Sozialrechtliche Abteilungen U 146/2001
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U 146/01 Vr IV. Kammer Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; Gerichtsschreiber Condrau Urteil vom 16. Juli 2001 in Sachen J.________, 1955, Beschwerdeführerin, vertreten durch die Beratungsstelle X.________, gegen Schweizerische National-Versicherungs-Gesellschaft, Stei- nengraben 41, 4003 Basel, Beschwerdegegnerin, und Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern A.- Die 1955 geborene J.________ war als Raumpflegerin bei der Firma Re Wa Reinigungstechnik AG tätig, als sie am 3. März 1997 bei der Arbeit von zwei Hunden der Rasse Dobermann angefallen wurde und stürzte. Dabei erlitt sie eine 3 cm grosse, frontale Rissquetschwunde rechts nach Sturz auf Kante, über der linken Schulter, mehrere, zum Teil klaffende Fleischwunden, ausgedehnte Hämatome und eine Schürfwunde über der rechten Schulter (Arztzeugnis UVG von Dr. med. M.________ vom 14. März 1997). Nachfolgend kam es zur Ausbildung eines chronischen Schmerzsyndroms an der linken Schulter. Im Februar 1999 wurde eine Narbenrevision und -excision durchgeführt. Die National Versicherung kam für die Heilbehandlung auf und erbrachte Taggeld. Mit Ver- fügung vom 6. Oktober 1999 stellte sie ihre Leistungen rückwirkend ab 4. Juni 1999 ein, da keine Unfallfolgen mehr vorlägen; insbesondere könne das psychische Verhalten nicht auf das Unfallereignis vom 3. März 1997 zurückgeführt wer- den. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 17. April 2000 fest. B.- Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwal- tungsgericht des Kantons Bern ab (Entscheid vom 22. März 2001). C.- J.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, der kantonale Entscheid sei auf- zuheben und es seien ihr die gesetzlichen Leistungen zu- zusprechen. Eventuell seien ergänzende medizinische Ab- klärungen vorzunehmen. Die National Versicherung beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozial- versicherung lässt sich nicht vernehmen. Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1.- Die Vorinstanz hat die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen (BGE 119 V 337 Erw. 1 mit Hinweisen) und adä- quaten (vgl. auch BGE 123 V 103 Erw. 3d, 139 Erw. 3c, je mit Hinweisen) Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden richtig wiedergegeben. Entsprechen- des gilt für die Ausführungen zur Adäquanzbeurteilung bei psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 138 ff. Erw. 6). Darauf kann verwiesen werden. 2.- Die Vorinstanz stellt fest, gemäss den medizini- schen Unterlagen lägen seit Juni 1999 keine somatischen Unfallfolgen mehr vor. Für psychische Unfallfolgen fehle der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall vom März 1997 und den heutigen Beschwerden. a) Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass spä- testens ab Juni 1999 keine namhafte Besserung der Schmerz- symptomatik mehr erwartet werden konnte (Bericht des Spitals Y.________ vom 11. Juni 1999). b) Zur Abklärung der Frage, inwieweit psychische Faktoren verantwortlich für den ausgeprägten Schmerz bei relativ kleinem Befund sind (vgl. Bericht vom 11. Juni 1999), wurde die Beschwerdeführerin von Prof. Dr. med. R.________, Psychiatrische Poliklinik, Spital Y.________, begutachtet. Der Psychiater führt im Bericht vom 27. Dezem- ber 1999 aus, an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10 Code: F43.1) als direkte Folge des Traumas sei nicht zu zweifeln. Zudem liege eine somatoforme Schmerz- störung (ICD-10 Code: F45.4) vor. Gestützt auf dieses Gutachten ist ein natürlicher Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall vom 3. März 1997 und der gesundheitlichen Störung ohne weiteres zu bejahen (vgl. BGE 119 V 338 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, je mit Hinweisen). 3.- a) Streitig und zu prüfen ist, ob der für die Leistungspflicht des Unfallversicherers zusätzlich erfor- derliche adäquate Kausalzusammenhang besteht. Im vorliegenden Fall wurde die Beschwerdeführerin von zwei Hunden der Rasse Dobermann angegriffen und zu Fall ge- bracht. Es handelt sich bei diesen Tieren um scharfe Wach- und Schutzhunde mit einer Widerristhöhe bis 72 cm und einem Gewicht bis 45 kg (Esther J.J. Verhoef-Verhallen, Hunde- Enzyklopädie, Karl Müller Verlag, 5. Aufl., S. 59; Brock- haus-Enzyklopädie 19. Aufl., Bd. 5 S. 572). Die Beschwer- deführerin erlitt eine Rissquetschwunde, mehrere zum Teil klaffende Fleischwunden, ausgedehnte Hämatome sowie Schürf- wunden. Es handelt sich hiebei um einen Unfall, der erfah- rungsgemäss als geeignet betrachtet werden kann, zu schwe- ren Verletzungen zu führen und massive Ängste auszulösen (vgl. auch BGE 102 II 237 f. Erw. 2). b) Angesichts des augenfälligen und dramatischen Geschehensablaufs sowie der erlittenen Verletzungen ist der zu beurteilende Unfall vom 3. März 1997 dem mittleren Be- reich aber - entgegen der Ansicht von Vorinstanz und Be- schwerdegegnerin - darin den schwereren Fällen zuzuordnen. Für die Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfallgeschehen und dem (psychisch bedingten) Gesund- heitsschaden genügt es daher, wenn ein einziges unfallbe- zogenes Kriterium erfüllt ist (BGE 115 V 140 Erw. 6c/bb). c) Nach dem Dargelegten ist das Kriterium der besonde- ren Eindrücklichkeit des Unfalls erfüllt, weshalb die Adä- quanz des Kausalzusammenhangs zwischen dem Ereignis vom 3. März 1997 und den psychischen Beschwerden (posttrauma- tische Belastungsstörung, somatoforme Schmerzstörung), zu bejahen ist. Daran ändert nichts, dass die Beschwerde- führerin wissen musste, dass sich die Hunde im fraglichen Zimmer aufhielten, deren Türe sie öffnete. 4.- Der Bericht von Prof. Dr. med. R.________ vom 27. Dezember 1999 enthält keine Angaben über den Grad der Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin. Die Sache ist daher an die National Versicherung zurückzuweisen, damit sie nach Einholung näherer Auskünfte bei der Psychiatri- schen Poliklinik des Spitals Y.________ und Abklärung der erwerblichen Verhältnisse über den Leistungsanspruch der Beschwerdeführerin neu verfüge. 5.- Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Der durch die Beratungsstelle für Ausländer vertretenen, teil- weise obsiegenden Beschwerdeführerin steht nach Massgabe der zu Art. 159 Abs. 1 und 2 OG ergangenen Rechtsprechung (BGE 122 V 278; Urteile F. vom 26. Juni 2000, I 655/99, M. vom 12. April 2000, U 389/99, M. vom 10. Februar 2000, I 142/99) eine Parteientschädigung zu. Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: I. In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbe- schwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 22. März 2001 und der Einsprache- entscheid der National Versicherung vom 17. April 2000 aufgehoben, und es wird die Sache an diese zurückge- wiesen, damit sie über den Leistungsanspruch der Be- schwerdeführerin neu verfüge. II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. III. Die National Versicherung hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versiche- rungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. IV. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren ent- sprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben. V. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge- richt des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. Luzern, 16. Juli 2001 Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts Der Präsident Der Gerichts- der IV. Kammer: schreiber: