Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 144/2001
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U 144/01

Urteil vom 28. Oktober 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und nebenamtlicher Richter Weber;
Gerichtsschreiber Ackermann

D.________, 1970, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Domenico
Acocella, Herrengasse 3, 6430 Schwyz,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht Basel-Stadt, Basel

(Entscheid vom 7. Februar 2001)

Sachverhalt:

A.
D. ________, geboren 1970, arbeitete ab Februar 1989 als Gipser für das
Gipsergeschäft A.________ und war bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unfallversichert. Am 25. Oktober 1990
stürzte er auf einer Baustelle aus etwa dreieinhalb Metern Höhe; das am
gleichen Tag aufgesuchte Spital X.________ diagnostizierte im
Austrittsbericht vom 26. Oktober 1990 eine Commotio cerebri. Mit Verfügung
vom 26. Februar 1991 erachtete die SUVA D.________ ab dem 4. März 1991
wiederum als vollständig arbeitsfähig und stellte ihre Leistungen auf diesen
Zeitpunkt ein. Diese Verfügung wurde nicht angefochten.

Im Mai/Juni 1991, August 1991 und Februar 1992 gelangte D.________ wiederholt
an die SUVA, welche jeweils beschied, dass keine Unfallfolgen mehr vorlägen
und der Fall abgeschlossen sei. Am 21. Januar 1994 liess D.________ abermals
Leistungen der SUVA beantragen. Dies lehnte die SUVA mit Verfügung vom 27.
April 1994 ab, da die geklagten psychischen Beschwerden nicht adäquat kausale
Unfallfolgen seien, was letztinstanzlich vom Eidgenössischen
Versicherungsgericht mit Urteil vom 9. Januar 1997, U 105/96, bestätigt
worden ist.

Unter Beilage je eines Berichts des Dott. R.________, Medico Chirurgo,
Specialista in Urologia, Andrologia, Urodinamica, vom 2. Dezember 1997 und
des Spitals Y.________ vom 16. März 1998 liess D._______ im April 1998 eine
Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geltend machen und bitten, die
Sache zu überprüfen. Dies lehnte die SUVA mit Schreiben vom 10. August 1998
ab, da ein rechtskräftiges Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
vorliege.

Im September 1999 gelangte D.________ erneut an die SUVA und machte geltend,
im April 1998 sei eine Spätfolge resp. ein Rückfall gemeldet worden, was den
Unfallversicherer zu weiteren Abklärungen verpflichte. Mit Verfügung vom 21.
Januar 2000 lehnte die SUVA eine Wiedererwägung oder eine prozessuale
Revision ihrer ursprünglichen Verfügung ab; zudem läge weder eine Spätfolge
noch ein Rückfall vor, da die geltend gemachte psychische Störung sowie die
erektile Dysfunktion schon bekannt gewesen und beurteilt worden seien. Diese
Verfügung wurde durch Einspracheentscheid vom 24. März 2000 bestätigt.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht Basel-Stadt
(heute Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt) mit Entscheid vom 7. Februar
2001 ab, nachdem es je einen Bericht des Dott. R.________ vom 18. Mai 2000
und des Arztes B.________, Medico Chirurgo, Psicoterapeuta, Specialista in
Psichiatria, vom 4. April 2000 zu den Akten genommen hatte.

C.
Unter Beilage eines Berichts des Consultorio Familiare von Juni 1997 lässt
D.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des Einspracheentscheides
seien ihm eine Invalidenrente für eine Erwerbsunfähigkeit von 100 % und eine
angemessene Integritätsentschädigung zuzusprechen.

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Kranken- und
Unfallversicherung (seit dem 1. Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit), auf
eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Unfallversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheides
eingetretenen Sachverhalt abstellt (RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101; hier: 24.
März 2000), sind die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen
anwendbar.

1.2 Nach Art. 11 UVV werden Versicherungsleistungen auch für Rückfälle und
Spätfolgen gewährt, für Bezüger von Invalidenrenten jedoch nur unter den
Voraussetzungen des Art. 21 UVG. Bei einem Rückfall handelt es sich um das
Wiederaufflackern einer vermeintlich geheilten Krankheit, so dass es zu
ärztlicher Behandlung, möglicherweise sogar zu (weiterer) Arbeitsunfähigkeit
kommt; von Spätfolgen spricht man, wenn ein scheinbar geheiltes Leiden im
Verlaufe längerer Zeit organische oder psychische Veränderungen bewirkt, die
zu einem andersgearteten Krankheitsbild führen können. Rückfälle und
Spätfolgen schliessen somit begrifflich an ein bestehendes Unfallereignis an.
Entsprechend können sie eine Leistungspflicht des (damaligen)
Unfallversicherers nur auslösen, wenn zwischen den erneut geltend gemachten
Beschwerden und der seinerzeit beim versicherten Unfall erlittenen
Gesundheitsschädigung ein natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang
besteht (BGE 118 V 296 f. Erw. 2c mit Hinweisen).

Ein verfügter Fallabschluss durch Einstellung sämtlicher Leistungen steht
unter dem Vorbehalt einer Anpassung an geänderte unfallkausale Verhältnisse.
Dieser in der Invalidenversicherung durch das Institut der Neuanmeldung (Art.
87 Abs. 4 IVV) geregelte Grundsatz gilt auch im Unfallversicherungsrecht,
indem es einem Versicherten jederzeit freisteht, einen Rückfall oder
Spätfolgen eines rechtskräftig beurteilten Unfallereignisses geltend zu
machen und erneut Leistungen der Unfallversicherung zu beanspruchen (RKUV
1994 Nr. U 189 S.138 f.).
1.3 Im Rahmen einer so genannten prozessualen Revision von
Verwaltungsverfügungen ist die Verwaltung verpflichtet, auf eine formell
rechtskräftige Verfügung zurückzukommen, wenn neue Tatsachen oder neue
Beweismittel entdeckt werden, die geeignet sind, zu einer andern rechtlichen
Beurteilung zu führen (BGE 127 V 469 Erw. 2c mit Hinweisen).

2.
Streitig ist der Anspruch auf eine Invalidenrente der Unfallversicherung
sowie auf eine Integritätsentschädigung. Zu prüfen ist in dieser Hinsicht, ob
ein Rückfall oder eine Spätfolge zum Unfall von Oktober 1990 vorliegt und
sich demzufolge der Sachverhalt, der dem Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichtes vom 9. Januar 1997 zugrunde gelegen ist, seither
verändert hat. Eine Wiedererwägung oder eine prozessuale Revision sind
dagegen nicht (mehr) Gegenstand des Verfahrens.

2.1 Für das kantonale Gericht ist nicht dargetan, dass sich der Zustand seit
1995 (Zeitpunkt des Einspracheentscheides, der durch Urteil vom 9. Januar
1997 vom Eidgenössischen Versicherungsgericht letztinstanzlich bestätigt
worden ist) verändert habe, da der Versicherte schon damals an sexuellen
Störungen und gravierenden psychischen Beeinträchtigungen gelitten habe. Der
Beschwerdeführer ist demgegenüber der Ansicht, dass die Potenzstörung nicht
eine Folge, sondern die Ursache der psychischen Störung sei, was sich
aufgrund der neu eingereichten Arztberichte des Dott. R.________ und des
Arztes B.________ ergebe.

2.2 Mit Urteil vom 9. Januar 1997 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht
einen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen den damals geklagten psychischen
Beschwerden und dem Unfall rechtskräftig verneint; die - bereits im Januar
1991 erstmals erwähnten - Potenzstörungen sind damals implizit als
Erscheinungsform resp. als Folge eines psychischen Gesundheitsschadens
aufgefasst worden. Wenn der Beschwerdeführer heute vorbringt, diese
Potenzstörungen seien nicht Folge, sondern Ursache der psychischen Probleme,
macht er im Grunde genommen eine prozessuale Revision geltend: Er behauptet
das Bestehen einer neuen Tatsache, die den damals als richtig erkannten
Sachverhalt nachträglich als unrichtig erscheinen lassen soll und zu einer
neuen rechtlichen Beurteilung führe. Da über diesen Sachverhalt aber bereits
richterlich entschieden worden ist, bleibt der Verwaltung der Weg der
prozessualen Revision verschlossen (BGE 109 V 121 Erw. 2b). Allenfalls hätte
innert neunzig Tagen seit Entdeckung der geltend gemachten neuen Tatsachen
(Art. 141 Abs. 1 lit. b OG) ein Revisionsgesuch nach Art. 137 lit. b OG an
das Eidgenössische Versicherungsgericht gestellt werden können. Wie er in der
vorinstanzlichen Replik klar ausgeführt hat, ist eher auch der Versicherte
selber der Auffassung, dass er keine (hier nicht mögliche) prozessuale
Revision, sondern einen Rückfall resp. eine Spätfolge geltend mache. Damit
bleibt es aber in dieser Hinsicht bei der mit Urteil vom 9. Januar 1997, U
105/96, rechtskräftig verneinten Adäquanz der geklagten Beschwerden zum
Unfall von 1990.

2.3 Entgegen der Auffassung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist kein
neues Beschwerdebild - und damit keine Veränderung des Sachverhaltes -
eingetreten, was eine Neuanmeldung infolge Rückfalls oder Spätfolge
ermöglichte. Denn der Versicherte bringt nicht vor, dass sich sein Zustand in
der Zeit ab 1995 (für das Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
von Januar 1997 massgebender Sachverhalt) verändert habe, sondern er geht
davon aus, dass im Urteil von Januar 1997 die Potenzstörung fälschlicherweise
als Folge statt als Ursache der psychischen Störung angesehen worden sei, was
durch neue Arztberichte belegt werde. Damit wird jedoch keine nachträgliche
Änderung des Sachverhalts geltend gemacht, denn die Argumentation des
Versicherten kann nur darauf beruhen, dass die psychischen Störungen von
Anfang an - d.h. bereits seit 1990/91 - Folge der Potenzstörungen sind und
sich diese Umkehr von Ursache und Wirkung nicht erst in der Zeit ab 1995
(d.h. nach dem für das Urteil von Januar 1997 massgebenden Sachverhalt)
eingestellt hat. Letztlich stützt sich der Beschwerdeführer also auf neue
Tatsachen ab, die den ursprünglichen Sachverhalt als unrichtig beweisen und
zu einer neuen rechtlichen Beurteilung führen sollen. Damit wird aber das
Vorliegen einer prozessualen Revision behauptet, welcher Weg jedoch
verschlossen ist (vgl. Erw. 2.2 hievor).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 28. Oktober 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: