Juli 1998
und einen Bericht über die berufliche Abklärung vom 18. September 1998 ein.
Gestützt darauf sprach sie dem Versicherten mit Verfügung vom 20. Oktober
1998 eine Invalidenrente auf der Basis eines Invaliditätsgrades von 33 1/3 %
mit Wirkung ab 1. September 1998 und eine Integritätsentschädigung auf Grund
einer Integritätseinbusse von 25 % zu. Auf Einsprache hin, mit welcher
A._________ den der Invalidenrente zugrunde liegenden Invaliditätsgrad
beanstandet hatte, setzte die SUVA diesen auf 45 % fest; im Übrigen
bestätigte sie ihre Verfügung (Einspracheentscheid vom 19. August 1999).

B.
Beschwerdeweise liess A._________ geltend machen, in Aufhebung des
Einspracheentscheides sei ihm ab 1. September 1998 eine dem effektiven
Invaliditätsgrad entsprechende, mindestens aber auf einer Invalidität von 67
% beruhende Rente zuzusprechen. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau
wies die Rechtsvorkehr mit Entscheid vom 25. April 2001 ab.

C.
A._________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und sein
vorinstanzlich gestelltes Rechtsbegehren erneuern. Zudem ersucht er um
Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung.

Während die SUVA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst,
verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist der Invaliditätsgrad, auf Grund dessen die
Invalidenrente festzusetzen ist.

2.
Das kantonale Gericht hat die massgebenden Bestimmungen und Grundsätze über
den Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 18 Abs. 1 UVG), den Begriff der
Invalidität (Art. 18 Abs. 2 Satz 1 UVG), die Bemessung des Invaliditätsgrades
bei erwerbstätigen Versicherten nach der Methode des Einkommensvergleichs
(Art. 18 Abs. 2 Satz 2 UVG), die Rechtsprechung zum Begriff des
ausgeglichenen Arbeitsmarktes (BGE 110 V 276 Erw. 4b mit Hinweis; RKUV 1991
Nr. U 130 S. 272 Erw. 3b; vgl. auch ZAK 1991 S. 320 Erw. 3b) und zur
Bedeutung ärztlicher Auskünfte im Rahmen der Invaliditätsschätzung (BGE 115 V
134 Erw. 2, 114 V 314 Erw. 3c, 105 V 158 f. Erw. 1; vgl. auch BGE 125 V 261
Erw. 4 mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.
Was die noch zumutbare Arbeitsfähigkeit anbelangt, ist unbestritten, dass der
Beschwerdeführer die bisherige Tätigkeit als Gerüstbauarbeiter nicht mehr
ausüben kann. Gemäss Austrittsbericht der Rehaklinik Z.________ vom 26. Mai
1998 ist der Versicherte nur noch in der Lage, wenige Minuten zu stehen sowie
mit Stock 200 Meter und ohne Stock 20 Meter weit zu gehen. Ebenfalls als
erschwert wurden die vorgeneigte Haltung, das Hantieren von Gewichten und
längerdauerndes Sitzen ohne Unterbruch bezeichnet. Zusätzlich bestehen
leichte Gedächtnisstörungen sowie eine erhöhte Ermüdbarkeit bei allgemein
reduzierter Ausdauer. Auf Grund dieser Beeinträchtigungen ist dem
Versicherten nach Auffassung der Ärzte eine vorwiegend sitzende, teils
wechselbelastende Arbeit ganztags mit vermehrten Pausen zuzumuten, wobei
diesen vermehrten Pausen gemäss Bericht über die berufliche Abklärung vom 18.
September 1998, worin auf ergänzende Auskünfte der Rehaklinik Z.________
Bezug genommen wird, mit der Annahme eines eingeschränkten Arbeitspensums von
sechs - anstelle der üblichen acht - Stunden pro Tag Rechnung zu tragen ist.
Von dieser Einschätzung abzuweichen besteht weder im Lichte der
letztinstanzlichen Vorbringen der Parteien noch zufolge sich aus den Akten
ergebender Anhaltspunkte hinreichend Anlass.

4.
Streitig und zu prüfen bleiben die erwerblichen Auswirkungen der
festgestellten Einschränkung der Arbeitsfähigkeit. Zu berücksichtigen gilt es
in diesem Zusammenhang, dass rechtsprechungsgemäss (noch nicht in der
Amtlichen Sammlung publiziertes Urteil D. vom 23. Mai 2002, U 234/00) für die
Vornahme des Einkommensvergleichs grundsätzlich auf die Gegebenheiten im
Zeitpunkt des Rentenbeginns (vorliegend: 1. September 1998) abzustellen ist,
und zwar sowohl hinsichtlich des Validen- wie des Invalideneinkommens.

4.1 Zur Bemessung des Valideneinkommens hat die SUVA, bestätigt durch das
kantonale Gericht, zu Recht auf die bei der ehemaligen Arbeitgeberin
eingeholten schriftlichen Auskünfte vom 3. Juli 1998 abgestellt, wonach dem
Beschwerdeführer im Gesundheitsfalle ab 1. April 1998 ein monatlicher Lohn
von Fr. 5030.- (x 13) ausbezahlt worden wäre, und ein massgebliches
hypothetisches Jahreseinkommen von Fr. 65'390.- angenommen.

4.2 Für die Bestimmung des Invalideneinkommens ist primär von der
beruflich-erwerblichen Situation auszugehen, in welcher die versicherte
Person konkret steht. Ist - wie vorliegend - kein solches tatsächlich
erzieltes Erwerbseinkommen gegeben, namentlich weil die versicherte Person
nach Eintritt des Gesundheitsschadens keine oder jedenfalls keine ihr an sich
zumutbare neue Erwerbstätigkeit aufgenommen hat, so können nach der
Rechtsprechung Tabellenlöhne herangezogen werden (BGE 126 V 76 f. Erw. 3b/bb
mit Hinweisen).

4.2.1 Die SUVA hat im Rahmen der Festsetzung des Invalideneinkommens fünf
Arbeitsplatzprofile aus ihrer Dokumentation über Arbeitsplätze (DAP)
beigezogen (Einfüll- und Abpacker in einem pharmazeutischen Betrieb [DAP Nr.
1139], Papierschneider und -stapler in einer im graphischen Bereich tätigen
Unternehmung [DAP Nr. 923], Monteur in einem Betrieb für Bauelemente [DAP Nr.
1076], Kontrolleur in einem Industriebetrieb [DAP Nr. 3241], Zeitschreiber in
einer Metallwarenfabrik [DAP Nr. 574]) und den dort durchschnittlich
erzielbaren Lohn in ihrem Einspracheentscheid vom 19. August 1999 mit Fr.
47'364.- beziffert. In Berücksichtigung des Umstands, dass dem
Beschwerdeführer nicht mehr eine Vollzeitbeschäftigung von acht, sondern
lediglich noch ein Teilpensum von sechs Stunden täglich zumutbar ist, hat sie
diesen Verdienst sodann um 25 % gekürzt und das relevante Invalideneinkommen
auf Fr. 35'523.- festgelegt. Mit der Begründung, wenn das Pensum auf Grund
lohnwirksamer Pausen um 25 % reduziert werde, sei den Behinderungen des
Beschwerdeführers, einschliesslich den psychischen und psychosomatischen
Beeinträchtigungen sowie neuropsychologischen Defiziten, genügend Rechnung
getragen, sodass kein zusätzlicher leidensbedingter Abzug vorzunehmen sei,
ansonsten die Leiden doppelt berücksichtigt würden, lehnten SUVA und
Vorinstanz die vom Beschwerdeführer - auch letztinstanzlich erneut -
anbegehrte Kürzung um nochmals 25 % ab.

4.2.2 Ob die von der SUVA herangezogenen Arbeitsplatzprofile eine
zuverlässige und hinreichende Grundlage für die Invaliditätsbemessung
darstellen - drei der beschriebenen Tätigkeiten bedingen ein sehr häufiges
oder häufiges Heben und Tragen von Gewichten bis 5 kg bis Lendenhöhe und zwei
Beispiele nennen als körperliche Anforderung immerhin das selten oder
manchmal notwendige Heben und Tragen von Gewichten zwischen 5 und 10 kg bis
Lendenhöhe - wie auch die Frage, ob das gestützt auf DAP-Angaben ermittelte
Invalideneinkommen um einen Leidensabzug zu kürzen ist (vgl. dazu RKUV 1999
Nr. U 343 S. 412), kann offen bleiben. Wie im Folgenden darzulegen ist,
ergibt das Abstellen auf die Ergebnisse der vom Bundesamt für Statistik
durchgeführten schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) keinen höheren als
den von SUVA und Vorinstanz festgestellten Invaliditätsgrad.

4.2.3 Können die Versicherten nur noch körperlich leichte und intellektuell
nicht anspruchsvolle Arbeiten verrichten, ist in der Regel vom
durchschnittlichen monatlichen Bruttolohn («total») für Männer oder Frauen
bei einfachen und repetitiven Tätigkeiten (Anforderungsniveau des
Arbeitsplatzes 4) im privaten Sektor (LSE 1998, S. 25 Tabelle TA1)
auszugehen. Dieser standardisierte monatliche Bruttolohn (Zentralwert) für
Männer beträgt Fr. 4268.-. Wird der auf 40 Wochenstunden basierende Betrag
auf die durchschnittliche betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit im Jahr
1998 von 41,9 Stunden (Die Volkswirtschaft, 1/2002, S. 92 Tabelle B9.2)
hochgerechnet, resultiert ein Verdienst von Fr. 53'648.80 bzw. in
Berücksichtigung des um 25 % eingeschränkten Arbeitspensums von Fr. 40'236.60
jährlich.

Zum Einwand des Beschwerdeführers, es sei ein zusätzlicher Leidensabzug zu
berücksichtigen, ist festzuhalten, dass gemäss Rechtsprechung (BGE 126 V 78
ff. Erw. 5) die Frage, ob und in welchem Ausmass Tabellenlöhne herabzusetzen
sind, von sämtlichen persönlichen und beruflichen Umständen des konkreten
Einzelfalls abhängt (leidensbedingte Einschränkung, Alter, Dienstjahre,
Nationalität/Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad), welche nach
pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen sind, wobei der maximal
zulässige Abzug auf 25 % festzusetzen ist (BGE 126 V 79 f. Erw. 5b). Im
vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für einen so genannten
leidensbedingten Abzug erfüllt, weil zufolge des Gesundheitsschadens die
Leistungsfähigkeit auch im Rahmen einer geeigneten leichteren Tätigkeit
beeinträchtigt und deshalb möglicherweise ein geringerer Lohn zu erzielen
ist. Da den Behinderungen des Beschwerdeführers indes bereits durch die
Annahme eines um 25 % reduzierten Arbeitspensums teilweise Rechnung getragen
wurde (vgl. Erw. 3 hievor), kann ein Abzug diesbezüglich nur noch in geringem
Masse erfolgen. Der Abzug ist daher auf 10 % festzusetzen, was zu einem
massgeblichen Invalideneinkommen von Fr. 36'213.- führt.

4.3 Aus der Gegenüberstellung von Validen- (Fr. 65'390.-) und
Invalideneinkommen (Fr. 36'213.-) resultiert ein Invaliditätsgrad von gut 45
%. Der vorinstanzliche Entscheid und der Einspracheentscheid der SUVA vom 19.
August 1999 sind somit rechtens.

5.
Da es im vorliegenden Verfahren um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss
Art. 134 OG keine Gerichtskosten zu erheben. Dem Gesuch um unentgeltliche
Verbeiständung kann entsprochen werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135
OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als
aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw.
4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art.
152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der
Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande
ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Advokat Daniel
Dietrich für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus
der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 9. Dezember 2002

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: