Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 91/2001
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K 91/01 Gi

                        IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari;
Gerichtsschreiber Schmutz

                 Urteil vom 9. April 2002

                         in Sachen

A.________, 1921, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechts-
anwalt Christian Thöny, Quaderstrasse 16, 7000 Chur,

                           gegen

Krankenkasse KPT, Tellstrasse 18, 3014 Bern, Beschwerdegeg-
nerin,

                            und

Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Chur

     A.- Der 1921 geborene A.________ ist bei der KPT/CPT
Krankenkasse (nachfolgend KPT) obligatorisch für Kranken-
pflege versichert. Er leidet unter fortgeschrittener Demenz
bei Morbus Alzheimer mit massiven Gedächtnis- und Wortfin-
dungsstörungen. Seit 1998 lebte er in der Alterssiedlung
M.________. Ab 17. Dezember 1998 wurde er zur Kriseninter-
vention in die Akutabteilung der Kantonalen Psychiatrischen

Klinik W.________ verlegt. Die KPT garantierte zunächst bis
zum 31. Mai 1999 die Pauschaltaxe für Akutpatienten von
Fr. 175.- im Tag. Da sie nach Prüfung und Beurteilung durch
den Vertrauensarzt die Behandlung und Pflege in der Akutab-
teilung nicht mehr als medizinisch indiziert erachtete,
garantierte sie ab dem 1. Juni 1999 dem Spital gegenüber
nur noch die Übernahme der im Kanton Graubünden mit den
Psychiatrischen Kliniken für pflegebedürftige Personen ver-
traglich vereinbarten Pauschaltaxe von Fr. 20.- im Tag. Da
sich der Sohn A.________ jun. damit nicht einverstanden er-
klärte, erliess die KPT am 17. September 1999 eine entspre-
chende Verfügung, an welcher sie mit Einspracheentscheid
vom 19. April 2000 festhielt.

     B.- A.________ jun. liess hiegegen für seinen Vater
beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden Beschwerde
erheben und beantragen, die KPT sei zu verpflichten, für
den stationären Aufenthalt in der Psychiatrischen Klinik
W.________ ab 1. Juni 1999 weiterhin die Pauschale für
Akutpatienten zu vergüten.
     Das kantonale Verwaltungsgericht beauftragte PD Dr.
med. X.________, Co-Leiter des Zentrums für Gerontologie
der Universität Z.________ und Chefarzt des Stadtärztlichen
Dienstes sowie Bezirksarzt des Bezirks F.________, mit der
Ausarbeitung eines Gutachtens (vom 11. Dezember 2000). Da-
rin kam PD Dr. med. X.________ zum Schluss, dass auf Grund
der Krankengeschichte und der Pflegeberichte beim Versi-
cherten spätestens ab dem 1. Juli 1999 keine hinreichenden
Gründe mehr für eine stationär-psychiatrische Behandlung in
einer psychiatrischen Klinik ersichtlich seien. Von Seiten
des Versicherten wurden Stellungnahmen von Dr. med.
B.________, Chefarzt der Klinik W.________, vom 15. Januar
2001 und Dr. med. K.________, Spezialarzt FMH für Psychia-
trie und Psychotherapie, vom 7. Februar 2001 zu dem Gutach-
ten aufgelegt. Beide hielten im Ergebnis fest, der Versi-
cherte sei über den 1. Juli 1999 hinaus stationär-psychiat-

risch behandlungsbedürftig gewesen, was eine Verlegung ver-
unmöglicht habe. Die KPT erklärte sich bereit, die Pau-
schaltaxe von Fr. 175.- für Akutpatienten statt bis am
31. Mai 1999 bis am 30. Juni 1999 zu übernehmen.
     Das kantonale Gericht wies die Beschwerde mit Ent-
scheid vom 30. März 2001 ab, soweit sie nicht zufolge Aner-
kennung gegenstandslos geworden war.

     C.- A.________ jun. lässt für seinen Vater Verwal-
tungsgerichtsbeschwerde erheben mit dem Rechtsbegehren, in
Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei die KPT zu ver-
pflichten, für den stationären Aufenthalt in der Psychiat-
rischen Klinik W.________ vom 1. Juni 1999 bis 26. Mai 2000
(dem Tag der Verlegung ins Pflegeheim Seniorenzentrum
R.________) die Pauschale für Akutpatienten zu vergüten.
Zudem ersucht er um unentgeltliche Verbeiständung.
     Während die KPT auf Abweisung der Verwaltungsgerichts-
beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozial-
versicherung auf eine Vernehmlassung.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- Die Vorinstanz hat die massgebenden gesetzlichen
Bestimmungen betreffend den Umfang der Leistungen in der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung im Grundsatz
(Art. 24 in Verbindung mit Art. 32-34 KVG) und insbesondere
bei stationärem Spitalaufenthalt (Art. 25 Abs. 2 lit. e
KVG) zutreffend wiedergegeben. Darauf kann verwiesen wer-
den. Zudem hat sie richtig angeführt, dass die nach der
Rechtsprechung für den Leistungsanspruch bei Spitalbehand-
lung unter der Herrschaft des KUVG entwickelten Grundsätze
im Rahmen des KVG ihre Gültigkeit bewahrt haben (BGE 125 V
177, 124 V 364 Erw. 1b; vgl. auch BGE 127 V 47 Erw. 2c und
126 V 323 Erw. 2b, je mit Hinweisen; RKUV 1998 Nr. K 34 S.
289 Erw. 1; vgl. auch Maurer, Das neue Krankenversiche-
rungsrecht, Basel/Frankfurt a.M. 1996, S. 71 Anm. 181).

     Es ist demzufolge aus krankenversicherungsrechtlicher
Sicht nicht massgebend, an welchem Ort die Behandlung der
versicherten Person erfolgte; die Leistungspflicht des
Krankenversicherers richtet sich vielmehr danach, in welche
Abteilung die versicherte Person aus medizinischer Sicht
gehört (BGE 124 V 364 Erw. 1b mit Hinweisen). Demnach be-
steht kein Anspruch auf Ersatz der Spitalkosten, wenn die
notwendige Behandlung und Betreuung auch von einer Pflege-
abteilung erbracht werden können. "Akutspitalbedürftig-
keit", was Voraussetzung für die Übernahme der Kosten nach
Spitaltarif ist (Art. 49 Abs. 3 KVG), und "Langzeitpflege-
bedürftigkeit", bei welcher die Krankenversicherer ledig-
lich die Kosten im Rahmen des Tarifs für ein Pflegeheim
(Art. 50 KVG) zu entschädigen haben, lassen sich nicht
streng voneinander abgrenzen. Bei der Unterscheidung von
Akutspitalbedürftigkeit und anschliessender blosser Pflege-
bedürftigkeit ist dem behandelnden Arzt ein gewisser Ermes-
sensspielraum zuzugestehen. Auch unter der Herrschaft des
KVG ist den Versicherten für den Übertritt vom Akutspital
in ein Pflegeheim oder eine Pflegeabteilung eine angemesse-
ne Anpassungszeit einzuräumen (BGE 124 V 366 Erw. 2c mit
Hinweisen).

     2.- Im Lichte der erwähnten Grundsätze ist festzustel-
len, dass die Vorinstanz in richtiger Anwendung des Art. 49
Abs. 3 KVG auf Grund des Gutachtens des PD Dr. med.
X.________ und in Würdigung der konkreten Umstände bei dem
an Morbus Alzheimer mit fortgeschrittener Demenz leidenden
Versicherten eine Spitalbedürftigkeit ab 1. Juli 1999 zu-
treffend verneint und eine Pflegebedürftigkeit angenommen
hat.

     a) Es waren ab 1. Juli 1999 keine Massnahmen notwen-
dig, welche nicht durch eine Pflegeabteilung erbracht wer-
den konnten. Insbesondere die Verbesserung der Medikation
und die Evaluation der Gesamtsituation waren entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers nicht unter Spitalbedin-
gungen durchzuführen, sondern auch im Pflegeheim möglich.
Die KPT weist mit Recht darauf hin, dass nach fast sieben-
monatiger Behandlung in der psychiatrischen Klinik die
Voraussetzungen für eine Verlegung in ein Pflegeheim gege-
ben waren.

     b) Der Krankenversicherer hat nicht dafür aufzukommen,
wenn ein Versicherter trotz nicht mehr bestehender Spital-
bedürftigkeit weiterhin in einer Heilanstalt untergebracht
ist, weil kein Platz in einem geeigneten und für den Versi-
cherten genügenden Pflegeheim (ohne Spitalcharakter) vor-
handen ist (BGE 124 V 365 Erw. 1b). Dies gilt auch unter
Berücksichtigung des Umstandes, dass es laut dem kantonalen
Entscheid in der Region Chur keine demenzspezifischen Pfle-
geheime gibt.

     c) Da angesichts des Gesagten ab 1. Juli 1999 keine
Spitalbedürftigkeit mehr bestand, woran die in der Verwal-
tungsgerichtsbeschwerde erhobenen Einwendungen nichts zu
ändern vermögen, kann offen bleiben, inwieweit im angefoch-
tenen Entscheid der Sachverhalt nach Meinung des Beschwer-
deführers unrichtig festgestellt worden ist, indem dort
nicht erkannt worden sei, dass sich das Krankheitsbild des
Beschwerdeführers in der Zeit nach dem 1. Juli 1999 im Ver-
gleich zur Zeit davor nicht verändert habe.

     3.- Der Versicherte wurde am 17. Dezember 1998 zur
"Krisenintervention" von der Alterssiedlung Y.________ in
die Akutabteilung der Kantonalen Psychiatrischen Klinik
W.________ verlegt. Es handelte sich dabei nicht um einen

bloss vorübergehenden Aufenthalt mit Rückkehr in das frü-
here Domizil, sondern die KPT garantierte zunächst für ein
halbes Jahr die Pauschaltaxe für Akutpatienten. Unter die-
sen Umständen hatte der Beschwerdeführer einen Anspruch da-
rauf, dass ihm für den späteren Übertritt vom Akutspital in
ein Pflegeheim oder eine Pflegeabteilung eine angemessene
Übergangsfrist gewährt wird.
     Aus den Akten ergibt sich, dass die Familie des ur-
teilsunfähigen Versicherten von der KPT erstmals mit einer
Orientierungskopie des Schreibens vom 16. August 1999 an
das Spital darüber informiert wurde, dass sie ab dem 1. Ju-
ni 1999 nur noch die Pauschaltaxe für Pflegebedürftige
übernehme. Erst ab dem Zeitpunkt dieser Mitteilung begann
die dem Beschwerdeführer zu gewährende einmonatige Über-
gangsfrist zu laufen. Sie endete allerdings vorzeitig be-
reits am 31. August 1999, an welchem - wie aus dem Gutach-
ten von PD Dr. med. X.________ hervor geht - die anstehende
Verlegung in das Pflegeheim Y.________ abgesagt werden
musste, weil sich die Angehörigen dagegen stellten und so
eine konkret mögliche Disposition verhinderten.

     4.- Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss
Art. 134 OG keine Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den
Gerichtskosten erweist sich daher als gegenstandslos.
     Soweit der Beschwerdeführer obsiegt, steht ihm eine
Parteientschädigung zu (Art. 159 in Verbindung mit Art. 135
OG). In diesem Umfang ist auch das Gesuch um unentgeltliche
Verbeiständung als gegenstandslos geworden zu betrachten.
Im Übrigen kann ihm die unentgeltliche Verbeiständung ge-
währt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da
die Bedürftigkeit ausgewiesen ist, die Beschwerde nicht als
aussichtslos zu bezeichnen und die anwaltliche Vertretung
geboten war (BGE 124 V 309 Erw. 6 mit Hinweisen; AHI 1999
S. 85 Erw. 3). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152
Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei
der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie
später dazu im Stande ist.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbe-
     schwerde wird der Entscheid des Verwaltungsgerichts
     des Kantons Graubünden vom 30. März 2001 insoweit
     abgeändert, als die KPT/CPT Krankenkasse den Aufent-
     halt des Beschwerdeführers in der Kantonalen Psychiat-
     rischen Klinik W.________ bis zum 31. August 1999 nach
     dem Tarif für Akutpatienten zu entschädigen hat.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Die KPT/CPT Krankenkasse hat dem Beschwerdeführer für
     das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsge-
     richt eine Parteientschädigung von Fr. 500.- (ein-
     schliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. Zufolge
     Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird
     Rechtsanwalt lic. iur. et oec. Christian Thöny für den
     ungedeckten Teil der Parteikosten aus der Gerichtskas-
     se eine Entschädigung (Honorar und Auslagenersatz,
     einschliesslich Mehrwertsteuer) von Fr. 2'000.- aus-
     gerichtet.

 IV. Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden wird
     über eine Neuverlegung der Parteikosten für das kanto-
     nale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztin-
     stanzlichen Prozesses zu befinden haben.

  V. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge-
     richt des Kantons Graubünden und dem Bundesamt für
     Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 9. April 2002

                                  Im Namen des
                      Eidgenössischen Versicherungsgerichts
                          Die Präsidentin der IV. Kammer:

                             Der Gerichtsschreiber: