Sozialrechtliche Abteilungen P 77/2001
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P 77/01 Go I. Kammer Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichts- schreiber Grunder Urteil vom 16. Mai 2002 in Sachen J.________, 1931, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechts- anwalt lic. iur. Philip Schneider, Poststrasse 23, 9000 St. Gallen, gegen Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdegegnerin, und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen A.- Der 1931 geborene J.________ bezog seit 1994 Ergänzungsleistungen zur Invalidenrente, deren Berechnung unter anderem ein amtlich geschätzter Liegenschaftswert von Fr. 172'000.- zu Grunde lag. Bei einer Neuschatzung am 27. Februar 1996 wurde der amtliche Verkehrswert der Liegenschaft ab dem 1. März 1996 auf Fr. 500'000.- fest- gesetzt. Nachdem die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen Mitte 1997 von diesem Sachverhalt Kenntnis erhalten hatte, berechnete sie mit Wirkung ab 1. März 1996 die Ergänzungsleistungen neu und forderte mit Verfügung vom 11. September 1997 die zuviel ausgerichteten Beträge zu- rück. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versiche- rungsgericht des Kantons St. Gallen gut und wies die Sache zur Vornahme weiterer Abklärungen und zu neuer Verfügung unter anderem über das vom Versicherten gestellte Erlass- gesuch zurück (Entscheid vom 3. Juni 1999). Nach Durchführung der vom kantonalen Versicherungs- gericht angeordneten Abklärungen erliess die Sozialver- sicherungsanstalt am 20. Juli 2000 drei Verfügungen, mit welchen sie dem Versicherten monatliche Ergänzungsleis- tungen in der Höhe von Fr. 331.- für das Jahr 1998, von Fr. 407.- für das Jahr 1999 und von Fr. 343.- ab 1. Januar 2000 zusprach. Mit gleichzeitig ergangener weiterer Ver- fügung forderte sie vom Versicherten für den Zeitraum von März 1996 bis August 1997 zu viel bezogene ordentliche Er- gänzungsleistungen in Höhe von Fr. 11'772.- und ausser- ordentliche in Höhe von Fr. 4'224.- zurück, verrechnete eine Nachzahlung von Fr. 3408.80 (ordentliche Ergänzungs- leistungen) mit dieser Rückforderung und wies das Erlass- gesuch des Versicherten mangels guten Glaubens ab. B.- Die dagegen eingereichte Beschwerde, mit welcher J.________ beantragen liess, die Rückforderung von zu viel ausbezahlten Ergänzungsleistungen sei ihm zu erlassen und die Verfügungen der Sozialversicherungsanstalt seien inso- weit aufzuheben, als darin die Verrechnung der Nachzahlung und der laufenden Ergänzungsleistungen mit der Rückforde- rung vorgesehen sei, wies das Versicherungsgericht des Kan- tons St. Gallen mit Entscheid vom 3. Juli 2001 ab. C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt J.________ die vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren erneuern und eventualiter beantragen, die Sache sei zu weiteren Abklä- rungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Gleichzeitig lässt er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersuchen. Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1.- Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur soweit eingetreten werden, als die Verfügung der Sozial- versicherungsanstalt sich auf öffentliches Recht des Bundes stützt (Art. 97 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 VwVG). Im vorliegenden Verfahren ist daher nicht zu prüfen, soweit es um Ergänzungsleistungen geht, die kraft kanto- nalen Rechts zugesprochen wurden (ausserordentliche Ergän- zungsleistungen). 2.- Der Umfang der vom Beschwerdeführer zu leistenden Rückerstattung ist nicht bestritten. Gegenstand des vor- liegenden Verfahrens bilden der Erlass dieser Rückerstat- tungsschuld sowie die Frage, ob die Verrechnung mit fäl- ligen Versicherungsleistungen zulässig sei. 3.- Nach ständiger Rechtsprechung geht es hinsichtlich des Erlasses einer Rückerstattungsschuld nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen im Sinne von Art. 132 OG (BGE 122 V 223 Erw. 2 mit Hin- weis). Das Eidg. Versicherungsgericht hat demnach einzig zu prüfen, ob der vorinstanzliche Richter Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offen- sichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 4.- Das kantonale Gericht hat die massgeblichen Bestimmungen über die Voraussetzung für den Erlass der Rückerstattung zu Unrecht bezogener Ergänzungsleistungen (Art. 27 Abs. 1 ELV in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 AHVG und Art. 79 AHVV) sowie die nach der Rechtsprechung für die Beurteilung des guten Glaubens des Leistungsbezügers ent- scheidenden Kriterien (BGE 110 V 180 f. Erw. 3c und d, 102 V 246 Erw. b, je mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Bezüglich der Erlassvoraussetzungen ist zu ergänzen, dass die Rechtsprechung unterscheidet zwischen dem guten Glauben als fehlendem Unrechtsbewusstsein und der Frage, ob sich jemand unter den gegebenen Umständen auf den guten Glauben berufen kann und ob er bei zumutbarer Aufmerksamkeit den bestehenden Rechtsmangel hätte erkennen sollen. Die Frage nach dem Unrechtsbewusstsein gehört zum inneren Tatbestand und ist daher Tatfrage, die nach Massgabe von Art. 105 Abs. 2 OG von der Vorinstanz verbindlich beantwortet wird. Demgegenüber gilt die Frage nach der Anwendung der gebo- tenen Aufmerksamkeit als frei überprüfbare Rechtsfrage, soweit es darum geht, festzustellen, ob sich jemand an- gesichts der jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse auf den guten Glauben berufen kann (BGE 122 V 223 Erw. 3 mit Hin- weis). 5.- a) Hinsichtlich der Frage des guten Glaubens hat die Vorinstanz ausgeführt, der Beschwerdeführer habe die ihm obliegende Pflicht, die amtliche Neuschätzung der Liegenschaft zu melden, zwar nicht absichtlich, indessen grobfahrlässig verletzt. Als er sich im Januar 1996 zum Bezug von Ergänzungsleistungen angemeldet habe, sei noch die Schätzung vom 6. Februar 1986 gültig gewesen. Kurze Zeit nach Erlass der leistungsbegründenden Verfügung vom 15. Februar 1996 habe er indessen Kenntnis von der Neu- schätzung der Liegenschaft, gültig ab 1. März 1996, er- halten, mit welcher der Wert um das Dreifache erhöht worden sei. Angesichts der engen zeitlichen Abfolge von erstmali- ger Leistungszusprache und Neuschätzung habe der Beschwer- deführer erkennen müssen, dass die bedeutend höhere Be- wertung seines Liegenschaftenvermögens nicht ohne Aus- wirkungen auf seine Ergänzungsleistungsansprüche habe blei- ben können. Diesen Umstand habe er dem zur Leistungsver- fügung gehörenden Berechnungsblatt ohne weiteres entnehmen können. b) Demgegenüber lässt der Versicherte ausführen, ein doloses oder grobfehlerhaftes Verhalten könne ihm nicht nachgewiesen werden. Er sei nicht ausdrücklich auf die Pflicht zur Meldung der Neuschätzung der Liegenschaft hin- gewiesen worden. In seinem Leistungsgesuch habe er die Fra- ge nach dem Grundeigentum korrekt beantwortet und den verlangten Auszug aus dem Kataster beigelegt. Er habe sich der Bedeutung des Liegenschaftswertes weder bei der An- meldung zum Ergänzungsleistungsbezug noch später bewusst sein können, zumal durch die Neuschätzung keine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten sei. c) Die Feststellung der Vorinstanz, dass der Ver- sicherte seine Meldepflicht nicht absichtlich verletzt hat, ist tatsächlicher Art und damit für das Eidgenössische Versicherungsgericht verbindlich (Erw. 4 hievor). Die Vor- aussetzungen des guten Glaubens im Sinne von Art. 47 AHVG sind indessen nicht schon mit der Unkenntnis des Rechts- mangels gegeben. Zu prüfen ist vielmehr, ob der Versicherte sich einer groben Nachlässigkeit schuldig gemacht hat. Diese Frage ist zu bejahen: Der Beschwerdeführer hat den damals massgeblichen Steuerwert von Fr. 172'000.- in seinem Gesuch vom 10. Januar 1996 angegeben. Diese Angabe fand in den Verfügungen vom 15. Februar 1996, mit welchen dem Ver- sicherten Ergänzungsleistungen mit Wirkung ab 1. Juli 1994 zur Invalidenrente zugesprochen wurden, und dem entspre- chenden Berechnungsblatt ihren Niederschlag. Am 1. März 1996 wurde dem Versicherten die Neuschätzung der Liegen- schaft eröffnet, gemäss welcher der Wert neu auf Fr. 500'000.- festgesetzt wurde. Der Versicherte hätte, wie die Vorinstanz zu Recht ausführt, bei genügender Sorgfalt feststellen können und müssen, dass diese eklatante Höher- bewertung für die Bemessung der Ergänzungsleistungen von erheblicher Bedeutung war. Er hätte nicht einfach annehmen dürfen, die Neuschätzung habe keinen Einfluss auf die tatsächlichen Vermögensverhältnisse. Vielmehr hätte ihm bewusst sein müssen, dass die amtliche Schätzung, welche auch als Grundlage für die Bemessung der Steuern diente, einer Veränderung der Vermögensverhältnisse im Sinne des Ergänzungsleistungsrechts gleichkam. Gemäss ausdrücklichem Hinweis auf der Rückseite der Verfügungen vom 15. Februar 1996 war er verpflichtet, Erhöhung oder Verminderung des Einkommens bzw. des Vermögens sofort der AHV-Zweigstelle seines Wohnortes zu melden. Der Versicherte kann sich demnach nicht auf den guten Glauben berufen, weshalb sein Erlassgesuch zu Recht abgewiesen worden ist. 6.- Gemäss Art. 27 Abs. 2 ELV können Rückforderungen mit fälligen Leistungen verrechnet werden. Die Verrechnung ist nur insoweit zulässig, als dem Schuldner das betrei- bungsrechtliche Existenzminimum gewahrt bleibt (BGE 113 V 285 Erw. 5b mit Hinweisen). Auf den massgeblichen betreibungsrechtlichen Notbedarf ist indessen nur abzustellen, wenn der Versicherte über keinerlei Vermögen verfügt. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer einer Liegenschaft, deren amtlicher Wert Fr. 500'000.- beträgt und die mit einer Grundpfandschuld von Fr. 370'000.- belastet ist. Die Differenz zwischen der Belastung und dem geschätzten Wert ist dem Beschwerdeführer als Vermögen aufzurechnen, weshalb mit einer Betreibung nicht in sein Existenzminimum eingegriffen würde. Die Verrechnung ist überdies auch insoweit zulässig, als der Rückerstattungsschuld ein Nachzahlungsanspruch von Ergänzungsleistungen gegenübersteht. In BGE 113 V 285 Erw. 5b entschied das Eidgenössische Versicherungsgericht, eine Leistung, auf die Anspruch bestehe, könne nicht herabge- setzt werden, wenn der Unterschied zwischen dem Rohein- kommen eines Ergänzungsleistungsberechtigten und dem be- treibungsrechtlichen Existenzminimum sich ausschliesslich aus dem Bezug einer Ergänzungsleistung ergebe. Unter den- selben Voraussetzungen sei auch eine verrechnungsweise Til- gung der Schuld nicht möglich. Diese Rechtsprechung wird durch die Verrechnung der Rückerstattungsschuld mit Nach- zahlungen von Ergänzungsleistungen nicht berührt, da in diesem Fall der laufende Notbedarf des Versicherten weiterhin gewährleistet ist. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich daher auch in diesem Punkte als unbegründet. 7.- Nach Gesetz (Art. 152 OG) und Praxis sind die Vor- aussetzungen für die Bewilligung der unentgeltlichen Pro- zessführung und Verbeiständung erfüllt, wenn der Prozess nicht aussichtslos erscheint, die Partei bedürftig und die Verbeiständung durch einen Anwalt notwendig oder doch ge- boten ist (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Bedürftig im Sinne von Art. 152 Abs. 1 OG ist, wer ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie nötigen Lebensunterhaltes nicht in der Lage ist, die Prozesskosten zu bestreiten, wobei die wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung über das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (BGE 108 V 269 Erw. 4) massgebend sind. Abzustellen ist sowohl auf die Einkommens- als auch die Vermögensverhältnisse. Von einem Grundeigen- tümer kann verlangt werden, einen Kredit auf sein Grund- stück aufzunehmen, soweit dieses noch belastet werden kann (BGE 119 Ia 11 ff.). Das Einkommen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau führt zu keinem Einnahmenüberschuss. Die eheliche Liegen- schaft ist bei einem Schatzungswert von Fr. 500'000.- mit einer Grundpfandschuld von Fr. 370'000.- belastet. Die Belehnung beläuft sich somit auf 74 %. Zur Beantwortung der Frage, ob auf das Grundstück unter diesen Umständen ein weiterer Kredit aufgenommen werden kann, sind die übrigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten zu berück- sichtigen. Es ist zu beachten, dass er über ein minimales Einkommen verfügt und dieses aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Zukunft nicht wird steigern können. Sodann weist gemäss Auszug vom 30. November 2001 sein Bankkonto einen negativen Saldo von über Fr. 20'000.- auf. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass dem Versicherten kein weiterer Hypothekarkredit gewährt würde. Er ist demnach nicht in der Lage, für die laufenden Prozesskosten aus seinem Vermögen aufzukommen. Seinem Gesuch um unentgelt- liche Rechtspflege und Verbeiständung ist daher, da die übrigen Voraussetzungen zweifelsohne erfüllt sind, statt- zugeben. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. II. Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege werden sie einstweilen auf die Gerichtskasse genommen. III. Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Philip Schneider für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung (einschliesslich Mehrwertsteuer) von Fr. 2500.- ausgerichtet. IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungs- gericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. Luzern, 16. Mai 2002 Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts Der Präsident der I. Kammer: Der Gerichtsschreiber: