Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 173/2001
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2001
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2001


U 173/01 Vr

                         I. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Bundesrichterin
Widmer, Bundesrichter Ursprung und Kernen; Gerichts-
schreiber Flückiger

                 Urteil vom 8. April 2002

                         in Sachen

E.________, 1967, Beschwerdeführerin, vertreten durch
Advokat Markus Schmid, Steinenschanze 6, 4051 Basel,

                           gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmatt-
strasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin,

                            und

Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel

     A.- Die 1967 geborene E.________ war ab Dezember 1991
als Laborantin beim Spital X.________ angestellt und bei
der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
obligatorisch gegen die Folgen von Unfall und Berufskrank-
heit versichert. Am 25. Februar 1997 war sie als Lenkerin
eines Personenwagens von einem Verkehrsunfall betroffen,
bei dem sie sich gemäss Unfallmeldung vom 7. März 1997 ein
Schleudertrauma der Halswirbelsäule (HWS) zuzog. Die SUVA

zog Berichte des Spitals Y.________ vom 25. Februar,
4. März, 11. April, 24. Juni, 17. Oktober 1997 und 14. Juli
1998, des Dr. med. G.________, med. Radiologie FMH, vom
21. Mai 1997, des Dr. med. M.________, Neurologie FMH, vom
30. Oktober 1997, von Frau Dr. med. R.________, Allgemeine
Medizin FMH, vom 30. Juni und 25. November 1998 sowie der
Klinik Z.________ vom 11. August 1998 bei. Für den
20. April 1999 nahm die Anstalt, die zu diesem Zeitpunkt
noch für die Kosten einer physiotherapeutischen Behandlung
aufkam, eine kreisärztliche Untersuchung in Aussicht. Die
Versicherte liess den Termin verschieben, erkundigte sich
nach dem Zweck der Untersuchung und erklärte, sie ziehe
eine Abklärung durch einen anstaltsfremden Arzt vor. An
diesem Standpunkt hielt sie in einem anschliessenden Brief-
wechsel fest.
     Mit Schreiben vom 16. Juli 1999 forderte die SUVA die
Versicherte unter Hinweis auf deren Mitwirkungspflicht und
mögliche Folgen einer Verletzung derselben auf, am 27. Juli
1999 zwecks Durchführung einer kreisärztlichen Untersuchung
vorzusprechen, ansonsten in Anwendung der entsprechenden
Bestimmungen eine Verfügung erlassen werde. Nachdem die
Versicherte in einem Brief vom 23. Juli 1999 unter anderem
hatte erklären lassen, sie werde den Termin nicht wahrneh-
men, lehnte es die SUVA mit Verfügung vom 16. August 1999
ab, weitere Versicherungsleistungen zu erbringen. Daran
hielt sie mit Einspracheentscheid vom 24. November 1999
fest. Im Verlauf des Einspracheverfahrens hatte die Versi-
cherte weitere Berichte des Dr. med. G.________ vom 8. Sep-
tember 1999 und des Dr. med. M.________ vom 11. September
1999 einreichen lassen.

     B.- Die gegen den Einspracheentscheid erhobene Be-
schwerde wies das Versicherungsgericht Basel-Stadt (neu ab
1. April 2002 Sozialversicherungsgericht) ab (Entscheid vom
21. Februar 2001).

     C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt E.________
das Rechtsbegehren stellen, es seien der kantonale Ent-
scheid und der Einspracheentscheid aufzuheben und die SUVA
anzuweisen, der Beschwerdeführerin über den 16. August 1999
hinaus die gesetzlichen Leistungen zu erbringen.
     Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsge-
richtsbeschwerde, die als Mitbeteiligte zur Vernehmlassung
eingeladene Krankenkasse A.________ auf deren Gutheissung.
Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und
Grundsätze über die Pflicht des obligatorischen Unfall-
versicherers zur Abklärung des Sachverhalts (Art. 47 Abs. 1
UVG) und die Mitwirkungspflicht der Versicherten (Art. 47
Abs. 3 Satz 1 UVG), insbesondere die Verpflichtung, sich
den von den Versicherern angeordneten zumutbaren Abklä-
rungsmassnahmen zu unterziehen (Art. 55 Abs. 2 Satz 1 UVV),
sowie die Befugnis der Versicherer, bei Verletzung der Mit-
wirkungspflicht auf Grund der Akten zu entscheiden (Art. 47
Abs. 3 Satz 2 UVG) und das dabei zu beachtende Vorgehen
(Art. 59 UVV), zutreffend dargelegt. Gleiches gilt in Bezug
auf die Bestimmungen über die Anordnungen zur zweckmässigen
Behandlung des Versicherten (Art. 48 Abs. 1 UVG) und die
möglichen Folgen, wenn sich die versicherte Person einer
zumutbaren Behandlung entzieht (Art. 48 Abs. 2 UVG) sowie
die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmung
über die Möglichkeit eines Nichteintretensentscheides, wenn
die Parteien die notwendige und zumutbare Mitwirkung ver-
weigern (Art. 13 Abs. 2 VwVG). Darauf wird verwiesen.

     2.- Streitig und zu prüfen ist, ob die SUVA ihre Leis-
tungen im Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 25. Feb-

ruar 1997 zu Recht mit Wirkung ab 16. August 1999 einge-
stellt hat.

     3.- Die SUVA erbrachte im Zusammenhang mit dem Unfall-
ereignis Leistungen. Insbesondere übernahm sie die Kosten
einer ambulanten Physiotherapie, welche sich über einen
Zeitraum von mehr als zwei Jahre erstreckte. Sie war somit
auf den Versicherungsfall längst eingetreten, als sie ihre
Leistungen mit Verfügung vom 16. August 1999 einstellte.
Unter diesen Umständen kam ein "Nichteintreten auf den Un-
fall" (Maurer, Unfallversicherungsrecht, S. 256) nicht mehr
in Frage, und die SUVA konnte das Verfahren nicht mehr
durch einen Nichteintretensentscheid erledigen. Die von der
Vorinstanz behandelte Frage nach dem grundsätzlichen Ver-
hältnis zwischen Art. 13 Abs. 2 VwVG und Art. 47 Abs. 3 UVG
sowie der Anwendbarkeit der erstgenannten Bestimmung im
unfallversicherungsrechtlichen Verfahren kann unter diesen
Umständen offen bleiben. In der gegebenen Konstellation
kommt, falls eine Verletzung der Mitwirkungspflicht durch
die versicherte Person gegeben ist, einzig ein Vorgehen
nach Art. 47 Abs. 3 Satz 2 UVG in Frage.

     4.- Das kantonale Gericht hat mit zutreffender Begrün-
dung, auf welche vollumfänglich verwiesen wird, dargelegt,
dass und weshalb die Untersuchung der Versicherten durch
einen Kreisarzt der SUVA angezeigt und zumutbar war. Beizu-
pflichten ist auch der vorinstanzlichen Erwägung, wonach
die Anstalt das Mahn- und Bedenkzeitverfahren gemäss
Art. 59 UVV formrichtig durchführte.

     5.- a) Die Vorinstanz hält zunächst fest, die SUVA
habe nicht einen Nichteintretensentscheid, sondern "einen
materiellen Entscheid auf Grund der Akten" (Erw. 3a) ge-
fällt bzw. "auf Grund der Akten entschieden" (Erw. 3d). Im
Gegensatz dazu führt sie später aus, die SUVA habe darüber,
ob die Versicherte auch nach dem 16. August 1999 noch an-
spruchsberechtigt gewesen sei, nicht befunden bzw. diese

materielle Frage sei von der SUVA "gerade nicht entschieden
worden" (Erw. 4). Diese Formulierung entspricht dem Stand-
punkt der SUVA, wonach die am 16. August 1999 verfügte
Sanktion auf einem rein formellen Einstellungsgrund beruhe.
Danach hätte die bei Verletzung der Mitwirkungspflicht
mögliche Sanktion aus formellen Gründen den Verlust des
materiellen Anspruchs auf weitere Leistungen für die Ver-
sicherte zur Folge.

     b) Die Verweigerung jeglicher Versicherungsleistungen
als Sanktion bei Verletzung der Mitwirkungspflichten durch
die versicherte Person ist im Unfallversicherungsrecht
nicht vorgesehen und wäre auch mit dem Grundsatz der Ver-
hältnismässigkeit nicht vereinbar. Das UVG sieht bei feh-
lender Mitwirkung einer Partei bei der Abklärung des
Unfalltatbestandes nach Art. 47 UVG, wozu auch die "zumut-
baren medizinischen Untersuchungen, die der Diagnose und
der Bestimmung der Leistungen" dienen, gehören (Art. 55
Abs. 2 UVV), einen "Entscheid aufgrund der Akten" vor
(Art. 47 Abs. 3 Satz 2 UVG). Dies bedeutet, dass auf Grund
der vorhandenen Akten - ohne das Ergebnis, welches wegen
der fehlenden Mitwirkung der Versicherten nicht zustande
kam - materiell über den Anspruch zu entscheiden ist. Im
vorliegenden Fall gehören zu den Akten auch die Berichte
des Dr. med. G.________ vom 8. September 1999 und des Dr.
med. M.________ vom 11. September 1999, welche der Rechts-
vertreter der Versicherten der SUVA zugestellt hatte, bevor
der Einspracheentscheid erging, der praxisgemäss die zeit-
liche Grenze der gerichtlichen Überprüfung festlegt (BGE
116 V 248 Erw. 1a). Es stellt sich einzig die Frage, wie
die beiden Berichte in das Verfahren einzubeziehen sind.

     c) Die Abklärung des Sachverhalts - auch in medizini-
scher Hinsicht - obliegt in erster Linie dem Versicherer
(Art. 47 Abs. 1 UVG; Art. 57 UVV). Andererseits hat die
versicherte Person nicht nur die Pflicht, sondern auch das
Recht, am Verfahren mitzuwirken. Sie ist daher auch befugt,

dem Unfallversicherer Arztberichte oder andere Akten ein-
zureichen, von welchen sie glaubt, dass sie für den Ent-
scheid über den Leistungsanspruch von Bedeutung sein könn-
ten. Die versicherte Person verhält sich jedoch rechtsmiss-
bräuchlich, wenn sie selbst eingeholte Arztberichte zu den
Akten gibt und den Versicherer daran hindert, die darin
festgehaltenen Ergebnisse zu überprüfen, indem er seiner-
seits medizinische Abklärungen vornimmt. Es kann nicht Sinn
der gesetzlichen Regelung sein, dass die versicherte Person
eine versicherungsexterne Beurteilung erzwingen kann, wo
ein solcher Anspruch praxisgemäss nicht besteht (Urteil I.
vom 31. August 2001, U 489/00). Ebenso wenig kann es im
Belieben der versicherten Person stehen, einen Entscheid zu
erzwingen, der sich ausschliesslich auf von ihr selbst ein-
geholte versicherungsexterne Stellungnahmen stützt. Der
Unfallversicherer kann deshalb von der versicherten Person
selbst veranlasste und eingereichte Berichte über Tat-
sachen, die er wegen fehlender Mitwirkung der versicherten
Person nicht überprüfen kann, frei würdigen und allenfalls
unberücksichtigt lassen.

     d) Die Versicherte hat sich unbegründeterweise ge-
weigert, dem Aufgebot der SUVA zu folgen, sich einer
Untersuchung beim Kreisarzt zu unterziehen. Sie hat selbst
gewählte Ärzte konsultiert, deren Berichte der SUVA ein-
gereicht und verlangt, dass darauf abzustellen sei. Indem
sie den Unfallversicherer daran hinderte, seine gesetzliche
Pflicht zur Abklärung des Sachverhalts (Art. 47 Abs. 1 UVG)
zu erfüllen, verunmöglichte sie ihm die Überprüfung der
eingereichten Berichte. Damit verhält sie sich rechtsmiss-
bräuchlich, sodass die SUVA bei ihrem Entscheid, den sie
wegen fehlender Mitwirkung gestützt auf die Akten zu er-
lassen hat (Art. 47 Abs. 3 Satz 2 UVG), die eingereichten
Berichte, welche in freier Beweiswürdigung objektiv zu
prüfen sind, allenfalls ausser Acht lassen kann.

     6.- Nach dem Gesagten war die SUVA befugt, einen
materiellen Entscheid auf Grund der Akten zu fällen. Sie
ist jedoch nicht in dieser Weise vorgegangen, sondern hat
ihre Leistungen aus einem rein formellen Grund eingestellt,
ohne eine materielle Prüfung des Anspruchs vorzunehmen.
Dies ist nicht angängig (vgl. Erw. 3 und 5 hievor). Die
Sache ist daher zu neuer Entscheidung an die Anstalt zu-
rückzuweisen.

     7.- Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem
Prozessausgang entsprechend steht der Beschwerdeführerin
für das letztinstanzliche Verfahren eine Parteientschädi-
gung zu (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG).
Ferner steht der Beschwerdeführerin auch für das vorin-
stanzliche Verfahren eine Parteientschädigung zu, bei deren
Festsetzung die Vorinstanz berücksichtigen wird, inwieweit
das kantonale Verfahren durch die Weigerung der Versicher-
ten mitverursacht wurde, sich einer kreisärztlichen Unter-
suchung zu unterziehen (in RKUV 2001 Nr. U 414 nicht publi-
zierte Erw. 6a des Urteils A. vom 26. Oktober 2000
[U 365/98]; ferner BGE 125 V 376 Erw. 2b/cc und ZAK 1989
S. 283 Erw. 3).

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne
     gutgeheissen, dass das Urteil des Versicherungsge-
     richts Basel-Stadt vom 21. Februar 2001 und der Ein-
     spracheentscheid vom 24. November 1999 aufgehoben
     werden und die Sache an die SUVA zurückgewiesen wird,
     damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre und über
     den Anspruch neu verfüge.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Die SUVA hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren
     vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Par-
     teientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehr-
     wertsteuer) zu bezahlen.

 IV. Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt wird über
     eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren
     entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Pro-
     zesses zu befinden haben.

  V. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversiche-
     rungsgericht Basel-Stadt, dem Bundesamt für Sozial-
     versicherung und der Krankenkasse A.________ zuge-
     stellt.

Luzern, 8. April 2002

                    Im Namen des
         Eidgenössischen Versicherungsgerichts
             Der Präsident der I. Kammer:

               Der Gerichtsschreiber: