Kassationshof in Strafsachen 6A.86/2001
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6A.86/2001/mks K A S S A T I O N S H O F ************************* 25. Februar 2002 Es wirken mit: Bundesrichter Schubarth, Präsident des Kassa- tionshofes, Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger, Kolly, Karlen und Gerichtsschreiber Borner. --------- In Sachen X.________, Beschwerdeführer, gegen Rekurskommission für Strassenverkehrssachen des Kantons T h u r g a u, betreffend Entzug des Führerausweises; Dauer des Entzugs (Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der Rekurskommission für Strassenverkehrssachen des Kantons Thurgau vom 12. Februar 2001), hat sich ergeben: A.- X.________ fuhr am 15. September 2000 mit einem Personenwagen auf der Autobahn A7 mit einer Geschwindigkeit von 192 km/h und überschritt dabei die gesetzlich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 72 km/h. Dafür wurde er mit Strafverfügung vom 15. Januar 2001 in Anwendung von Art. 90 Ziff. 2 SVG zu einer Busse von Fr. 3'500.-- ver- urteilt. Am 9. April 1999 war ihm der Führerausweis für Motorfahrräder für die Dauer von zwei Monaten entzogen worden, weil er an zwei Mofas unzulässige Änderungen vor- genommen hatte. Einen ordentlichen Führerausweis besass er damals noch nicht. B.- Das Strassenverkehrsamt des Kantons Thurgau entzog X.________ am 9. November 2000 wegen der Geschwindigkeits- überschreitung den Führerausweis in Anwendung von Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG für die Dauer von sechs Monaten. Einen Rekurs des Betroffenen wies die Rekurskom- mission für Strassenverkehrssachen des Kantons Thurgau am 12. Februar 2001 ab. C.- X.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt eine Reduktion des Führerausweisentzuges auf 1 - 3 Monate. Die Rekurskommission und das ASTRA beantragen die Abweisung der Beschwerde (act. 9 und 11). Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1.- Unstrittig ist dem Beschwerdeführer der Führer- ausweis wegen einer schweren Verkehrsregelverletzung nach Art. 17 Abs. 1 lit. a SVG für mindestens einen Monat zu entziehen. a) Die kantonalen Instanzen gehen davon aus, es liege überdies ein Rückfall im Sinne von Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG vor, weshalb der Führerausweis für mindestens sechs Monate zu entziehen sei (Hauptbegründung). Denn bereits mit Verfügung vom 9. April 1999 sei dem Beschwer- deführer der Führerausweis für Motorfahrräder für die Dauer von zwei Monaten entzogen worden, weil er an zwei Mofas unzulässige Änderungen vorgenommen hatte. Dieser Entzug genüge als Grundlage für die erwähnte Rückfallschärfung. b) Gemäss Art. 37 Abs. 1 der Verordnung vom 27. Ok- tober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV; SR 741.51) gelten der Entzug des Führerausweises für Motorfahrräder und das Fahrverbot nur für die Fahrzeugarten, für die sie in der Verfügung ange- ordnet sind. Diese Bestimmung ermächtigt die Entzugsbehörde, einen Warnungsentzug für Motorfahrräder auf Motorfahrzeug- kategorien auszudehnen, die in Art. 3 Abs. 1 VZV aufgeführt sind. Beim Entscheid darüber hat die Behörde abzuwägen, ob sich eine Ausdehnung auf diese Kategorien angesichts der Schwere und Art der mit dem Motorfahrrad begangenen Wider- handlung rechtfertigt. Dabei hat sie sämtliche Umstände des Falles zu berücksichtigen, namentlich ob der fehlbare Lenker dieselbe Widerhandlung am Steuer eines Motorfahrzeugs begangen hätte, das ein höheres Gefährdungspotenzial dar- stellt. Eine mit einem Motorfahrrad begangene Widerhandlung, die einen Führerausweisentzug für diese Kategorie nach sich zieht, lässt indessen nicht notwendigerweise darauf schlies- sen, dass der Führer beispielsweise auch am Steuer eines Motorfahrzeugs der Kategorie B eine gefährliche Widerhand- lung begeht (BGE 114 Ib 41 E. 3 mit Hinweisen). Im Fall des Beschwerdeführers wäre gleichzeitig mit dem Entzug des Führerausweises für Motorfahrräder, der am 9. April 1999 angeordnet wurde, eine Ausdehnung des Führer- ausweisentzugs auf Motorfahrzeuge der Kategorie B nicht möglich gewesen, da der Beschwerdeführer aufgrund seines Alters noch nicht im Besitz eines solchen Ausweises sein konnte. Die Antwort auf die Frage, ob er mit einem Motor- fahrzeug, das ein höheres Gefährdungspotenzial darstellt, eine zumindest gleichartige Widerhandlung wie beispielsweise das Führen eines nicht betriebssicheren Fahrzeugs (Art. 29 SVG) begangen hätte, stellt sich daher - zumindest beim Erlass einer zweiten Verfügung nach einem Jahre und sieben Monaten seit dem verfügten Führerausweisentzug für Motor- fahrräder - als rein hypothetisch dar. Allein darauf lässt sich nach zutreffender Ansicht des ASTRA die Anwendung der Rückfallbestimmung von Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG mit den entsprechenden Folgen für den Betroffenen nicht begründen. c) Nach Ansicht der Vorinstanz lässt sich das zi- tierte Bundesgerichtsurteil nicht auf die vorliegende Kon- stellation übertragen. Denn bei Fahren in angetrunkenem Zu- stand im Rückfall stehe eine gesetzliche Mindestentzugsdauer von zwölf Monaten zur Diskussion, somit also ein doppelt so langes Minimum wie in Fällen wie hier. Diese Argumentation ist nicht stichhaltig. Denn die doppelt lange Mindestentzugsdauer beim Fahren in angetrun- kenem Zustand im Rückfall (Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG) im Verhältnis zum Rückfall gemäss Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG erklärt sich damit, dass bereits das erstmalige Fahren in angetrunkenem Zustand eine doppelt lange Mindestentzugsdauer zur Folge hat im Verhältnis zur Mindestentzugsdauer einer erstmaligen schwerwiegenden Verkehrsgefährdung (Art. 17 Abs. 1 lit. a und b SVG). Daraus lässt sich aber nichts ableiten zur Frage, ob der Entzug des Motorfahrrad-Führer- ausweises als Grundlage für die Anwendung der Rückfallrege- lung des Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG genügt. In diesem Zusammenhang muss zunächst unterschieden werden zwischen Motorfahrradlenkern, die einen (ordentli- chen) Führerausweis der in Art. 3 Abs. 1 VZV aufgezählten Kategorien besitzen, und solchen Lenkern, die lediglich im Besitz eines Führerausweises für Motorfahrräder sind. Bei der ersten Gruppe hat die zuständige Behörde gleichzeitig mit dem Anordnen des Fahrverbots für Motorfahrräder zu ent- scheiden, ob diese Massnahme auch einen Führerausweisentzug der in Art. 3 Abs. 1 VZV genannten Kategorien zur Folge hat (Art. 37 Abs. 1 VZV). Bleibt es bei einem Fahrverbot für Motorfahrräder und führt die neue Widerhandlung zu einem obligatorischen Entzug des ordentlichen Führerausweises, so kommt die Rückfallregelung des Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG nicht zur Anwendung (BGE 114 Ib 41 E. 3 mit Hinweisen). Besitzt ein Lenker indessen lediglich einen Führerausweis für Motorfahrräder (sei es aus Altersgründen, sei es aus freiem Entschluss) und wird ihm dieser entzogen, so stellt sich die Frage einer Ausdehnung des Entzugs auf einen or- dentlichen Führerausweis gar nicht. Wenn er im Nachhinein auch einen ordentlichen Führerausweis erworben und mit einem entsprechenden Fahrzeug einen obligatorischen Entzugsgrund gesetzt hat, sprechen zwei Gründe dagegen, den Entzug des Motorfahrradausweises als ausreichende Grundlage für die Anwendung der Rückfallbestimmung des Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG anzusehen: Zum Einen wollte der Gesetzgeber Motorfahrradführer wegen der geringeren Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ganz allgemein weniger streng behandeln als Motorfahrzeug- führer. Dies zeigt sich nur schon darin, dass die in Art. 36 Abs. 2 VZV genannten Widerhandlungen bloss fakultativ eine Administrativmassnahme zur Folge haben, während dieselben Verhaltensweisen (ausgenommen die Missachtung von Anordnun- gen) bei Motorfahrzeugführern obligatorisch einen Führeraus- weisentzug nach sich ziehen (Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Band III, N 2527 mit Hinweisen). Zum Andern gilt es zu bedenken, dass zur Erlan- gung des Führerausweises für Motorfahrräder lediglich eine vereinfachte theoretische Führerprüfung abgelegt werden muss (Art. 27 Abs. 2 VZV) und auch kein Kurs in Sachen Verkehrs- sinnbildung und Gefahrenlehre bzw. Fahrdynamik, Blicktechnik und Beherrschung der Fahrzeugbedienung zu absolvieren ist (Art. 17a und b VZV). Auch von daher wäre es nicht gerecht- fertigt, den Motorfahrradführer, der eine weniger umfassende Ausbildung genossen hat, die gleichen Konsequenzen tragen zu lassen wie den Motorfahrzeugführer, der hinsichtlich der Gefahren im Strassenverkehr besonders sensibilisiert worden ist. Die frühere Anordnung eines Motorfahrradausweis- entzugs bzw. eines Fahrverbots für Motorfahrräder ohne Aus- dehnung auf einen ordentlichen Führerausweis kann somit nicht zu einem Rückfall gemäss Art. 17 Abs. 1 lit. c und d SVG führen. Die Vorinstanz verletzt Bundesrecht, wenn sie die Mindestentzugsdauer von sechs Monaten des Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG zur Anwendung bringt. d) Die Vorinstanz befürchtet, dass Administrativ- massnahmen gegen minderjährige Fahrzeuglenker unberücksich- tigt bleiben müssten, wenn diese mündig geworden sind. Das würde gerade bei jugendlichen Verkehrsteilnehmern der ver- kehrserzieherischen Konzeption des Administrativmassnahmen- rechts eklatant widersprechen. Der Einwand geht fehl. Denn der Grundsatz der Ver- hältnismässigkeit verlangt von den Administrativbehörden, dass sie alle wesentlichen Beurteilungsmerkmale in ihren Entscheid miteinbeziehen. Dazu gehört auch eine angemessene Beurteilung des Leumunds als Motorfahrzeugführer (vgl. E. 2b Abs. 2). Im Übrigen enthält das Strassenverkehrsrecht grif- fige Bestimmungen, um insbesondere charakterlich ungeeignete Bewerber eines Führerausweises von der Teilnahme am Stras- senverkehr fern zu halten (vgl. z.B. Art. 14 Abs. 2 lit. d und Art. 17 Abs. 1bis SVG; Art. 7 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 VZV). 2.- a) In einer Eventualbegründung legt die Vorinstanz dar, dass auch auf Grund der allgemeinen Bemessungskriterien ein Entzug von sechs Monaten gerechtfertigt sei. Den Be- schwerdeführer treffe ein schweres Verschulden. Er habe die Geschwindigkeit vorsätzlich überschritten, da er sein Auto auf dessen Höchstgeschwindigkeit habe testen wollen. Auf- fallend sei die massive Geschwindigkeitsüberschreitung. Ge- mäss Rapport der Kantonspolizei habe ein zumindest schwaches Verkehrsaufkommen geherrscht. Der Beschwerdeführer habe wenig Einsicht in die Schwere des Fehlverhaltens gezeigt. Massnahmemildernd falle seine berufliche Sanktionsempfind- lichkeit ins Gewicht, wobei sich der Arbeitgeberbestätigung nur entnehmen lasse, dass er während des Führerausweisent- zuges nur für gewisse Montagearbeiten nicht eingesetzt würde. b) Die Vorinstanz begründet die fehlende Einsicht des Beschwerdeführers insbesondere damit, dass er "für eine derart massive Geschwindigkeitsüberschreitung einen Entzug im Rahmen der gesetzlichen Mindestentzugsdauer von einem Monat als angemessen" erachte, weshalb für sein künftiges Wohlverhalten keine günstige Prognose gestellt werden könne. Demgegenüber hatte der Beschwerdeführer in seinem Rekurs an die Vorinstanz beantragt, "es sei die Entzugsdauer von sechs Monaten auf drei Monate zu kürzen". Unter diesen Umständen ist der Vorwurf der fehlenden Einsicht des Beschwerdeführers in die Schwere seines Fehlverhaltens zumindest zu relati- vieren. Weiter hält die Vorinstanz fest, angesichts seines getrübten Leumunds als "Motorfahrzeuglenker" seien dem Be- schwerdeführer die Folgen der Nichtbeachtung von wesentli- chen Verkehrsregeln mit einer nachhaltig wirkenden Administ- rativmassnahme deutlich vor Augen zu führen. Mit dieser Argumentation hebt die Vorinstanz die Vorstrafen eines Motorfahrradlenkers auf die gleiche Stufe mit den Vorstrafen eines Autolenkers, was nicht zulässig ist (vgl. E. 1). Da die Vorinstanz diesbezüglich keine Unterscheidung traf, ist davon auszugehen, dass sie dem getrübten Fahrerleumund zu viel Gewicht beigemessen hat. Die Vorinstanz anerkennt wie dargelegt grundsätz- lich die berufliche Sanktionsempfindlichkeit des Beschwerde- führers. Eine weitergehende Würdigung dieses Beurteilungs- merkmals nimmt sie nicht vor. Der Beschwerdeführer hat somit während des Führerausweisentzugs mit gewissen Verdienst- ausfällen zu rechnen. Zudem wird er bezüglich des Arbeits- wegs Unannehmlichkeiten auf sich nehmen müssen. Dies recht- fertigt es, dem Beschwerdeführer eine berufliche Sanktions- empfindlichkeit in leichtem bis mittlerem Grade zuzuge- stehen. Die übrigen Bemessungskriterien hat die Vorinstanz zutreffend erörtert. c) Die Vorinstanz hat somit in ihrer Eventualbe- gründung zwei Elemente falsch gewichtet. Nachdem sich be- reits die Hauptbegründung als bundesrechtswidrig erwiesen hat (E. 1), ist der angefochtene Entscheid aufzuheben. Da die Gewichtung der einzelnen Beurteilungsmerkmale nun klar (E. 2b), der Fall mithin entscheidungsreif ist, urteilt das Bundesgericht aus Gründen der Verfahrensökonomie selbst in der Sache (Art. 114 Abs. 2 OG). Ausgehend von der vor- instanzlichen Begründung und in Berücksichtigung der unterschiedlichen Gewichtung der fehlenden Einsicht sowie des Fahrerleumunds des Beschwerdeführers erscheint eine Entzugsdauer von vier Monaten als angemessen. 3.- Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Der Beschwerdeführer hatte vor Bundesgericht keine besonderen Aufwendungen, weshalb auch eine Parteientschädigung entfällt (Art. 159 Abs. 1 OG). Demnach erkennt das Bundesgericht: 1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid der Rekurskommission für Strassenverkehrs- sachen des Kantons Thurgau vom 12. Februar 2001 aufgehoben. 2.- Dem Beschwerdeführer wird der Führerausweis für die Dauer von vier Monaten entzogen. 3.- Es werden keine Kosten erhoben, und es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Re- kurskommission für Strassenverkehrssachen und dem Strassen- verkehrsamt des Kantons Thurgau sowie dem Bundesamt für Strassen, Abteilung Strassenverkehr, schriftlich mitgeteilt. ______________ Lausanne, 25. Februar 2002 Im Namen des Kassationshofes des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: