Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 14/2001
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K 14/01

Urteil vom 14. Oktober 2002
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke

H.________, 1964, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Rolf
Zwahlen, Schulhausstrasse 8, 8600 Dübendorf 2,

gegen

Die Eidgenössische Gesundheitskasse, Brislachstrasse 2, 4242 Laufen,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden, Stans

(Entscheid vom 30. Oktober 2000)

Sachverhalt:

A.
Die 1964 geborene H.________ ist bei der Eidgenössischen Gesundheitskasse
(nachfolgend: EGK) krankenversichert. Im Verlaufe einer Schwangerschaft
musste sie auf Grund einer tiefen Beinvenenthrombose während einer Woche im
Februar 1999 im Spital X.________ hospitalisiert werden. Nach der Entlassung
aus dem Spital erfolgte bis sechs Wochen nach der Geburt ihres Kindes im Juni
1999 eine tägliche Behandlung mit Fragmin, einem Medikament zur
Antikoagulation.

Am 19. Oktober 1999 verfügte die EGK, das Medikament Fragmin zähle nicht zu
den besonderen Leistungen bei Mutterschaft gemäss Art. 13 bis 16 KLV;
demzufolge sei auf dieses Medikament die Jahresfranchise resp. die
Kostenbeteiligung von 10 % geschuldet. Dagegen erhob H.________ am 7.
November 1999 Einsprache. Mit Einspracheentscheid vom 11. November 1999 hielt
die EGK an ihrer Auffassung fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Nidwalden mit Entscheid vom 30. Oktober 2000 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt H.________ beantragen, unter
Aufhebung der Verfügung vom 19. Oktober 1999, des Einspracheentscheides vom
11. November 1999 sowie des Entscheides des Verwaltungsgerichts des Kantons
Nidwalden sei festzustellen, dass auf das Medikament Fragmin im vorliegenden
Fall gestützt auf Art. 64 Abs. 7 KVG keine Jahresfranchise und keine
Kostenbeteiligung von 10 % geschuldet sei, unter Zusprache einer angemessenen
Umtriebs- und Prozessentschädigung für das Einsprache-, das vorinstanzliche
und das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht.

Die EGK schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Sozialversicherung (nachfolgend: BSV) deren Gutheissung
beantragt.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Gemäss Art. 1 Abs. 2 KVG gewährt die soziale Krankenversicherung Leistungen
bei: a. Krankheit; b. Unfall, soweit dafür keine Unfallversicherung aufkommt;
c. Mutterschaft. Nach Art. 2 Abs. 1 ist Krankheit jede Beeinträchtigung der
körperlichen oder geistigen Gesundheit, die nicht Folge eines Unfalles ist
und die eine medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert oder eine
Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Abs. 1). Unfall ist die plötzliche, nicht
beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors
auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen oder
geistigen Gesundheit zur Folge hat (Abs. 2). Mutterschaft umfasst
Schwangerschaft und Niederkunft sowie die nachfolgende Erholungszeit der
Mutter (Abs. 3). Gemäss Art. 29 KVG übernimmt die obligatorische
Krankenpflegeversicherung neben den Kosten für die gleichen Leistungen wie
bei Krankheit die Kosten der besonderen Leistungen bei Mutterschaft (Abs. 1).
Diese spezifischen Leistungen umfassen nach Abs. 2 die von Ärzten und
Ärztinnen oder von Hebammen durchgeführten oder ärztlich angeordneten
Kontrolluntersuchungen während und nach der Schwangerschaft (lit. a), die
Entbindung zu Hause, in einem Spital oder einer Einrichtung der
teilstationären Krankenpflege sowie die Geburtshilfe durch Ärzte und
Ärztinnen oder Hebammen (lit. b) und die notwendige Stillberatung (lit. c).
Der Bundesrat, der die Ausführungsbestimmungen dazu erlassen hat (Art. 96
KVG), delegierte seine Kompetenz in der Vollziehungsverordnung an das Eidg.
Departement des Innern (Art. 33 lit. d KVV). Dieses erliess am 29. September
1995 die KLV. Darin sind die besonderen Leistungen bei Mutterschaft in den
Art. 13 bis 16 geregelt. Auf Leistungen bei Mutterschaft darf der Versicherer
keine Kostenbeteiligung erheben (Art. 64 Abs. 7 KVG).

2.
Streitig ist, ob die EGK berechtigt ist, der Versicherten auf den Leistungen
für die medikamentöse Therapie mit Fragmin wegen Komplikationen während der
Schwangerschaft eine Kostenbeteiligung in Rechnung zu stellen.

2.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Schwangerschaft habe bei ihr
eine tiefe Beinvenenthrombose und diese wiederum eine Hospitalisation und die
fragliche medikamentöse Behandlung ausgelöst. Damit sei grundsätzlich klar,
dass es sich bei der medikamentösen Behandlung um eine Leistung bei
Mutterschaft handle, definiere sich doch der Begriff der Mutterschaft als die
Zeitspanne von der Entstehung der Schwangerschaft über die Geburt bis zum
Abschluss der sog. Wochenbettpflege. Der Gesetzgeber verstehe unter
Mutterschaft nicht nur die physiologische Schwangerschaft und Geburt, sondern
unterscheide nicht zwischen pathologischen und physiologischen Verläufen der
Schwangerschaft. Zudem verweise Art. 64 Abs. 2 auf die "Leistungen bei
Mutterschaft" und damit auf den ganzen Art. 29 KVG, welchem zufolge auch "die
gleichen Leistungen wie bei Krankheit" zu den Pflichtleistungen bei
Mutterschaft gehören. Der Gesetzgeber habe klarerweise durch die Befreiung
von der Kostenbeteiligung nicht nur die präventiven Kontrolluntersuchungen
sicherstellen wollen, sondern auch die notwendigen der Behandlung im Zuge der
Schwangerschaft auftretender Erkrankungen. Zu Recht verweise Art. 64 Abs. 7
KVG nicht nur auf die besonderen Leistungen bei Mutterschaft sondern auch auf
die Leistungen bei Mutterschaft an sich.

2.2 Diese Auffassung trifft nicht zu. Das Gesetz unterscheidet in Art. 1 KVG
zwischen Krankheit, Unfall und Mutterschaft. In Art. 2 KVG umschreibt es die
Begriffe der Krankheit (Abs. 1) und des Unfalles (Abs. 2) in ihrem
Wesensgehalt, während der Begriff der Mutterschaft nicht definiert, sondern
lediglich dessen (zeitlicher) Umfang bestimmt wird (Absatz 3). Auf Grund
dieser Bestimmungen ist von Mutterschaft im Sinne des Gesetzes auszugehen,
soweit diese nicht pathologisch verläuft; was hingegen einem pathologischen
Geschehen zugeordnet werden kann, fällt unter Krankheit. Art. 29 KVG hält an
der Unterscheidung zwischen Krankheit und Mutterschaft fest. Bei Mutterschaft
werden die Kosten für die gleichen Leistungen wie bei Krankheit, wie sie etwa
im Leistungskatalog von Art. 25 umschrieben sind, übernommen. Zusätzlich
werden die Kosten für die besonderen Leistungen bei Mutterschaft, die in Art.
29 Abs. 2 KVG näher ausgeführt werden, vergütet. Mit anderen Worten stellt
die normal verlaufende Schwangerschaft keine Krankheit im Sinne des KVG dar.
Sie ist einer solchen lediglich insofern gleichgestellt, als die Kasse unter
bestimmten Voraussetzungen die gleichen Leistungen zu erbringen hat wie bei
Krankheit (Art. 29 Abs. 1 KVG). Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat
denn auch in BGE 127 V 268 entschieden, dass im neuen wie im alten Recht nach
KUVG zwischen normaler Schwangerschaft und einer Schwangerschaft mit
Komplikationen differenziert wird, mithin diese Unterscheidung auch in Art.
64 Abs. 7 KVG ihren Niederschlag findet, und deshalb die Behandlungskosten
von Schwangerschaftskomplikationen der Kostenbeteiligungspflicht der
Versicherten unterliegen. Dabei ist die Unterscheidung der Leistungspflicht
für normale und für Schwangerschaften mit Komplikationen mit der ratio legis
der Befreiung von der Kostenbeteiligung bei Mutterschaftsleistungen vereinbar
(Erw. 4). Schliesslich besteht für eine Praxisänderung auch kein Anlass (Erw.
5). Deshalb können auch nicht sämtliche Leistungen, die bei
Schwangerschaftskomplikationen erbracht werden, zu den
Mutterschaftsleistungen nach Art. 29 KVG gezählt und von der
Kostenbeteiligung nach Art. 64 Abs. 7 KVG ausgeschlossen werden. Damit ergibt
sich, dass die EGK der Versicherten für die medikamentöse Behandlung zu Recht
eine Kostenbeteiligung auferlegt hat.

2.3
2.3.1Auch die Ausführungen des BSV vermögen an diesem Ergebnis nichts zu
ändern. Wenn in der Begriffsumschreibung von Art. 2 Abs. 3 KVG die
Mutterschaft die gesamte Schwangerschaft, die Niederkunft und die
Erholungszeit der Mutter umfasst, so wird damit der Umfang im zeitlichen
Verlauf, angefangen bei der Schwangerschaft bis zum Ende der Erholungszeit
der Mutter, umschrieben. Daraus lässt sich nicht der geringste Hinweis
gewinnen, dass Leistungen bei Krankheit in denjenigen bei Mutterschaft
inbegriffen wären. Die Leistungen bei Mutterschaft haben gemäss
Rechtsprechung (BGE 127 V 268 ) gerade nicht den umfassenden Sinn von
"während der Schwangerschaft".

2.3.2 Daraus, dass in Art. 13 ff. KLV Leistungen sowohl bei normaler als auch
bei Risikoschwangerschaft vorgesehen werden, lässt sich ebenso wenig etwas
ableiten, da es sich bei diesen besonderen Leistungen bei Mutterschaft, wie
erwähnt, gerade nicht um Leistungen bei Krankheit handeln kann. Die
Risikoschwangerschaft bedeutet denn auch nicht, dass eine Komplikation
bereits manifest geworden ist; insofern ist der Begriff der
Risikoschwangerschaft von einer Schwangerschaft mit Komplikationen, die bei
der Leistungspflicht als Krankheit betrachtet werden, zu unterscheiden.
Sollten in Art. 13 ff. KLV Krankenpflegeleistungen enthalten sein, wären sie
durch die Delegation von Art. 33 Abs. 2 KVG in Verbindung mit Art. 33 lit. d
KVV nicht gedeckt, da die Delegation nur für die besonderen Leistungen bei
Mutterschaft erfolgte, so dass sie gesetzwidrig wären (vgl. Erw. 1 hievor).
Wie es sich damit verhält, braucht indes nicht untersucht zu werden, da sich
im vorliegenden Fall die strittigen Leistungen nicht auf diese Bestimmungen
abstützen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 14. Oktober 2002
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: