Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 27/2001
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P 27/01

Urteil vom 31. Januar 2003
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber
Nussbaumer

Ausgleichskasse des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdeführerin,

gegen

Einwohnergemeinde G.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch die
I.________ AG, Herrn B.________,

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 21. März 2001)

Sachverhalt:

A.
Der in G.________ wohnhaft gewesene O.________ (geb. 1963) erhielt mit
Verfügung der IV-Stelle des Kantons Solothurn vom 6. April 1998 rückwirkend
ab 1. Februar 1997 eine ganze Invalidenrente zugesprochen. Im Mai 1998 zog er
nach R.________, wo er sich am 14. Mai 1998 auf dem Einwohneramt anmeldete.
Hier stellte er am 17. Juni 1998 ein Gesuch zum Bezug von
Ergänzungsleistungen. Mit Verfügung vom 9. Juli 1998 sprach ihm die
Durchführungsstelle für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Gemeinde R.________
ab 1. Mai 1998 Ergänzungsleistungen zur Invalidenrente von monatlich Fr.
1089.- zu. Für die Zeit vom 1. Februar 1997 bis Ende April 1998 verneinte sie
mangels Zuständigkeit einen Leistungsanspruch. Die hiegegen von der
Einwohnergemeinde G.________ erhobene Einsprache lehnte der Bezirksrat
H.________ mit Beschluss vom 14. Oktober 1998 ab. Die daraufhin von der
Einwohnergemeinde G.________ eingereichte Beschwerde wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit unangefochten in
Rechtskraft erwachsenem Entscheid vom 27. Juli 1999 ab.

Am 7. September 1998 gelangte die Einwohnergemeinde G.________ erstmals an
die Ausgleichskasse des Kantons Solothurn und beantragte für O.________ die
rückwirkende Ausrichtung einer Ergänzungsleistung ab 1. Februar 1997. Dieses
Gesuch erneuerte sie am 21. Oktober 1999. Mit Verfügung vom 3. November 1999
trat die Ausgleichskasse des Kantons Solothurn mangels örtlicher
Zuständigkeit auf das Gesuch nicht ein, weil für die Ausrichtung der
Ergänzungsleistungen der Wohnsitz zum Zeitpunkt der Anmeldung massgebend sei.

B.
Die hiegegen von der Einwohnergemeinde G.________ erhobene Beschwerde hiess
das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 21. März
2001 gut und hob die angefochtene Kassenverfügung vom 3. November 1999 auf
mit der Feststellung, dass die örtliche Zuständigkeit der Ausgleichskasse des
Kantons Solothurn für die Festsetzung und Auszahlung der Ergänzungsleistung
für O.________ gegeben sei.

C.
Die Ausgleichskasse des Kantons Solothurn führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
mit dem Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides.

Die Einwohnergemeinde G.________ lässt sinngemäss auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) und der beigeladene O.________ lassen sich nicht
vernehmen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Bereich der Ergänzungsleistungen geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 3.
November 1999) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b),
sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden
Bestimmungen anwendbar.

2.
2.1 Nach Art. 103 lit. a in Verbindung mit Art. 132 OG ist zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische Versicherungsgericht
berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein
schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Die
Rechtsprechung betrachtet als schutzwürdiges Interesse im Sinne von Art. 103
lit. a OG jedes praktische oder rechtliche Interesse, welches eine von einer
Verfügung betroffene Person an deren Änderung oder Aufhebung geltend machen
kann. Das schutzwürdige Interesse besteht somit im praktischen Nutzen, den
die Gutheissung der Beschwerde dem Verfügungsadressaten verschaffen würde,
oder - anders ausgedrückt - im Umstand, einen Nachteil wirtschaftlicher,
ideeller, materieller oder anderweitiger Natur zu vermeiden, welchen die
angefochtene Verfügung mit sich bringen würde. Das rechtliche oder auch bloss
tatsächliche Interesse braucht somit mit dem Interesse, das durch die von der
beschwerdeführenden Person als verletzt bezeichnete Norm geschützt wird,
nicht übereinzustimmen. Immerhin wird verlangt, dass die Person durch die
angefochtene Verfügung stärker als jedermann betroffen sei und in einer
besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache stehe (BGE 127 V
3 Erw. 1b, 82 Erw. 3a/aa, 125 V 342 Erw. 4a, je mit Hinweisen).

Die Massstäbe, welche Art. 103 lit. a OG und die Praxis bezüglich der
Beschwerdebefugnis im letztinstanzlichen Verfahren setzen, sind auch für das
erstinstanzliche Beschwerdeverfahren richtungsweisend. Im Hinblick auf die
derogatorische Kraft des Bundesrechts und entsprechend dem Grundsatz der
Einheit des Verfahrens dürfen nach der Rechtsprechung bei Streitigkeiten des
Bundesverwaltungsrechts, die mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das
Eidgenössische Versicherungsgericht weitergezogen werden können, auf
kantonaler Ebene an die Beschwerdebefugnis nicht strengere Anforderungen
gestellt werden, als sie Art. 103 lit. a OG für die Legitimation zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorsieht. Wer gemäss Art. 103 lit. a OG im
letztinstanzlichen Verfahren beschwerdebefugt ist, muss deshalb auch im
kantonalen Rechtsmittelverfahren zum Weiterzug berechtigt sein (BGE 123 V 114
Erw. 3 mit Hinweisen).

2.2 Im Lichte dieser Grundsätze ist das kantonale Gericht zu Recht
(stillschweigend) auf die vorinstanzliche Beschwerde der Einwohnergemeinde
eingetreten. Diese hat den Versicherten mit Fürsorgeleistungen in der
fraglichen Zeitspanne unterstützt und ist daher gestützt auf Art. 20 Abs. 1
ELV (in Verbindung mit Art. 67 Abs. 1 AHVV; vgl. auch Art. 22 Abs. 4 ELV) zur
Geltendmachung des Anspruchs auf Ergänzungsleistung aus eigenen Recht
legitimiert. Umgekehrt hat die Befugnis von Dritten oder Behörden zur
Anmeldung aus eigenem Recht zur Folge, dass ihnen auch die
Beschwerdelegitimation zusteht (ARV 1999 Nr. 14 S. 79 Erw. 2b mit Hinweisen).

3.
Der beigeladene Versicherte  hatte seinen Wohnsitz unbestrittenermassen bis
anfangs Mai 1998 in G.________ und ab 14. Mai 1998 in R.________. Mit
Verfügung vom 6. April 1998 sprach ihm die IV-Stelle des Kantons Solothurn
rückwirkend ab 1. Februar 1997 eine ganze Invalidenrente zu. Die
Durchführungsstelle für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Gemeinde R.________
gewährte ihm mit Verfügung vom 9. Juli 1998 mit Wirkung ab 1. Mai 1998
Ergänzungsleistungen. Diese Verfügung bestätigte das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich auf Beschwerde der
Einwohnergemeinde G.________ hin mit in Rechtskraft erwachsenem Entscheid vom
27. Juli 1999. Damit ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin
rechtskräftig festgestellt, dass der Versicherte im Kanton Zürich für die
Zeit vor Mai 1998 keinen Leistungsanspruch hatte (BGE 105 V 274 Erw. 2).
Unabhängig davon stehen der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des
Kantons Zürich vom 27. Juli 1999 und der angefochtene Entscheid der
Vorinstanz vom 21. März 2001 in Einklang mit dem in Art. 1 Abs. 3 ELG
festgelegten Wohnsitzprinzip, wonach zuständig für die Festsetzung und
Auszahlung der Ergänzungsleistung der Kanton ist, in dem die
anspruchsberechtigte Person ihren zivilrechtlichen Wohnsitz hat. Diese
Zuständigkeitsordnung, welche Ausdruck der kantonalen Unterschiede bei der
Existenzbedarfshöhe und der Finanzierung des Sozialwerkes ist (vgl. Art. 1
Abs. 1 und 2, Art. 5 ELG und Übergangsbestimmungen BV zu Art. 112), gilt auch
im Falle rückwirkend zugesprochener AHV- oder IV-Renten, wenn im fraglichen
Zeitraum ein Wohnsitzwechsel (vgl.  auch BGE 108 V 22 und 127 V 237)
stattgefunden hat. Aus diesem Grund kann sich die Beschwerdeführerin auch
nicht auf die anderslautende Verwaltungspraxis bei den AHV/IV-Renten (Rz 2030
der Wegleitung des BSV über die Renten in der Eidgenössischen Alters-,
Hinterlassenen- und Invalidenversicherung) berufen. Es ist zudem keine
Rechtsgrundlage ersichtlich, die im Falle der Nachzahlung ein Abweichen von
Art. 1 Abs. 3 ELG gestatten würde. So betrifft Art. 22 Abs. 1 ELV als
Spezialregelung zu Art. 21 Abs. 1 ELV (vgl. dazu BGE 126 V 299) lediglich den
Beginn des Leistungsanspruchs und nicht die örtliche Zuständigkeit.
Schliesslich ist auch zu beachten, dass es neben den Fällen der rückwirkenden
Ausrichtung von Ergänzungsleistungen infolge Rentennachzahlungen auch Fälle
gibt, in denen die zuständige Behörde eines Kantons längere Zeit benötigt, um
die EL-Anmeldung zu bearbeiten. Wenn während der Bearbeitungszeit ein
Wohnsitzwechsel stattfindet, wäre es nicht sachgerecht, wenn der neue
Wohnsitzkanton im Zeitpunkt der neuen Anmeldung auch für die frühere
Zeitspanne die Ergänzungsleistungen ausrichten müsste. Weder Gründe der
Koordination mit der AHV/IV noch der Verwaltungsökonomie vermögen ein
gegenteiliges Ergebnis zu rechtfertigen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, O.________, dem Versicherungsgericht des
Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 31. Januar 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: