Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 38/2001
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K 38/01

Urteil vom 24. Dezember 2002

I. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Meyer, Ursprung und Frésard;
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold

A.________, 1955, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Marco Biaggi,
Picassoplatz 8, 4010 Basel,

gegen

CSS Versicherung, Rösslimattstrasse 40, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt

(Entscheid vom 20. Dezember 2000)

Sachverhalt:

A.
A. ________ (geboren 1955) reiste am 10. August 1991 erstmals in die Schweiz
ein und arbeitete an verschiedenen Orten, teils mit, teils ohne Aufenthalts-
und Arbeitsbewilligung. Seit April 1995 war er ununterbrochen für die Firma
I.________ bei der Firma R.________ tätig, ohne über eine Aufenthalts- oder
Arbeitsbewilligung zu verfügen. Am 26. Dezember 1998 erlitt er eine schwere
Hirnblutung, die einen fast einjährigen Spitalaufenthalt erforderlich machte.
A.________ erhielt am 9. Juni 1999 rückwirkend per 16. Februar 1999 eine
Aufenthaltsbewilligung "Kurzaufenthalter L"; am 8. Dezember 1999 verliess er
die Schweiz.

Mit Schreiben vom 23. April 1999 ersuchte A.________ bei der CSS Versicherung
(nachfolgend: CSS) um Aufnahme in die obligatorische
Krankenpflegeversicherung. Die CSS lehnte sein Gesuch mit Verfügung vom 3.
Dezember 1999, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 21. März 2000, ab.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht Basel-Stadt
(heute: Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt) mit Entscheid vom 20.
Dezember 2000 ab.

C.
A.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, es
seien der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die CSS anzuweisen, ihn in
die obligatorische Krankenpflegeversicherung aufzunehmen. Zudem ersucht er um
unentgeltliche Rechtspflege.

Die CSS schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung (nachfolgend: BSV) verzichtet in seiner
Vernehmlassung auf einen Antrag.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
Streitig ist, ob der Beschwerdeführer der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung unterstellt ist.

3.
Gemäss den Ausführungen des kantonalen Gerichts unterliegen Ausländerinnen
und Ausländer der Versicherungspflicht, wenn sie nebst dem Erfordernis des
Wohnsitzes in der Schweiz auch über eine mindestens drei Monate gültige
Aufenthaltsbewilligung verfügen; Art. 1 Abs. 1 KVV müsse in Zusammenhang mit
Abs. 2 interpretiert werden, welcher für ausländische Personen eine
entsprechende Bewilligung verlange. Die CSS stellt sich auf den Standpunkt,
der Wohnsitzbegriff sei bei der Frage der Unterstellung unter das
Versicherungsobligatorium im Rahmen einer "funktionalisierenden Auslegung"
dahingehend zu verstehen, dass unter Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 2 KVV
Ausländer ohne Aufenthaltsbewilligung nicht der Versicherungspflicht
unterliegen würden.

4.
4.1 In seiner Botschaft zum Krankenversicherungsgesetz vom 6. November 1991
führt der Bundesrat aus, dass der Beitritt zur Grundversicherung für
Krankenpflege für die gesamte Wohnbevölkerung obligatorisch sein soll (BBl
1992 I 116, 141); jede Person mit Wohnsitz in der Schweiz, welcher sich nach
Art. 23 bis 26 ZGB bestimme, sei versicherungspflichtig (BBl 1992 I 142).
Dieses Obligatorium war weder in der Vernehmlassung (BBl 1992 I 123) noch in
den parlamentarischen Debatten umstritten (Amtl. Bull. 1992 S 1271 ff.,
insbesondere 1286 f.; Amtl. Bull. 1993 N 1725 ff., insbesondere 1830 ff.).
4.2 Gemäss Art. 3 Abs. 1 KVG ist jede Person mit Wohnsitz in der Schweiz der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung unterstellt, wobei sich der
Wohnsitz nach Art. 23 bis 26 ZGB definiert (Art. 1 Abs. 1 KVV). Der Bundesrat
kann die Versicherungspflicht auf Personen ohne Wohnsitz in der Schweiz
ausdehnen (Art. 3 Abs. 3 KVG). Dies hat er mit Art. 1 Abs. 2 KVV getan, indem
er Ausländerinnen und Ausländer mit einer Aufenthaltsbewilligung nach Art. 5
ANAG, welche mindestens drei Monate gültig ist (lit. a) sowie unselbstständig
erwerbstätige Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsbewilligung
weniger als drei Monate gültig ist und die für Behandlungen in der Schweiz
nicht über einen gleichwertigen Versicherungsschutz verfügen (lit. b), dem
Obligatorium unterstellte. Zudem erklärte er Asylsuchende, welche ein Gesuch
nach Art. 18 des Asylgesetzes gestellt haben oder denen nach Art. 66 des
Asylgesetzes vorübergehender Schutz gewährt wird, sowie vorläufig
Aufgenommene nach Art. 14a ANAG (lit. c) als versicherungspflichtig.

Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat in diesem Zusammenhang
festgehalten, dass die Ausnahmen vom Versicherungsobligatorium eng zu
umschreiben seien; gemäss Botschaft des Bundesrates zum KVG sei das
Versicherungsobligatorium kein Selbstzweck, sondern unverzichtbares
Instrument zur Gewährleistung der Solidarität (RKUV 2000 Nr. KV 102 S. 20
Erw. 4c).

4.3 In seiner Antwort vom 2. Juni 1997 auf die Einfache Anfrage Jacquet zur
Zulassung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Aufenthaltsbewilligung zur
Krankenversicherung führt der Bundesrat aus, dass es nicht opportun sei, die
Situation von Personen ohne gültige Aufenthaltsbewilligung ausdrücklich auf
gesetzgeberischem Weg zu regeln. Der Wohnsitzbegriff als Voraussetzung für
die Unterstellung unter die Versicherungspflicht definiere sich nach Art. 23
bis 26 ZGB. Nach Ansicht des Bundesrates seien somit Personen, welche die
Voraussetzungen des fiktiven Wohnsitzbegriffes von Art. 24 Abs. 2 ZGB
erfüllen würden, ebenfalls dem Obligatorium unterworfen (Amtl. Bull. 1997 N
1603 f.). In diesem Sinne hält das BSV in seiner Vernehmlassung vom 23.
November 2001 fest, dass die Begründung der Versicherungspflicht von
Ausländerinnen und Ausländern allein auf Grund des schweizerischen Wohnsitzes
möglich sei.

5.
5.1 Entgegen der Ansicht von Vorinstanz und CSS gelangt Art. 1 Abs. 2 KVV nur
zur Anwendung, wenn Ausländerinnen und Ausländern nicht bereits auf Grund von
Art. 3 Abs. 1 KVG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 KVV der
Versicherungspflicht unterstellt sind (vgl. auch BGE 125 V 77 Erw. 2a).

5.2 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat in früheren Urteilen
entschieden, dass in jenen Fällen, in welchen im Sozialversicherungsrecht auf
den Wohnsitzbegriff abgestellt wird, dieser nicht gegeben ist, sofern
öffentlichrechtliche Hinderungsgründe die Verwirklichung der Absicht des
dauernden Verbleibens verbieten (BGE 113 V 264 Erw. 2b mit Hinweisen). In
Zusammenhang mit dem Versicherungsobligatorium des KVG hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht in Übereinstimmung mit der zivilrechtlichen
Rechtsprechung festgehalten, dass für den Wohnsitz nach Art. 23 Abs. 1 ZGB
nicht massgebend sei, ob die Person eine fremdenpolizeiliche Niederlassungs-
oder Aufenthaltsbewilligung besitze (BGE 125 V 77 Erw. 2a mit Hinweisen). Das
Abstellen auf den rein zivilrechtlichen Begriff des Wohnsitzes stimmt denn
auch nicht nur mit dem Wortlaut der Bestimmung überein, sondern deckt sich
zudem mit dem Zweck des Obligatoriums, gemäss welchem die gesamte
Wohnbevölkerung, d.h. alle in der Schweiz lebenden Personen, der
Versicherungspflicht unterstellt sein sollen   (Erw. 4.1). Dies verstösst
auch nicht gegen den ordre public: Die dem Obligatorium unterworfenen
Personen ohne Aufenthaltsbewilligung, aber mit Wohnsitz in der Schweiz,
bezahlen ebenso Krankenkassenprämien, und ihr Einkommen unterliegt ebenfalls
der Steuerpflicht, sodass sie auch den staatlich subventionierten Teil der
Krankenpflegeversicherung nach Massgabe ihrer Einkommensverhältnisse
mitfinanzieren (vgl. hiezu AHI 1994 S. 112 Erw. 5).
Die Lehre hat sich zu dieser Frage nicht eingehend geäussert: Der Ansicht
Maurers kann nicht gefolgt werden, soweit er die Unterstellung unter das
Obligatorium für Ausländerinnen und Ausländer alleine nach Art. 1 Abs. 2 KVV
beurteilt (Das neue Krankenversicherungsrecht, Basel/Frankfurt a.M. 1996, S.
35). Eugster verweist etwa auf den fiktiven Wohnsitz von Art. 24 Abs. 1 ZGB
und bezieht sich beim Ausschluss von der Versicherungspflicht nur auf die
sich illegal in der Schweiz aufhaltenden, nicht aber wohnenden Personen
(Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR],
Soziale Sicherheit, Basel 1998, Rz. 12 f.). Unzutreffend ist schliesslich die
Meinung von Heller, welcher die Versicherungspflicht für Schwarzarbeiter aus
Art. 9 Abs. 1 der Verordnung vom 6. Oktober 1986 über die Begrenzung der Zahl
der Ausländer (BVO; SR 823.21) ableitet (Schwarzarbeit: Das Recht der
Illegalen unter besonderer Berücksichtigung der Prostitution, Diss. Zürich
1998, S. 121 ff.), da diese Frage im KVG abschliessend geregelt ist (vgl.
RKUV 1999 Nr. KV 81 S. 337).

Nachdem die Unterstellung unter das Obligatorium auf Grund des
zivilrechtlichen Wohnsitzes sowohl vom Wortlaut als auch von der Systematik
her sowie bezüglich Sinn und Zweck der Bestimmung dem Gesetz entspricht, ist
der Beschwerdeführer versicherungspflichtig, wenn er zum massgeblichen
Zeitpunkt schweizerischen Wohnsitz nach Art. 23 bis 26 ZGB hatte.

5.3 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat im nicht veröffentlichten
Urteil M. vom 2. Juni 1999 (K 160/98) präzisiert, dass selbst bei andauernder
ärztlicher Behandlung während des Aufenthaltes in der Schweiz auch eine
"L"-Bewilligung eine Aufenthaltsbewilligung nach Art. 5 ANAG im Sinne von
Art. 1 Abs. 2 lit. a KVV darstellt, sofern sie mindestens 3 Monate gültig ist
und die Einreise in die Schweiz nicht zum Zweck der ärztlichen Behandlung
erfolgte bzw. die Aufenthaltsbewilligung nicht gestützt auf Art. 33 BVO
(Aufenthalt für medizinische Behandlung), sondern etwa auf Art. 36 BVO
(wichtige Gründe) erteilt wurde (vgl. hiezu auch RJJ 1996 S. 363).

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kann er somit aus seiner
Aufenthaltsbewilligung "L", die als Aufenthaltszweck "ärztliche Behandlung"
angibt, keine Unterstellung unter das Versicherungsobligatorium ableiten
(vgl. Art. 26 ZGB).

6.
Aus den Akten ergeben sich zu wenig Anhaltspunkte, um festzustellen, ob der
Beschwerdeführer auf Grund von Art. 23 Abs. 1 ZGB Wohnsitz in der Schweiz
hatte. Denkbar wäre auch, dass er einen solchen vor 1995 hatte und danach
keinen neuen mehr begründete (Art. 24 Abs. 1 ZGB) oder dass er den Wohnsitz
in seiner Heimat aufgegeben und in der Schweiz keinen neuen begründet hatte,
sodass sein Aufenthaltsort massgebend ist (Art. 24 Abs. 2 ZGB; vgl. etwa
plädoyer 2/1998 S. 62 Erw. 3c). Nicht massgebend für die Bestimmung des
Wohnsitzes, jedoch als Indizien gelten etwa fremdenpolizeiliche Bewilligungen
(BGE 116 II 503 Erw. 4c), der Ort der Anmeldung (BGE 108 Ia 255 Erw. 5a, 102
IV 164 Erw. 2b) oder der Besteuerung (BGE 81 II 327 Erw. 3). Die Sache ist
deshalb an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie nach entsprechender
Abklärung der Verhältnisse über die Unterstellung unter das Obligatorium neu
entscheide.

7.
7.1 Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG
e contrario). Die Gerichtskosten hat demnach die unterliegende CSS zu tragen,
und das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Prozessführung ist
gegenstandslos.

7.2 Dem Ausgang des letztinstanzlichen Verfahrens entsprechend steht dem
Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu (Art. 135 in Verbindung mit Art.
159 Abs. 1 OG); damit ist sein Antrag auf Gewährung der unentgeltlichen
Verbeiständung gegenstandslos.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Versicherungsgerichts Basel-Stadt vom 20. Dezember 2000
aufgehoben und die Sache an das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
zurückgewiesen wird, damit es nach erfolgter Abklärung im Sinne der
Erwägungen, über die Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 21. März
2000 neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der CSS Versicherung auferlegt.

3.
Die CSS Versicherung hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr.
2'500.-- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 24. Dezember 2002
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: