Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.25/2001
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6A.25/2001/bue

                K A S S A T I O N S H O F
                *************************

                      10. Juli 2001

Es wirken mit: Bundesrichter Schubarth, Präsident des
Kassationshofes, Bundesrichter Schneider, Bundesrichterin
Escher und Gerichtsschreiber Borner.

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                        In Sachen

M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch
Rechtsanwältin Caterina Nägeli, Grossmünsterplatz 9,
Zürich,

                          gegen

Polizei- und Militärdirektion des Kantons  B e r n,

                        betreffend
        probeweisen Aufschub der Landesverweisung
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der
Verwaltungsrechtlichen Abteilung des Verwaltungsgerichts
des Kantons Bern vom 12. Februar 2001),

hat sich ergeben:

     A.- Das Geschworenengericht des IV. Bezirks des Kan-
tons Bern verurteilte M.________ am 25. September 1996
wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu
acht Jahren Zuchthaus und verwies ihn für fünfzehn Jahre
des Landes.

     B.- Die Abteilung Straf- und Massnahmevollzug der
Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern verfügte am
21. Juli 2000 die bedingte Entlassung von M.________ aus
dem Strafvollzug, schob aber den Vollzug der Landes-
verweisung nicht auf.

        Eine Beschwerde des Betroffenen wies die Polizei-
und Militärdirektion am 20. September 2000 ab, soweit sie
darauf eintrat. Eine Beschwerde von M.________ gegen
diesen Entscheid wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Bern am 12. Februar 2001 ab.

     C.- M.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
und beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und
ihm sei der probeweise Aufschub der Landesverweisung zu
gewähren.

        In ihren Vernehmlassungen beantragen das Verwal-
tungsgericht und das Bundesamt für Ausländerfragen die
Abweisung der Beschwerde (act. 9 und 11).

           Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Wird der Verurteilte gemäss Art. 38 Ziff. 1
StGB bedingt aus dem Strafvollzug entlassen, so entschei-
det nach Art. 55 Abs. 2 StGB die zuständige Behörde, ob
und unter welchen Bedingungen der Vollzug der Landesver-
weisung probeweise aufgeschoben werden soll.

        b) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
sind beim Entscheid über den probeweisen Aufschub der
Landesverweisung die Resozialisierungschancen des Betrof-
fenen massgebend (BGE 116 IV 285; 114 Ib 4 mit Hinweis;
vgl. auch BGE 114 IV 97). Meistens wird er, sollte der
probeweise Aufschub nicht in Frage kommen, in sein Her-
kunftsland zurückkehren wollen oder müssen, weshalb sich
in der Regel die Frage stellt, ob die Schweiz oder das
Heimatland die günstigere Voraussetzung für eine Wieder-
eingliederung in die Gesellschaft bietet. Die Resoziali-
sierungschancen sind nach den persönlichen Verhältnissen
des Entlassenen, seinen Beziehungen zur Schweiz und zum
Ausland, den Familienverhältnissen und den Arbeitsmöglich-
keiten zu beurteilen. Dabei ist auf die wahrscheinliche
künftige Lebensgestaltung des Verurteilten abzustellen.
Wenn der Betroffene über enge Beziehungen im Ausland bzw.
zu dort lebenden Personen verfügt, liegt ein Indiz dafür
vor, dass die Chancen einer Resozialisierung ausserhalb
der Schweiz grundsätzlich gut oder jedenfalls nicht
schlechter sind als in der Schweiz (BGE 116 IV 285 mit
Hinweisen).

        c) Die Behörde urteilt in dieser Frage weitgehend
nach ihrem Ermessen. Bei dessen Ausübung muss sie sich
jedoch auf sachlich haltbare Gründe stützen. Das Bundes-

gericht hebt ihren Entscheid auf, wenn sie nicht von
rechtlich massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen ist
oder diese in Überschreitung oder Missbrauch ihres Er-
messens unrichtig gewichtet hat (vgl. Art. 104 lit. a OG;
BGE 116 IV 285).

        d) Da als Vorinstanz ein kantonales Gericht ent-
schieden hat, ist das Bundesgericht an die Feststellung
des Sachverhalts gebunden, sofern dieser nicht offensicht-
lich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung we-
sentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist
(Art. 105 Abs. 2 OG).

     2.- a) Die Vorinstanz führt aus, der Entscheid über
den probeweisen Aufschub der Landesverweisung sei an sich
unabhängig von der fremdenpolizeilichen Beurteilung. (...)
Trotz der unterschiedlichen Zielsetzungen von strafrecht-
licher Landesverweisung und fremdenpolizeilicher Beurtei-
lung sei eine gewisse koordinierte Betrachtung angezeigt,
vor allem wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für die
rechtliche Beurteilung gleich seien (angefochtener Ent-
scheid S. 6 lit. c).

        Im Sinne einer koordinierenden Betrachtung könne
die fremdenpolizeiliche Situation des Beschwerdeführers
mitberücksichtigt werden. Eine Resozialisierung in der
Schweiz sei legal nur möglich, sofern die betreffende
Person überhaupt fremdenpolizeilich zum Aufenthalt hier
befugt sei. Andernfalls könne von Resozialisierungsmög-
lichkeiten von vornherein keine Rede sein, wäre ein Auf-
enthalt in der Schweiz doch strafbar, was gar zu einer
Rückversetzung in den Strafvollzug führen könnte. Der Be-
schwerdeführer sei mit Verfügung vom 9. Februar 2001 aus

der Schweiz ausgewiesen worden. Der Entscheid sei zwar
noch nicht rechtskräftig (was in der Zwischenzeit jedoch
geschehen ist), doch habe der Beschwerdeführer äusserst
geringe Chancen auf eine weitere fremdenpolizeiliche Auf-
enthaltsberechtigung. Diesen Umstand liess die Vorinstanz
bei der Beurteilung der Resozialisierungschancen des Be-
schwerdeführers in der Schweiz einfliessen (angefochtener
Entscheid S. 11 f. lit. g).

        b) Wie der Beschwerdeführer zu Recht bemängelt,
dürfen bei der Beurteilung der Resozialisierungschancen
die aufenthaltsrechtlichen Gesichtspunkte nicht berück-
sichtigt werden. Der Vorinstanz ist zwar beizupflichten,
dass im Falle einer fremdenpolizeilichen Ausweisung die
Resozialisierung eines Betroffenen in der Schweiz schon
aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Diese Überlegung
greift jedoch zu kurz:

        Der Ausländer, der zu Zuchthaus oder Gefängnis
verurteilt wird, kann vom Strafrichter des Landes verwie-
sen werden (Art. 55 Abs. 1 StGB). Verzichtet der Straf-
richter auf diese Nebenstrafe oder wird bei einer beding-
ten Entlassung aus dem Strafvollzug die Landesverweisung
probeweise aufgeschoben, kann der Ausländer dennoch frem-
denpolizeilich ausgewiesen werden (Art. 10 Abs. 1 lit. a
ANAG). Insoweit sind die Fremdenpolizeibehörden an den
strafrichterlichen Entscheid nicht gebunden (BGE 114 Ib 1
E. 3a). Umgekehrt verhält es sich, wenn der Strafrichter
eine unbedingte Landesverweisung ausgesprochen hat. In
diesem Fall dürfen die Fremdenpolizeibehörden dem Auslän-
der keine Anwesenheitsbewilligung erteilen (BGE 124 II 289
E. 3). Diese Bindung der Fremdenpolizeibehörden an eine
unbedingt ausgesprochene Landesverweisung verbietet nun
aber, dass die Strafvollzugsbehörden ihrerseits den Ent-

scheid von den Auswirkungen der fremdenpolizeilichen Aus-
weisung abhängig machen. Das wäre nämlich ein Zirkel-
schluss. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist insbe-
sondere, dass eine rechtskräftige unbedingte Landesverwei-
sung nur im Verfahren der Begnadigung, mithin bloss bei
Vorliegen ausserordentlicher Umstände, rückgängig gemacht
werden kann, während der fremdenpolizeiliche Ausweisungs-
entscheid bei einer wesentlichen Änderung in den persön-
lichen Verhältnissen des Betroffenen jederzeit in Wieder-
erwägung gezogen werden kann. Wenn somit die Resozialisie-
rungsaussichten eines Ausländers in der Schweiz (unter
anderem) wegen dessen fehlenden Aufenthaltsrechts als
schlecht beurteilt werden und er deshalb unbedingt des
Landes verwiesen wird, könnte dieser Entscheid selbst dann
kaum mehr rückgängig gemacht werden, falls sich die frem-
denpolizeilichen Beurteilungskriterien in der Zwischenzeit
wesentlich zu seinen Gunsten verändert haben. Dieselbe
Problematik besteht, wenn die Fremdenpolizeibehörden im
Verhältnis zur strafrichterlichen Landesverweisung einen
Ausweisungsentscheid kürzerer Dauer treffen. Denn die
Strafvollzugsbehörde kann lediglich darüber befinden, ob
die Landesverweisung probeweise aufgeschoben wird oder
nicht; demgegenüber ist es ihr verwehrt, die vom Straf-
richter ausgesprochene Dauer der Landesverweisung abzu-
ändern. Ein Ausweg aus diesem Dilemma bietet sich, wenn
die Strafvollzugsbehörden bei der Beurteilung der Re-
sozialisierungschancen des Betroffenen in der Schweiz
hypothetisch dessen Anwesenheitsrecht voraussetzen. So
kann verhindert werden, dass fremdenpolizeiliche Mass-
nahmen, die sich im Laufe der Zeit als nicht mehr not-
wendig erweisen, die als erfolgreicher erscheinende
Wiedereingliederungsvariante von Straftätern verunmög-
lichen.

        Indem die Vorinstanz bei der Beurteilung der Re-
sozialierungschancen des Beschwerdeführers unter anderem
dessen fehlende fremdenpolizeiliche Aufenthaltsberechti-
gung mitberücksichtigt hat, ist sie von einem rechtlich
nicht massgebenden Gesichtspunkt ausgegangen, weshalb der
angefochtene Entscheid aufgehoben wird. Bei der Neubeur-
teilung wird die Vorinstanz im Rahmen der Resozialisie-
rungschancen des Beschwerdeführers hypothetisch von dessen
Anwesenheitsrecht in der Schweiz auszugehen haben.

     3.- Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist auf die
Erhebung von Kosten zu verzichten (Art. 156 Abs. 2 OG) und
der Beschwerdeführer angemessen zu entschädigen (Art. 159
Abs. 1 OG). Damit ist das Gesuch des Beschwerdeführers um
unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.

        Mit dem Entscheid in der Sache ist auch das Ge-
such um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.

            Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheis-
sen, der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons
Bern vom 12. Februar 2001 aufgehoben und die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

     2.- Es werden keine Kosten erhoben.

     3.- Der Kanton Bern hat die Rechtsvertreterin des
Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren mit
Fr. 2'200.-- zu entschädigen.

     4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der
Polizei- und Militärdirektion und dem Verwaltungsgericht
(Verwaltungsrechtliche Abteilung) des Kantons Bern sowie
dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement
schriftlich mitgeteilt.

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Lausanne, 10. Juli 2001

               Im Namen des Kassationshofes
            des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                      Der Präsident:

                  Der Gerichtsschreiber: