Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.57/2001
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6A.57/2001/bue

               K A S S A T I O N S H O F
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              Sitzung vom 16. August 2001

Es wirken mit: Bundesrichter Schubarth, Präsident des
Kassationshofes, Bundesrichter Schneider, Bundes-
richterin Escher und Gerichtsschreiber Kipfer Fasciati.

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                       In Sachen

Bundesamt für Strassen, Abteilung Strassenverkehr, Bern,
Beschwerdeführer,

                         gegen

X.________, Beschwerdegegner, vertreten durch
Rechtsanwalt Hubert Aregger, Seidenhofstrasse 14,
Luzern,

                       betreffend
        Führerausweis; Abklärung der Fahreignung
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Ver-
waltungsgerichts des Kantons Luzern vom 25. April 2001),

hat sich ergeben:

     A.- X.________, geboren 1972, besitzt einen
brasilianischen und einen internationalen Führerausweis.

        Mit Verfügung vom 20. Oktober 1999 verwarnte
ihn das Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern, weil er
am 16. August 1999 die innerorts in Luzern signalisierte
Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h nach Abzug der Sicher-
heitsmarge um 23 km/h überschritten hatte.

     B.- Am 14. Juli 2000 missachtete X.________ mit
seinem Personenwagen in Horgen eine Sicherheitslinie auf
einer Strecke von rund 150 m, um ein vor ihm fahrendes
Fahrzeug zu überholen. Die Kantonspolizei Zürich
eröffnete ihm die Rapporterstattung an das Statt-
halteramt Horgen.

        Am 31. Juli 2000, um 4.15 Uhr, lenkte er in
angetrunkenem Zustand (Blutalkoholkonzentration mindes-
tens 1.56/maximal 1.73 Promille) auf dem Gebiet der
Stadt Luzern einen Personenwagen und verursachte einen
Selbstunfall mit Totalschaden.

        Wegen dieser beiden Vorfälle entzog ihm das
Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern am 21. September
2000 den Führerausweis für die Dauer von sechs Monaten.

        Die von X.________ erhobene Verwaltungs-
gerichtsbeschwerde wurde vom Verwaltungsgericht des
Kantons Luzern am 25. April 2001 abgewiesen.

     C.- Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) führt Ver-
waltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil
des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern sei aufzuhe-
ben und die Sache sei an das Strassenverkehrsamt des
Kantons Luzern zur verkehrspsychologischen Abklärung der
Eignung von X.________ zum Führen von Motorfahrzeugen im
Sinne von Art. 14 Abs. 2 lit. d SVG zurückzuweisen mit
der Auflage, von Amtes wegen die Notwendigkeit einer
vorsorglichen Massnahme zu prüfen.

        Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern ver-
zichtet auf eine Vernehmlassung und beantragt unter
Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen Urteil die
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

        X.________ schliesst auf Abweisung der
Beschwerde.

          Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Letztinstanzliche kantonale Entscheide über
Führerausweisentzüge unterliegen der Verwaltungs-
gerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (Art. 24 Abs. 2
SVG). Das ASTRA ist zur Beschwerde legitimiert (Art. 24
Abs. 5 lit. c SVG).

         b) Der Beschwerdeführer beantragt eine ver-
kehrspsychologische Abklärung und stellt damit ein neues
und weitergehendes Rechtsbegehren. Dies ist zulässig.
Denn auf Antrag der zuständigen Bundesbehörde, welche im
Hinblick auf die Gewährleistung der einheitlichen Anwen-
dung von Bundesrecht zur Beschwerde befugt ist, kann das
Bundesgericht ohne Rücksicht auf kantonale Bestimmungen

über die reformatio in peius den angefochtenen Entscheid
auch zum Nachteil des Betroffenen ändern (BGE 125 II 396
E. 1; 102 Ib 282 E. 2 - 4).

        c) Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann
die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Über-
schreitung oder Missbrauch des Ermessens, nicht aber
Unangemessenheit gerügt werden (Art. 104 OG). Nachdem
als Vorinstanz eine richterliche Behörde entschieden
hat, ist das Bundesgericht an die Feststellung des Sach-
verhaltes gebunden, soweit dieser nicht offensichtlich
unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesent-
licher Verfahrensvorschriften zu Stande gekommen ist
(Art. 105 Abs. 2 OG). Damit bleiben die Vorbringen des
Beschwerdegegners zur grosszügigen Ausgestaltung der
Sihltalstrecke in Horgen sowie zu seiner Annahme, wel-
ches beim ersten Vorfall die signalisierte Höchst-
geschwindigkeit gewesen sei, unberücksichtigt.

     2.- a) Der Beschwerdeführer macht geltend, der
Beschwerdegegner habe nur elf Monate nach einer er-
heblichen Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts eine
Sicherheitslinie missachtet, um ein anderes Fahrzeug zu
überholen. Gut zwei Wochen später habe er den Verkehr
erneut in schwerer Weise gefährdet, indem er erheblich
betrunken mit einem Motorfahrzeug einen Selbstunfall
verursacht habe. Mindestens bei den zwei letzten Wider-
handlungen treffe ihn ein schweres Verschulden. Die Art
dieser Vorkommnisse, die zunehmende Schwere und die kur-
zen zeitlichen Abstände, in denen sie erfolgten, hätten
bei der Vorinstanz erhebliche Zweifel wecken müssen, ob
der Beschwerdegegner Gewähr dafür biete, dass er in Zu-
kunft die Vorschriften beachte und auf die Mitmenschen
Rücksicht nehmen werde. Infolgedessen hätte sie ein ver-

kehrspsychologisches oder ein psychiatrisches Gutachten
nach Art. 9 Abs. 1 VZV anordnen müssen.

        b) Die Vorinstanz weist auf das schwere Ver-
schulden des Beschwerdegegners hin, welches im Zusam-
mentreffen mehrerer Verkehrsregelverletzungen liege. Der
getrübte automobilistische Leumund sei massnahmever-
schärfend zu würdigen. Insgesamt dränge sich eine Erhö-
hung der Mindestentzugsdauer von zwei Monaten (Art. 17
Abs. 1 lit. b SVG) auf. Die Aberkennung des Ausweises
für sechs Monate sei im konkreten Fall angemessen. Der
Umstand, dass der Beschwerdegegner Berufsfussballer sei,
lasse vorliegend noch nicht auf eine gesteigerte Mass-
nahmeempfindlichkeit schliessen.

        c) Der Beschwerdegegner betont demgegenüber,
dass die Vorinstanz zu Recht von der Anordnung eines
verkehrspsychologischen Gutachtens abgesehen habe. Es
bestünden keine Zweifel an seiner charakterlichen Be-
fähigung, ein Fahrzeug zu lenken. Bei den drei Vorfällen
handle es sich bloss um fahrlässige Verkehrsregelverlet-
zungen, wobei der Letzte am schwersten wiege.

     3.- a) Der Führerausweis ist zu entziehen, wenn
festgestellt wird, dass die gesetzlichen Voraussetzungen
zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen (Art. 16
Abs. 1 SVG). Der Sicherungsentzug bezweckt den Schutz
des Verkehrs vor ungeeigneten Lenkern (Art. 30 Abs. 1
VZV). Er wird auf unbestimmte Zeit verfügt; vor Ablauf
der Probezeit von mindestens einem Jahr darf der Füh-
rerausweis nicht wieder ausgehändigt werden (Art. 17
Abs. 1bis SVG; Art. 33 Abs. 1 VZV; BGE 126 II 185
E. 2a). Demgegenüber dient der Warnungsentzug der
Besserung des Führers und der Bekämpfung von Rückfällen
(Art. 30 Abs. 2 VZV). Seine Dauer richtet sich nach der

Schwere des Verschuldens, dem Leumund des Lenkers und
der beruflichen Notwendigkeit, ein Fahrzeug zu führen
(Art. 17 Abs. 1 SVG; Art. 33 Abs. 2 VZV; 126 II 196
E. 2; 202 E. 1a/b).

        b) Der Sicherungsentzug infolge charakterlicher
Nichteignung ist angezeigt, wenn das bisherige Verhalten
des Fahrzeuglenkers keine Gewähr bietet, dass er künftig
die Verkehrsregeln beachtet und auf die Mitmenschen
Rücksicht nimmt. Die Prognose ist anhand der Art und der
Anzahl bereits begangener Verkehrsdelikte und der per-
sönlichen Umstände zu stellen. Der Sicherungsentzug
greift tief in den Persönlichkeitsbereich ein, weshalb
eine sorgfältige Abklärung der massgeblichen Elemente
vorzunehmen ist; in Zweifelsfällen ist ein verkehrs-
psychologisches oder ein psychiatrisches Gutachten an-
zuordnen (Art. 9 VZV; BGE 125 II 492 E. 2a). Bis zur
Abklärung von Ausschlussgründen kann der Führerausweis
sofort vorsorglich entzogen werden (Art. 35 Abs. 3 VZV).

     4.- a) Die Vorinstanz sieht die Voraussetzungen für
einen Warnungsentzug von sechs Monaten als gegeben. Ob
überdies die Voraussetzungen für einen Sicherungsentzug
erfüllt sind, haben die kantonalen Behörden nicht ge-
prüft. Der diesbezügliche Einwand des ASTRA erfolgt so-
mit nicht ohne Grund.

        Es fällt auf, dass der Beschwerdegegner nach
einer Verwarnung wegen Überschreitens der signalisierten
Höchstgeschwindigkeit innerorts weniger als ein Jahr
später auf einer Strecke von 150 m eine Sicherheitslinie
missachtete, um ein Überholmanöver auszuführen. Ungeach-
tet der Meldung an die Strafbehörden lenkte er bereits
zwei Wochen später ein Fahrzeug in erheblich alkoholi-
siertem Zustand. Die kurzen Abstände der Verkehrsverlet-

zungen und das wenigstens in den zwei letzten Fällen
schwere Verschulden wecken Zweifel an den charakterli-
chen Fähigkeiten des Beschwerdegegners, ein Fahrzeug zu
lenken.

        Der Beschwerdeführer weist in diesem Zusammen-
hang auf den Leitfaden 'Verdachtsgründe fehlender Fah-
reignung' der Expertengruppe Verkehrssicherheit des Eid-
genössischen Departementes für Umwelt, Verkehr, Energie
und Kommunikation vom 26. April 2000 hin. Danach begrün-
den die polizeiliche Registrierung von drei Unfällen
oder Verletzungen von Verkehrsregeln innerhalb zweier
Jahre den Verdacht auf mangelnde Fahreignung, wenn die
Vorfälle zu einer Administrativmassnahme führen. Zwar
sind diese Richtlinien für die Verwaltungs- und Ge-
richtsbehörden nicht verbindlich. Indessen geben sie
Hinweise auf auffällige Verhaltensweisen im Verkehr, die
im Hinblick auf die Fahreignungsprüfung dienlich sein
können. Die in dem Leitfaden genannten Voraussetzungen
sind vorliegend erfüllt, auch wenn es in Bezug auf den
zweiten Vorfall (Missachten der Sicherheitslinie) noch
nicht zu einer Administrativmassnahme gekommen war, als
der Beschwerdegegner in alkoholisiertem Zustand sein
Fahrzeug lenkte und einen Selbstunfall verursachte.

        Entscheidend fällt ins Gewicht, dass der Be-
schwerdegegner sich der Gefährdung des Strassenverkehrs
durch seine Verkehrsregelverletzungen offenbar nicht
bewusst ist. Wie die Vorinstanz zu Recht betont, ist
eine nächtliche Trunkenheitsfahrt nicht weniger gefähr-
lich als am Tag, nur weil das Verkehrsaufkommen geringer
ist. Auch die Missachtung einer Sicherheitslinie über
eine längere Strecke ist nicht zu bagatellisieren. Dem
Beschwerdegegner kann nicht beigepflichtet werden, wenn
er die in Frage stehenden Vorfälle lediglich als fahr-
lässige Missachtung von Verkehrsregeln versteht.

        b) Nach dem Gesagten erweisen sich die Abklä-
rungen der kantonalen Instanzen als unvollständig. Dies
gilt umso mehr, als der Beschwerdegegner Inhaber eines
internationalen, nicht aber eines schweizerischen Füh-
rerausweises ist. Auf dem Hintergrund der drei Vorfälle
wären die kantonalen Behörden verpflichtet gewesen ab-
zuklären, ob sich der Beschwerdegegner der Anforderun-
gen, die an einen Fahrzeuglenker in der Schweiz gestellt
werden, bewusst ist und ob er die Voraussetzungen, an
welche der Erwerb des Führerausweises in der Schweiz
geknüpft ist, überhaupt erfüllt.

        Dies führt, wenn das Bundesgericht nicht selbst
in der Sache entscheidet, zur Aufhebung und Rückweisung
der Sache an die Vorinstanz (Art. 114 Abs. 2 OG). Hat
diese als Beschwerdeinstanz entschieden, so kann das
Bundesgericht die Sache auch an die erstinstanzliche
Behörde zurückweisen. Vorliegend drängt sich die Rück-
weisung der Sache an das Strassenverkehrsamt auf, das in
erster Linie zur Einholung eines verkehrspsychologischen
Gutachtens verpflichtet gewesen wäre. Dabei liegt es im
Ermessen dieser Behörde, allenfalls vorsorglich einen
sofortigen Entzug des Führerausweises bis zur Abklärung
von Ausschlussgründen anzuordnen (Art. 35 Abs. 3 VZV;
BGE 126 II 361 E. 3d), wobei zu beachten ist, dass es
ohnehin bei einem Warnungsentzug von sechs Monaten
bleibt, falls nicht auf Grund der weiteren Abklärungen
ein weitergehender Sicherungsentzug angeordnet werden
sollte. Die vom Beschwerdeführer beantragte Auflage
erübrigt sich damit, was vom Bundesgericht schon mehr-
fach festgehalten worden ist.

     5.-  Die Beschwerde erweist sich demnach als be-
gründet. Ungeachtet des Verfahrensausgangs sind keine
Kosten zu erheben (Art. 156 Abs. 3 OG).

           Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutge-
heissen, der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kan-
tons Luzern vom 25. April 2001 aufgehoben und die Sache
zur Abklärung der Eignung zum Führen von Motorfahrzeugen
von X.________ im Sinne von Art. 14 Abs. 2 lit. d SVG an
das Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern
zurückgewiesen.

     2.- Es werden keine Kosten erhoben.

     3.- Dieses Urteil wird den Parteien, dem Strassen-
verkehrsamt und dem Verwaltungsgericht (Abgaberechtliche
Abteilung) des Kantons Luzern schriftlich mitgeteilt.

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Lausanne, 16. August 2001

              Im Namen des Kassationshofes
           des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                     Der Präsident:

                 Der Gerichtsschreiber: