Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 6/2001
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K 6/01 Ge

                         I. Kammer

Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Borella, Spira
und Ursprung; Gerichtsschreiberin Hofer

               Urteil vom 26. September 2001

                         in Sachen

Ärztegesellschaft des Kantons Bern, Kapellenstrasse 14,
3011 Bern, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher
Dr. Thomas Eichenberger, Kapellenstrasse 14, 3011 Bern,

                           gegen

SWICA Gesundheitsorganisation, Rechtsdienst, Römer-
strasse 38, 8401 Winterthur, Beschwerdegegnerin, vertreten
durch Fürsprecher Daniel Staffelbach, Münstergasse 2,
8001 Zürich,
                            und

Schiedsgericht in Sozialversicherungsstreitigkeiten des
Kantons Bern, Bern,

betreffend Dr. med. X.________,

     A.- Mit Schreiben vom 27. Januar 2000 teilte die SWICA
Gesundheitsorganisation (SWICA) der Ärztegesellschaft des
Kantons Bern mit, der bei der SWICA Gesundheitszentren AG
als Medizinischer Leiter des Gesundheitszentrums Bern ange-

stellte Dr. med. X.________ werde künftig für sie als Ver-
trauensarzt tätig sein. Dem widersetzte sich die Ärzte-
gesellschaft mit der Begründung, Dr. med. X.________
vermöge die geforderte Unabhängigkeit nicht zu
gewährleisten.

     B.- Nachdem die SWICA an ihrem Entscheid festgehalten
hatte, erhob die Ärztegesellschaft am 14. Juni 1999 beim
Schiedsgericht nach Art. 89 KVG des Kantons Bern (nach-
folgend: Schiedsgericht) Klage, mit welcher sie beantragte,
Dr. med. X.________ sei die Zulassung als Vertrauensarzt
der SWICA zu verweigern. Mit Entscheid vom 30. November
2000 wies das Schiedsgericht die Klage ab.

     C.- Die Ärztegesellschaft lässt Verwaltungsgerichts-
beschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, der vorinstanz-
liche Entscheid sei aufzuheben und die Sache sei zur Er-
gänzung des Sachverhalts und Neubeurteilung an das
Schiedsgericht zurückzuweisen.
     Die SWICA lässt beantragen, die Verwaltungsgerichts-
beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesamt für Sozialversicherung hat sich nicht ver-
nehmen lassen. Dr. med. X.________ verweist auf seine
Eingabe im vorinstanzlichen Verfahren.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- Streitig ist, ob wichtige Gründe im Sinne von
Art. 57 Abs. 3 Satz 1 KVG vorliegen, welche gegen die Er-
nennung des vom Krankenversicherer vorgeschlagenen Ver-
trauensarztes sprechen. Solche Streitigkeiten fallen in die
Kompetenz des kantonalen Schiedsgerichts (Art. 57 Abs. 3
Satz 2 in Verbindung mit Art. 89 KVG). Dessen Entscheide
unterliegen nach Art. 91 KVG der Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde an das Eidgenössische Versicherungsgericht.
     Da es nicht um Versicherungsleistungen geht, ist vom
Eidgenössischen Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der

angefochtene Entscheid Bundesrecht verletzt hat, ein-
schliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens,
oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich
unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in
Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2
OG).

     2.- Nach Art. 57 Abs. 1 KVG bestellen die Versicherer
oder ihre Verbände nach Rücksprache mit den kantonalen
Ärztegesellschaften Vertrauensärzte beziehungsweise Ver-
trauensärztinnen. Diese müssen die Zulassungsvoraussetzun-
gen nach Art. 36 KVG erfüllen und mindestens fünf Jahre in
einer Arztpraxis oder in leitender spitalärztlicher Stel-
lung tätig gewesen sein. Dieses Anforderungsprofil wird von
Dr. med. X.________ unbestrittenermassen erfüllt.

     3.- Der Vertrauensarzt gemäss Art. 57 KVG ist ein
Organ der sozialen Krankenversicherung. Dabei hat er die
divergierenden Interessen der Versicherten, der Versicherer
und der Leistungserbringer in vernünftiger Weise auszuglei-
chen. Seine Aufgaben werden in Art. 57 Abs. 4 und Abs. 5
KVG umschrieben. Danach berät er den Versicherer in medizi-
nischen Fachfragen sowie in Fragen der Vergütung und der
Tarifanwendung. Zudem kommt ihm eine Überwachungs- und
Kontrollfunktion zu. Er überprüft die Voraussetzungen der
Leistungspflicht des Versicherers (Art. 57 Abs. 4 KVG). Ihm
obliegt die Kontrolle der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und
Wirtschaftlichkeit der Behandlung im Sinne von Art. 32 und
Art. 56 KVG (vgl. auch den Titel zum 6. Abschnitt des KVG:
"Kontrolle der Wirtschaftlichkeit und der Qualität der
Leistungen"). Seine Kompetenz beschränkt sich auf die Be-
antwortung medizinischer Fachfragen. In fachlicher Hinsicht
kann ihm der Versicherer nichts vorschreiben. Die Ver-
trauensärzte sind in ihrem Urteil unabhängig; weder Ver-
sicherer noch Leistungserbringer noch deren Verbände können
ihnen Weisungen erteilen (Art. 57 Abs. 5 KVG). Diese Unab-

hängigkeit des Urteils bezieht sich auf die gesetzliche
Aufgabe, die der Vertrauensarzt wahrzunehmen hat. In admi-
nistrativer Hinsicht ist er in die Hierarchie des Versi-
cherers eingegliedert. Mit ihm schliesst er den Anstel-
lungsvertrag ab (Maurer, Das neue Krankenversicherungs-
recht, Basel/Frankfurt am Main 1996, S. 100 ff.; Eugster,
Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungs-
recht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 62 ff.; vgl. auch BGE
127 V 47 Erw. 2d).

     4.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, Dr. med.
X.________ sei aus wichtigen Gründen im Sinne von Art. 57
Abs. 3 KVG als Vertrauensarzt der SWICA abzulehnen, da
dessen Unabhängigkeit und Vertrauenswürdigkeit nicht ge-
währleistet seien. Die Funktion als Vertrauensarzt übe er
im Rahmen seiner Anstellung als HMO-Arzt der SWICA Gesund-
heitszentren AG aus, wobei die Organisation des vertrauens-
ärztlichen Dienstes dieser Kasse undurchsichtig ausgestal-
tet sei und die Leitung für medizinische Fragen von einer
Juristin wahrgenommen werde. Nur ein unabhängiger und wei-
sungsungebundener Vertrauensarzt könne die Stellung zwi-
schen Patient und Krankenversicherer wahrnehmen und dem
Gesetz zum Durchbruch verhelfen. Auch wenn er im Organi-
gramm und auf der Gehaltsliste des Krankenversicherers
figuriere, dürfe der Vertrauensarzt nicht gezwungen sein,
einseitig Kostensparziele seines Arbeitgebers zu verfolgen.
Vielmehr habe er auch die Interessen der Versicherten nach
guter Behandlung, welche zwangsläufig Kosten zu Lasten des
Krankenversicherers verursache, zu vertreten und einer ge-
rechten und gesetzeskonformen Lösung zum Durchbruch zu ver-
helfen. Ob die Organisation des vertrauensärztlichen Diens-
tes der SWICA und die Einbindung des Arztes in diesen
Dienst genügend Gewähr für eine unabhängige Ausübung der
vertrauensärztlichen Tätigkeit biete, sei zweifelhaft und
bisher nicht rechtsgenüglich abgeklärt worden.

     5.- a) Das Gesetz  definiert die "wichtigen Gründe" im
Sinne von Art. 57 Abs. 3 KVG nicht. Nach Maurer (a.a.O.,
S. 100 f.) liegen solche beispielsweise vor, wenn sich der
Vertrauensarzt im Umgang mit seinen Kollegen in der Praxis
rüpelhaft benimmt oder schwerwiegende fachliche Fehler bei
der Beratung oder der Überwachung begeht. Die fachlichen
Kenntnisse und persönlichen Qualitäten des Dr. med.
X.________ werden seitens der Beschwerdeführerin nicht in
Frage gestellt. Hingegen beanstandet sie eine
wirtschaftliche, organisatorische und ideologische
Einbindung in das Gesundheitssystem der SWICA.

     b) Gemäss Art. 57 Abs. 1 KVG wird der Vertrauensarzt
durch den Versicherer bestellt. Damit sieht der Gesetzgeber
die Entschädigung des Arztes durch den Versicherer und die
damit verbundene wirtschaftliche Abhängigkeit selber vor
(vgl. auch Maurer, a.a.O., S. 102). Eine solcherart gela-
gerte Abhängigkeit vermag daher keine Ablehnung des Ver-
trauensarztes zu begründen. Im Weitern lässt die Tatsache
allein, dass ein Arzt in einem Anstellungsverhältnis zum
Versicherungsträger steht, nicht schon auf mangelnde Objek-
tivität oder auf Befangenheit schliessen. Vielmehr bedarf
es besonderer Umstände, welche das Misstrauen in die Un-
parteilichkeit der Beurteilung objektiv als begründet er-
scheinen lassen (BGE 122 V 161 Erw. 1c). Die blosse Tat-
sache, dass ein Arzt oder eine Ärztin arbeitsvertraglich an
eine Krankenversicherung gebunden ist, erlaubt noch nicht,
an der Objektivität der entsprechenden ärztlichen Einschät-
zung zu zweifeln (SVR 1999 KV Nr. 22 S. 52 Erw. 3b). Die
Berichte und Gutachten ständiger Vertrauensärzte haben in
beweisrechtlicher Hinsicht grundsätzlich den gleichen Stel-
lenwert wie die verwaltungsinternen Arztberichte und Gut-
achten der UVG-Versicherer (BGE 122 V 161; Eugster, a.a.O.,
Rz 64).

     c) Sodann bestehen keine Hinweise dafür, dass Dr. med.
X.________ nicht in der Lage wäre, die Wirksamkeit,
Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistungen zu
überprüfen (Art. 32 Abs. 2 KVG). Der Umstand, dass er eine
HMO-Praxis leitet, stellt jedenfalls keinen entsprechenden
Hinderungsgrund dar. Der Gesetzgeber sieht besondere
Versicherungsmodelle, welche sich prämienverbilligend
auswirken, ausdrücklich vor. So können die Versicherten
gemäss Art. 41 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 62 Abs. 1 KVG
ihr Wahlrecht im Einvernehmen mit dem Versicherer auf
Leistungserbringer beschränken und dabei auf die Freiheit
der Arztwahl wenigstens teilweise verzichten, wenn davon
eine kostengünstigere Versorgung zu erwarten ist. Die
Qualität der Leistungen wird dadurch nicht tangiert. Auch
eine HMO-Praxis unterliegt dem Prinzip, dass die Leistungen
wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich zu sein haben
(Art. 32 Abs. 1 KVG). Gestützt auf Art. 62 Abs. 2 KVG kann
der Bundesrat weitere prämienermässigende
Versicherungsformen zulassen. Inwiefern ein Vertrauensarzt,
der gleichzeitig auch Patienten behandelt, welche eine
kostengünstige Versicherungsvariante gewählt haben, mit
Bezug auf Versicherte, welche keinem solchen
Versicherungsmodell beigetreten sind, bei der Ausübung
seiner gesetzlichen Aufgaben aus diesem Grunde voreingenom-
men sein sollte, ist nicht ersichtlich.
     Da keine konkreten Hinweise für eine ungenügende fach-
liche Unabhängigkeit des Dr. med. X.________ in seiner
Tätigkeit als Vertrauensarzt der SWICA bestehen, erweisen
sich ergänzende Sachverhaltsabklärungen als entbehrlich.

     6.- Das vorliegende Verfahren ist nicht kostenlos
(Art. 134 OG e contrario). Die Gerichtskosten sind auf
Grund ihres Streitwertes zu berechnen (Art. 153a OG) und
belaufen sich auf Fr. 3000.-. Sie sind der unterliegenden
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).
     Die durch einen von ihr unabhängigen Rechtsanwalt ver-
tretene obsiegende Krankenkasse hat Anspruch auf eine Par-
teientschädigung (BGE 119 V 456 Erw. 6b).

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

 II. Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden der Beschwer-
     deführerin auferlegt und mit dem geleisteten Kosten-
     vorschuss verrechnet.

III. Die Beschwerdeführerin hat der SWICA Gesundheitsorga-
     nisation für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
     Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von
     Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezah-
     len.

 IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Schiedsgericht
     in Sozialversicherungsstreitigkeiten des Kantons Bern,
     dem Bundesamt für Sozialversicherung und Dr. med.
     X.________ zugestellt.

Luzern, 26. September 2001

                    Im Namen des
         Eidgenössischen Versicherungsgerichts
             Der Präsident der I. Kammer:

              Die Gerichtsschreiberin: