Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 185/2001
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U 185/01

Urteil vom 24. Dezember 2002
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber
Krähenbühl

SOLIDA Versicherungen AG, Saumackerstrasse 35, 8048 Zürich,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Marianne I. Sieger,
Kuttelgasse 8, 8001 Zürich,

gegen

S.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch ihren Ehemann

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 10. April 2001)

Sachverhalt:

A.
Die 1943 geborene, als Tierärztin (med. vet.) ausgebildete S.________
arbeitete seit August 1994 als Sachbearbeiterin/Underwriter bei der
Z.________, als sie sich am 14. Juli 1995 bei einem Sturz mit dem Fahrrad
nebst weiteren schweren Verletzungen ein Schädelhirn-Trauma mit ausgeprägtem
Epidural-Hämatom zuzog. Mit Verfügung vom 6. Februar 1998 gewährte ihr die
Eidgenössische Invalidenversicherung unter Anerkennung einer 100%igen
Erwerbsunfähigkeit rückwirkend ab 1. Juli 1996 eine ganze Invalidenrente. Die
SOLIDA Versicherungen AG, Unfallversicherung Schweizerischer Krankenkassen
(nachstehend: SOLIDA), sprach ihr am 18. Februar 1998 verfügungsweise -
ebenfalls auf der Grundlage einer vollständigen Erwerbsunfähigkeit und
ausgehend von einem versicherten Jahresverdienst von Fr. 71'804.-- - ab 1.
März 1998 eine Komplementärrente von monatlich Fr. 4'216.-- zu. Daran hielt
sie mit Einspracheentscheid vom 8. Juni 1999 fest.

B.
Beschwerdeweise beantragte S.________ eine Erhöhung der zugesprochenen
Komplementärrente. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich gelangte
zum Schluss, dass die SOLIDA zwar den versicherten Verdienst korrekt
ermittelt habe, dass im Rahmen der Überversicherungsberechnung (nach Art. 40
UVG) indessen bezüglich des Valideneinkommens resp. des mutmasslich
entgangenen Verdienstes vom Einkommen einer Tierärztin auszugehen sei. Mit
Entscheid vom 10. April 2001 hiess es die Beschwerde deshalb in dem Sinne
gut, dass es die Sache an die SOLIDA zurückwies, damit diese "das
Valideneinkommen einer auf dem Gebiet 'Amtsfunktionen und
Lebensmittelhygiene' tätigen Tierärztin ermittle" und gestützt darauf die
Berechnung der Komplementärrente neu vornehme.

C.
Die SOLIDA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren um Aufhebung
des kantonalen Entscheids und Bestätigung ihres Einspracheentscheids vom 8.
Juni 1999.

S. ________ äussert sich zur Sache, ohne einen konkreten Antrag zu stellen.
Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Zu prüfen ist die Höhe der der Versicherten und heutigen Beschwerdegegnerin
zustehenden Komplementärrente. Zum Streitgegenstand gehören damit
grundsätzlich alle für deren Bemessung wesentlichen Elemente, mithin
insbesondere auch der der Rentenberechnung nach Art. 15 UVG zugrunde zu
legende versicherte Verdienst. Dass die Bestätigung des in der Verfügung vom
18. Februar 1998 und im Einspracheentscheid vom 8. Juni 1999 festgelegten
versicherten Verdienstes durch die Vorinstanz in der vom Unfallversicherer
erhobenen Verwaltungsgerichtsbeschwerde erwartungsgemäss unbeanstandet
geblieben ist und die Versicherte selbst ihre dagegen gerichteten Einwände
erst in der am 10. Juli 2001 eingereichten Vernehmlassung vorbringt, innert
der gegen den kantonalen Entscheid vom 10. April 2001 gegebenen
Rechtsmittelfrist jedoch nicht selbstständig Beschwerde erhoben hat, steht
einer diesbezüglichen Überprüfung durch das Eidgenössische
Versicherungsgericht nicht entgegen (vgl. BGE 125 V 413).

2.
2.1 Nach Art. 15 UVG werden Taggelder und Renten nach dem versicherten
Verdienst bemessen (Abs. 1). Als versicherter Verdienst gilt für die
Bemessung der Taggelder der letzte vor dem Unfall bezogene Lohn, für die
Bemessung der Renten der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogene Lohn
(Abs. 2). Art. 22 Abs. 2 UVV sieht vor, dass als versicherter Verdienst
grundsätzlich der nach der Bundesgesetzgebung über die Alters- und
Hinterlassenenversicherung massgebende Lohn gilt, wobei in lit. a-d einzelne
Abweichungen hievon aufgeführt werden. Nach Abs. 4 derselben Norm gilt als
Grundlage für die Bemessung der Renten der innerhalb eines Jahres vor dem
Unfall bei einem oder mehreren Arbeitgebern bezogene Lohn, einschliesslich
noch nicht ausbezahlter Lohnbestandteile, auf die ein Rechtsanspruch besteht
(Satz 1); dauerte das Arbeitsverhältnis nicht das ganze Jahr, so wird der in
dieser Zeit bezogene Lohn auf ein volles Jahr umgerechnet (Satz 2); bei einer
zum Voraus befristeten Beschäftigung bleibt die Umrechnung auf die
vorgesehene Dauer beschränkt (Satz 3).

Gemäss Art. 15 Abs. 3 Satz 3 UVG erlässt der Bundesrat Bestimmungen über den
versicherten Verdienst in Sonderfällen, namentlich bei Versicherten, die
nicht oder noch nicht den berufsüblichen Lohn erhalten (lit. c). Gestützt auf
diese Delegationsnorm hat der Bundesrat in Art. 24 UVV unter dem Titel
"massgebender Lohn für Renten in Sonderfällen" ergänzende Vorschriften
erlassen. Laut Abs. 3 dieser Bestimmung wird der versicherte Verdienst, wenn
der Versicherte wegen beruflicher Ausbildung am Tage des Unfalles nicht den
Lohn eines Versicherten mit voller Leistungsfähigkeit derselben Berufsart
bezog, von dem Zeitpunkt an, da er die Ausbildung abgeschlossen hätte, nach
dem Lohn festgesetzt, den er im Jahr vor dem Unfall als voll Leistungsfähiger
erzielt hätte.

2.2 Nach Art. 20 Abs. 1 UVG beträgt die Invalidenrente bei Vollinvalidität 80
% des versicherten Verdienstes; bei Teilinvalidität wird sie entsprechend
gekürzt. Hat der Versicherte Anspruch auf eine Rente der
Invalidenversicherung oder auf eine Rente der Alters- und
Hinterlassenenversicherung, so wird ihm laut Art. 20 Abs. 2 UVG eine
Komplementärrente gewährt; diese entspricht der Differenz zwischen 90 % des
versicherten Verdienstes und der Rente der Invaliden- oder der Alters- und
Hinterlassenenversicherung, höchstens aber dem für Voll- oder Teilinvalidität
vorgesehenen Betrag (Satz 1).

Des Weitern sieht Art. 40 UVG vor, dass, wenn keine Koordinationsregel dieses
Gesetzes eingreift, Geldleistungen soweit gekürzt werden, als sie mit den
anderen Sozialversicherungsleistungen zusammentreffen und den mutmasslich
entgangenen Verdienst übersteigen (Satz 1).

3.
3.1 Der Beschwerde führende Unfallversicherer hat den versicherten Verdienst
von Fr. 71'804.- nach Massgabe von Art. 15 Abs. 2 UVG in Verbindung mit Art.
22 Abs. 4 Satz 2 UVV festgesetzt, indem er den ab August 1994 bis zum Ende
des dem versicherten Unfall vom 14. Juli 1995 vorangegangenen Monats bei der
Z.________ als Sachbearbeiterin/Underwriter effektiv realisierten Lohn auf
ein ganzes Jahr umrechnete.

Die heutige Beschwerdegegnerin stellt sich demgegenüber auf den Standpunkt,
nachdem sie an den veterinärmedizinischen Fakultäten der Universitäten
X.________ und Y.________ Weiterbildungskurse auf dem Gebiet "Amtsfunktionen
und Lebensmittelhygiene" besucht habe, um den Wiedereinstieg in ihren
erlernten Beruf als Tierärztin zu erleichtern, habe sie als Werkstudentin zu
gelten; gestützt auf Art. 24 Abs. 3 UVV müsse deshalb als versicherter
Verdienst der nach Abschluss ihrer Zusatzausbildung erzielbare Lohn als
Tierärztin berücksichtigt werden.

3.2 Wie das kantonale Gericht zu Recht erkannt hat, kann die
Beschwerdegegnerin aus Art. 28 Abs. 1 UVV nichts zu ihren Gunsten ableiten,
da diese Norm ausschliesslich die Ermittlung des - vorliegend
anerkanntermassen 100 % ausmachenden - Invaliditätsgrades und nicht die
Bestimmung des versicherten Verdienstes betrifft.

Des Weitern ist der Vorinstanz auch darin beizupflichten, dass Art. 24 Abs. 3
UVV keine Anwendung findet. Die Beschwerdegegnerin stand in einem
gewöhnlichen (Teilzeit-)arbeitsverhältnis, auf welches rechtsprechungsgemäss
die Regelung von Art. 15 Abs. 2 UVG in Verbindung mit Art. 22 Abs. 4 UVV
Anwendung findet (vgl. RKUV 2002 Nr. U 455 S. 147 f. Erw. 3a mit Hinweisen).
Es besteht, entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin, kein Anlass, vom
allgemeinen Grundsatz der Rentenbemessung nach dem effektiven Jahreslohn vor
dem Unfall abzuweichen und die Ausnahmebestimmung des Art. 24 Abs. 3 UVV zur
Anwendung zu bringen. Nach Rechtsprechung und Lehre (vgl. RKUV 2002 Nr. U 455
S. 148 Erw. 3b mit Hinweisen) verlangt der klare Wortlaut dieser Bestimmung,
dass die Entlöhnung der die Versicherung bedingenden Tätigkeit "wegen der
Ausbildung" niedriger ist als der Lohn des "voll Leistungsfähigen derselben
Berufsart". Die berufliche Ausbildung selbst muss ursächlich kausal sein für
den kleineren, berufsunüblichen Lohn. Ausserdem muss die versicherte
Erwerbstätigkeit die gleiche sein wie die künftig für die Zeit nach Abschluss
der Ausbildung vorgesehene Betätigung.

Da die Beschwerdegegnerin unbestrittenermassen den für die ausgeübte Arbeit
als Sachbearbeiterin einer Krankenkasse üblichen und nicht etwa
ausbildungsbedingt einen geringeren Lohn erhielt, kann ihr demnach als
versicherter Verdienst nicht gestützt auf Art. 24 Abs. 3 UVV das Einkommen
angerechnet werden, das sie allenfalls als Tierärztin erreichen könnte. Die
Unfallversicherung hat nicht dafür einzustehen, dass die Beschwerdegegnerin,
obschon dies ausbildungsmässig an sich möglich gewesen wäre, nicht eine
Stelle im erlernten Beruf, sondern statt dessen in einer berufsfremden
Branche mit deutlich tieferem Lohnniveau angenommen hat.

3.3 Eine verfassungswidrige Benachteiligung von Werkstudenten kann darin
nicht erblickt werden. Der diesbezüglich in formeller Hinsicht seitens der
Beschwerdegegnerin erhobene Vorwurf, wonach das kantonale Gericht den
Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe, indem es sich nicht mit ihrer
auf einem Verstoss gegen den verfassungsmässigen Gleichbehandlungsgrundsatz
aufbauenden Argumentation auseinander gesetzt habe, entbehrt jeder Grundlage.
In Erw. 4c des angefochtenen Entscheids begründet die Vorinstanz einlässlich,
weshalb der Auffassung der Beschwerdegegnerin nicht gefolgt werden kann.

Im Übrigen bleibt darauf hinzuweisen, dass das Eidgenössische
Versicherungsgericht in dem in RKUV 2002 Nr. U 455 S. 145 publizierten Urteil
ausdrücklich festgestellt hat, dass es weder gegen das Gleichheitsgebot (Art.
8 Abs. 1 BV) noch gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 BV)
verstösst, wenn der versicherte Verdienst für die Bemessung der Rente aus der
teilzeitlichen Erwerbstätigkeit eines Werkstudenten nach der allgemeinen
Regel von Art. 15 Abs. 2 UVG in Verbindung mit Art. 22 Abs. 4 UVV ermittelt
wird (vgl. RKUV 2002 Nr. U 455 S. 149 f. Erw. 3c). Der Frage, ob die
Beschwerdegegnerin überhaupt als Werkstudentin gelten kann, braucht daher
nicht weiter nachgegangen zu werden.

3.4 Es lässt sich demnach nicht beanstanden, dass die SOLIDA bei der
Bestimmung des versicherten Verdienstes von dem in der Z.________ erzielten
Einkommen ausgegangen ist. Dass der versicherte Verdienst dabei rechnerisch
nicht korrekt festgelegt worden wäre, wird nicht behauptet.

4.
4.1 Bezüglich der Folgen, welche sich aus dem Zusammentreffen der Rente der
Unfallversicherung mit derjenigen der Invalidenversicherung ergeben, ist die
Vorinstanz von einer im Rahmen einer Überversicherungsberechnung nach Art. 40
UVG vorzunehmenden Leistungskürzung ausgegangen, wobei hier als mutmasslich
entgangener Verdienst das Einkommen einzusetzen sei, das eine Tierärztin mit
Zusatzausbildung auf dem Gebiet "Amtsfunktionen und Lebensmittelhygiene"
erreichen könne. Vom Beschwerde führenden Unfallversicherer wird demgegenüber
die Anwendbarkeit von Art. 40 UVG auf den vorliegenden Fall bestritten.

4.2 Die Regelung in Art. 40 UVG, wonach Geldleistungen der Unfallversicherung
soweit gekürzt werden, als sie mit anderen Sozialversicherungsleistungen
zusammentreffen und den mutmasslich entgangenen Verdienst übersteigen, steht
unter dem in dieser Gesetzesbestimmung ausdrücklich genannten Vorbehalt, dass
keine Koordinationsregel des UVG eingreift.

Wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu Recht geltend gemacht wird,
findet sich in Art. 20 Abs. 2 UVG eine Art. 40 UVG vorgehende
Koordinationsregel für den Fall des Zusammentreffens von Rentenleistungen der
Unfallversicherung einerseits und der Invalidenversicherung andererseits.
Entgegen der vorinstanzlichen Betrachtungsweise bleibt demnach für die
Anwendung von Art. 40 UVG kein Raum (vgl. BGE 121 V 132 vor Erw. 3). Die
angefochtene Rückweisung der Sache zur Ermittlung des mutmasslich entgangenen
Verdienstes als Tierärztin erübrigt sich, da sich die Bemessung der
Komplementärrente nach Art. 20 Abs. 2 UVG ausschliesslich am versicherten
Verdienst orientiert.

5.
Anhaltspunkte für eine betraglich fehlerhafte Festsetzung der
Komplementärrente sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht geltend
gemacht. Der Einspracheentscheid der Beschwerdeführerin vom 8. Juni 1999 ist
demnach zu bestätigen.

6.
Als mit der Durchführung einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe betraute
Organisation steht der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin trotz
Obsiegens keine Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 10. April 2001 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 24. Dezember 2002

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: