Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 115/2001
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U 115/01

Urteil vom 16. Mai 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber
Widmer

Winterthur-Versicherungen, General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher René W. Schleifer,
Stampfenbachstrasse 42, 8006 Zürich,

gegen

S.________, 1946, Beschwerdegegnerin, vertreten durch den Procap,
Schweizerischer Invaliden-Verband, Froburgstrasse 4, 4600 Olten

Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Weinfelden

(Entscheid vom 7. Februar 2001)

Sachverhalt:

A.
Die 1946 geborene S.________ arbeitete seit 1991 als Abteilungsleiterin bei
der X.________ AG und war damit bei der Winterthur Schweizerische
Versicherungs-Gesellschaft (im Folgenden: Winterthur) obligatorisch gegen
Unfälle und Berufskrankheiten versichert. Nach einem einwöchigen Layout-Umbau
in der X.________ AG Anfang 1995 traten starke Schmerzen im rechten Ellbogen
auf. Kurze Zeit später war die Versicherte mit einem entsprechenden Umbau in
einer anderen X.________ AG-Filiale betraut. Die behandelnden Ärzte
diagnostizierten eine Epicondylitis radialis rechts. Am 13. Juli 1995 musste
sich S.________ einem operative Eingriff (Denervation am rechten Epicondylus
radialis und Revision des Ramus profundus des Nervus radialis) unterziehen.
Die Winterthur, welcher die X.________ AG die Beschwerden der Versicherten am
31. August 1995 gemeldet hatte, erbrachte zunächst die gesetzlichen
Leistungen. Nach umfangreichen medizinischen Abklärungen gelangte die
Winterthur im Wesentlichen gestützt auf Stellungnahmen des Dr. med.
A.________, Chefarzt des Medizinischen Dienstes B.________ vom 15. Januar
1998 sowie ihres beratenden Arztes Dr. med. C.________ vom 17. Februar 2000
zum Schluss, dass keine Berufskrankheit im Rechtssinne vorliege.
Dementsprechend lehnte sie ihre Leistungspflicht mit Verfügung vom 8. Juli
1999 rückwirkend ab Februar 1995 ab. Auf Einsprache der Versicherten und der
Helsana Versicherungen AG, bei der S.________ bis Ende November 1995
krankenversichert war, hielt die Winterthur mit Entscheid vom 9. Mai 2000 an
ihrem Standpunkt fest.

B.
Die von S.________ hiegegen eingereichte Beschwerde hiess das
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau in dem Sinne teilweise gut, dass es
den angefochtenen Einspracheentscheid aufhob und die Sache an die Winterthur
zurückwies, damit diese ein arbeitsmedizinisches Gutachten einhole und
hernach über den Leistungsanspruch neu verfüge (Entscheid vom 7. Februar
2001).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Winterthur, der
vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben.

Während S.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen
lässt, verzichten das Bundesamt für Sozialversicherung und die als
Mitinteressierte beigeladene Helsana Versicherungen AG auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die hier massgebende Bestimmung (Art. 9 Abs. 2 UVG) und
die dazu ergangene Rechtsprechung, namentlich zu der Voraussetzung des
ausschliesslichen oder stark überwiegenden Zusammenhanges zwischen der
Berufskrankheit und der beruflichen Tätigkeit sowie den Beweisanforderungen
(BGE 126 V 186 Erw. 2b, 114 V 109), zutreffend dargelegt. Darauf kann
verwiesen werden.

In dem zu BGE 126 V 183 führenden Verfahren vertrat die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) die einer Änderung der Verwaltungspraxis
gleichkommende Auffassung, dass es aufgrund der multifaktoriellen Genese des
Leidens kaum je vorstellbar sei, eine Epicondylitis als Berufskrankheit im
Sinne des Gesetzes anzuerkennen. Das Eidgenössische Versicherungsgericht wies
die Sache hinsichtlich der Frage, ob die Epicondylitis mindestens zu 75 %
durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden sei, zur Einholung eines
arbeitsmedizinischen Gutachtens, z.B. an einer der schweizerischen
Universitätskliniken, an die Vorinstanz zurück, weil die auf einer
umfangreichen medizinischen Dokumentation beruhende Argumentation der SUVA
nicht abschliessend überprüft werden konnte. Namentlich liess sich nicht
feststellen, ob die Anstalt sich für ihren (geänderten) Standpunkt auf die
neuesten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft abgestützt hatte. Zudem
beanstandete das Gericht, dass die SUVA es unterlassen hatte, die
beabsichtigte Änderung ihrer bisherigen, im anstaltseigenen, öffentlich
zugänglichen Publikationsorgan dargelegten Praxis in Wahrung des Grundsatzes
der Parallelität der Formen ebenfalls zu publizieren (BGE 126 V 191 Erw. 5b).

2.
2.1 Das kantonale Gericht hat die Sache zur Durchführung einer
arbeitsmedizinischen Begutachtung an die Winterthur zurückgewiesen. Während
die Beschwerde führende Versicherungs-Gesellschaft eine solche Expertise
unter Hinweis auf die vom Eidgenössischen Versicherungsgericht in BGE 126 V
183 verlangte Publikation der neuen Verwaltungspraxis der SUVA in deren
Medizinische Mitteilungen (Nr. 72, Herbst 2000), als «überflüssig»
bezeichnet, vertritt die Beschwerdegegnerin die Auffassung, aufgrund der
vorliegenden Akten, insbesondere des ersten Gutachtens des Orthopäden Dr.
D.________ vom 23. August 1996 und der Ausführungen der Medizinischen
Abklärungsstelle E.________ (MEDAS) vom 18. März 1999 sei der Beweis für die
nach der Generalklausel des Art. 9 Abs. 2 UVG qualifizierte Ursächlichkeit
der berufsbedingten Einwirkung (ausschliesslich oder stark überwiegend, d.h.
zu 75 % oder mehr) bereits geleistet.

2.2 Beiden Standpunkten kann kein Erfolg beschieden sein: Die
Beschwerdegegnerin übersieht, dass Dr. med. D.________ und die MEDAS von
veralteten medizinischen Grundlagenarbeiten ausgehen, weshalb ihre
Auffassungen nicht beweiskräftig sind. Der Winterthur ihrerseits ist
entgegenzuhalten, dass mit der Publikation der neuen SUVA-Verwaltungspraxis
wohl dem in BGE 126 V 183 verlangten formellen Erfordernis Rechnung getragen
worden ist. Dabei handelt es sich indessen bloss um einen kumulativen, zum
Materiellen hinzutretenden Gesichtspunkt, wie der Einleitung des zweiten
Absatzes zu BGE 126 V 191 Erw. 5b («Zudem ist zu beanstanden, dass die SUVA
im Zuge der Änderung ihrer Verwaltungspraxis das Erfordernis der Parallelität
der Form [....] nicht wahrt») zu entnehmen ist. Die inhaltliche Frage, ob die
neue Verwaltungspraxis der SUVA tatsächlich dem neuesten und herrschenden
Stand der medizinischen Forschung zur Epicondylitis entspricht, ist nach wie
vor offen. Es ist nicht bekannt, welche Resultate die - nicht nur auf den
Einzelfall bezogene - Expertise ergab, welche das Verwaltungsgericht des
Kantons Bern in Nachachtung von BGE 126 V 183 anordnete. Es ist möglich, dass
das arbeitsmedizinische Gutachten zwischenzeitlich erstattet wurde. Der
Winterthur steht es offen, im Rahmen der Amtshilfe unter den auf dem Gebiet
der Unfallversicherung tätigen Behörden (Art. 101 UVG) sich die Ergebnisse
dieser Begutachtung zu beschaffen, soweit sie über den Einzelfall hinaus von
Bedeutung sind.

3.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend
hat die Beschwerdegegnerin Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 135 in
Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG; BGE 122 V 278 Erw. 3).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Winterthur hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau,
dem Bundesamt für Sozialversicherung und der Helsana Versicherungen AG
zugestellt.

Luzern, 16. Mai 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: