Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6P.176/2001
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6P.176/2001
6S.662/2001/otd

                K A S S A T I O N S H O F
                *************************

                     11. Januar 2002

Es wirken mit: Bundesrichter Schubarth, Präsident des
Kassationshofes, Bundesrichter Wiprächtiger, Bundesrich-
ter Karlen und Gerichtsschreiber Monn.

                        ---------

                        In Sachen

D.__________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat
Christoph Dumartheray, Steinentorstrasse 13, Basel,

                          gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft,
Obergericht des Kantons Basel-Landschaft,

                       betreffend
 Art. 9, 29 und 32 BV sowie Art. 6 EMRK (Strafverfahren;
 Willkür, rechtliches Gehör, Grundsatz in dubio pro reo)
                  bzw. Strafzumessung,

hat sich ergeben:

     A.- Die Behörden des Kantons Basel-Landschaft führen
seit mehreren Jahren gegen A.________ und weitere Be-
schuldigte eine Strafuntersuchung wegen verschiedener
Vermögensdelikte.

        Im Verfahren um die von A.________ gegründete
Cosco AG geht es um die Vermittlung von Krediten, die die
Beschuldigten (A.________, B.________, C.________ und
D.________) in Zeitungsinseraten angeboten haben. Trotz
einer sehr grossen Anzahl von Kunden konnte keinem einzi-
gen Kreditsuchenden ein Kredit vermittelt werden. Den
Beschuldigten wird vorgeworfen, sie hätten gar nicht be-
absichtigt, Kredite zu vermitteln, sondern nur an den
Vorkosten, die die Kunden im Verlaufe der Kreditvermitt-
lung zu bezahlen hatten, partizipieren wollen.

     B.- a) Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft
entschied am 21. Mai 1999 in erster Instanz.

        D.________ wurde in Abwesenheit des gewerbsmäs-
sigen Betruges schuldig erklärt und zu einer Zuchthaus-
strafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, als
Zusatzstrafe zu einem Urteil des Strafgerichts Basel-
Stadt vom 19. Dezember 1996.

        b) Gegen dieses Urteil appellierte unter anderem
auch D.________.

        c) Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft
hiess die Appellationen am 16. Februar 2001 in zweiter
Instanz teilweise gut.

        D.________ wurde der Gehilfenschaft zu gewerbs-
mässigem Betrug schuldig erklärt und zu einer unbedingten
Gefängnisstrafe von 16 Monaten verurteilt, als Zusatz-
strafe zum Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt vom
19. Dezember 1996.

     C.- D.________ führt beim Bundesgericht staatsrecht-
liche und Nichtigkeitsbeschwerde.

        Er beantragt mit staatsrechtlicher Beschwerde,
es sei das Urteil des Obergerichts vom 16. Februar 2001
vollumfänglich aufzuheben. Es sei der Fall an das Ober-
gericht zurückzuweisen zur Freisprechung des Beschwerde-
führers von der Anklage der Gehilfenschaft zu gewerbsmäs-
sigem Betrug.

        Er beantragt mit eidgenössischer Nichtigkeitsbe-
schwerde, es sei das Urteil des Obergerichts aufzuheben
und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zu-
rückzuweisen.

        Mit beiden Rechtsmitteln beantragt er für das
bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechts-
pflege und Verbeiständung mit Advokat Christoph Dumarthe-
ray als Vertreter. Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt
er, dem Rechtsmittel sei die aufschiebende Wirkung zu
verleihen.

          Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

I. Staatsrechtliche Beschwerde

     1.- Soweit der Beschwerdeführer beantragt, der Fall
sei zum Freispruch an das Obergericht zurückzuweisen, ist
darauf nicht einzutreten, weil die staatsrechtliche Be-
schwerde mit hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen
kassatorischer Natur ist und im Falle einer Gutheissung
nur zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führt
(BGE 126 III 524 S. 526).

     2.- Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von
Art. 6 EMRK, Art. 9 BV (Willkürverbot), Art. 29 Abs. 2 BV
(Anspruch auf rechtliches Gehör) und Art. 32 Abs. 1 BV
(Grundsatz in dubio pro reo) (Beschwerde S. 3).

        Willkür im Sinne von Art. 9 BV liegt nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung nur vor, wenn der an-
gefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit
der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht,
eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass
verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsge-
danken zuwiderläuft; demgegenüber liegt noch keine Will-
kür vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar
erscheint (BGE 123 I 1 E. 4a, 121 I 113 E. 3a). Soweit
der Beschwerdeführer dem Obergericht keine Willkür nach-
zuweisen vermag, sondern nur appellatorische Kritik vor-
bringt, ist darauf nicht einzutreten.

        Ebenfalls unzulässig ist die Beschwerde, soweit
darin Fragen des eidgenössischen Rechts im Sinne von
Art. 269 Abs. 1 BStP aufgeworfen werden. Dafür steht die
Nichtigkeitsbeschwerde zur Verfügung.

     3.- a) Der Beschwerdeführer macht geltend, das Ober-
gericht habe den Grundsatz in dubio pro reo in seiner
Funktion als Beweislastregel verletzt, indem es seine
Verurteilung in zwei Punkten auf eine blosse Vermutung,
die er zu widerlegen gehabt hätte, gestützt habe (Be-
schwerde S. 4).

        Das Obergericht stellt fest, der Beschwerdefüh-
rer habe erklärt, er sei von morgens früh bis abends spät
und ab und zu sogar am Wochenende im Büro gewesen, und
habe deshalb "sicherlich mehr mitbekommen, als er zugege-
ben" habe (angefochtener Entscheid S. 184). Damit hat das
Obergericht aufgrund der eigenen Aussagen des Beschwerde-
führers eine Beweiswürdigung vorgenommen, die entweder
richtig oder falsch ist. Aber entgegen der Annahme des
Beschwerdeführers hat das Obergericht mit seiner Fest-
stellung die Beweislast nicht umgekehrt.

        Das Obergericht kommt unter Angabe verschiedener
Gründe zum Schluss, der Beschwerdeführer habe im Laufe
seiner Tätigkeit bei der Cosco um die betrügerischen Tä-
tigkeiten gewusst oder hätte darum zumindest wissen müs-
sen (vgl. angefochtener Entscheid S. 183/184). Auch in
diesem Punkt geht es um eine Würdigung der Beweise und
nicht um eine Umkehr der Beweislast. Ob die Überlegung
des Obergerichts "allenfalls ein Fahrlässigkeitsdelikt
aber nicht ein Vorsatzdelikt begründen könnte" (Beschwer-
de S. 4), stellt eine Frage des eidgenössischen Rechts
dar, die mit staatsrechtlicher Beschwerde nicht aufgewor-
fen werden kann.

        Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des
Grundsatzes in dubio pro reo geltend macht, weil Zweifel
an seiner Schuld angebracht gewesen wären (Beschwerde
S. 4), kann auf BGE 127 I 38 und die dort zitierten Ent-

scheide verwiesen werden. Die Rüge hat im vorliegenden
Verfahren keine selbständige Bedeutung, da das Bundesge-
richt auf eine Willkürprüfung beschränkt ist.

        b) Nach Auffassung des Beschwerdeführers ist der
angefochtene Entscheid aus verschiedenen Gründen willkür-
lich (Beschwerde S. 4). Er bringt jedoch ausschliesslich
unzulässige appellatorische Kritik vor (vgl. Beschwerde
S. 5 - 10), worauf im vorliegenden Verfahren nicht einge-
treten werden kann. Dies mag durch die folgenden zwei
Beispiele belegt werden.

        Das Obergericht stellt fest, die besondere Über-
zeugungsfähigkeit von A.________ zeige sich unter anderem
darin, dass er die Anwältin der Cosco habe dazu veranlas-
sen können, das in der Cosco verwendete Holding-Modell
den Kunden zu empfehlen, obwohl weder die Beteiligten
noch die Anwältin später den Sinn des Modells hätten er-
klären können (angefochtener Entscheid S. 128). Der Be-
schwerdeführer erachtet es als willkürlich, dass das
Obergericht bei der Frage des Vorsatzes die Überzeugungs-
fähigkeit von A.________ zu seinen Gunsten nicht berück-
sichtigt habe (Beschwerde S. 5). Die Rüge geht an der Sa-
che vorbei, denn das Obergericht kommt aus verschiedenen
Gründen zum Schluss, der Beschwerdeführer habe die betrü-
gerische Tätigkeit der Cosco "bewusst gefördert" (ange-
fochtener Entscheid S. 184). Folglich ist es in Bezug auf
den Beschwerdeführer unerheblich, ob A.________ über eine
besondere Überzeugungskraft verfügt hat. Im Zusammenhang
mit der Tätigkeit der Anwältin für die Cosco haben die
kantonalen Behörden im Übrigen ausdrücklich festgehalten,
dass erhebliche Zweifel daran, dass sie seriös tätig ge-
wesen sei, und an ihren damaligen Fähigkeiten bestünden
(angefochtener Entscheid S. 106, 117). Der Umstand, dass
die Anwältin eine entsprechende Ausbildung hat, spricht

folglich noch nicht für die Behauptung des Beschwerdefüh-
rers, er habe in Bezug auf die betrügerische Tätigkeit
keinen Vorsatz gehabt.

        Das Obergericht stellt fest, angesichts seiner
hohen Präsenzzeit im Büro habe der Beschwerdeführer "si-
cherlich mehr mitbekommen, als er zugegeben hat" (s. oben
E. 3a). Der Beschwerdeführer erachtet eine solche Beweis-
würdigung als willkürlich, weil das Verfahren gegen die
Anwältin "trotz ihrer Tätigkeit für die Cosco während
'relativ langer Zeit' und 'in beträchtlichem Umfang'"
eingestellt worden sei (Beschwerde S. 6). Damit dringt
der Beschwerdeführer nicht durch, da er nach den Fest-
stellungen des Obergerichts "von morgens früh bis abends
spät und ab und zu sogar auch am Wochenende" im Büro ge-
wesen ist (angefochtener Entscheid S. 194), und sich aus
der Beschwerde nicht ergibt, dass die Anwältin auch nur
annähernd so viel Zeit für die Cosco aufgewendet hätte.

        c) Der Beschwerdeführer macht mehrfach geltend,
das Obergericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Ge-
hör verletzt, weil der angefochtene Entscheid nicht hin-
reichend begründet worden sei (vgl. Beschwerde S. 9/10).
Darauf ist in Anwendung von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
nicht einzutreten, weil der Beschwerdeführer zu keiner
der drei Rügen einer angeblichen Verletzung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör genau angibt, auf welche Stelle im
angefochtenen Entscheid er sich bezieht.

     4.- Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich als
unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann.

II. Nichtigkeitsbeschwerde

     5.- Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von
Art. 63 StGB, da bei der Strafzumessung hätte berücksich-
tigt werden müssen, "dass andere Personen mit einer ver-
gleichbaren Rolle nicht zur Rechenschaft gezogen worden
sind" (Beschwerde S. 3).

        In diesem Punkt kann auf die zutreffenden Aus-
führungen der Vorinstanz verwiesen werden (vgl. angefoch-
tener Entscheid S. 104 - 107).

        Der Beschwerdeführer verweist zur Begründung
seiner Auffassung auf ein deutsches Urteil, welches in
der Literatur zur Strafzumessung erwähnt wird (Beschwerde
S. 4 mit Hinweis auf Gerhard Schäfer, Praxis der Strafzu-
messung, 2. Aufl. 1995, S. 169/170). In diesem Urteil des
Bundesgerichtshofes in Strafsachen waren vorsätzliche Tö-
tungshandlungen von Grenzsoldaten der DDR an der Berliner
Mauer zu beurteilen, und das Gericht führte bei der
Strafzumessung aus, die Angeklagten hätten in der militä-
rischen Hierarchie ganz unten gestanden, was zu milderen
Strafen gedrängt habe (BGHSt 1994/39, S. 1 ff., 36). Und
in einem anderen Fall, in dem es um Steuerhinterziehung
im Bereich der Kommerziellen Koordinierung (Koko) in der
DDR ging, hat der Bundesgerichtshof bei der Strafzumes-
sung ausgeführt, der Tatrichter werde zu bedenken haben,
"dass eine Reihe von Personen, die im Bereich Koko tätig
waren und dort ... die Hauptverantwortung für die gesam-
ten Abläufe getragen haben, bisher strafrechtlich nicht
belangt worden sind"; der Tatrichter werde zu erwägen
haben, "dass es bisher ... nicht gelungen ist, das Ge-
schehen in der Führungsebene des Bereichs Kommerzielle
Koordination einer strafrechtlichen Klärung zuzuführen
und Funktionsträger, die einen grösseren Einfluss und
Überblick sowie weitergehende wirtschaftliche Interessen

hatten als der Angeklagte, strafrechtlich zur Verantwor-
tung zu ziehen" (BGHSt 1994/39 S. 146 ff., 158/159). Es
ist offensichtlich, dass diese Fälle mit dem vorliegenden
nicht verglichen werden können.

        Im Übrigen hat die Vorinstanz die untergeordnete
Rolle des Beschwerdeführers bei der Strafzumessung straf-
mildernd eingesetzt (angefochtener Entscheid S. 203).
Diese Strafmilderung ist von Bundesrechts wegen ausrei-
chend.

     6.- Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde er-
weist sich als unbegründet und ist abzuweisen.

III. Kosten- und Entschädigungsfolgen

     7.- Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Be-
schwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen
(Art. 156 Abs. 1 OG und Art. 278 Abs. 1 BStP).

        Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung ist in Anwendung von Art. 152 OG abzuwei-
sen, weil die Rechtsbegehren von vornherein keine Aus-
sicht auf Erfolg hatten. Da der Beschwerdeführer nicht
sehr viel verdient, unter gesundheitlichen Problemen ge-
litten und eine Familie zu ernähren hat (angefochtener
Entscheid S. 202/203, staatsrechtliche Beschwerde S. 3),
rechtfertigt es sich, die Gerichtsgebühr in Anwendung von
Art. 153a Abs. 1 OG für die beiden Verfahren auf je
Fr. 1'000.--, also insgesamt Fr. 2'000.--, festzusetzen.

        Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch um
aufschiebende Wirkung gegenstandslos geworden.

           Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist. Die eidgenössische Nich-
tigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.

     2.- Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung wird abgewiesen.

     3.- Die Gerichtsgebühr von insgesamt Fr. 2'000.--
wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

     4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der
Staatsanwaltschaft sowie dem Obergericht des Kantons
Basel-Landschaft schriftlich mitgeteilt.

                     ______________

Lausanne, 11. Januar 2002

              Im Namen des Kassationshofes
           des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                     Der Präsident:

                 Der Gerichtsschreiber: