Kassationshof in Strafsachen 6P.36/2001
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6P.36/2001/kra 6S.185/2001 K A S S A T I O N S H O F ************************* Sitzung vom 20. Dezember 2001 Es wirken mit: Bundesrichter Schubarth, Präsident des Kassationshofes, Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger, Kolly, Karlen und Gerichtsschreiber Briw. --------- In Sachen X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel Buttliger, Kasinostrasse 29, Postfach, Aarau, gegen Staatsanwaltschaft des Kantons S o l o t h u r n, A.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Lienhard, Pelzgasse 15, Aarau, Obergericht des Kantons S o l o t h u r n, betreffend Art. 9 BV (Verdacht auf sexuellen Kindsmissbrauch; Begutachtung) (staatsrechtliche Beschwerde und Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn [Strafkammer] vom 2./3. November 2000 [URT0311/SKA/EIV/KUO/99000006]), hat sich ergeben: A.- Am 20. Januar 1997 erschien B.________ mit ihrer Tochter (geb. 1992) auf dem Polizeiposten in Zofingen. Sie vermutete sexuelle Übergriffe durch ihren Ehemann X.________. Das Kind habe ihr gegenüber nach einem Wochenendbesuch beim Vater am 14. Januar 1997 solche Angaben gemacht. Auf dem Polizeiposten wurde das Kind in Anwesenheit der Mutter durch eine Polizeibeamtin befragt. Nach dem Polizeirapport erwies sich die Befragung als relativ schwierig; es konnten keine präziseren Angaben erhältlich gemacht werden; das Kind musste immer wieder zum Thema zurückgeleitet werden, damit es weitere Angaben machte (act. 26; Urteil S. 11 f.). Am 4. und 10. Februar 1997 wurde das Kind durch eine Sozialpädagogin des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes des Kantons Aargau (KJPD) befragt. Am 11. Feb- ruar 1997 teilte der KJPD der Kantonspolizei mit, nach Auskunft der Sozialpädagogin habe das diagnostische Inter- view eindeutige Angaben des Kindes zur Art und Weise des sexuellen Missbrauchs ergeben (act. 174). Im Bericht vom 20. März 1997 zu den beiden Befragungen führte die Sozial- pädagogin aus, die Aussagen des Kindes, die durch die Dar- stellung mit den anatomischen Puppen bestärkt worden seien, wirkten glaubhaft (act. 114; Urteil S. 12 f.). Am 6. August 1997 wurde das Videoband der Befragung vom 10. Februar 1997 in Anwesenheit der Parteien visioniert; die als Sachverständige befragte Sozialpädagogin erklärte, es brauche kein weiteres Gutachten, die Aussagen des Kin- des seien für sie klar (act. 42; Urteil S. 14 f.). In der Folge wurde der KJPD des Kantons Solothurn mit der Begutachtung des Videobandes vom 10. Februar 1997 beauftragt. Nach den Ausführungen der beiden Gutachter im Gutachten vom 18. Februar 1998 fanden sich keine Anhalts- punkte, welche die Glaubhaftigkeit der Aussagen des Kindes auf dem Videoband einschränkten. Sie seien aber sehr rudi- mentär und liessen keine Rückschlüsse auf den näheren Cha- rakter der Handlungen zu. Die Aussagen, die mögliche sexu- ell motivierte Handlungen umschrieben, seien auf Grund von Suggestivfragen der Sozialpädagogin erfolgt. Das Kind sei Handlungen von X.________ ausgesetzt gewesen, die es ängs- tigten und belasteten. Die Gutachter hielten Zweifel am Bericht vom 20. März 1997 für berechtigt (act. 92; Urteil S. 25 f.). Im Ergänzungsgutachten vom 2. Februar 1999 führ- ten die beiden Gutachter aus, die nichtverbalen Aussage- elemente auf dem Videoband seien von ihnen im Gutachten zu wenig berücksichtigt worden. Das Gutachten bedürfe deshalb einer Korrektur: Die Analyse des rein verbalen Aussagepro- tokolls führe zwar hinsichtlich Glaubhaftigkeit der Aus- sagen zu einer Pattsituation, indem das Kind eine ganze Reihe von belastenden delikttypischen Aussagen mache, wel- che aber wegen der suggestiven Fragetechnik der Sozialpä- dagogin zum grösseren Teil kaum verwertet werden könnten. Berücksichtigten sie hingegen die nonverbalen Äusserungen, kämen sie zum Schluss, dass das Kind mit sehr hoher Wahr- scheinlichkeit die Aussagen, die es macht, nicht hätte machen können, wenn nicht ein realer Erlebnishintergrund vorhanden wäre (act. 57; Urteil S. 26 ff.). B.- An der Verhandlung vor dem Obergericht des Kan- tons Solothurn vom 2./3. November 2000 führte einer der beiden Gutachter aus, nach dem Gutachtensauftrag sei die Aussagekraft des Videobandes und weniger die Glaubwürdig- keit der Aussagen des Kindes zu prüfen gewesen. Mit dem Einbezug der nonverbalen Kommunikationsformen des Kindes und unter Ausserachtlassung der suggestiven Fragestellung der Untersucherin sei man im Ergänzungsgutachten zur Er- kenntnis gelangt, dass - bei Würdigung der phänomengemäs- sen Schilderung nicht verstandener Handlungselemente - ein realer Erlebnishintergrund bestehen müsse. Eine Konstanz- analyse führe zum selben Ergebnis. Es sei unwahrschein- lich, dass das Kind die Aussagen erfunden habe. Ebenso könne man eine Suggestion von dritter Seite ausschliessen. Es sei zwar von einer eingeschränkten, aber trotzdem be- stehenden Zeugnisfähigkeit auszugehen. Dabei habe man eine gewisse sprachliche Retardierung miteinbezogen (Urteil S. 34 f.). Der Gutachter visionierte zudem das Videoband der ersten Befragung des Kindes vom 4. Februar 1997 und führte aus, die Zuhilfenahme anatomischer Puppen sei nicht wün- schenswert, weil sie Aufforderungscharakter hätten. Das habe aber keinen Einfluss auf die nonverbalen Kommunika- tionsformen des Kindes. Die Befragung habe eine stark suggestive Wirkung auf das Kind. Das erste Videoband sei als solches nicht verwertbar. Zwar könne die erste Befra- gung Auswirkungen auf das verbale Aussageverhalten des Kindes bei der folgenden Befragung zeitigen; aber diese Einschränkungen seien nicht gross, weil die Aussagen des Kindes im zweiten Videoband mit jenen gegenüber der Poli- zei identisch seien. Zentral sei und bleibe die Aussage der Mutter gegenüber. Die Konstanzanalyse spreche nach wie vor für die Richtigkeit der Aussagen des Kindes. Auf die Stärke der nonverbalen Äusserungen des Kindes im zweiten Videoband habe die erste Befragung keinen Einfluss, weil diesbezüglich keine Suggestion der Befragerin stattfinde und auch nicht möglich sei (Urteil S. 37 f.). C.- Das Obergericht des Kantons Solothurn erkannte am 2./3. November 2000 X.________ der mehrfachen Schändung sowie der mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern schuldig. Es verurteilte ihn zu 18 Monaten Zuchthaus, mit bedingtem Strafvollzug und einer Probezeit von 3 Jahren. D.- X.________ erhebt staatsrechtliche Beschwerde und Nichtigkeitsbeschwerde mit zahlreichen Anträgen. E.- Das Obergericht beantragt in den Gegenbemerkun- gen, sämtliche Anträge abzuweisen, soweit darauf einzutre- ten sei. In der Vernehmlassung zur staatsrechtlichen Be- schwerde schliessen Staatsanwaltschaft und Geschädigte auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesgericht zieht in Erwägung: I. Staatsrechtliche Beschwerde 1.- a) Der Beschwerdeführer macht in der gleichen Rechtsschrift willkürliche Sachverhaltswürdigung und Ver- letzung eidgenössischen Rechts geltend (Beschwerde S. 6 ff., 78 ff.). Das geltende Recht kennt keine Ein- heitsbeschwerde (vgl. Schubarth, Nichtigkeitsbeschwerde 2001, Bern 2001, N 203 ff.). Staatsrechtliche Beschwerde und Nichtigkeitsbeschwerde werden in getrennten Abschnit- ten begründet. Das ist zulässig (vgl. BGE 118 IV 293 E. 2; 120 III 64 E. 2). b) Der Beschwerdeführer stellt zahlreiche Anträge und verlangt die Durchführung verschiedener Beweismassnah- men. Im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde lässt sich der Antrag dahingehend auslegen, dass das Urteil des Ober- gerichts aufzuheben sei (Ziff. 1). Soweit mehr als eine Aufhebung beantragt wird, ist - wegen der kassatorischen Natur des Rechtsmittels - auf die Beschwerde nicht einzu- treten (BGE 125 I 104 E. 1b; 124 I 327 E. 4a; 112 Ia 353 E. 3c/bb). Neue Vorbringen sind unbeachtlich (BGE 124 I 208 E. 4b; 107 Ia 187 E. 2). Massgebend sind Sachverhalt und Rechtslage im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung (BGE 121 I 367 E. 1b; 100 Ia 109 E. 2b). c) Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vor- aussetzungen für einen Schuldspruch seien hoch anzusetzen, wenn die Strafuntersuchung unfair geführt worden sei und eine einzige Instanz kantonal letztinstanzlich über Schuld und Strafe entschieden habe. In solchen Fällen komme dem Bundesgericht faktisch die Funktion einer Berufungsinstanz mit vollumfänglicher Kognition zu (Beschwerde S. 8, 11). Dem kann nicht gefolgt werden. Auch der Nichtig- keitsbeschwerde kommt entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers nicht die Funktion einer Appellation zu (Schubarth, a.a.O., N 12). Das Willkürverbot begründet für sich keine ge- schützte Rechtsstellung im Sinne von Art. 88 OG (BGE 126 I 81; 121 I 367 E. 1b). Die staatsrechtliche Beschwerde- schrift muss gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b OG die wesent- lichen Tatsachen und eine kurzgefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Ent- scheid verletzt worden sind. Das Bundesgericht prüft nur klar und einlässlich erhobene und belegte Rügen (BGE 127 I 38 E. 3c; 122 I 70 E. 1c; 118 Ia 184 E. 2; 117 Ia 393 E. 1c). Auf appellatorische Vorbringen ist nicht einzutre- ten (vgl. BGE 125 I 492 E. 1b). Der Beschwerdeführer müsste daher die geltend ge- machten Rechtsverletzungen in rechtlicher und tatsächli- cher Hinsicht mit eindeutiger Bezeichnung der Belegstellen so darlegen, dass die Sache auf dieser Grundlage beurteilt werden kann. Daran fehlt es insbesondere hinsichtlich der angefochtenen Beweiswürdigung. Insoweit ist auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten. d) Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, die Befragungen des Kindes, die auf dieser Grundlage erstell- ten Gutachten und die Aussagen des Gutachters an der ober- gerichtlichen Verhandlung seien nicht fachgerecht. Das Gutachten bestätige eine suggestive Fragestellung und schliesse auf Übergriffe, könne aber keine Angaben dazu machen. Es kritisiere den Bericht vom 20. März 1997, lasse aber das erste Videoband ausser Betracht, aus dem sich er- gebe, dass das Kind verbal und nonverbal mit Puppen beein- flusst worden sei. Auch das Ergänzungsgutachten gehe von falschen Voraussetzungen aus. Die sich aus dem ersten Videoband ergebende sprachliche und intellektuelle Retar- dierung des Kindes habe der Gutachter erst am Verhand- lungstag nach Visionierung dieses Videobandes erkannt. Der reale Hintergrund für das nonverbale Verhalten des Kindes sei in der ersten Befragung durch die Sozialpädagogin ge- setzt worden, an der auch das "Bisi machen" Thema gewesen sei und dem Kind Geräusch und Gestik und damit nonverbale Komponenten vorgemacht worden seien. Der Gutachter sehe in der Zuhilfenahme anatomischer Puppen einen Fehler, begrün- de aber nicht, weshalb das keinen Einfluss auf die nonver- bale Kommunikationsform des Kindes gehabt haben solle. Das Urteil sei willkürlich und verletze den Grundsatz in dubio pro reo (Beschwerde S. 43 ff.). Hierauf ist im Sinne der nachstehenden Erwägungen einzutreten. 2.- Bei Besonderheiten in der Person oder der Ent- wicklung des Zeugen kann eine Begutachtung in Betracht kommen, mit der die Zeugenfähigkeit oder die Aussagequali- tät abgeklärt werden soll. Die Zuverlässigkeit gutachter- licher Diagnosen oder Befunde basiert auf der Verlässlich- keit der Untersuchung; die Verlässlichkeit kann etwa auch durch die Unschärfe verwendeter diagnostischer Kategorien beeinträchtigt werden (Hans Kind, Psychiatrische Unter- suchung, 5. Auflage, Berlin 1997, S. 175). Ferner können auf den Opferschutz ausgerichtete Bestrebungen mit Rechten des Beschuldigten in Konkurrenz treten. Therapeuten- und Gutachterstellung sind deshalb klar zu trennen. Auch bei der forensischen Begutachtung besteht im Grundsatz Metho- denfreiheit. Die Wahl der Methode muss aber begründet sein. Die wissenschaftlichen Standards müssen eingehalten, der Befund und die diagnostische Bewertung klar voneinan- der getrennt und die Schlussfolgerungen transparent sowie für die Verfahrensbeteiligten nachvollziehbar dargestellt werden. Im Besonderen bestehen für die Abklärung des Wahrheitsgehalts von kindlichen Zeugenaussagen bei Ver- dacht auf sexuellen Kindsmissbrauch fachliche Standards (Kling, Glaubhaftigkeitsgutachten, Standards und Fehler, in: Heer/Pfister [Hrsg.], Das Kind im Straf- und Zivil- prozess, Bern 2002 [im Druck]; Fegert [Hrsg.], Begutach- tung sexuell missbrauchter Kinder, Neuwied 2001; Kröber/ Steller [Hrsg.], Psychologische Begutachtung im Straf- verfahren, Darmstadt 2000; Greuel, Qualitätsstandards aussagepsychologischer Gutachten zur Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen, MschrKrim 83/2000, S. 59 ff.; Greuel et al., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, Weinheim 1998; Dittmann, Die Begutachtung der Glaubhaftigkeit bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch aus psychologisch-psy- chiatrischer Sicht, in: Bauhofer/Bolle/Dittmann/Niggli [Hrsg.], Jugend und Strafrecht, Chur/Zürich 1998; Dittmann, Zur Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen, Plädoyer 2/1997; Steller/Volbert [Hrsg.], Psychologie im Strafverfahren, Bern 1997). Neben der Überprüfung von Motivationslage und kognitiven Fähigkeiten der kindlichen Zeugen hat sich die in der erwähnten Literatur beschrie- bene, ursprünglich von Undeutsch entwickelte Aussagean- alyse heute weitgehend durchgesetzt. Nach dem empirischen Ausgangspunkt der Aussageanalyse erfordern wahre und falsche Schilderungen unterschiedliche geistige Leistungen. Überprüft wird dabei in erster Linie die Hypo- these, ob die aussagende Person unter Berücksichtigung der Umstände, der intellektuellen Leistungsfähigkeit und der Motivlage eine solche Aussage auch ohne realen Erlebnis- hintergrund machen könnte. Methodisch wird die Prüfung in der Weise vorgenommen, dass das im Rahmen eines hypothe- sengeleiteten Vorgehens durch Inhaltsanalyse (aussageimma- nente Qualitätsmerkmale, sogenannte Realkennzeichen) und Bewertung der Entstehungsgeschichte der Aussage sowie des Aussageverhaltens insgesamt gewonnene Ergebnis auf Fehler- quellen überprüft und die persönliche Kompetenz der aus- sagenden Person analysiert werden. Bei der Glaubhaftig- keitsbegutachtung ist immer davon auszugehen, dass die Aussage auch nicht realitätsbegründet sein kann. Ergibt die Prüfung, dass diese Unwahrhypothese (Nullhypothese) mit den erhobenen Fakten nicht mehr in Übereinstimmung stehen kann, so wird sie verworfen. Es gilt dann die Alternativhypothese, dass die Aussage wahr sei. Erforder- lich ist dafür besonders auch die Analyse der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Aussage (Aussagegenese). Streng abgegrenzt werden die allgemeine Glaubwürdigkeit, die sich auf die Person bezieht, und die Glaubhaftigkeit, die nur gerade die spezifische Aussage betrifft und eigentlicher Gegenstand der aussagepsycho- logischen Begutachtung ist. Die Prüfung der Glaubhaftigkeit von Aussagen ist primär Sache der Gerichte. Auf Begutachtungen ist nur bei besonderen Umständen zurückzugreifen (Urteil des Bundesge- richts 6P.48/1999 vom 6. Mai 1999). Das Gericht würdigt Gutachten grundsätzlich frei (Art. 249 BStP). Es darf in Fachfragen nicht ohne triftige Gründe vom Gutachten abwei- chen und muss Abweichungen begründen. Das Abstellen auf nicht schlüssige Gutachten kann gegen Art. 9 BV verstos- sen, so wenn gewichtige, zuverlässig begründete Tatsachen oder Indizien die Überzeugungskraft des Gutachtens ernst- lich erschüttern (vgl. BGE 101 IV 129 E. 3a; 102 IV 225 E. 7b; 118 Ia 144 E. 1c). Willkür liegt vor, wenn die Be- hörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation im klaren Widerspruch stehen, auf einem offenkundigen Fehler beruhen oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufen. Dabei ge- nügt es nicht, wenn das Urteil sich nur in der Begründung als unhaltbar erweist; eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn es im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 127 I 38 E. 2a). Gemäss dem in Art. 32 Abs. 1 BV und in Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten Grundsatz in dubio pro reo ist bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld zu vermuten, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist (vgl. BGE 127 I 38 E. 2a; 124 IV 86 E. 2a; 120 Ia 31). 3.- Das Obergericht bezeichnet als Hauptbelastungs- beweis die klaren Aussagen des Kindes gegenüber der So- zialpädagogin, die im Videoband dokumentiert und mit den Angaben auf dem Polizeiposten und gegenüber der Mutter des Kindes identisch seien. Alle Gutachten attestierten dem Kind Glaubhaftigkeit der Aussagen und Glaubwürdigkeit der Person. Es führt aber an anderer Stelle aus, die Aussagen des Kindes seien nicht eindeutig und bedürften der Inter- pretation. Das Kind werde von allen Gutachtern als retar- diert qualifiziert. Die Erstbefragung sei völlig unprofes- sionell verlaufen; daraus könne nichts zum Nachteil des Beschwerdeführers abgeleitet werden. Jedoch seien keine Anhaltspunkte für eine Manipulation zu finden. Kinder in diesem Alter könnten ihr nonverbales Verhalten nicht kon- trollieren. Auf Grund der Gutachten, insbesondere des Er- gänzungsgutachtens, und der Ausführungen des Gutachters an der Verhandlung seien die sexuellen Übergriffe belegt. a) Das Obergericht bezeichnet die Befragung durch die Sozialpädagogin als "völlig unprofessionelle Erstbe- fragung", aus der "nichts zum Nachteil des Beschwerdefüh- rers abgeleitet werden" könne. Diese Qualifikation be- trifft die beiden Befragungen vom 4. und 10. Februar 1997 und den entsprechenden Bericht vom 20. März 1997. Voraus- gegangen waren bereits die Befragungen der Polizei am 20. Januar 1997, bei der "keine präziseren Angaben er- hältlich gemacht werden konnten", und der Mutter am 14. Januar 1997. Diese Befragungen sind somit nach dem Obergericht insgesamt als "unprofessionell" zu bezeichnen. Es stellt dennoch auf diese "Aussagen" als Hauptbelas- tungsbeweis ab und erwägt, sie seien durchgehend "iden- tisch" gewesen; es hatte indessen bereits festgestellt, dass sie nicht eindeutig, sondern interpretationsbedürftig sind. Es stützt sich dafür auf die Begutachtung des Video- bandes der zweiten Befragung vom 10. Februar 1997. Nach diesem Gutachten finden sich auf dem Videoband, abgesehen von Antworten auf Suggestivfragen, nur rudimentäre Hinwei- se darauf, was das Kind meint; das Videoprotokoll lasse keine verlässlichen Rückschlüsse über die Art und Weise der Übergriffe zu bzw. die Aussagen seien sehr rudimentär und liessen keine Rückschlüsse auf den näheren Charakter der Handlungen zu (Gutachten S. 9 und 10). Dagegen wird im Ergänzungsgutachten "mit dem Einbezug der nonverbalen Kommunikationsformen des Kindes und unter Ausserachtlas- sung der suggestiven Fragestellung der Untersucherin" (an- gefochtenes Urteil S. 34) auf einen realen Erlebnishinter- grund geschlossen. Erst am Verhandlungstag visionierte einer der Gutachter das Videoband der ersten Befragung vom 4. Februar 1997 und erklärte, er habe dieses Videoband bis anhin nicht gesehen, und es sei als solches nicht verwert- bar; er sei über die Vorgeschichte nicht informiert ge- wesen und habe nicht gewusst, dass das Kind bereits in psychologischer Behandlung gewesen sei; er stellte zudem fest, dass nicht bloss eine sprachliche, sondern auch eine kognitive Retardierung vorliege, dass die Zuhilfenahme anatomischer Puppen nicht wünschenswert sei, dass das Kind ersichtlich habe spielen und nicht reden wollen, dass keine Analyse der Entstehungsgeschichte der Aussagen stattgefunden habe und dass die Aussage der Mutter gegen- über zentral sei und bleibe (angefochtenes Urteil S. 35 - 37). Den lediglich mit der Prüfung des Videobandes vom 10. Februar 1997 auf seine Aussagekraft hin beauftragten Gutachtern fehlten somit wesentliche Beurteilungsgrundla- gen. Die Gutachter nahmen keine Untersuchung des Kindes vor und waren sich über dessen körperlichen und psychi- schen Zustand nicht im Klaren. Der gutachterliche Befund und die Beweiswürdigung beruhen insgesamt auf den tat- sächlichen Grundlagen der Erstbefragungen. Offensichtlich wurde weder eine eigentliche Glaubhaftigkeitsbegutachtung in Auftrag gegeben noch erstellt. Wenn daher das Oberge- richt auf Grund der Gutachten und der (hinsichtlich des ersten Videobandes nur als behelfsmässig zu bezeichnenden) gutachterlichen Ausführungen an der Verhandlung annimmt, damit seien die sexuellen Übergriffe belegt, stellen sich erhebliche Zweifel ein. b) Als grundsätzlicher Mangel erscheint das Fehlen einer ganzheitlichen aussagepsychologischen Unter- suchung (Köhnken, Methodik der Glaubwürdigkeitsbegutach- tung, in: Fegert, Begutachtung sexuell missbrauchter Kinder, S. 29 ff.). Die erste zu berücksichtigende "Aussage" stammt von der Mutter des Kin- des, die keine Tatzeugin ist. Die polizeiliche Befragung des Kindes ergab "keine präziseren Angaben". Sodann war das Kind wegen Sprachschwierigkeiten (Stammeln, Dyslalie) und teils infolge von durch Legospiel verursachten Geräu- schen oft nur schlecht verständlich. Die im gutachterlich erstellten Transkriptionsprotokoll wiedergegebenen Aus- sagen des Kindes, die zum grössten Teil durch suggestive Fragen zustande gekommen sind und nicht dem freien Bericht entstammen, haben nach Ansicht der Gutachter nur "Annähe- rungscharakter" (Gutachten S. 5, 7, 11). Im Gutachten wie im Ergänzungsgutachten (S. 5) wird angenommen, die ver- balen Aussagen seien wegen der suggestiven Fragetechnik zum grössten Teil kaum verwertbar. Dennoch spricht das Obergericht von "klaren Aussagen" des Kindes, sie würden seiner eigenen Wahrnehmung entspringen, es wäre nicht in der Lage, eine quasi eingetrichterte Geschichte mehrfach wiederzugeben, ein Kind in seinem Stadium sei der Infil- tration nicht zugänglich (angefochtenes Urteil S. 47). Ein suggestiver Einfluss des sozialen Umfelds muss nun aber nicht durch Infiltration oder Auswendig- lernen vorgegebener Inhalte geschehen. Das gesamte fa- miliäre Klima, in dem Gespräche über entsprechende Inhalte geführt, suggestive Fragen gestellt und einschlägige Äus- serungen des Kindes beifällig entgegen genommen, zumindest nicht hinterfragt werden, übt den eigentlichen suggestiven Einfluss aus. Auch einfache, wiederholte Fragen können falsche Gedächtnisinhalte implantieren (Kling, a.a.O.). Befragungen können unbeabsichtigt suggestiv Erinnerungs- verfälschungen bewirken (Michaelis-Arntzen, Zur Suggesti- bilität von Kleinkindern, in: Greuel/Fabian/Stadler [Hrsg.], Psychologie der Zeugenaussage, Weinheim 1997, S. 205 f.). Eine ausserordentliche Dynamik können Abhän- gigkeitsverhältnisse und Traumatisierungen entwickeln (Fischer/Riedesser, Lehrbuch der Psychotraumatologie, 2. Auflage, München 1999, S. 248 ff.). Die Sozialpädagogin weist in ihrem Bericht auf die Umstände der Erstbekundung hin, dass nämlich der Vater des Kindes das Sorgerecht be- antragt hatte. Den Gutachtern schien das Kind ernsthaft in Bedrängnis, nicht nur hinsichtlich möglicher sexueller Übergriffe gefährdet, sondern auch durch die gesamte Si- tuation überfordert (Gutachten S. 10). c) Diagnostisch relevante Informationen dürfen nur aus der Aussage selbst bzw. aus dem unmittelbaren Kon- text der zu beurteilenden Aussage gewonnen werden (Köhnken, a.a.O., S. 30). Dass sich die "Aussagen" des Kindes wegen des suggestiven Einflusses in dieser Form als zweifelhaft erweisen, war das Ergebnis des Gutachtens, das im Ergän- zungsgutachten aufrecht erhalten wurde. Letzteres schloss erst "mit dem Einbezug der nonverbalen Kommunikations- formen des Kindes und unter Ausserachtlassung der sugges- tiven Fragestellung der Untersucherin" auf einen realen Erlebnishintergrund. Dieser Schluss erscheint methodisch unzulässig. Suggestive Fragestellung und sozialpsycholo- gischer Kontext dürfen nicht ausgeblendet werden. Die Hal- tung der Befragerin prägt das Gespräch insgesamt, und die- ses muss als Ganzes betrachtet werden. Dass die Fragestel- lung auf nonverbale Antworten keinen Einfluss habe, er- scheint fraglich. Nonverbale und paraverbale Verhaltens- weisen gelten als zu inkonsistent, als dass sich darauf die Beurteilung stützen könnte. Auch kindliches Spiel- verhalten, insbesondere mit anatomischen Puppen, die nicht zu diesem Zweck entwickelt wurden, erlaubt keine zuverläs- sigen Schlussfolgerungen (Köhnken, a.a.O., S. 31 f.; Dittmann, Begutachtung, a.a.O., S. 250). Aus keinem wie auch immer gearteten Verhalten des Kindes lässt sich ein tatsächlich erlittener sexueller Missbrauch mit der not- wendigen Sicherheit ableiten; selbst sexualisierte Ver- haltensweisen sind keine verlässlichen Hinweise auf sexu- elle Übergriffe (Kling, a.a.O.). Besteht ein hoch sugges- tiver Kontext, sind Hinweisgesten wie Worte auf diesem Hintergrund zu bewerten; sie haben keinen Hinweiswert auf eigenes Erleben (Volbert, Suggestibilität kindlicher Zeugen, in: Steller/Volbert, a.a.O., S. 40 ff.). Bei hoch suggestiven Einflussfaktoren wird sogar die Anwendbarkeit der aussagepsychologischen Methode generell in Frage ge- stellt (Greuel, a.a.O., S. 62; Kling, a.a.O.). Bei der Hypothese einer suggestiven Aussageverfälschung wäre schliesslich eine Rekonstruktion der Aussagegenese ange- zeigt gewesen (Greuel, a.a.O., S. 63, 69; Kling, a.a.O.). Der Blick in die Fachliteratur verstärkt mithin die Be- denken. d) Nach Prüfung der Aussagegenese ist Kern der aussagepsychologischen Untersuchung die kriterienorien- tierte Aussageanalyse anhand der sogenannten Realkenn- zeichen. Mit Hilfe der Realkennzeichen, die inhaltliche Qualitäten einer Aussage beschreiben, wird versucht, zwischen realitäts- oder erlebnisbegründeten und phanta- sierten Aussagen zu differenzieren (Köhnken, a.a.O., S. 33 ff.; Dittmann, a.a.O.). Im Gutachten wird festge- stellt, infolge der suggestiven Fragetechnik und des fehlenden freien Berichts könne eine Prüfung der 19 Real- kennzeichen nicht vorgenommen werden. Dennoch ziehen die Gutachter solche Kennzeichen heran, wie beispielsweise die "phänomengebundene Beschreibung unverstandener Ereignisse" (vgl. Gutachten S. 7). Dieses Kennzeichen liegt vor, wenn die Aussage konkrete Schilderungen von Geschehensabläufen oder Ereignissen enthält, deren Sinn das aussagende Kind nicht erfassen kann (Köhnken, a.a.O., S. 36). An der me- thodisch vorausgesetzten Aussage für die Prüfung der Real- kennzeichen fehlt es aber nach dem Gutachten weitgehend. Die Gutachter ziehen (denn auch eher spekulativ) einige spontane Antworten und Aussagen auf offene Fragen heran, kommen jedoch zum Ergebnis, dass die Sätze auch hier un- verbunden und unpräzise blieben (Gutachten S. 7). Erst im Ergänzungsgutachten führen sie aus: "Berücksichtigen wir hingegen die nonverbalen Äusserungen, kommen wir zum Schluss, dass das Kind mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Aussagen, die es macht, nicht hätte machen können, wenn nicht ein realer Erlebnishintergrund vorhanden wäre" (S. 5; oben Bst. A). Dieser neue Befund in der Fragebe- antwortung stellt gegenüber dem Gutachten einen eigent- lichen Bruch dar, ohne dass er methodisch begründet oder klar gestellt würde. Eine Aussageanalyse lässt sich in keinem Fall gestützt auf nonverbale Kommunikationsformen unter Ausblendung des suggestiven Umfelds vornehmen. Die Realkennzeichen beziehen sich auf verbale Aussagen, nicht auf nonverbales Ausdrucksverhalten. Die Analyse kann daher nur vorgenommen werden, wenn überhaupt Aussagematerial in geeigneter Qualität und Quantität vorliegt. Die Begutachtung erweist sich daher in methodi- scher Hinsicht als nicht dem gegenwärtigen wissenschaft- lichen Standard entsprechend. Diese Kritik trifft die Gutachter insofern nicht, als sie nicht mit einer eigent- lichen aussagepsychologischen Begutachtung beauftragt waren; sie haben überdies eindringlich auf Problemfelder hingewiesen. Hingegen ist zu beanstanden, dass sie als Fachleute unter diesen Bedingungen überhaupt eine Be- gutachtung vornahmen und als hinreichend vertraten. Straf- gerichte können zwar nicht eine aussagepsychologische Be- gutachtung selbst durchführen. Sie müssen aber deren Schlüssigkeit beurteilen können. 4.- Zusammengefasst nimmt das Obergericht zwar zu- nächst an, aus der Erstbefragung könne nichts zum Nachteil des Beschwerdeführers abgeleitet werden. Es stellt dann aber auf diese Befragungsergebnisse ab. Es stützt sich dafür auf eine nicht schlüssige und nicht dem aktuellen wissenschaftlichen Standard entsprechende Begutachtung. Der Gutachter kam vor dem Obergericht zum Ergebnis, zen- tral sei und bleibe die Aussage des Kindes der Mutter ge- genüber; ob man sie als glaubwürdig ansehe oder nicht, sei Aufgabe des Gerichts und nicht durch ihn zu beurteilen (angefochtenes Urteil S. 37). Damit weist er auf die fo- rensische Irrelevanz der Begutachtung hin. Auf dieser Beweisgrundlage ist die Verurteilung des Beschwerdefüh- rers, die sich wesentlich auf die Begutachtung stützt (angefochtenes Urteil S. 49 f.), nicht haltbar. 5.- Die staatsrechtliche Beschwerde ist deshalb gut- zuheissen, soweit darauf einzutreten ist. Es sind keine Kosten zu erheben. Der Kanton Solothurn hat den Beschwer- deführer für das Verfahren zu entschädigen. II. Nichtigkeitsbeschwerde 6.- Mit der Aufhebung des angefochtenen Urteils ist die Nichtigkeitsbeschwerde gegenstandslos geworden und am Geschäftsverzeichnis abzuschreiben. Demnach erkennt das Bundesgericht: 1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutge- heissen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 2./3. November 2000 wird aufgehoben. 2.- Die Nichtigkeitsbeschwerde wird als gegenstands- los geworden am Geschäftsverzeichnis abgeschrieben. 3.- Es werden keine Kosten erhoben. 4.- Der Kanton Solothurn hat den Beschwerdeführer für das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen. 5.- Dieses Urteil wird den Parteien, der Staats- anwaltschaft und dem Obergericht, Strafkammer, des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt. _____________ Lausanne, 20. Dezember 2001 Im Namen des Kassationshofes des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: