Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.96/2001
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6A.96/2001/pai

                K A S S A T I O N S H O F
                *************************

                     18. Februar 2002

Es wirken mit: Bundesrichter Schubarth, Präsident des
Kassationshofes, Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger,
Kolly, Karlen und Gerichtsschreiber Briw.

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                        In Sachen

X.________, Beschwerdeführer,

                          gegen

Departement des Innern des Kantons  A a r g a u,
Abteilung Strafrecht,

                        betreffend
          Strafantritt; Hafterstehungsfähigkeit

(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau [2. Kammer] vom
25. Juni 2001 [2001/2/027;BE.2001.00140-K2]),

hat sich ergeben:

     A.- Am 19. Juni 1997 verurteilte das Obergericht des
Kantons Aargau X.________ wegen mehrfachen Betrugs, mehr-
fachen betrügerischen Konkurses und weiteren Delikten zu
2 Jahren Zuchthaus (abzüglich 144 Tage Untersuchungshaft)
und Fr. 3'000.-- Busse, als Zusatzstrafe zu einem Urteil
des Obergerichts vom 26. März 1992 (in dem wegen gleich-
artiger Delikte 2 Jahre Gefängnis ausgesprochen worden
waren, abzüglich 155 Tage Untersuchungshaft). Am 20. Ja-
nuar 1998 wies der Kassationshof eine gegen dieses Urteil
erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit er darauf
eintrat (BGE 6S.630/1997).

     B.- Am 28. April 1998 hörte die Vollzugsbehörde des
Kantons Aargau (Departement des Innern, Sektion Straf- und
Massnahmenvollzug) X.________ (Jahrgang 1954) persönlich
an, nachdem er am 20. März 1998 geltend gemacht hatte, er
sei aus gesundheitlichen Gründen straferstehungsunfähig.
Am 19. Mai 1998 wurde er in einer anderen Sache in Unter-
suchungshaft genommen, musste aber vom 4. bis 16. Juni
1998 in das Kantonsspital eingewiesen werden. In der Folge
verneinte ein auf Verlangen des Departements eingereichtes
Arztzeugnis seiner Hausärztin vom 30. August 1998 die
Hafterstehungsfähigkeit. Wegen eines Unfalls verfügte das
Departement am 22. Oktober 1998 einen Vollzugsaufschub bis
längstens 31. August 1999. Im Oktober 1999 reichte
X.________ ungenügende Bestätigungen und schliesslich ein
Arztzeugnis seiner Hausärztin vom 22. Januar 2000 ein, das
die Hafterstehungsfähigkeit verneinte. Im Auftrag des
Departements erstellten der Psychiatrische Dienst am
17. April 2000 (act. 132) und der Bezirksarzt am 19. Juni
2000 (act. 154) ärztliche Gutachten zur Straferste-

hungsfähigkeit. Am 31. Juli 2000 verfügte das Departement
den Strafantritt auf den 4. September 2000. Am 4. April
2001 wies der Regierungsrat des Kantons Aargau eine Be-
schwerde von X.________ ab.

        Am 25. Juli 2001 wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Aargau eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.

     C.- X.________ erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
mit dem Antrag, den Entscheid des Verwaltungsgerichts
aufzuheben und im heutigen Zeitpunkt und bis auf Weiteres
die Straferstehungsunfähigkeit festzustellen. Über die
Straferstehungsfähigkeit solle frühestens nach Ablauf
eines Jahres neu befunden werden. Es sei ihm die unent-
geltliche Rechtspflege zu gewähren.

           Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Die Kantone sind zum Strafvollzug verpflichtet
(Art. 374 StGB). Die Vollzugsbehörden müssen ein rechts-
kräftiges Strafurteil vollstrecken. Sie dürfen weder auf
die Vollstreckung definitiv verzichten noch in ein Urteil
eingreifen oder es abändern. Nur ausnahmsweise ist bei
Straferstehungsunfähigkeit ein Aufschub des Vollzugs auf
unbestimmte Zeit zulässig (BGE 108 Ia 69 E. 2). Für den
Strafvollzug sind bundesrechtliche Vollzugsgrundsätze
(insbesondere Art. 37 ff., 374 ff. StGB) und ergänzende
Bestimmungen (Art. 397bis StGB) zu beachten. Im Übrigen
ist er weitgehend Sache der Kantone (BGE 118 Ia 64 E. 2;
Pra 85/1996 S. 643, Nr. 175).

        Der Bundesrat ist nach Anhörung der Kantone
befugt, ergänzende Bestimmungen unter anderem über den
Vollzug von Strafen und Massnahmen an kranken, gebrech-
lichen und betagten Personen aufzustellen (Art. 397bis
Abs. 1 lit. g StGB). Der Bundesrat hat von dieser Kom-
petenz keinen Gebrauch gemacht, sondern die Kantone
verpflichtet, diesbezügliche Bestimmungen zu erlassen
(Art. 6 Abs. 1 VStGB 1). Die entsprechende Bestimmung von
§ 238 StPO/AG lautet:

        1 Der Vollzug der Freiheitsstrafen und freiheits-
           entziehender Massnahmen ist aufzuschieben oder
           zu unterbrechen:

          a) wenn die Strafe wegen Geisteskrankheit der
           verurteilten Person nicht zweckmässig vollzogen
           werden kann,
          b) wenn mit dem Vollzug wegen Krankheit der
           verurteilten Person Gefahr für diese, oder wenn
           bei einer Schwangeren Gefahr für diese oder ihr
           Kind verbunden wäre.

        2 Im Übrigen ist ein Aufschub oder ein Unterbruch
           des Vollzuges aus wichtigen Gründen zulässig.

        b) Das Verwaltungsgericht führt aus, nach § 238
StPO/AG würden identische Voraussetzungen für den Straf-
unterbruch und den Strafaufschub gelten. Es rechtfertige
sich für die Auslegung der "wichtigen Gründe" eine Anleh-
nung an die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Straf-
unterbruch gemäss Art. 40 Abs. 1 StGB, wonach der Vollzug
einer Freiheitsstrafe nur aus wichtigen Gründen unter-
brochen werden dürfe. Eine förmliche Regelung des Straf-
antritts fehle zwar im Bundesrecht, wie beim Strafunter-
bruch sei aber auch in der Frage des Strafantritts die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zu
bejahen (AGVE 2000 S. 127, Nr. 35).

        c) Zu beurteilen ist ein Strafantritt und nicht
die Unterbrechung des Vollzugs einer Freiheitsstrafe im
Sinne von Art. 40 StGB. Das Verwaltungsgericht zieht
Art. 40 StGB zur Auslegung des kantonalen Rechts heran
und wendet insoweit Bundesrecht als kantonales Ersatzrecht
an. Solange der Bundesrat von seiner Befugnis gemäss
Art. 397bis Abs. 1 lit. g StGB keinen Gebrauch gemacht
hat, entscheidet das kantonale Recht, unter welchen Vo-
raussetzungen die Strafe an kranken, gebrechlichen oder
betagten Personen vollzogen werden soll (BGE 100 Ib 271;
118 Ia 64 E. 2b; vgl. hingegen BGE 121 IV 3 zu Art. 397bis
Abs. 1 lit. h StGB [Verordnung über das Strafregister]
sowie BGE 118 Ib 130 zu Art. 5 VStGB 1 [Empfang von Be-
suchen und Briefverkehr]). Verfügungsgrundlage bleibt
demnach § 238 StPO/AG. Entsprechend ist nach konstanter
Rechtsprechung die staatsrechtliche Beschwerde gegeben.
Das gilt auch, wenn es um die Frage geht, ob eine Person
aus gesundheitlichen Gründen straferstehungsfähig ist
(BGE 108 Ia 69).

        d) Der Strafantritt ist nicht bundesrechtlich
geregelt. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wegen Ver-
letzung von Bundesrecht (Art. 104 lit. a OG) ist deshalb
nicht gegeben. Aus der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung
darf dem Beschwerdeführer aber kein Nachteil erwachsen
(Art. 107 Abs. 3 OG), weshalb die Beschwerde als staats-
rechtliche Beschwerde entgegengenommen wird.

     2.- Der Beschwerdeführer ist rechtskräftig zu Frei-
heitsstrafen verurteilt worden. Die Vollstreckung ist aus
verschiedenen Gründen aufgeschoben worden. Er macht gel-
tend, er sei weiterhin nicht straferstehungsfähig.

        a) Der Beschwerdeführer begründet die Beschwerde
mit einer nicht nachvollziehbaren Auslegung von Art. 40
StGB: Einem Verurteilten, der während des Vollzugs in eine
Heil- oder Pflegeanstalt verbracht werde, müsse der An-
staltsaufenthalt angerechnet werden. Daraus folge, dass
umgekehrt ein Verurteilter, der nicht erst während des
Vollzugs in eine Heil- oder Pflegeanstalt verbracht werde,
sondern schon bei Strafantritt, dieser Anrechnung nicht
teilhaftig werde. Deshalb könne an einem schon bei Straf-
antritt Einweisungsbedürftigen die Strafe nicht vollzogen
werden, weder in einer Strafanstalt noch in einer Heil-
oder Pflegeanstalt.

        Er leide in psychischen Stress-Situationen immer
unter Diabetes-Schüben. Seit einer Operation im Mai 2000
hätten sich diese Krankheitserscheinungen erheblich und
zwar in letale Werte gesteigert. Er könne deshalb bei
Strafantritt nach seinen bisherigen Ausführungen weder in
eine Strafanstalt noch in eine Heil- oder Pflegeanstalt
eingewiesen werden. Der Strafantritt werde bei ihm eine
psychosomatische Stress-Situation hervorrufen, die erst
die Einweisung in eine Heilanstalt nötig mache. Das sei
ein Unding. Sein Gesundheitszustand müsse sich erst
bessern. Dann könne alles nach Gesetz seinen Fortgang
nehmen.

        b) Diese auf Art. 40 StGB gestützte Argumentation
ist unbehelflich. Es geht weder um eine Unterbrechung des
Strafvollzugs (Art. 40 Abs. 1 StGB) noch um eine Anrech-
nung eines Anstaltsaufenthalts auf die Freiheitsstrafe
(Art. 40 Abs. 2 StGB). Wie das Verwaltungsgericht fest-
hält, ist die Argumentation im Ansatz falsch (angefoch-
tenes Urteil S. 12).

        c) Zu prüfen ist vielmehr, ob "wichtige Gründe"
im Sinne von § 238 StPO/AG einen (weiteren) Aufschub des
Strafvollzugs rechtfertigen. Ein wichtiger Grund kann eine
fehlende Straferstehungsfähigkeit wegen Krankheit sein.

        aa) Das Verwaltungsgericht zieht zur Auslegung
des Begriffs der "wichtigen Gründe" im Sinne von § 238
StPO/AG die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 40
StGB heran (insbesondere BGE 106 IV 321). Diese Auslegung
des kantonalen Rechts erscheint jedenfalls haltbar.

        bb) Das Verwaltungsgericht prüft zahlreiche
ärztliche Befunde und Beurteilungen aus der Zeit vom
16. Juni 1998 bis zum 12. Dezember 2000 (angefochtenes
Urteil S. 8 f.). Diese Beurteilungen betreffen auch die
geltend gemachte Operation vom Mai 2000. Der Beschwerde-
führer leidet seit 1987 an Diabetes mellitus. Die Krank-
heit lässt sich medikamentös gut unter Kontrolle halten.
Er erlitt einen erst nachträglich erkannten Herzinfarkt,
worauf am 3. Mai 2000 eine Bypass-Operation (koronare
Herzkrankheit) mit anschliessend recht guter Rehabili-
tation erfolgte. Infolge seiner Scheidung (Trennung 1984)
geriet er in eine schwere Krise und musste psychiatrisch
behandelt werden. Es besteht eine behandelbare depressive
Anpassungsstörung (Gutachten vom 17. April 2000, S. 11
ff.; act. 132). Der Beschwerdeführer zeigt wenig Bereit-
schaft, die körperlichen und psychischen Schwierigkeiten
ernsthaft anzugehen (angefochtenes Urteil S. 9, 11).

        cc) Die Straferstehungsfähigkeit wird in den
verschiedenen Berichten unterschiedlich beurteilt. Sie
wird von seiner Hausärztin verneint, jedoch insbesondere
von den beiden Gutachten mit ausführlicher Begründung
unter bestimmten Rahmenbedingungen klar bejaht. Das Ver-
waltungsgericht folgt den Gutachten (act. 132 und 154;

angefochtenes Urteil S. 9 f.). Es kommt zum Ergebnis, dass
die vorgesehene Strafanstalt die notwendige ärztliche Ver-
sorgung sicherstellt. Weder der Gesundheitszustand noch
sein Verhalten könnten ein weiteres Hinausschieben des
Strafantritts rechtfertigen (angefochtenes Urteil S. 13).

        d) Mit diesen massgeblichen Erwägungen setzt sich
der Beschwerdeführer nicht auseinander. Er macht insoweit
keine Rechtsverletzungen geltend. Es ist weder eine Ver-
letzung seiner verfassungsmässigen Rechte noch eine will-
kürliche Würdigung der ärztlichen Berichte ersichtlich.
Der Gesundheitszustand ist eingehend beurteilt worden. Die
ärztliche Betreuung im Strafvollzug ist sichergestellt.

        e) Eine Prüfung unter dem Titel der Verwaltungs-
gerichtsbeschwerde könnte zu keinem anderen Ergebnis füh-
ren. Insbesondere wäre das Bundesgericht an die Feststel-
lungen des Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht ge-
bunden, da dieses als richterliche Behörde den Sachverhalt
nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter
Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festge-
stellt hat (Art. 105 OG).

        f) Die Beschwerde ist unbegründet und abzuweisen,
soweit darauf einzutreten ist.

     3.- Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist
abzuweisen, weil das Rechtsbegehren aussichtslos erschien
(Art. 152 OG). Entsprechend trägt der Beschwerdeführer die
Kosten vor Bundesgericht. Angesichts seiner finanziellen
Verhältnisse ist die Gerichtsgebühr herabzusetzen.

            Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf
einzutreten ist.

     2.- Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird
abgewiesen.

     3.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem
Beschwerdeführer auferlegt.

     4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem
Departement des Innern sowie dem Verwaltungsgericht des
Kantons Aargau und dem Eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartement schriftlich mitgeteilt.

                      ______________

Lausanne, 18. Februar 2002

               Im Namen des Kassationshofes
            des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
      Der Präsident:          Der Gerichtsschreiber: