Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 118/2001
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U 118/01

Urteil vom 10. Oktober 2002
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber
Krähenbühl

B.________, Gesuchsteller, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger,
Schwanenplatz 7, 6004 Luzern,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Gesuchsgegnerin

Sachverhalt:

A.
Der 1954 geborene B.________ zog sich am 3. November 1989 als Insasse eines
an einem Verkehrsunfall beteiligten Kleinbusses nebst einer ausgedehnten
Weichteilverletzung über dem rechten oberen Sprunggelenk eine Abrissfraktur
am linken Handgelenk, eine Brustkorbprellung mit Schulterblattfraktur rechts
sowie offene Quetschwunden am linken Oberschenkel und am linken Ohr zu.
Nachdem er ab 26. März 1990 bis 21. Juli 1993 wieder gearbeitet hatte, liess
er der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA), welche seinerzeit
ihre Haftung für den Unfall vom 3. November 1989 anerkannt und die
gesetzlichen Leistungen erbracht hatte, einen Rückfall melden und eine neue
medizinische Abklärung sowie eine Überprüfung der erwerblichen Situation
beantragen. Auf Grund ihrer daraufhin vorgenommenen weiteren Erhebungen
gelangte die SUVA zum Schluss, dass keine unfallbedingte Verminderung der
Erwerbsfähigkeit vorliege, weshalb kein Anspruch auf Taggleder oder eine
Rente bestehe. Dies eröffnete sie dem Versicherten zunächst mit Schreiben vom
25. Januar 1994. Als B.________ damit nicht einverstanden war und unter
Hinweis auf seine Bein- und Rückenbeschwerden nebst Taggeld- und
Rentenleistungen eine Integritätsentschädigung forderte, lehnte die Anstalt
diese Begehren am 4. März 1994 verfügungsweise ab, woran sie mit
Einspracheentscheid vom 1. Juni 1994 festhielt.

Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern nach Einsichtnahme in weitere medizinische Berichte und Durchführung
eines doppelten Schriftenwechsels mit Entscheid vom 6. Dezember 1995 ab.

Auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin bestätigte das Eidgenössische
Versicherungsgericht diesen Entscheid mit Urteil vom 30. Juni 1997.

B.
Mit Revisionsgesuch vom 30. März 2001 lässt B.________ die Aufhebung des
Urteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 30. Juni 1997
beantragen; die SUVA sei zu verpflichten, ihm rückwirkend ab 1. November 1993
Taggelder auf Grund einer mindestens 50 %igen Arbeitsunfähigkeit, eventuell
eine Rente bei vorerst 500 % (recte wohl: 50 %) Invalidität auszurichten; des
Weitern habe sie über den Integritätsanspruch zu befinden und ihm auf die
nachzuzahlenden Beträge Verzugszinsen zu leisten. Dem Gesuch lagen unter
anderm ein Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle der
Invalidenversicherung (MEDAS) vom 19. März 2001 mit einem psychiatrischen
Teilgutachten des Dr. med. M.________, Spital X.________, vom 29. Januar 2001
bei.

Zudem fordert B.________ Parteientschädigungen für das bundesgerichtliche
Verfahren betreffend das Urteil vom 30. Juni 1997 und das Verfahren vor dem
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern betreffend das Urteil vom 6. Dezember
1995 und ersucht für das Revisionsverfahren um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege.

Das Eidgenössische Versicherungsgericht zieht in Erwägung

1.
Nach Art. 137 lit. b in Verbindung mit Art. 135 OG ist die Revision eines
Urteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts u.a. zulässig, wenn der
Gesuchsteller nachträglich neue erhebliche Tatsachen erfährt oder
entscheidende Beweismittel auffindet, die er im früheren Verfahren nicht
beibringen konnte.

Als "neu" gelten Tatsachen, welche sich bis zum Zeitpunkt, da im
Hauptverfahren noch tatsächliche Vorbringen prozessual zulässig waren,
verwirklicht haben, jedoch der um Revision ersuchenden Person trotz
hinreichender Sorgfalt nicht bekannt waren. Die neuen Tatsachen müssen ferner
erheblich sein, d.h. sie müssen geeignet sein, die tatbeständliche Grundlage
des angefochtenen Urteils zu verändern und bei zutreffender rechtlicher
Würdigung zu einer andern Entscheidung zu führen. Beweismittel haben entweder
dem Beweis der die Revision begründenden neuen erheblichen Tatsachen oder dem
Beweis von Tatsachen zu dienen, die zwar im früheren Verfahren bekannt
gewesen, aber zum Nachteil der gesuchstellenden Person unbewiesen geblieben
sind. Sollen bereits vorgebrachte Tatsachen mit den neuen Mitteln bewiesen
werden, so hat die Person auch darzutun, dass sie die Beweismittel im
früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Entscheidend ist ein
Beweismittel, wenn angenommen werden muss, es hätte zu einem andern Urteil
geführt, falls das Gericht im Hauptverfahren hievon Kenntnis gehabt hätte.
Ausschlaggebend ist, dass das Beweismittel nicht bloss der
Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsermittlung dient. Es genügt
daher beispielsweise nicht, dass ein neues Gutachten den Sachverhalt anders
bewertet; vielmehr bedarf es neuer Elemente tatsächlicher Natur, welche die
Entscheidungsgrundlagen als objektiv mangelhaft erscheinen lassen. Für die
Revision eines Entscheides genügt es nicht, dass die Gutachterin oder der
Gutachter aus den im Zeitpunkt des Haupturteils bekannten Tatsachen
nachträglich andere Schlussfolgerungen zieht als das Gericht. Auch ist ein
Revisionsgrund nicht schon gegeben, wenn das Gericht bereits im
Hauptverfahren bekannte Tatsachen möglicherweise unrichtig gewürdigt hat.
Notwendig ist vielmehr, dass die unrichtige Würdigung erfolgte, weil für den
Entscheid wesentliche Tatsachen nicht bekannt waren oder unbewiesen blieben
(BGE 127 V 358 Erw. 5b, 110 V 141 Erw. 2, 293 Erw. 2a, 108 V 171 Erw. 1; vgl.
auch BGE 118 II 205).

2.
2.1  Der Gesuchsteller erblickt eine revisionsbegründende neue Tatsache
darin, dass im MEDAS-Gutachten vom 19. März 2001 und insbesondere im
dazugehörenden psychiatrischen Gutachten vom 29. Januar 2001 psychische
Beschwerden und eine darauf zurückzuführende Arbeitsunfähigkeit genannt
werden, welche im Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 30.
Juni 1997 nicht thematisiert wurden; damit läge eine neue erhebliche Tatsache
vor mit neuen Beweismitteln, was eine Revision zu rechtfertigen und die
nunmehr gestellten Anträge zu begründen vermöge.

2.2  Zutreffend ist, dass im Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
vom 30. Juni 1997, dessen Revision beantragt wird, von einer allfälligen
psychischen Beeinträchtigung nicht gesprochen wird. Daraus kann indessen,
entgegen der Auffassung des Gesuchstellers, nicht geschlossen werden, dass
das Vorliegen einer solchen überhaupt nicht in Betracht gezogen und
dementsprechend auch nie geprüft worden wäre. Wie die SUVA in ihrer
Vernehmlassung vom 20. Juni 2001 vielmehr zu Recht einwendet, konnte sich die
am 4. März 1994 verfügte und mit Einspracheentscheid vom 1. Juni 1994
bestätigte Leistungsverweigerung, welche im Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts vom 30. Juni 1997 zu prüfen war, auf umfassende
ärztliche Abklärungen stützen, weshalb ohne weiteres davon ausgegangen werden
darf, dass psychische Auffälligkeiten nicht übersehen werden oder aus
sonstigen Gründen unberücksichtigt bleiben konnten. Dass solche weder in den
damals vorhandenen ärztlichen Berichten noch in den bereits verfassten
Rechtsschriften je erwähnt und dementsprechend auch keine diesbezüglichen
vertieften Abklärungen veranlasst wurden, lässt darauf schliessen, dass für
eine psychische Problematik seinerzeit auch gar keine Anzeichen vorlagen.
Wenn nun in der Expertise der MEDAS vom 19. März 2001 und insbesondere im
dazu gehörenden psychiatrischen Teilgutachten vom 29. Januar 2001 plötzlich
von einer durch eine posttraumatische Belastungsstörung bewirkten 25 %igen
Arbeitsunfähigkeit seit dem Unfallereignis und einer 1997 zufolge
Chronifizierung und Sekundärkomplikationen eingetretenen, seit 1998
ausgewiesenen Verschlimmerung des psychischen Gesundheitszustandes mit
entsprechender Abnahme der Leistungsfähigkeit die Rede ist, kann darin nichts
anderes erblickt werden als eine gegenüber früheren ärztlichen Beurteilungen
rückblickend abweichende Einschätzung. Eine neue Tatsache, welche eine
Revision des Urteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 30. Juni
1997 begründen könnte, liegt damit nicht vor.

2.3 Im Übrigen bleibt anzumerken, dass - selbst wenn eine neue Tatsache,
welche grundsätzlich als revisionsrelevant in Frage kommen könnte, als
ausgewiesen gelten könnte - diese sich kaum als im Sinne von Art. 137 lit. b
OG erheblich qualifizieren liesse. Während im psychiatrischen Teilgutachten
vom 29. Januar 2001 von einer erst 1997 eingetretenen Zunahme der psychischen
Beeinträchtigung gesprochen wird und die Diagnosestellung für die
vorangegangene Zeit - wie der Gutachter selbst einräumt - auf äusserst
unsicheren Grundlagen beruht, standen im Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts vom 30. Juni 1997 ausschliesslich die Verhältnisse bis
zum Erlass des ablehnenden Einspracheentscheids vom 1. Juni 1994 zur
Diskussion. Des Weitern müssten mit der SUVA zumindest an der Adäquanz
psychischer Unfallfolgen erhebliche Zweifel angemeldet werden, nachdem der
Versicherte schon kurze Zeit nach dem Unfallereignis die Arbeit wieder
aufnehmen konnte, in der Folge doch rund drei Jahre erwerbstätig war und
seine Stelle schliesslich nicht aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste.

3.
Da das Revisionsgesuch offensichtlich unbegründet ist, entscheidet das
Gericht im Verfahren nach Art. 143 Abs. 1 OG.

4.
Vorliegend rechtfertigt es sich, keine Gerichtskosten zu erheben, womit sich
das Begehren um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne der
Befreiung von den Gerichtskosten als gegenstandslos erweist.

Da das Revisionsgesuch von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte, fällt
eine unentgeltliche Verbeiständung ausser Betracht (Art. 152 in Verbindung
mit Art. 135 OG; BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Das Revisionsgesuch wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 10. Oktober 2002

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: