Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 127/2001
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U 127/01 Vr

                        IV. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger und Bundes-
richter Kernen; Gerichtsschreiber Ackermann

               Urteil vom 29. November 2001

                         in Sachen

N.________, 1957, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat
Dominik Zehntner, Spalenberg 20, 4001 Basel,

                           gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmatt-
strasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin,

                            und

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

     A.- N.________, geboren 1957, arbeitete seit 1987 als
Geschäftsführer für die Firma A.________ AG und war bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unfall-
versichert. Am 4. November 1995 war er - bei starkem
Schneefall - auf der Normalspur der Autobahn in eine Auf-
fahrkollision verwickelt: während er seinen Wagen wegen des
stockenden Verkehrs abbremste, fuhr von hinten ein Fahrzeug
mit ca. 80 km/h auf sein Auto auf und stiess es in die

Leitplanke, worauf es von einem weiteren Fahrzeug, das sich
auf der Überholspur genähert hatte, gestreift wurde. Am
6. November 1995 suchte N.________ seinen Hausarzt Dr. med.
F.________, Allgemeine Medizin FMH, auf, welcher mit Be-
richt vom 11. Januar 1996 ein akutes lumbospondylogenes
Syndrom nach Beschleunigungstrauma der Wirbelsäule diag-
nostizierte. Nachdem zahlreiche Arztberichte eingeholt
worden waren, je eine Begutachtung durch Dr. med.
T.________, Chefarzt Rheumatologie und Institut für
physikalische Medizin am Spital X.________ (Gutachten vom
23. Dezember 1996) sowie (von der Invalidenversicherung
veranlasst) durch Dr. med. E.________, Spezialarzt FMH für
Psychiatrie und Psychotherapie (Gutachten vom 8. September
1997), durchgeführt worden war und nach einem Aufenthalt in
der Rehabilitationsklinik Y.________ vom 17. Februar bis
4. April 1997 (Austrittsbericht vom 6. Mai 1997 mit
psychosomatischen Konsilien vom 19. und 26. Februar sowie
3. März 1997), lehnte die SUVA ihre Leistungspflicht mit
Verfügung vom 21. Januar 1998 ab, da keine behandlungs-
bedürftigen Unfallfolgen mehr vorlägen und die psychischen
Beschwerden nicht adäquat kausal auf den Unfall zurückzu-
führen seien. Diese Auffassung wurde mit Einspracheent-
scheid vom 26. August 1998 bestätigt.
     Die IV-Stelle des Kantons Solothurn sprach N.________
mit Verfügungen vom 1. April 1998 für die Zeit vom 1. No-
vember 1996 bis zum 31. Januar 1998 eine ganze, und ab dem
1. Februar 1998 eine halbe Rente der Invalidenversicherung
zu.

     B.- Die gegen den Einspracheentscheid der SUVA - unter
Beilage eines Gutachtens des Prof. Dr. med. B.________,
Orthopädische Chirurgie FMH, vom 9. Dezember 1998 - er-
hobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn mit Entscheid vom 6. März 2001 ab, nachdem bei
Dr. med. H.________, Leiter Wirbelsäulenchirurgie der
Klinik und Poliklinik für Orthopädische Chirurgie des
Spitals Z.________, ein Gerichtsgutachten vom 20. Januar

2000 (inkl. einer Ergänzung vom 18. Dezember 2000) einge-
holt und die Akten der Invalidenversicherung beigezogen
worden waren.

     C.- N.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des vorinstanzlichen
Entscheides und der Verwaltungsverfügung seien ihm ab dem
1. Februar 1998 die gesetzlichen Leistungen zu erbringen.
     Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsge-
richtsbeschwerde, während die Krankenkasse des N.________
sowie das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Ver-
nehmlassung verzichten.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- Die Vorinstanz hat die Rechtsprechung zu dem für
die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten
natürlichen (BGE 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, 117 V
376 Erw. 3a mit Hinweisen) und adäquaten Kausalzusammenhang
(BGE 123 III 112 Erw. 3a, 123 V 103 Erw. 3d, 139 Erw. 3c,
122 V 416 Erw. 2a, je mit Hinweisen) zwischen dem Unfall-
ereignis und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invali-
dität, Tod), insbesondere auch zur Adäquanzbeurteilung bei
Unfällen und der in der Folge eingetretenen psychischen
Fehlentwicklung mit Einschränkung der Arbeits- und Erwerbs-
fähigkeit (BGE 115 V 133), zutreffend dargelegt. Darauf
kann verwiesen werden.

     2.- Streitig ist, ob die geklagten Beschwerden adäquat
kausale Folgen des Unfalles vom 4. November 1995 sind. Die
Vorinstanz verneint sowohl das Vorliegen somatischer Un-
fallfolgen wie auch die adäquate Kausalität der psychischen
Gesundheitsschäden, die die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit
beeinträchtigen.

     a) Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass alle
ihn untersuchenden Ärzte somatische Unfallfolgen (oder
zumindest einen organischen Kern) festgestellt hätten; ein-
zig der SUVA-Arzt Dr. med. S.________ habe - ohne den Ver-
sicherten je untersucht zu haben - das Vorliegen somati-
scher Unfallfolgen ausgeschlossen.
     In casu liegen jedoch keine somatischen Unfallfolgen
vor: Der Gerichtsgutachter Dr. med. H.________ fand für die
geklagten Beschwerden kein organisches Korrelat; er schloss
allein aufgrund der biomechanischen Angaben über die Kol-
lision auf den Kausalzusammenhang der Leiden mit dem Un-
fall. Nach der Praxis weicht das Gericht bei Gerichtsgut-
achten nicht ohne zwingende Gründe von der Einschätzung des
medizinischen Experten ab, dessen Aufgabe es ist, seine
Fachkenntnisse der Gerichtsbarkeit zur Verfügung zu stel-
len, um einen bestimmten Sachverhalt medizinisch zu er-
fassen. Ein Grund zum Abweichen kann vorliegen, wenn die
Gerichtsexpertise widersprüchlich ist oder wenn ein vom
Gericht eingeholtes Obergutachten in überzeugender Weise zu
anderen Schlussfolgerungen gelangt. Abweichende Beurteilung
kann ferner gerechtfertigt sein, wenn gegensätzliche Mei-
nungsäusserungen anderer Fachexperten dem Gericht als
triftig genug erscheinen, die Schlüssigkeit des Gerichts-
gutachtens in Frage zu stellen, sei es, dass es die Über-
prüfung durch einen Oberexperten für angezeigt hält, sei
es, dass es ohne Oberexpertise vom Ergebnis des Gerichts-
gutachtens abweichende Schlussfolgerungen zieht (BGE 125 V
352 f. Erw. 3b/aa mit Hinweisen).
     In vorliegender Sache ist das Gerichtsgutachten des
Dr. med. H.________ nicht widersprüchlich; vielmehr hält
der Experte im Nachtrag vom 18. Dezember 2000 klar fest,
dass er die Leiden des Versicherten nicht auf ein patho-
anatomisches Korrelat zurückführen könne. Diese Auffassung
wird durch den Psychiater Dr. med. E.________ gestützt, der
in seinem Gutachten vom 8. September 1997 davon ausgeht,
dass in erster Linie ein psychiatrisches Problem vorliege
und die geklagten somatischen Schmerzen eine psychosomati-

sche Entwicklung seien. Auch wenn Prof. B.________ eine
Unfallkausalität bejaht, kann er keine klaren somatischen
Unfallfolgen aufzeigen, sondern er verweist primär auf den
Manualmediziner Dr. med. L.________, Facharzt für Physika-
lische und Rehabilitative Medizin - Chirotherapie, Deutsch-
land. Dieser befasst sich in seinem Bericht vom 24. Novem-
ber 1998 jedoch nicht mit dem Vorzustand des Beschwerde-
führers, obwohl der Hausarzt Dr. med. F.________ schon in
seinem ersten Bericht vom 11. Januar 1996 darauf hingewie-
sen hat, dass der Versicherte bereits vor dem Unfall unter
rezidivierenden muskulären Nackenverspannungen litt, die
physiotherapeutisch angegangen werden mussten. Im Übrigen
waren dem Gerichtsgutachter die Verweise des Prof.
B.________ auf den Manualmediziner Dr. med. L.________ und
auf die Magnetresonanzuntersuchung vom 19. November 1998
bekannt, und er hat sich mit ihnen auseinandergesetzt.
Damit vermag die Auffassung des Prof. B.________ keine
Zweifel am Gutachten des Dr. med. H.________ zu erwecken.
Weitere Abklärungen erübrigen sich, insbesondere ist keine
neurologische Begutachtung vorzunehmen, da eine solche
Abklärung ohne Befund bereits stattgefunden hat (Bericht
des Dr. med. W.________, Spezialarzt FMH für Neurologie,
vom 12. Dezember 1997) und zudem die neurologische Testung
für sich alleine nicht zur abschliessenden Beurteilung der
Genese führen kann (BGE 119 V 341 Mitte).

     b) Was die psychischen Leiden des Beschwerdeführers
anbelangt, ist er der Auffassung, dass diese natürlich und
adäquat kausal auf den Unfall vom 4. November 1995 zurück-
zuführen seien; jedoch leide er primär an körperlichen Be-
schwerden.
     Ein natürlicher Kausalzusammenhang zwischen den psy-
chischen Beschwerden und dem Unfall ist vorliegendenfalls
ohne Zweifel zu bejahen, da der Versicherte ohne den Unfall
vom 4. November 1995 keine solchen Leiden hätte (conditio
sine qua non; vgl. BGE 117 V 376 Erw. 3a); dies ergibt sich
klar aus dem Gutachten des Dr. med. E.________ vom 8. Sep-

tember 1997, worin der Unfall als "Auslöser" bezeichnet
wird. Fraglich ist aber, ob der psychische Gesundheits-
schaden auch in einem adäquaten Kausalzusammenhang zum
Unfall steht. Da in vorliegender Sache die psychischen
Beschwerden gemäss dem Experten Dr. med. E.________ im
Vordergrund stehen, ist in der Folge zwischen physischen
und psychischen Beschwerden zu unterscheiden und für die
Adäquanz die Rechtsprechung nach BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa
anzuwenden, obwohl der Versicherte ein Schleudertrauma der
Wirbelsäule erlitten hat (BGE 127 V 103 Erw. 5b/bb mit
Hinweisen). In diesem Rahmen ist dem kantonalen Gericht
zuzustimmen, wenn es den Unfall vom 4. November 1995 der
Kategorie der mittleren Unfälle zuordnet und auch keinen
Grenzfall zu den leichten oder schweren Unfällen annimmt
(vgl. das vom Beschwerdeführer erwähnte, nicht publizierte
Urteil D. vom 3. September 1998, U 96/98). Da sich nach der
Rechtsprechung diesfalls die adäquate Unfallkausalität der
psychisch bedingten Erwerbsunfähigkeit nicht allein auf-
grund des Unfalles schlüssig beurteilen lässt, sind gemäss
Rechtsprechung weitere objektiv erfassbare Kriterien heran-
zuziehen (BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa):
     Es ist zwar von einer gewissen Eindrücklichkeit der
erlittenen Auffahrkollision auszugehen, dennoch kann nicht
von besonders dramatischen Begleitumständen oder einer
besonderen Eindrücklichkeit des Unfalls gesprochen werden.
Der Beschwerdeführer erlitt anlässlich des Unfalles keine
körperlichen Verletzungen, die erfahrungsgemäss geeignet
wären, psychische Fehlentwicklungen auszulösen; was die
Dauer der ärztlichen Behandlung und die physisch bedingte
Arbeitsunfähigkeit betrifft, liegt relativ schnell eine
psychische Überlagerung vor, hält doch der Psychiater Dr.
med. E.________ fest, dass der Versicherte "in erster Linie
... ein psychiatrisches Problem" habe und es sich "bei den
geklagten somatischen Schmerzen um eine psychosomatische
Entwicklung" handle, da der Unfall dem Versicherten das
Gefühl der Sicherheit und Kontrolle weggenommen habe. Eine
ärztliche Fehlbehandlung liegt in vorliegender Sache nicht

vor, ebenso wenig kann von einem komplizierten Heilungs-
verlauf in somatischer Hinsicht gesprochen werden.
     Da die gemäss Rechtsprechung bei einem mittleren
Unfall notwendigen objektiven Kriterien nicht gehäuft
vorliegen und auch keines davon in besonders ausgeprägter
Weise gegeben ist (BGE 115 V 140 Erw. 6c/bb) stehen die
geklagten psychischen Beschwerden in keinem adäquaten
Kausalzusammenhang zum Unfall vom 4. November 1995. Die
SUVA hat deshalb ihre Leistungen zu Recht eingestellt.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungs-
     gericht des Kantons Solothurn, dem Bundesamt für
     Sozialversicherung und der Krankenkasse C.________
     zugestellt.

Luzern, 29. November 2001

                Im Namen des
         Eidgenössischen Versicherungsgerichts
            Der Präsident der IV. Kammer:

               Der Gerichtsschreiber: