Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 149/2001
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K 149/01

Urteil vom 14. Mai 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber
Nussbaumer

Öffentliche Krankenkasse Basel-Stadt, Spiegelgasse 12, 4051 Basel,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat René Brigger, Falknerstr. 3, 4001
Basel,

gegen

Gemeinsame Einrichtung KVG, Gibelinstrasse 25, 4500 Solothurn,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Fürsprech Konrad Jeker, Bielstrasse 9,
4502 Solothurn

Eidgenössisches Departement des Innern, Bern

(Entscheid vom 26. Oktober 2001)

Sachverhalt:

A.
Anlässlich einer im Jahre 2000 durchgeführten Nachkontrolle stellte die
Revisionsstelle der Gemeinsamen Einrichtung KVG fest, dass die Öffentliche
Krankenkasse Basel (ÖKK) in den für den Risikoausgleich der Jahre 1998 und
1999 gelieferten Daten die bei ihr versicherten und im Ausland wohnhaften
Rheinschifferinnen und Rheinschiffer nicht gemeldet hatte. In der Folge
forderte die Gemeinsame Einrichtung KVG die ÖKK zur Nachlieferung der
entsprechenden Daten auf. Die ÖKK stellte sich auf den Standpunkt, die
genannte Personengruppe sei nicht in den Risikoausgleich einzubeziehen. Mit
Verfügung vom 6. Dezember 2000 hielt die Gemeinsame Einrichtung KVG fest, in
der Berechnung der Risikoausgleiche der Jahre 1998 und 1999 seien die Daten
der bei der ÖKK versicherten Rheinschifferinnen und Rheinschiffer (sowie
deren Familienangehörige) zu berücksichtigen und die entsprechenden Daten bis
spätestens 15. Dezember 2000 zu liefern.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Eidgenössische Departement des
Innern (EDI) nach Durchführung eines doppelten Schriftenwechsels mit
Entscheid vom 26. Oktober 2001 ab.

C.
Die Öffentliche Krankenkasse Basel-Stadt führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei der
verfügte Einbezug der Rheinschifferinnen und Rheinschiffer mit Wohnsitz
ausserhalb der Schweiz in den Risikoausgleich abzuweisen. Eventuell sei deren
Einbezug für die Zeit vor dem In-Kraft-Treten der Teilrevision der VORA vom
3. Juli 2001, subeventuell für die Jahre vor 2000, auf jeden Fall für die
Jahre 1998/1999 abzuweisen.

Das EDI und die Gemeinsame Einrichtung KVG schliessen auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

D.
Im Rahmen des zweiten Schriftenwechsels beantragt die Beschwerdeführerin die
Rückweisung der Sache an die Vorinstanz aus formellen Gründen; im Übrigen
hält sie an ihren Rechtsbegehren fest. Die Gemeinsame Einrichtung KVG lässt
auf Abweisung des neuen Rechtsbegehrens schliessen unter Erneuerung des in
der Vernehmlassung gestellten Antrages.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Da es beim Streit im Zusammenhang mit dem Risikoausgleich nicht um
Versicherungsleistungen im Sinne von Art. 132 OG geht, ist die
Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts auf die Rüge
der Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch
des Ermessens eingeschränkt (Art. 104 lit. a in Verbindung mit lit. c Ziff. 3
OG). Weil das EDI keine richterliche Behörde im Sinne von Art. 105 Abs. 2 OG
ist, besteht in tatsächlicher Hinsicht keine Bindung an die vorinstanzliche
Feststellung des Sachverhalts (BGE 125 V 85 Erw. 3b; vgl. auch BGE 108 V 133
Erw. 1 in fine).

2.
In zeitlicher Hinsicht sind grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgeblich,
die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung
haben (BGE 127 V 467 Erw. 1 mit Hinweis). Im vorliegenden Fall sind die
Modalitäten des Risikoausgleichs für die Jahre 1998 und 1999 streitig.
Massgebend sind damit einzig die in diesen beiden Jahren gültig gewesenen
Vorschriften über den Risikoausgleich.

3.
Nach Art. 105 Abs. 1 KVG müssen Versicherer, die unter ihren Versicherten
weniger Frauen und ältere Personen haben als der Durchschnitt aller
Versicherer, der Gemeinsamen Einrichtung (Art. 18 KVG) zu Gunsten von
Versicherern mit überdurchschnittlich vielen Frauen und älteren Personen
Abgaben entrichten, welche die durchschnittlichen Kostenunterschiede zwischen
den massgebenden Risikogruppen in vollem Umfang ausgleichen. Für den
Vergleich massgebend sind die Strukturen der Bestände innerhalb eines Kantons
und jedes Versicherers (Abs. 2).

3.1 Unter der Marginalie "Versichertenbestände" regelt Art. 4 der Verordnung
über den Risikoausgleich in der Krankenversicherung (VORA) vom 12. April
1995, dass für die Errechnung der Versichertenbestände eines Versicherers die
Versicherungsmonate massgebend sind (Abs. 1). Versicherte, die im Ausland
wohnen und in der Schweiz ihren Arbeitsort haben, werden dem Kanton
zugeordnet, in welchem sie arbeiten. Andere Versicherte aus dem Ausland
werden jenem Kanton zugeordnet, in dem sie ihren letzten Wohnsitz hatten oder
in dem der Versicherer seinen Sitz hat (Abs. 2). Nicht in die
Versichertenbestände nach Abs. 1 eingerechnet werden im Ausland wohnhafte
Personen, die auf vertraglicher Basis nach den Art. 7a und 132 Abs. 3 KVV
versichert sind (Abs. 2bis , in Kraft seit 1. Januar 1999).

3.2 Nach Art. 3 Abs. 1 KVG besteht die Krankenpflegeversicherungspflicht für
jede Person mit Wohnsitz in der Schweiz. Der Bundesrat kann Ausnahmen von der
Versicherungspflicht vorsehen (Art. 3 Abs. 2 KVG). Er ist auch befugt, die
Versicherungspflicht auf Personen ohne Wohnsitz in der Schweiz auszudehnen,
insbesondere auf solche, die in der Schweiz tätig sind (Art. 3 Abs. 3 lit. a
am Anfang KVG) und auf solche, die im Ausland von einem Arbeitgeber mit einem
Sitz in der Schweiz beschäftigt werden (Art. 3 Abs. 3 lit. b KVG). Von dieser
Befugnis hat er für die entsandten Arbeitnehmer (Art. 4 KVV) Gebrauch
gemacht. Hinsichtlich der Grenzgänger besteht eine Versicherungsmöglichkeit
(Art. 3 KVV).

Nach Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang II des
Übereinkommens über die Soziale Sicherheit der Rheinschiffer vom 30. November
1979 gilt das Übereinkommen auch für die Krankenversicherung. Nach Art. 11
Abs. 2 des Übereinkommens unterstehen die Rheinschifferinnen und
Rheinschiffer den Rechtsvorschriften der Vertragspartei, in deren
Hoheitsgebiet sich der Sitz des Unternehmens befindet, zu dem das Fahrzeug
gehört, an Bord dessen sie ihre Berufstätigkeit ausüben.

3.3 Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil vom 6. Februar
2003 in Sachen SWICA Gesundheitsorganisation (K 18/01) hinsichtlich der
Grenzgänger und entsandten Arbeitnehmer entschieden hat, ist für den Einbezug
in den Risikoausgleich die Zugehörigkeit zum Versichertenbestand einer
Krankenkasse ausschlaggebend, unabhängig davon, ob die Angehörigen dieser
Kategorien freiwillig oder obligatorisch für Krankenpflege nach KVG
versichert sind. An diese Eigenschaft als versicherte Person, und nicht als
in der Schweiz (und damit in einem bestimmten Kanton) wohnhafte obligatorisch
zu versichernde Person, knüpft Art. 105 Abs. 1 KVG an. Sodann hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht in RKUV 1997 Nr. K 981 S. 81 unter
einlässlicher Prüfung der Auslegungselemente, insbesondere der schlüssigen
Materialien, festgehalten, dass eine Krankenkasse mit ihrem gesamten
Versichertenbestand am Risikoausgleich teilnehmen muss (S. 92 ff. Erw.
4d/bb). Der auf Verordnungsstufe angeordnete Einbezug aller Versicherten
einer Kasse, welche die obligatorische Krankenpflegeversicherung durchführt,
unter Einschluss der gemäss dem erwähnten Übereinkommen versicherten
Rheinschifferinnen und Rheinschiffer (Art. 4 Abs. 2 VORA), hat daher in Art.
105 Abs. 1 KVG eine hinreichende und klare gesetzliche Grundlage. Es ist
demnach auch nicht erforderlich, dass die hier streitige Versichertengruppe
im Gesetz oder in der Vora ausdrücklich Erwähnung findet. Dass Art. 105 Abs.
2 KVG als für den Vergleich massgebend die Strukturen der Bestände innerhalb
eines Kantons und jedes Versicherers erklärt und Art. 105 Abs. 3 KVG von der
Durchführung des Risikoausgleichs unter den Versicherern innerhalb der
einzelnen Kantone ausgeht, betrifft die Modalitäten, nicht aber den Grundsatz
des Risikoausgleichs, wonach sämtliche Versicherten zu berücksichtigen sind.
Schliesslich werden die Rheinschifferinnen und Rheinschiffer auch nicht vom
Ausschlusstatbestand des seit 1. Januar 1999 in Kraft stehenden Art. 4 Abs.
2bis VORA erfasst.
Entscheidend ist mithin, dass im Gesetz der Grundsatz des gesamten Einbezugs
des Versichertenbestandes einer Krankenkasse in den Risikoausgleich verankert
ist. Nicht zu vereinbaren mit diesem Grundsatz und der Zweckrichtung des
Risikoausgleichs ist die Herausnahme einzelner Personenkategorien aus dessen
System, um sich damit Sondervorteile in finanzieller Hinsicht zu sichern, die
sich aus dem günstigen Risikoverlauf dieser Versichertengruppen (z.B.
Zugehörigkeit zur Kasse nur während der Erwerbstätigkeit) ergeben. Eine
solche Ausscheidung bedarf der gesetzlichen Regelung, wie dies der Bundesrat
für die Asylsuchenden, vorläufig Aufgenommenen und Schutzbedürftigen ohne
Aufenthaltsbewilligung durch Änderung des KVG mit Einfügung von Art. 105a KVG
beantragt (Botschaft vom 4. September 2002 zur Änderung des Asylgesetzes, zur
Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung sowie zur Änderung
des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, BBl 2002
6920 und 6962).

3.4 Am grundsätzlichen Einbezug der Rheinschifferinnen und Rheinschiffer
vermögen sämtliche im letztinstanzlichen Verfahren vorgebrachten Argumente
nichts zu ändern. Ob das vorinstanzliche Verfahren mit den in der Replik
gerügten formellen Fehlern behaftet ist, kann dahingestellt bleiben, da die
Beschwerdeführerin durch den eingeräumten zweiten Schriftenwechsel
Gelegenheit zu vollständiger Stellungnahme erhalten und das Eidgenössische
Versicherungsgericht in tatsächlicher Hinsicht umfassende
Überprüfungsbefugnis hat. Der Einwand des erschwerten Widerrufs
rechtskräftiger Verfügungen ist ebenfalls nicht stichhaltig. Am
Risikoausgleich sind nicht nur die Gemeinsame Einrichtung KVG und die
Beschwerdeführerin als Parteien beteiligt. Vielmehr steht die
Beschwerdeführerin im Rahmen des Risikoausgleichs gegenüber ihren
Konkurrentinnen einerseits und der als Organ des gesetzlichen
Risikoausgleichs handelnden Durchführungsstelle anderseits in einem
besonderen Rechtsverhältnis, welches sich als ein von Jahr zu Jahr saldiertes
Abrechnungsverhältnis charakterisiert. Dies bringt es mit sich, dass bei
nachträglichen Änderungen der Berechnungsgrundlagen auf Seiten auch nur eines
Krankenversicherers sämtliche am Risikoausgleich beteiligten
Krankenversicherer betroffen sind und grundsätzlich eine Neuberechnung
stattzufinden hat.

3.5 Die Beschwerdeführerin beruft sich schliesslich auch auf den Grundsatz
von Treu und Glauben. Sie macht geltend, die Gemeinsame Einrichtung KVG sei
über den Nichteinbezug der im Ausland wohnenden Rheinschifferinnen und
Rheinschiffer im Bilde und damit einverstanden gewesen. Mindestens für die
Jahre 1998 bis 2000 sei von einem Einbezug der erwähnten Versichertengruppe
in den Risikoausgleich abzusehen, da sie eine neue Prämienkalkulation nicht
mehr vornehmen könne. Für ihren Standpunkt beruft sie sich auf verschiedene
Auskunftspersonen und Zeugen, unter anderem auch auf Vertreter der
Gemeinsamen Einrichtung KVG. Diese bestreitet demgegenüber die
Sachdarstellung der Beschwerdeführerin aufs Entschiedenste und bringt vor,
die Beschwerdeführerin habe die erwähnte Personengruppe noch für den
Risikoausgleich des Jahres 1997 gemeldet.
Die Vorinstanz hat zur umstrittenen Frage, ob die Nichtmeldung der im Ausland
wohnenden Personen mit Wissen der Gemeinsamen Einrichtung KVG erfolgt ist,
keine Abklärungen durchgeführt. Hiezu hätte jedoch aufgrund der
Untersuchungsmaxime Anlass bestanden, zumal der Standpunkt der
Beschwerdeführerin nicht ohne Weiteres widerlegt werden kann und diese
Anspruch auf Abnahme der für ihre Sachdarstellung vorgebrachten Beweise hat.
In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass beide Parteien am
17./31. Januar 1996 einen Vertrag über die Durchführung des
Rheinschifferabkommens abgeschlossen haben. Es kann daher nicht
ausgeschlossen werden, dass bereits bei diesen Vertragsverhandlungen über den
Einbezug der Rheinschifferinnen und Rheinschiffer in den Risikoausgleich
gesprochen worden ist. Die Sache geht daher an die Vorinstanz zurück, damit
diese den Sachverhalt hinsichtlich der Frage, ob die Nichtmeldung der im
Ausland wohnenden Personen mit Wissen der Gemeinsamen Einrichtung KVG
unterblieben ist, näher abklärt und die erheblichen Beweise abnimmt. Sollte
sich dabei ergeben, dass die Sachdarstellung der Beschwerdeführerin zutrifft,
so könnte sich diese auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen und ein
Einbezug der umstrittenen Personengruppe in den Risikoausgleich für die im
vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Jahre 1998 und 1999 könnte nicht mehr
erfolgen.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Ausgangsgemäss
sind die Verfahrenskosten der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen, welche zudem
entschädigungspflichtig ist (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid vom 26. Oktober 2001 aufgehoben und die Sache an das Eidgenössische
Departement des Innern zurückgewiesen wird, damit dieses, nach erfolgter
Abklärung im Sinne der Erwägungen, neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 9000.- wird der Beschwerdeführerin
zurückerstattet.

4.
Die Gemeinsame Einrichtung KVG hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr.
4000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Eidgenössischen Departement des Innern
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 14. Mai 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: