Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 112/2001
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K 112/01 Ge

                        III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger;
Gerichtsschreiber Schmutz

                 Urteil vom 17. Juni 2002

                         in Sachen

H.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch
Rechtsanwalt Alex Beeler, Frankenstrasse 3, 6003 Luzern,
                           gegen

CSS Versicherung, Rösslimattstrasse 40, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin,
                            und

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

     A.- H.________ geb. 1931) war bei der CSS Versicherung
(nachfolgend: CSS) obligatorisch für Krankenpflege
versichert; überdies hatte sie dort diverse Versicherungen
nach Versicherungsvertragsgesetz (VVG) abgeschlossen
(Standard-, Alternativ-, Notfall-, Kur- und Pflege-,
Spital- sowie Chronisch-Krankenpflegeversicherung). Wegen
einer Tracheobronchitis hielt sie sich vom 9. bis 18.
Dezember 1997 zur Behandlung in der Klinik X.________ auf,

wobei der pulmonale Infekt besserte (Bericht Frau Dr. med.
A.________, Spezialärztin FMH für Innere Medizin, vom
16. Januar 1998). Am 5. Januar 1998 suchte sie ihren
Hausarzt Dr. med. B.________, Facharzt FMH für Innere
Medizin, auf, welcher bei ihr einen ausgeprägten
Erschöpfungszustand bei Status nach noch nicht ganz abgek-
lungener schwerer Gastroenteritis und nach Infekt der obe-
ren Atemwege sowie chronische Migräne, Depression und Sta-
tus nach Mammaamputation links wegen Karzinom diagnosti-
zierte. Er verordnete ihr eine "stationär-klinische Rehabi-
litationsbehandlung" in der Klinik Y.________. Die
Einweisung erfolgte am 6. Januar 1998 und der Aufenthalt
dauerte bis zum 24. Januar 1998. Die CSS lehnte am 22./23.
Januar 1998 das am 12. Januar 1998 eingegangene Gesuch der
Klinik Y.________ um Kostengutsprache ab. Mit Verfügung vom
25. März 1998 bejahte sie gestützt auf Stellungnahmen ihres
Vertrauensarztes Dr. med. C.________ (vom 20. Januar und 4.
Februar 1998) einen Anspruch auf Leistungen aus der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung lediglich im
Rahmen der nach Vertrag und Tarif geschuldeten Pflicht-
leistungen für ambulante Behandlungen. Daran hielt sie mit
Einspracheentscheid vom 4. Januar 1999 fest.

     B.- H.________ erhob gegen den Einspracheentscheid
beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern Beschwerde und
beantragte, die CSS sei zu verpflichten, die Kosten der
stationären Behandlung in der Klinik Y.________ vom 6. bis
24. Januar 1998 zu übernehmen. Mit Entscheid vom 10. August
2001 wies das kantonale Gericht die Beschwerde ab.

     C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt H.________
das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern und
beantragen, die CSS habe für den besagten Klinikaufenthalt
die Leistungen nach dem Tarif für Akutspitalbehandlung zu
erbringen; zudem sei ihr die unentgeltliche Verbeiständung
zu gewähren.

     Während die CSS auf Abweisung der Verwaltungsgerichts-
beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozial-
versicherung auf eine Vernehmlassung.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Die obligatorische Krankenversicherung über-
nimmt nach Art. 24 KVG die Kosten für die Leistungen gemäss
Art. 25-31 KVG nach Massgabe der in Art. 32-34 festgelegten
Voraussetzungen. Die Leistungen umfassen u.a. die Untersu-
chungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen, die ambulant,
bei Hausbesuchen, stationär, teilstationär oder in einem
Pflegeheim durchgeführt werden von Ärzten, Chiropraktoren
und Personen, die im Auftrag eines Arztes oder einer Ärztin
Leistungen erbringen (Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG), die ärzt-
lich durchgeführten oder angeordneten Massnahmen der medi-
zinischen Rehabilitation (Art. 25 Abs. 2 lit. d KVG) und
den Aufenthalt in der allgemeinen Abteilung eines Spitals
(Art. 25 Abs. 2 lit. e KVG).

     b) Die Leistungspflicht für stationäre Behandlung
setzt zunächst voraus, dass sich die versicherte Person in
einem Spital, d.h. einer Anstalt oder deren Abteilung auf-
hält, das der stationären Behandlung akuter Krankheiten
oder der stationären Durchführung von Massnahmen der medi-
zinischen Rehabilitation dient (Art. 39 Abs. 1 KVG). Des
Weiteren muss eine Krankheit vorliegen, welche eine Akutbe-
handlung oder medizinische Rehabilitation unter Spitalbe-
dingungen erforderlich macht. Spitalbedürftigkeit in diesem
Sinne ist einerseits dann gegeben, wenn die notwendigen
diagnostischen und therapeutischen Massnahmen nur in einem
Spital zweckmässig durchgeführt werden können, anderseits
auch dann, wenn die Möglichkeiten ambulanter Behandlung
erschöpft sind und nur noch im Rahmen eines Spitalaufent-
haltes Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht. Dabei

kann eine Leistungspflicht für den Spitalaufenthalt auch
dann bestehen, wenn der Krankheitszustand der versicherten
Person einen solchen nicht unbedingt erforderlich macht,
die medizinische Behandlung jedoch wegen besonderer persön-
licher Lebensumstände nicht anders als im Spital durchge-
führt werden kann (BGE 120 V 206 Erw. 6a; RKUV 1994 S. 180
und 187).

     c) Im Gesetz nicht näher umschrieben wird der Begriff
der medizinischen Rehabilitation im Sinne von Art. 25
Abs. 2 lit. d KVG. Nach Eugster (Krankenversicherung, in:
Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Rz 142 ff.)
besteht das besondere Merkmal der medizinischen Rehabilita-
tion darin, dass die Behandlung der Krankheit an sich ab-
geschlossen ist und Therapieformen zur Nachbehandlung von
Krankheiten zur Anwendung gelangen. Die medizinische Reha-
bilitation schliesst an die eigentliche Krankheitsbehand-
lung an und bezweckt, die durch die Krankheit oder die
Behandlung selbst bewirkte Beeinträchtigung der körperli-
chen oder geistigen Leistungsfähigkeit mit Hilfe medizini-
scher Massnahmen ganz oder teilweise zu beheben, oder sie
dient insbesondere bei Chronischkranken der Erhaltung und
allenfalls Verbesserung des verbliebenen Funktionsvermö-
gens. Sie kann ambulant, teilstationär, in einer Kuran-
stalt, in einem Pflegeheim oder in einer spezialisierten
Rehabilitationsklinik erfolgen, wobei im letztern Fall eine
Spitalbedürftigkeit vorausgesetzt ist, welche nach der
notwendigen Behandlungsintensität, dem Behinderungsgrad,
der Pflegebedürftigkeit und der Schwere des Hauptleidens
oder zusätzlich komplizierender Krankheiten zu beurteilen
ist.

     d) Im Gesetz nicht erwähnt sind die Erholungskuren, an
welche die Krankenversicherer, wie nach dem früheren Recht
(BGE 109 V 271 Erw. 4), keine Pflichtleistungen zu erbrin-
gen haben. Dies gilt auch für Anwendungen, welche einzig

die Erholung oder Genesung fördern sollen, und diagnos-
tische Massnahmen zur Klärung des dafür notwendigen Thera-
piebedarfs. Von der blossen Erholung ist die Fortsetzung
einer begonnenen Heilbehandlung unter Kurbedingungen zu
unterscheiden. Dient die Kur der Durchführung besonderer
Therapien oder Therapieprogramme bei bestimmten Erkrankun-
gen, hat der Krankenversicherer grundsätzlich die gleichen
Leistungen zu erbringen wie bei der ambulanten Behandlung
(Eugster, a.a.O., Rz 146 f.). Für die Abgrenzung zwischen
Erholungskuren und der medizinischen Rehabilitation ist auf
die Zielsetzung der Massnahme abzustellen. Die medizinische
Rehabilitation ist auf die Wiedererlangung verlorener oder
die Verbesserung beeinträchtigter Funktionsfähigkeiten mit
medizinischen Mitteln gerichtet. Erholungskuren dienen
Versicherten ohne besondere Pflege- und Behandlungsbedürf-
tigkeit zur Erholung und Genesung nach Erkrankungen, die
eine wesentliche Verminderung des Allgemeinzustandes zur
Folge hatten (Eugster, a.a.O., Rz 144).

     2.- Mit der Vorinstanz ist auf Grund der gesamten
vorhandenen medizinischen Akten davon auszugehen, dass die
Versicherte während des Klinikaufenthaltes vom 6. bis
24. Januar 1998 lediglich erholungsbedürftig, nicht aber
spital- oder stationär rehabilitationsbedürftig im Sinne
von Art. 25 Abs. 2 lit. d bzw. e KVG gewesen ist. Wie der
Ärztliche Leiter der Kurhaus/Privatklinik Y.________, Dr.
med. D.________, Spezialarzt FMH für Innere Medizin, dem
einweisenden Hausarzt Dr. med. B.________ anlässlich des
Klinikaustritts der Beschwerdeführerin bestätigte,
diagnostizierte man dort als Hauptbefund einen ausgeprägten
Erschöpfungszustand bei Status nach gastro-intestinalem
Infekt sowie nach Infekt der oberen Luftwege. Die Patientin
habe vor allem zu Beginn über eine ausgeprägte Müdigkeit
und Schwäche geklagt. Die Magen-Darm-Störungen hätten sich,
abgesehen von zeitweilig auftretenden Durchfällen, zurück-
gebildet. Ebenfalls habe sich die Appetitlosigkeit verbes-
sert (Bericht vom 27. Januar 1998).

     Stellt man auf die für die Abgrenzung zwischen Erho-
lungskuren und der medizinischen Rehabilitation massgebende
Zielsetzung der Massnahme ab (Erw. 1d in fine) und berück-
sichtigt man die möglichen Formen der Durchführung medizi-
nischer Rehabilitationen (Erw. 1c in fine), dann ist bezo-
gen auf den fraglichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin in
der Klinik Y.________ festzustellen, dass hier die
Verordnung einer "stationär-klinischen"
Rehabilitationsbehandlung dem Wirtschaftlichkeitsgebot
nicht entsprochen hat. Nach Art. 32 Abs. 1 KVG müssen die
Leistungen, wofür die obligatorische
Krankenpflegeversicherung die Kosten übernimmt, wirksam,
zweckmässig und wirtschaftlich sein. Entsprechend müssen
sich die Leistungserbringer in ihren Leistungen auf das
Mass beschränken, das im Interesse der Versicherten liegt
und für den Behandlungszweck erforderlich ist (Art. 56 Abs.
1 KVG). Es kann vorliegend offen bleiben, ob es sich hier
um eine eigentliche Rehabilitationsbehandlung oder um eine
Erholungskur gehandelt hat, weil die bei einer stationären
Rehabilitation vorausgesetzte Spitalbedürftigkeit (Erw. 1c
in fine) nicht vorlag und bei einer Rehabili-
tationsbehandlung in einer Kuranstalt der analoge Anspruch
auf Leistungen aus der obligatorischen Krankenpflegeversi-
cherung gegeben war wie bei einer Erholungskur.
     Mit der Vorinstanz ist der Antrag auf Anordnung einer
Expertise abzuweisen. Eine zuverlässige aktenmässige Beur-
teilung durch den Vertrauensarzt war möglich und die bei
den Akten liegenden Berichte des Hausarztes Dr. med.
B.________, der behandelnden Ärztin Dr. med. A.________
(Klinik X.________) und des behandelnden Arztes Dr. med.
D.________ (Klinik Y.________) sowie der Vertrauensärzte
der CSS Dres. med. C.________ und E.________ geben zur
Frage der Spitalbedürftigkeit nach freier, pflichtgemässer
und umfassender Beweiswürdigung eine hinreichende
Beurteilungsgrundlage ab.

     3.- Was die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erho-
benen formellen Einwände gegen den angefochtenen Entscheid

anbelangt, so wird zur Rolle des Vertrauensarztes als Organ
der sozialen Krankenversicherung (Eugster, a.a.O., Rz 62)
auf die diesbezüglichen Erwägungen der Vorinstanz und die
Ausführungen in der Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin
verwiesen (vgl. auch BGE 127 V 49 ff. Erw. 2d-f mit Hinwei-
sen auf Eugster, a.a.O., Rz 62 ff.; Maurer, Das neue Kran-
kenversicherungsrecht, S. 100 ff.; Hugo Mosimann, Stellung
und Aufgaben des Vertrauensarztes in der sozialen Kranken-
versicherung, Soziale Sicherheit 2/1007 S. 92 ff.; Duc, La
direction du traitement médical et le contrôle de l'acti-
vité médicale par les assureurs sociaux, in: Aspects du
droit médical, Fribourg 1987, S. 203 ff). Zu den materiel-
len Einwänden der Beschwerdeführerin ist hier festzuhalten,
dass von Seiten der Beschwerdegegnerin zu Recht vorgebracht
wird, dass das Eidgenössische Versicherungsgericht in RKUV
2000 Nr. KV 139 S. 365 Erw. 2b nicht erwogen hat, der Hei-
lungserfolg der Behandlung rechtfertige grundsätzlich eine
nachträgliche Bejahung von Spitalbedürftigkeit, sondern,
dass dies - umgekehrt - gerade nicht der Fall ist. Die von
Seiten der CSS unter Beizug des Vertrauensarztes in An-
spruch genommene Zeit für die Beantwortung des Gesuchs um
Kostengutsprache liegt zwar an der Grenze des noch Tole-
rierbaren, die Voraussetzungen, dem Leistungsbegehren der
Beschwerdeführerin aus Gründen des Vertrauensschutzes
stattzugeben, sind aber nicht erfüllt. Es ist auch in Be-
tracht zu ziehen, dass in der am 12. Januar 1998 bei der
CSS eingelangten ärztlichen Verordnung eine Behandlungs-
dauer in der Klinik Y.________ von zirka zwei Wochen ab dem
6. Januar 1998 angegeben worden war. Damit war rund die
Hälfte der ursprünglich anberaumten Aufenthaltsdauer be-
reits abgelaufen, bevor die CSS ihren Vertrauensarzt zur
Beratung beiziehen konnte. Klarerweise kann die Beschwerde-
führerin auch aus dem von ihr im vorinstanzlichen Verfahren
aufgelegten Urteil des Eidgenössischen Versicherungsge-
richts vom 26. November 1998 (= BGE 124 V 362) nichts zu
ihren Gunsten ableiten. Von der medizinischen Sachlage her
handelt es sich hier und dort um ganz verschiedene Streit-
sachen.

     4.- Da es im vorliegenden Verfahren um Versicherungs-
leistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine Gerichtskos-
ten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten erweist sich
daher als gegenstandslos. Die unentgeltliche Verbeiständung
kann hingegen gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit
Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Be-
schwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Ver-
tretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b,
je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf
Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begüns-
tigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben
wird, wenn sie später dazu im Stande ist.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung
     wird Rechtsanwalt Alex Beeler, Luzern, für das Verfah-
     ren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus
     der Gerichtskasse eine Entschädigung (einschliesslich
     Mehrwertsteuer) von Fr. 2500.- ausgerichtet.

 IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge-
     richt des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrecht-
     liche Abteilung und dem Bundesamt für Sozialversiche-
     rung zugestellt.

Luzern, 17. Juni 2002

                   Im Namen des
         Eidgenössischen Versicherungsgerichts
         Der Präsident           Der Gerichts-
         der III. Kammer:           schreiber: