Kassationshof in Strafsachen 6A.15/2001
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6A.15/2001/hev K A S S A T I O N S H O F ************************* 21. März 2001 Es wirken mit: Bundesrichter Schubarth, Präsident des Kassationshofes, Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger und Gerichtsschreiber Kipfer Fasciati. --------- In Sachen A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechts- anwalt Dr. Christian Widmer, Rämistrasse 3, Zürich, gegen Amt für Justizvollzug des Kantons Z ü r i c h, betreffend Verweigerung der bedingten Entlassung, hat sich ergeben: A.- A.________, geboren 1977, steht zurzeit in der Strafanstalt Pöschwies (Kanton Zürich) im Vollzug fol- gender Strafen: - acht Monate Gefängnis abzüglich 40 Tage Un- tersuchungshaft wegen Diebstahls usw. gemäss Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 24. Ja- nuar 1996; - 15 Monate Gefängnis abzüglich 49 Tage Unter- suchungshaft wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte gemäss Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 2. September 1998; - drei Jahre Zuchthaus abzüglich 269 Tage Un- tersuchungshaft wegen mehrfachen, teilweise bandenmässigen Raubes gemäss Urteil des Ober- gerichtes des Kantons Zürich vom 13. Oktober 1998; - sieben Monate Zuchthaus abzüglich 49 Tage Untersuchungshaft wegen Raubes usw. gemäss Urteil des Bezirksgerichtes Zürich vom 12. Januar 2000. Das Ende dieser Strafen fällt auf den 13. Juli 2002. Zwei Drittel der Gesamtstrafdauer waren am 12. September 2000 erstanden. B.- Mit Verfügung vom 6. September 2000 lehnte der Strafvollzugsdienst (SVD), Amt für Justizvollzug (JUV), ein Gesuch von A.________ um bedingte Entlassung im Sinne von Art. 38 StGB ab und gab eine ergänzendes psychiatrisches Gutachten in Auftrag. C.- Gegen diese Verfügung des SVD rekurrierte A.________ an die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich, welche sein Begehren am 11. Oktober 2000 abwies. D.- Die gegen diesen Entscheid rechtzeitig erhobene Beschwerde lehnte das Verwaltunsgericht am 26. Januar 2001 ab, soweit es darauf eintrat. E.- A.________ erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwer- de, mit der er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und er sei unverzüglich bedingt aus der Haft zu entlassen. Ausserdem sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1.- a) Der angefochtene Entscheid des Verwaltungs- gerichts des Kantons Zürich ist ein auf Bundesrecht ge- stützter letztinstanzlicher kantonaler Entscheid, wel- cher der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundes- gericht unterliegt (Art. 97 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 5 und Art. 61 VwVG). Dem unmittelbar Betroffenen steht das Beschwerderecht zu (Art. 103 lit. a OG). Die Eingabe erfolgte innert gesetzlicher Frist (Art. 106 Abs. 1 OG). Auf die Beschwerde ist daher einzutreten. b) Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann beim Bundesgericht die Verletzung von Bundesrecht ein- schliesslich der Überschreitung oder des Missbrauchs des Ermessens gerügt sowie eine unrichtige und unvollstän- dige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts geltend gemacht werden (Art. 104 lit. a und b OG). Nicht überprüfen kann das Bundesgericht grundsätzlich die An- gemessenheit des angefochtenen Entscheides (Art. 104 lit. c OG). Gemäss Art. 105 Abs. 2 OG ist das Bundes- gericht an die Feststellung des Sachverhalts gebunden, wenn eine richterliche Behörde wie das Verwaltungsge- richt des Kantons Zürich als Vorinstanz den Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festge- stellt hat. An die Begründung der Begehren ist es nicht gebunden (Art. 114 Abs. 1 OG). 2.- Die Vorinstanz führt unter anderem aus, dass bezüglich der Frage der bedingten Entlassung eine ge- samthafte Betrachtung unvermeidlich sei. So deuteten die von der Psychologin Monika Goslee festgehaltenen Fort- schritte des Beschwerdeführers sowie der gute Führungs- bericht der Strafanstalt Pöschwies vom 25. August 2000 zwar auf eine positivere Entwicklung hin. Andererseits stehe dieser positiven Entwicklung, welche naturgemäss "erst" in der geschlossenen Anstalt habe zum Tragen kom- men können, die mit überaus vielen schwereren Straftaten belastete Vergangenheit gegenüber. Dabei sei zu beach- ten, dass der Beschwerdeführer, kaum sei er in Freiheit gewesen, wieder zu delinquieren begonnen habe. Ange- sichts des Gutachtens von Dr. med. Witold Tur sowie der Vergangenheit des Beschwerdeführers (massive Delinquenz; allein dem Urteil des Obergerichtes vom 13. Oktober 1998 lägen 145 Dossiers über Straftaten zu Grunde, welche der Beschwerdeführer in der Zeit vom Juli 1994 bis Januar 1996 begangen habe, wobei es unter anderem um schwer wiegende Delikte wie gewerbsmässigen Raub gegangen sei) erscheine es als nachvollziehbar, wenn bezüglich der Frage der Verlegung in den offenen Strafvollzug bezie- hungsweise der vorzeitigen Entlassung ein Ergänzungs- gutachten eingeholt werde (vgl. act. 8/59). Mit diesem Vorgehen habe sich denn auch der Beschwerdeführer aus- drücklich einverstanden erklärt (act. 8/57/16 S. 4). Zwar lasse sich auf Grund der diversen Führungsberichte der Strafanstalt Pöschwies sowie des Therapieberichts der Psychologin Monika Goslee durchaus ein beim Be- schwerdeführer stattfindender Reifeprozess ableiten. Andererseits sei nicht zu verkennen, dass im Führungs- bericht der Strafanstalt Pöschwies vom 23. Mai 2000 von einer (erneuten) Tätlichkeit des Beschwerdeführers ge- genüber einem Mitinsassen die Rede sei (act. 8/57/7, vgl. act. 57/2). Somit vermöchten weder der positive Führungsbericht der Strafanstalt Pöschwies vom 25. Au- gust 2000 noch der "Bericht Goslee" die konkrete Gefahr für weitere Delikte aus dem Weg zu räumen, erst recht nicht, wenn die Vergangenheit des Beschwerdeführers in die Abwägung miteinbezogen werde. Abgesehen davon äus- sere sich der "Bericht Goslee" nicht zur Frage der be- dingten Entlassung, sondern halte nur fest, ein längerer Verbleib in einer geschlossenen Anstalt, aber auch die Ausweisung nach Bosnien erscheine für die Resoziali- sierung des Beschwerdeführers als kontraindiziert (act. 8/57/18 S. 3). Unter den gegebenen Umständen sei die Einholung eines Ergänzungsgutachtens unumgänglich. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers diene dieses Vorgehen nicht der Verzögerung (angefochtener Entscheid S. 9/10). 3.- Der Beschwerdeführer erhebt gegen den Entscheid der Vorinstanz verschiedene Einwendungen, so unter ande- rem auch gegen die Anordnung eines Gutachtens. Es be- stünden nicht vernachlässigbare Zweifel an deren Ange- messenheit. Die Aktenlage reiche vollends aus, um die bedingte Entlassung zu gewähren beziehungsweise darüber zu urteilen. Sodann könne es nicht angehen, dem Be- schwerdeführer die Versäumnisse der Anstaltsleitung an- zulasten. Diese prüfe die bedingte Entlassung von Amtes wegen. Wolle sie glaubhaft sein, so habe sie sich doch im Klaren darüber befinden müssen, dass sich der Be- schwerdeführer einer weiteren Begutachtung zu unter- ziehen habe. Sie kenne das diesbezügliche Verfahren und dessen Dauer. Es komme einer Rechtsverweigerung gleich, wenn sie die ihr obliegenden amtlichen Pflichten nicht wahrnehme. Diese Säumnis könne und dürfe nicht den Be- schwerdeführer in seinen Rechten in Mitleidenschaft zie- hen. Bereits dieses Vorgehen stelle eine Überschreitung respektive einen Missbrauch des Ermessens sowohl des SVD als auch der Vorinstanz dar (Beschwerdeschrift S. 11). 4.- Hat der zu Zuchthaus oder Gefängnis Verurteilte zwei Drittel der Strafe verbüsst, so kann ihn die zu- ständige Behörde bedingt entlassen, wenn sein Verhalten während des Strafvollzuges nicht dagegen spricht und an- zunehmen ist, er werde sich in der Freiheit bewähren (Art. 38 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). Beim Prognoseentscheid sind neben dem Vorleben und der Persönlichkeit vor allem die neuere Einstellung, der Reifegrad und die nach der Entlassung zu erwartenden Lebensverhältnisse zu prüfen. Dabei ist insbesondere auch der Art der gefährdeten Rechtsgüter Rechnung zu tragen. Bei Gefährdung weniger hochwertiger Rechtsgüter darf ein höheres prognostisches Risiko eingegangen wer- den als bei der Gefährdung hochwertiger Rechtsgüter (BGE 125 IV 113 E. 2a; 124 IV 193 E. 3). Das Bundes- gericht greift in die Beurteilung der Bewährungsaus- sichten nur bei Ermessensüberschreitung oder Ermessens- missbrauch ein (Art. 104 lit. a OG; BGE 119 IV 5 E. 2). Zu erwähnen ist schliesslich noch, dass die Prognosen- stellung bei der bedingten Entlassung aus dem Strafvoll- zug grosse Probleme aufwirft. Bis heute ist offenbar niemand in der Lage, die Gefährlichkeit von Personen verbindlich vorauszusagen (Günter Stratenwerth, Schwei- zerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II: Strafen und Massnahmen, Bern 1989, § 4 N 50 ff.; Wolfgang Frisch, Dogmatische Grundfragen der bedingten Entlassung unter Lockerungen des Vollzuges von Strafen und Massregeln, ZStW 102 [1990], S. 70 ff.; eingehend Wolfgang Frisch, Prognoseentscheidungen im Strafrecht: zur normativen Relevanz empirischen Wissens und zur Entscheidung bei Nichtwissen, Heidelberg/Hamburg 1983; Günter Kaiser, Neue Wege im Schweizerischen Massnahmenvollzug, ZStW 100 [1988], S. 228 ff.). Bei Norbert Nedopil (Forensische Psychiatrie, 2. Auflage, Stuttgart/New York 2000, S. 240) ergeben sich bei der Prüfung der bedingten Entlassung zum Vollzug in absteigender Reihenfolge folgende Beur- teilungskriterien: Zahl der Vorstrafen, unregelmässige Arbeit, Disziplinarstrafe in der Haftanstalt, Art des Deliktes, Dissozialität oder Delinquenz im Elternhaus sowie frühes Alter bei erster Haftentlassung. Vorliegend fallen die diversen Vorstrafen, die massive Delinquenz und auch deren teilweise Schwere (Raub) auf. Zu erwähnen ist auch eine erneute Tätlich- keit des Beschwerdeführers gegenüber einem Mitinsassen in Pöschwies. Die Vorinstanz hat nicht verkannt, dass sich auf Grund der diversen Führungsberichte der Straf- anstalt sowie des Therapieberichts der Psychologin Monika Goslee ein stattfindender Reifeprozess ableiten lässt. Trotzdem hat sie bei einer gesamthaften Betrach- tung kein Bundesrecht verletzt, als sie nicht die be- dingte Entlassung anordnete, sondern angesichts der divergierenden, aber insgesamt gegen den Beschwerde- führer sprechenden Kriterien eine erneute Begutachtung anordnete. Die kantonale Strafanstalt Pöschwies war nicht gehalten, ein derartiges Gutachten anzuordnen, weil sie die Voraussetzungen einer bedingten Entlassung als gegeben erachtete und diese befürwortete (vgl. etwa Schreiben der kantonalen Strafanstalt Pöschwies vom 8. Februar 2000 an das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, act. 57/2). Zutreffend ist, dass die kantonalen Instanzen dafür zu sorgen haben werden, dass das in Auf- trag gegebene Gutachten vordringlich erstellt wird, so- dass der Beschwerdeführer gegebenenfalls von der beding- ten Entlassung noch spürbar wird profitieren können. Hat demnach die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, als sie die Einholung eines Ergänzungsgut- achtens als unumgänglich bezeichnete und vorläufig die Verweigerung der bedingten Entlassung bestätigte, braucht auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers nicht eingegangen zu werden. Für die Beurteilung dieser Fragen wird nämlich das neue Gutachten entscheidend sein. 5.- Der Beschwerdeführer beantragt die unentgelt- liche Rechtspflege. Seine Begehren sind indessen als von Anfang an aussichtslos zu bezeichnen, sodass dieses Ge- such abzuweisen ist. 6.- Entsprechend diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Kosten zu tragen. Seiner finan- ziellen Situation ist mit einer reduzierten Gerichts- gebühr Rechnung zu tragen. Demnach erkennt das Bundesgericht: 1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewie- sen. 2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem Be- schwerdeführer auferlegt. 3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Justizvollzug und dem Verwaltungsgericht (4. Ab- teilung) des Kantons Zürich sowie dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement schriftlich mitgeteilt. --------- Lausanne, 21. März 2001 Im Namen des Kassationshofes des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: