Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.97/2001
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6A.97/2001/bmt

                 K A S S A T I O N S H O F
                 *************************

                        5. März 2002

Es wirken mit: Bundesrichter Schubarth, Präsident des
Kassationshofes, Bundesrichter Schneider, Karlen und
Gerichtsschreiber Borner.

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                         In Sachen

B.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher
Gino Keller, Seidenstrasse 36, Brugg,

                           gegen

Verwaltungsgericht des Kantons  A a r g a u, 1. Kammer,

                         betreffend
       Entzug des Führerausweises; Dauer des Entzugs
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der
1. Kammer des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom
29. August 2001),

hat sich ergeben:

     A.- B.________ überschritt am 18. Januar 1999 in Widen
die signalisierte Innerortshöchstgeschwindigkeit von 50 km/h
um 20 km/h. Das Bezirksamt Bremgarten büsste ihn deswegen
am 19. Mai 1999 in Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 SVG mit
Fr. 320.--.

        Am 21. August 1999 hatte B.________ auf der A1 in
Neuenhof bei einer Fahrgeschwindigkeit von 120 km/h einen
ungenügenden Abstand beim Hintereinanderfahren (5 - 8 Me-
ter). Das Bezirksamt Baden verurteilte ihn am 11. Oktober
1999 - ebenfalls in Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 SVG - zu
einer Busse von Fr. 300.--.

     B.- Das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau ver-
warnte B.________ am 16. September 1999 wegen des Vorfalls
vom 18. Januar 1999. Diese Verfügung hob es am 9. März 2000
auf und entzog B.________ den Führerausweis für die Dauer
von zwei Monaten, und zwar als Gesamtmassnahme für die
beiden Vorfälle.

        Eine Beschwerde des Betroffenen wies das Departe-
ment des Innern des Kantons Aargau am 22. März 2001 ab. Eine
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen diesen Entscheid wies
das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau am 29. August 2001
ab.

     C.- B.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und
beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die
Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Eventuell sei der Beschwerdeführer für den ungenügenden
Abstand beim Hintereinanderfahren, eventuell zusätzlich für

die Geschwindigkeitsüberschreitung, zu verwarnen; subeven-
tuell sei ihm der Führerausweis als Gesamtmassnahme für ma-
ximal einen Monat zu entziehen.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Der Beschwerdeführer ist durch den zweimonatigen
Führerausweisentzug, den er anficht, beschwert. Dass die
Entzugsbehörde die Verwarnung aufgehoben hat, beanstandet
er nur insoweit, als dadurch die Gesamtentzugsdauer erhöht
worden ist. Auch insofern ist die Beschwer zu bejahen. Un-
ter diesem Gesichtspunkt ist deshalb auf die Beschwerde
einzutreten.

     2.- Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der Ver-
fahrensgrundsätze von Art. 9 und 29 Abs. 2 BV und Art. 6
Ziff. 3 lit. d EMRK. Die Vorinstanz habe Akten der Strafbe-
hörden beigezogen, ohne die Parteien zu informieren. Daraus
werde ein Polizeirapport zitiert, der 10 Tage nach dem Vor-
fall von einem Polizeibeamten aus dem Gedächtnis geschrieben
worden sei, weshalb eine Verhandlung mit Konfrontationsein-
vernahme dieses Polizeibeamten als Zeugen vorgeschrieben
gewesen wäre. Der Beschwerdeführer habe diesen Antrag nicht
früher gestellt, weil er vorher davon nichts gewusst habe.

        Bereits das Departement des Innern zitierte mehr-
fach den dem Beschwerdeführer angeblich unbekannten Polizei-
rapport, und zwar jedes Mal ausdrücklich mit Angabe des Da-
tums vom 1. September 1999. Wie der Beschwerdeführer unter

diesen Umständen behaupten kann, erst anhand der vorinstanz-
lichen Begründung habe er erkannt, dass es sich wohl nicht
um den von ihm unterzeichneten Rapport (vom 21. August 1999)
habe handeln können, ist nicht nachvollziehbar. Im Übrigen
hatte schon das Strassenverkehrsamt am 26. November 1999 vor
Erlass seiner Verfügung den Beschwerdeführer darauf hinge-
wiesen, dass ihm während der Frist zur Stellungnahme die
Akten zur Einsicht offen stünden. Der Beschwerdeführer hatte
somit im kantonalen Verfahren Gelegenheit zur Akteneinsicht
bzw. die Möglichkeit, ein diesbezügliches Gesuch zu stellen,
und hätte im Anschluss daran auch ihm gut scheinende Beweis-
begehren formulieren können. Da er dies nicht tat, ist auf
die erhobenen Verfassungsrügen nicht einzutreten.

        Dasselbe gilt hinsichtlich seiner Bestreitung, er
habe auf 5 - 8 Meter auf das vorausfahrende Fahrzeug auf-
geschlossen. Denn im kantonalen Verfahren hat er diesen von
allen drei Instanzen angenommenen Abstand zum Vorderfahrzeug
nie bestritten.

     3.- a) Die Vorinstanz führt unter anderem aus, der
angefochtenen Verfügung lägen zwei Regelverstösse zugrunde.
Art. 68 StGB sei auf Administrativmassnahmen im Strassen-
verkehr analog anzuwenden. Wenn der zweite Regelverstoss
noch vor Erlass der Verfügung wegen des ersten Regelverstos-
ses begangen worden sei, sei in sinngemässer Anwendung von
Art. 68 Ziff. 2 StGB eine "Gesamtwürdigung" vorzunehmen.

        Dieser Fall liege vor, weshalb die beiden Vorin-
stanzen zu Recht eine Gesamtwürdigung vorgenommen hätten:
Für den ersten Regelverstoss (Geschwindigkeitsüberschrei-
tung) sei der Beschwerdeführer verwarnt worden. Aufgrund des
zweiten Vorfalls (ungenügender Abstand) habe das Strassen-
verkehrsamt einen Ausweisentzug als angemessen erachtet. Um
jedoch den Beschwerdeführer nicht schlechter zu stellen, als

wenn beide Vorfälle zusammen beurteilt worden wären, habe es
in Zusammenhang mit dem Führerausweisentzug die Verwarnung
aufgehoben. Dabei sei in analoger Anwendung von Art. 68 StGB
zu Recht von der schwerwiegenderen Regelverletzung ausgegan-
gen worden.

        b) Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass
gemäss BGE 124 II 39 eine Gesamtmassnahme zu verfügen und
damit Art. 68 StGB analog anzuwenden sei. Doch sei durch
die Aufhebung einer rechtskräftigen Verfügung Bundesrecht
verletzt (Art. 9 BV; Schutz von Treu und Glauben) und kan-
tonales Recht (§ 25 und 26 VRPG/AG) willkürlich angewandt
worden. Die Geschwindigkeitsübertretung habe eine Verwar-
nung nach sich gezogen, womit dieser Vorfall rechtskräftig
als leichter Fall beurteilt worden sei. Indem die Vorinstanz
nun ausführe, die Geschwindigkeitsübertretung sei ein Grenz-
fall zum mittelschweren Fall und es liege ein erhebliches
Verschulden vor, signalisiere sie, dass sie lediglich auf-
grund der Geschwindigkeitsüberschreitung eine Entzugserhö-
hung von einem Monat vorgenommen habe. Diese Erhöhung ver-
letze Art. 9 BV, Art. 16 SVG, Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls
zur EMRK und Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

     4.- a) Bei Verwirklichung mehrerer Entzugsgründe durch
eine Handlung ist nach der Rechtsprechung Art. 68 StGB sinn-
gemäss anzuwenden; dasselbe gilt für den Fall, dass durch
mehrere Handlungen mehrere Entzugsgründe gesetzt werden be-
ziehungsweise die zu beurteilenden Handlungen noch vor Er-
lass einer früheren Entzugsverfügung begangen wurden. Hat
die Behörde eine Handlung zu beurteilen, die vor Erlass
einer früheren Administrativmassnahme begangen wurde, so
ist in Anwendung von Art. 68 Ziff. 2 StGB eine Zusatzmass-
nahme dafür auszusprechen; der Täter soll durch die Auftei-
lung der Strafverfolgung in mehrere Verfahren nicht benach-

teiligt und soweit als möglich auch nicht besser gestellt
werden (BGE 120 Ib 54 E. 2a). Bei der Berechnung der Zusatz-
massnahme darf der bereits beurteilte Vorfall nicht wieder
aufgegriffen werden; dies würde gegen die Rechtskraft des
ergangenen Urteils verstossen (BGE 120 Ib 54 E. 2b). Ist
jemand für eine Tat mit Freiheitsstrafe und für eine an-
dere mit Busse zu bestrafen, sind gemäss Rechtsprechung zu
Art. 68 StGB beide zu verhängen (BGE 102 IV 242 E. 5, 86 IV
226 E. 3 S. 233, 75 IV 1 E. 1).

        Im Lichte dieser Rechtsprechung erscheint zumindest
zweifelhaft, ob das Vorgehen der kantonalen Behörden (Aufhe-
bung der Verwarnung und darauf gesamthafte Beurteilung bei-
der Vorfälle) richtig war. Für eine nachträgliche Aufhebung
der rechtskräftigen Verwarnung bestand kaum ein ausreichen-
der Grund. Zudem ist fraglich, ob die erwähnte Rechtspre-
chung, wonach Art. 68 StGB gar nicht zum Zuge kommt, wenn
für zwei Vorfälle zwei unterschiedliche Arten von Sanktionen
(z.B. Busse und Gefängnis) zu verhängen sind, ohne weiteres
auf Administrativmassnahmen übertragen werden kann. Wie es
sich damit verhält, kann jedoch offen bleiben:

        b) Gemäss Art. 33 Abs. 2 VZV richtet sich die Dauer
eines Warnungsentzugs unter anderem auch nach dem Leumund
als Motorfahrzeugführer. Daraus folgt, dass der erste Vor-
fall, selbst wenn die Verwarnung nicht aufgehoben worden
wäre, bei der Beurteilung des zweiten hätte berücksichtigt
werden dürfen. Dies jedoch nur unter dem Gesichtspunkt des
automobilistischen Leumunds, aber ohne Einbezug der Wir-
kung der Verwarnung, die ja erst nach dem zweiten Vorfall
erfolgte. Die Mitberücksichtigung des ersten Vorfalls bei
der Beurteilung des zweiten verletzt daher Art. 9 BV nicht.
Es liegt auch kein Verstoss gegen den Grundsatz "ne bis in
idem" vor.

        c) Gegenüber allen Strassenbenützern ist ausrei-
chender Abstand zu wahren, namentlich beim Hintereinander-
fahren (Art. 34 Abs. 4 SVG). Der Fahrzeugführer hat beim
Hintereinanderfahren einen ausreichenden Abstand zu wahren,
so dass er auch bei überraschendem Bremsen des voranfahren-
den Fahrzeugs rechtzeitig halten kann (Art. 12 Abs. 1 VRV).
Diesen Bestimmungen kommt grosse Bedeutung zu, sind doch die
Unfälle zahlreich, in denen ein zweites Fahrzeug nicht ge-
nügend Abstand zum ersten einhielt (BGE 126 II 358 E. 1a mit
Hinweis).

        Der Beschwerdeführer hat angesichts der hohen Fahr-
geschwindigkeit von 120 km/h und des Abstands von manchmal
lediglich 5 - 8 Metern extrem nahe zum voranfahrenden Fahr-
zeug aufgeschlossen. Diese vorsätzliche massive Gefährdung
der Verkehrssicherheit erscheint derart schwer, dass die
Ahndung dieses Vorfalls für sich allein mit einem Führeraus-
weisentzug von zwei Monaten durchaus im Rahmen des vorin-
stanzlichen Ermessens liegt, und zwar auch unter Einbezug
einer leicht erhöhten Massnahmeempfindlichkeit. Wie erwähnt
(E. b hievor), kann wegen der Geschwindigkeitsübertretung
vom 18. Januar 1999 nicht mehr von einem ungetrübten auto-
mobilistischen Leumund ausgegangen werden. Im Ergebnis ver-
stösst der zweimonatige Führerausweisentzug somit nicht
gegen Bundesrecht (Art. 17 Abs. 1 SVG und Art. 33 Abs. 2
VZV). Damit erweisen sich die Rügen des Beschwerdeführers
als unbegründet. Im Übrigen ist die vorinstanzliche An-
nahme zutreffend, eine Überschreitung der Innerortshöchst-
geschwindigkeit von 50 km/h um 20 km/h stelle einen Grenz-
fall zwischen einem leichten und einem mittelschweren Fall
dar (BGE 124 II 97).

     5.- Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Be-
schwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG).

        Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch um
aufschiebende Wirkung gegenstandslos.

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Be-
schwerdeführer auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Ver-
waltungsgericht (1. Kammer) und dem Strassenverkehrsamt des
Kantons Aargau sowie dem Bundesamt für Strassen (Abteilung
Strassenverkehr) schriftlich mitgeteilt.

                       _____________

Lausanne, 5. März 2002

                Im Namen des Kassationshofes
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:          Der Gerichtsschreiber: