Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.19/2001
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6A.19/2001/hev

               K A S S A T I O N S H O F
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                Sitzung vom 16. Mai 2001

Es wirken mit: Bundesrichter Schubarth, Präsident des
Kassationshofes, Bundesrichter Kolly, Bundesrichterin
Escher und Gerichtsschreiber Kipfer Fasciati.

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                       In Sachen

Bundesamt für Strassen, Abteilung Strassenverkehr, Bern,
Beschwerdeführer,

                         gegen

X.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechts-
anwalt Michel Ebinger, Birkenstrasse 49, Rotkreuz,

                       betreffend
                     Führerausweis
     (Sicherungsentzug; Abklärung der Fahreignung),
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zug, Verwaltungsrecht-
liche Kammer, vom 9. Februar 2001),

hat sich ergeben:

     A.- X.________ fuhr am 19. März 2000 um ca. 03.50
Uhr durch die Stadt Zug. Er fiel durch seine unsichere
Fahr- und Manövrierweise auf, weshalb er von einer Ver-
kehrskontrolle angehalten wurde. Beim Öffnen der Wagen-
türe kam dem Polizisten ein süsslicher Geruch von Can-
nabis oder Marihuana entgegen. X.________ schwankte nach
Verlassen des Fahrzeugs teilweise und er wies rote Augen
auf. Der Atemlufttest ergab einen Wert von 0,0 Promille.
Aufgrund der festgestellten Betäubungsmittelsymptome
wurde eine Blut- und Urinprobe im Kantonsspital Zug
angeordnet. Die chemisch-toxikologische Analyse des
Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich
(IRMZ) vom 6. April 2000 ergab bezüglich THC und THC-
Metabolit einen positiven Wert. Das Einzelrichteramt des
Kantons Zug überwies die Akten zur Prüfung von Massnah-
men gemäss Art. 16 SVG an die Sicherheitsdirektion des
Kantons Zug. Das Strafverfahren ist noch hängig.

     B.- Die Sicherheitsdirektion des Kantons Zug entzog
X.________ am 28. August 2000 den Führerausweis für die
Dauer von vier Monaten. Die von X.________ dagegen er-
hobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kan-
tons Zug am 9. Februar 2001 ab.

     C.- Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) führt Ver-
waltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den Entscheid
des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug aufzuheben und
die Sache an die Sicherheitsdirektion des Kantons Zug
zur medizinischen Abklärung der Eignung von X.________

zum Führen von Motorfahrzeugen im Sinne von Art. 14
Abs. 2 lit. c SVG zurückzuweisen, mit der Auflage, von
Amtes wegen die Notwendigkeit einer vorsorglichen Mass-
nahme zu prüfen.

        Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug ver-
zichtet in seiner Stellungnahme auf einen formellen
Antrag. X.________ schliesst auf Abweisung der Be-
schwerde.

     D.- X.________ hat gegen den Entscheid des Verwal-
tungsgerichts den Kantons Zug seinerseits eine Verwal-
tungsgerichtsbeschwerde eingereicht, die am 19. April
2001 infolge Rückzugs als gegenstandslos abgeschrieben
worden ist.

          Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Letztinstanzliche kantonale Entscheide über
Führerausweisentzüge unterliegen der Verwaltungsgerichts-
beschwerde an das Bundesgericht (Art. 24 Abs. 2 SVG).
Dem ASTRA steht das Beschwerderecht kraft gesetzlicher
Ermächtigung zu (Art. 24 Abs. 5 lit. c SVG). Die Eingabe
erfolgte innert gesetzlicher Frist (Art. 24 Abs. 6 SVG).
Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.

        b) Der Beschwerdeführer beantragt anstelle des
Warnungsentzugs von vier Monaten eine medizinische Ab-
klärung, womit ein neues und weitergehendes Rechtsbegeh-
ren vorliegt. Auf Antrag dieser Bundesbehörde hin, wel-
che im Hinblick auf die Gewährleistung der einheitlichen

Anwendung von Bundesrecht zur Beschwerde befugt ist,
kann das Bundesgericht ohne Rücksicht auf kantonale Be-
stimmungen über die reformatio in peius den angefoch-
tenen Entscheid zum Nachteil des Betroffenen ändern
(BGE 125 II 396 E. 1).

     2.- a) Das beschwerdeführende Amt macht unter Hin-
weis auf den Analysebericht des IRMZ geltend, der Be-
schwerdegegner habe im Zeitpunkt der Verkehrskontrolle
unter akutem Einfluss von Cannabis gestanden. Die hohe
THC-Konzentration von 15 ng/ml und die hohe THC-COOH-
Konzentration von 155 ng/ml wiesen auf einen starken und
wahrscheinlich mehrmaligen Cannabis-Konsum hin. Die Vor-
instanz habe zwar die momentane Fahrfähigkeit des Fahr-
zeuglenkers als deutlich vermindert beurteilt, gestützt
auf diesen Bericht die generelle Fahreignung nicht in
Frage gestellt. Das IRMZ habe indessen nur einen be-
grenzten Auftrag erhalten und sich folgerichtig zur
Frage der Fahreignung gar nicht geäussert. Die momentane
Beeinträchtigung der Fahrunfähigkeit durch Cannabis-Kon-
sum könne Anlass bieten, die Fahreignung durch ein Fach-
gutachten abklären zu lassen. Es sei davon auszugehen,
dass der Betroffene entgegen seinen Beteuerungen nicht
nur gelegentlich Cannabis-Produkte zu sich nehme und die
Gefährlichkeit seiner Verhaltensweise nicht einsehen
wolle oder sich ihrer zumindest nicht bewusst sei. Ange-
sichts dieser Umstände hätte die Vorinstanz den Fall
nicht nur im Lichte eines Warnungsentzugs prüfen sollen,
sondern ein verkehrsmedizinisches und -psychologisches
Gutachten anordnen müssen.

        b) Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdegegner
vor, in fahrunfähigem oder zumindest in stark beein-
trächtigtem Zustand ein Fahrzeug gelenkt und dadurch den

Verkehr in objektiv schwerer Weise gefährdet zu haben.
Die Folgen des aktuellen Cannabis-Konsums für die Fahr-
fähigkeit seien ihm bekannt gewesen. Demzufolge sei ihm
gestützt auf Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG der Führerausweis
obligatorisch zu entziehen. Das Verschulden wiege schwer,
der automobilistische Leumund sei angesichts der kurzen
Fahrpraxis von sechs Monaten nicht aussagekräftig und
eine berufliche Angewiesenheit auf den Führerausweis
bestehe nicht. Die Fahrfähigkeit des Beschwerdegegners
sei vergleichbar mit derjenigen eines Fahrzeuglenkers
mit einer Blutalkoholkonzentration von 1.3 Promille, die
Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit gleiche derjenigen,
welche bei einem leicht- bis mittelschweren Alkohol-
rausch vorliege. All diese Umstände liessen die ange-
ordnete Entzugsdauer von vier Monaten als recht- und
verhältnismässig erscheinen.

        c) Der Beschwerdegegner betont, dass der Be-
richt des IRMZ nicht beweise, dass er mehrmals Cannabis
konsumiert habe, womit bei ihm auch kein Suchtverhalten
vorliege. Dies wäre auch dann nicht der Fall, wenn ein
mehrmaliger Konsum gegeben wäre. Andernfalls müssten
auch die Hälfte der Autolenker aufgrund ihres gelegent-
lichen Alkoholkonsums zu einem Fahreignungstest antre-
ten.

     3.- a) Gemäss Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG darf der
Führerausweis nicht erteilt werden, wenn der Bewerber
dem Trunke oder anderen die Fahrfähigkeit herabsetzenden
Süchten ergeben ist. Wird nachträglich festgestellt,
dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung
nicht oder nicht mehr bestehen, ist der Führerausweis
nach Art. 16 Abs. 1 SVG zu entziehen. Ein solcher Si-
cherungsentzug dient nach Art. 30 Abs. 1 der Verordnung

über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum
Strassenverkehr (VZV; SR 741.51) dem Schutz des Verkehrs
vor Führern, die aus medizinischen oder charakterlichen
Gründen, wegen Trunksucht oder anderen Süchten oder we-
gen einer anderen Unfähigkeit zum Führen von Motorfahr-
zeugen nicht geeignet sind.

        b) Der Sicherungsentzug wird beim Vorliegen
einer Sucht gemäss Art. 14 Abs. 2 lit. c i.V.m. Art. 17
Abs. 1bis SVG auf unbestimmte Zeit angeordnet und mit
einer Probezeit von mindestens einem Jahr verbunden.
Nach Ablauf dieser Frist kann der Ausweis bedingt und
unter angemessenen Auflagen wieder erteilt werden; in
der Regel wird hierfür der Nachweis der Heilung durch
eine mindestens einjährige kontrollierte Abstinenz ver-
langt. Der Sicherungsentzug greift damit tief in den
Persönlichkeitsbereich des Betroffenen ein. Nach der
Rechtsprechung ist daher eine genaue Abklärung der per-
sönlichen Verhältnisse und insbesondere der Konsumge-
wohnheiten des Betroffenen in jedem Fall und von Amtes
wegen vorzunehmen. Das Ausmass der notwendigen behörd-
lichen Nachforschungen, namentlich die Frage, ob ein
medizinisches Gutachten eingeholt werden soll, richtet
sich nach den Umständen des Einzelfalles und liegt im
pflichtgemässen Ermessen der Entzugsbehörde (BGE 126 II
185 E. 2a mit Hinweisen; vgl. auch Karl Hartmann, Der
Sicherungsentzug in der neuen bundesgerichtlichen Recht-
sprechung, Collezione Assista, Genf 1998, S. 259).

        c) Voraussetzung für den Sicherungsentzug ge-
mäss Art. 14 Abs. 2 lit. c i.V.m. Art. 17 Abs. 1bis SVG
ist das Vorliegen einer Sucht. Trunksucht wird bejaht,
wenn der Betroffene seine Neigung zu übermässigem Alko-
holgenuss durch den eigenen Willen nicht zu überwinden
vermag und er regelmässig so viel Alkohol zu sich nimmt,

dass seine Fahrfähigkeit vermindert wird. Drogensucht
ist gegeben, wenn die Abhängigkeit von der Droge derart
ist, dass sich der Betroffene mehr als jede andere Per-
son der Gefahr aussetzt, ein Fahrzeug zu führen in einem
- dauernden oder zeitweiligen - Zustand, in dem die Si-
cherheit für den Strassenverkehr nicht mehr gewährleis-
tet ist (BGE 124 II 559 E. 2b).

        Nach der Rechtsprechung lässt ein regelmässi-
ger, aber kontrollierter und mässiger Haschischkonsum
für sich allein noch nicht den Schluss auf die fehlende
Fahreignung zu (BGE 124 II 559 E. 4d und e). Ob die
Fahreignung gegeben ist, kann ohne Angaben über die Kon-
sumgewohnheiten des Betroffenen, nämlich über die Menge
des konsumierten Cannabis', die Häufigkeit und die wei-
teren Umstände des Konsums sowie des allfälligen zusätz-
lichen Konsums anderer Betäubungsmittel nicht beurteilt
werden; zu berücksichtigen ist ausserdem die Persönlich-
keit des Betroffenen insbesondere im Hinblick auf das
Verhältnis von Drogenmissbrauch und Strassenverkehr.
Allerdings kann ein die momentane Fahrfähigkeit beein-
trächtigender Cannabiskonsum Anlass bieten, die generel-
le Fahrfähigkeit des Betroffenen näher abklären zu las-
sen (BGE 124 II 559 E. 4e und 5a).

        d) Im vorliegenden Fall fiel der Beschwerdegeg-
ner der Verkehrspolizei durch seine unsichere Fahr- und
Manövrierweise auf, weshalb er kontrolliert wurde. Beim
Öffnen der Wagentüre trat ein süsslicher Geruch von Can-
nabis oder Marihuana aus dem Fahrzeug aus. Der Lenker
schwankte nach Verlassen des Fahrzeugs teilweise und er
wies rote Augen auf. Wegen der festgestellten Betäu-
bungsmittelsymptome ordnete die Polizei eine Blut- und
Urinprobe an. Der Analysebericht des IRMZ ergab einen
hohen THC-COOH-Wert, was auf starken und möglicherweise

mehrmaligen Konsum von Cannabis schliessen lässt. Die
Aussagen des Beschwerdegegners deuten ausserdem auf eine
unkritische Einstellung gegenüber Autofahren bei gleich-
zeitigem Haschischkonsum hin. Diese Umstände hätten die
Verwaltungsbehörde zu einer Abklärung der Fahreignung
des Beschwerdegegners veranlassen sollen (vgl. auch das
zur Publikation bestimmte Urteil vom 5. Dezember 2000
i.S. ASTRA c. U.). Das IRMZ hatte sich zur Fahreignung
des Beschwerdegegners nicht zu äussern, was das be-
schwerdeführende Amt zu Recht betont, weshalb aus dem
Analysebericht keine diesbezüglichen Schlüsse gezogen
werden dürfen.

     4.- Nach dem Gesagten erweisen sich die Abklärungen
der Vorinstanz als unvollständig. Dies führt, wenn das
Bundesgericht nicht selbst in der Sache entscheidet, zur
Aufhebung und Rückweisung der Sache an die Vorinstanz
(Art. 114 Abs. 2 OG). Hat diese als Beschwerdeinstanz
entschieden, so kann das Bundesgericht die Sache auch an
die erstinstanzliche Behörde zurückweisen. Vorliegend
drängt sich die Rückweisung der Sache an die Sicher-
heitsdirektion auf, welche unter den genannten Umständen
zur Einholung eines medizinischen Gutachtens betreffend
Fahreignung verpflichtet gewesen wäre. Dabei liegt es im
Ermessen dieser Behörde, allenfalls vorsorglich einen
sofortigen Entzug des Führerausweises bis zur Abklärung
von Ausschlussgründen anzuordnen (Art. 35 Abs. 3 VZV;
BGE 126 II 361 E. 3d). Die vom Beschwerdeführer bean-
tragte Auflage erübrigt sich damit.

     5.- Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen, der
angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache an die
Sicherheitsdirektion zur Abklärung der Fahreignung des

Beschwerdegegners zurückzuweisen. Auf die Erhebung von
Kosten kann verzichtet werden, da der Beschwerdegegner
in guten Treuen auf Abweisung der Beschwerde Antrag
stellen durfte (Art. 156 Abs. 3 OG). Der obsiegenden
Behörde wird keine Parteientschädigung zugesprochen
(Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG).

           Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutge-
heissen, der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kan-
tons Zug vom 9. Februar 2001 aufgehoben und die Sache
zur Abklärung der Eignung zum Führen von Motorfahrzeugen
von X.________ im Sinne von Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG an
die Sicherheitsdirektion des Kantons Zug zurückgewiesen.

     2.- Es werden keine Kosten erhoben.

     3.- Dieses Urteil wird den Parteien, der Sicher-
heitsdirektion und dem Verwaltungsgericht (Verwaltungs-
rechtliche Kammer) des Kantons Zug schriftlich mitge-
teilt.

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Lausanne, 16. Mai 2001

              Im Namen des Kassationshofes
           des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
     Der Präsident:             Der Gerichtsschreiber: