Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 174/2001
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2001
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2001


U 174/01 Vr

                        III. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Spira und Ursprung;
Gerichtsschreiber Fessler

               Urteil vom 13. Dezember 2001

                         in Sachen

Winterthur Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft,
General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur, Beschwerde-
führerin, vertreten durch Rechtsanwalt Guy Reich, Münch-
haldenstrasse 24, 8008 Zürich,

                           gegen

Dr. med. vet. D.________, 1957, Beschwerdegegner, vertreten
durch Rechtsanwalt Dr. Max Sidler, Untermüli 6, 6302 Zug,

                            und

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

     A.- D.________, Dr. med. vet., zog sich am 12. Januar
1996 beim Reiten eine Patellatrümmerfraktur links mit aus-
gedehnter Weichteilverletzung am linken Knie zu. Die Win-
terthur Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft, bei wel-
cher er freiwillig unfallversichert war, erbrachte die ge-
setzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld).

     Mit Verfügung vom 22. Februar 1999 sprach die Winter-
thur D.________ eine ab 1. März 1999 laufende Invaliden-
rente von monatlich Fr. 1430.- (Invaliditätsgrad: 30 %)
sowie eine Integritätsentschädigung in der Höhe von
Fr. 34'020.- (Integritätseinbusse: 35 %) zu. In teilweiser
Gutheissung der hiegegen erhobenen Einsprache setzte sie
mit Entscheid vom 4. Februar 2000 den Invaliditätsgrad auf
33 1/3 % fest, was eine Rente von Fr. 1589.- ergab.

     B.- Die von D.________ hiegegen erhobene Beschwerde
hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit
Entscheid vom 27. März 2001 in dem Sinne gut, dass es den
Einspracheentscheid vom 4. Februar 2000 aufhob und die Sa-
che an die Winterthur zurückwies, damit diese nach einem
korrekt durchgeführten Beweisverfahren über den Rentenan-
spruch neu verfüge.

     C.- Die Winterthur führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
mit dem sinngemässen Rechtsbegehren, der Gerichtsentscheid
sei aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung an
das kantonale Sozialversicherungsgericht zurückzuweisen.
     D.________ lässt die Abweisung der Verwaltungs-
gerichtsbeschwerde beantragen. Das Bundesamt für Sozial-
versicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz zu
Recht wegen einer nicht heilbaren Verletzung des rechtli-
chen Gehörs durch die Winterthur den Einspracheentscheid
vom 4. Februar 2000 aufgehoben und die Sache ohne materiel-
le Beurteilung an den Unfallversicherer zurückgewiesen hat.
Dabei ist von folgendem Sachverhalt auszugehen: Nach Ein-
sprache gegen die Verfügung vom 22. Februar 1999 ordnete
der Unfallversicherer am 29. Juli 1999 die Begutachtung
durch Prof. Dr. med. G.________ von der Klinik X.________

an und gab dem Versicherten Gelegenheit, Einwendungen gegen
die Person des Experten vorzubringen und diesem allfällige
Ergänzungsfragen zu stellen. Dieser liess mit Schreiben vom
22. September durch seinen Rechtsvertreter (Dr. iur. Max
Sidler) mitteilen, in Anbetracht der klaren und eindeutigen
medizinischen Akten weigere er sich, sich der Begutachtung
zu unterziehen. Eine spezielle Androhung der Folgen der
Weigerung sei nicht notwendig. Auf die Ankündigung der
Winterthur vom 5. Oktober 1999, ein Aktengutachten
einzuholen, ersuchte Dr. Sidler am 11. Oktober 1999 um
Bekanntgabe des Experten und Zustellung des Fragenkata-
loges. Bezug nehmend auf die Weigerung vom 22. September
1999, sich einer abschliessenden Begutachtung zu unterzie-
hen, erklärte sich der Unfallversicherer in seiner Antwort
vom 18. Oktober 1999 bereit, «das (nachträgliche) rechtli-
che Gehör zu gewähren, indem wir Ihnen das Aktengutachten
vor Erlass des Einspracheentscheides zur Stellungnahme un-
terbreiten». In der Folge verzichtete der Versicherte auf
eine Stellungnahme zur Expertise des Prof. Dr. med.
A.________, Chefarzt Klinik für Orthopädische Chirurgie
Spital Y.________, vom 14. Januar 2000.

     2.- Unter den Verfahrensbeteiligten ist unbestritten,
dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gegeben ist.
Das Aktengutachten des Prof. Dr. med. A.________ vom
14. Januar 2000 ist erstellt worden, ohne dass der Be-
schwerdegegner vorgängig zur Person des Experten und zu den
ihm vorgelegten Fragen hatte Stellung nehmen können (vgl.
Art. 57 ff. BZP sowie BGE 120 V 357). Nach Auffassung der
Vorinstanz ist dieser Mangel nicht heilbar. Daran ändere
nichts, dass der Versicherte sich im Zusammenhang mit der
in Aussicht genommenen Begutachtung durch Prof. Dr. med.
G.________ geweigert habe, sich einer weiteren medizini-
schen Untersuchung zu unterziehen. In diesem Verhalten
könne weder ein Verzicht auf den weiteren Gehörsanspruch
erblickt werden, noch habe es mit einer Verweigerung des
rechtlichen Gehörs bezüglich der Anordnung eines Aktengut-

achtens sanktioniert werden dürfen. In Bezug auf diese
Expertise hätte dem Versicherten auf jeden Fall Gelegenheit
geboten werden müssen, sich zu den Fragen an den Sachver-
ständigen zu äussern, Abänderungs- und Ergänzungsfragen zu
stellen und zur Person des in Aussicht genommenen Gutach-
ters Einwendungen vorzubringen. Dadurch, dass ihm nachträg-
lich Gelegenheit geboten worden sei, zum Aktengutachten des
Prof. Dr. med. A.________ Stellung zu nehmen, sei die vor-
gängige Gehörsverletzung nicht geheilt worden.

     3.- a) Bei der Prüfung der Frage, ob eine Vorinstanz
einen festgestellten Verfahrensmangel zu Recht als unheil-
bar erachtet hat, auferlegt sich das Eidgenössische Ver-
sicherungsgericht praxisgemäss Zurückhaltung (RKUV 1998
Nr. U 309 S. 462 Erw. 4c). In diesem Sinne verfügt der
erstinstanzliche Richter über einen gewissen Beurteilungs-
spielraum. In diesen greift er nur ein, wenn unter Berück-
sichtigung der Prozessdauer sowie der Interessenlage des
Versicherten Art und Ausmass der Verletzung nicht allzu
schwer erscheint und der Gehörsanspruch nicht seines we-
sentlichen Inhaltes entleert wird. In diesem Zusammenhang
ist an die Rechtsprechung zu erinnern, wonach eine Verlet-
zung des Art. 57 Abs. 2 BZP durch den Unfallversicherer für
sich allein genommen nicht schwer wiegt und angesichts der
umfassenden Kognition der kantonalen Beschwerdeinstanz und
des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (bei Streitigkei-
ten um Versicherungsleistungen [Art. 132 OG]) in rechtli-
cher und tatsächlicher Hinsicht ohne weiteres heilbar ist
(BGE 120 V 362 f. Erw. 2b mit Hinweisen). Dies muss vorlie-
gend umso mehr gelten, nachdem der Versicherte vor Erlass
des Einspracheentscheides Gelegenheit erhalten hatte, zum
Aktengutachten des Prof. Dr. med. A.________ vom 14. Januar
2000 Stellung zu nehmen.

     b) Im Weitern kann zwar dem Beschwerdegegner entgegen
der Winterthur nicht zum Vorwurf gemacht werden, er habe
es versäumt, allfällige Einwendungen gegen diesen Experten

vorzubringen, als ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu des-
sen Gutachten gegeben worden war, weshalb die Rüge der Ver-
letzung von Art. 58 Abs. 2 BZP verspätet sei (vgl. allge-
mein zum Erfordernis der rechtzeitigen Geltendmachung von
Verfahrensmängeln BGE 125 V 375 f. Erw. 2b/aa). Anders
sieht es indessen aus, wenn berücksichtigt wird, dass der
Versicherte gegen die Ablehnung seines Gesuchs vom 11. Ok-
tober 1999 um Bekanntgabe des medizinischen Gutachters und
Zustellung des Fragenkataloges zur Wahrnehmung seiner ihm
gemäss Gesetz und Rechtsprechung zustehenden Mitwirkungs-
rechte keine Einwendungen erhoben hat, weshalb offen blei-
ben kann, ob darüber allenfalls eine Verfügung hätte erlas-
sen werden müssen (zum Verfahren in der Invalidenversiche-
rung vgl. BGE 125 V 401, insbesondere 407 Erw. 4d). Unter
diesen Umständen kann entgegen der Vorinstanz die Nicht-
beachtung von Art. 58 Abs. 2 BZP durch den Unfallversiche-
rer als geheilt gelten.

     c) Die vorstehenden Ausführungen lassen die im kanto-
nalen Verfahren gerügten Verletzungen des Gehörsanspruchs
als derart leicht erscheinen, dass die Aufhebung des Ein-
spracheentscheides ohne materielle Beurteilung der Sache
Bundesrecht verletzt.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird
     der Entscheid vom 27. März 2001 aufgehoben und die
     Sache an das Sozialversicherungsgericht des Kantons
     Zürich zurückgewiesen, damit es über die Beschwerde
     gegen den Einspracheentscheid vom 4. Februar 2000
     materiell entscheide.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversiche-
     rungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
     Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 13. Dezember 2001

                   Im Namen des
         Eidgenössischen Versicherungsgerichts
             Der Präsident der III. Kammer:

                Der Gerichtsschreiber: