Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Anklagekammer 8G.77/2001
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8G.77/2001/kra

                A N K L A G E K A M M E R
                *************************

                     7. Dezember 2001

Es wirken mit: Bundesrichter Corboz, Präsident der
Anklagekammer, Nay, Raselli und Gerichtsschreiber Küng.

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                        In Sachen

Staatsanwaltschaft des Kantons  S t.  G a l l e n,

                          gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons  A a r g a u,

                        betreffend
   Bestimmung des Gerichtsstandes in Sachen B.________,

hat sich ergeben:

     A.- Anlässlich einer Verkehrskontrolle in
Wittenbach/SG stellte die Kantonspolizei St. Gallen am
12. September 2001 im Kofferraum des vom jugoslawischen
Staatsangehörigen B.________ gelenkten Personenwagens
einen gestohlenen Autoradioverstärker fest. Dieser hatte
das Gerät zuvor in Oftringen/AG von einem angeblich tür-
kischen Staatsangehörigen für Fr. 100.-- gekauft. In der
Folge eröffneten die Behörden des Kantons St. Gallen gegen
B.________ eine Strafuntersuchung wegen Hehlerei.

        Ein Meinungsaustausch zwischen den Behörden der
Kantone St. Gallen und Aargau führte zu keiner Einigung in
der Frage des Gerichtsstandes.

     B.- Mit Gesuch vom 7. November 2001 beantragt die
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen der Anklage-
kammer des Bundesgerichts, die Behörden des Kantons Aargau
berechtigt und verpflichtet zu erklären, das Strafverfah-
ren gegen B.________ wegen Hehlerei und SVG-Widerhand-
lungen zu führen.

        Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau be-
antragt, das Gesuch abzuweisen.

           Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

     1.- Für die Verfolgung und Beurteilung einer straf-
baren Handlung sind gemäss Art. 346 Abs. 1 StGB die Be-

hörden des Ortes zuständig, wo die strafbare Handlung
ausgeführt wurde. Ist die strafbare Handlung an mehreren
Orten ausgeführt worden, so sind die Behörden des Ortes
zuständig, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde.

     2.- Nach der unbestrittenen Sachverhaltsdarstellung
der Gesuchstellerin hat der Beschuldigte in Oftringen/AG
von einem angeblich türkischen Staatsangehörigen einen
gestohlenen Autoradioverstärker, welcher nach seinen ei-
genen Angaben üblicherweise Fr. 300.-- kosten würde, für
Fr. 100.-- gekauft. Beide Parteien gehen übereinstimmend
davon aus, dass auf Grund dieses Sachverhaltes gegenüber
dem Beschuldigten der Verdacht der Hehlerei bestehe.

     3.- a) Streitig ist zwischen den Parteien einzig die
Frage, durch welche Tathandlung der Beschuldigte allen-
falls diesen Tatbestand erfüllt hat.

        b) Die Gesuchstellerin vertritt die Auffassung,
der Tatbestand der Hehlerei sei allein durch den Erwerb im
Kanton Aargau erfüllt.

        Die Gesuchsgegnerin geht demgegenüber davon aus,
der Beschuldigte habe die strafbare Handlung zusätzlich
auch im Kanton St. Gallen ausgeführt, weil er dort das
Gerät im Kofferraum seines Personenwagens versteckt ge-
halten und dieses damit verheimlicht habe. Sie begründet
dies damit, dass das Delikt der Hehlerei so lange an-
dauere, bis der rechtmässige Eigentümer wieder in den
Besitz der Sache gelange.

        c) Die in Art. 160 StGB aufgezählten Tathand-
lungen sind abgesehen vom Sich-Schenken-Lassen und
Zum-Pfande-Nehmen, die lediglich als Beispielfälle des Er-
werbes zu betrachten sind (Günter Stratenwerth, Schweize-
risches Strafrecht, Besonderer Teil I, 5. Auflage, Bern
1995, § 20 N 10), selbständige Tatbestände (vgl. BGE 90 IV
14 E. 3b). Entscheidend für den Erwerb ist, dass der
Hehler im Einverständnis mit dem Vortäter an der Sache Ge-
wahrsam und damit eine abgeleitete neue eigene Verfügungs-
macht erlangt (Bernard Corboz, Les principales infrac-
tions, Bd. II, Bern 1999, Art. 160 N 27, mit Hinweisen;
Stratenwerth, a.a.O., N 10). Hat der Hehler die Verfü-
gungsmacht über die Sache erlangt, kann er hinsichtlich
dieser Sache keine weiteren Hehlereihandlungen mehr be-
gehen, weder durch Verheimlichen noch durch Absatzhilfe
(vgl. Adolf Schönke/Horst Schröder/Walter Stree, Strafge-
setzbuch, Kommentar, 26. Auflage, München 2001, § 260
N 64).

        Der Beschuldigte hat im vorliegenden Fall das ge-
stohlene Gerät vom allfälligen Vortäter gekauft und damit
eigene Verfügungsmacht erlangt. Durch diese Erwerbshand-
lung hat der Beschuldigte allenfalls - sofern sie bös-
gläubig erfolgte (vgl. BGE 105 IV 303 E. 3a, e contrario),
was insbesondere auf Grund des Erwerbsortes und des deut-
lich unter dem vom Beschuldigten geschätzten Wert lie-
genden Kaufpreises mindestens in Betracht fällt - den
Tatbestand der Hehlerei erfüllt. Damit entfallen die wei-
teren Tatbestandsvarianten, die lediglich andere Mittel
der Aufrechterhaltung des durch die Vortat geschaffenen
rechtswidrigen Zustandes darstellen.

        Der gesetzliche Gerichtsstand liegt daher im
Kanton Aargau, wo der Beschuldigte das gestohlene Gerät
erworben hat.

        d) Triftige Gründe, ausnahmsweise vom gesetzli-
chen Gerichtsstand abzuweichen, macht weder die Gesuchs-
gegnerin geltend, noch ergeben sich solche aus den Akten.

Lausanne, 7. Dezember 2001