Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.109/2001
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6A.109/2001/gnd

                K A S S A T I O N S H O F
                *************************

                     6. Dezember 2001

Es wirken mit: Bundesrichter Schubarth, Präsident des
Kassationshofes, Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger
und Gerichtsschreiber Borner.

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                        In Sachen

A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Daniel Beeler, Bahnhofstrasse 26, Arbon,

                          gegen

Verwaltungsgericht des Kantons  Z ü r i c h,

                        betreffend
          Führerausweisentzug (Sicherungsentzug)
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der
1. Abteilung [1. Kammer] des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich vom 5. September 2001),

hat sich ergeben:

     A.- Die Direktion für Soziales und Sicherheit des
Kantons Zürich (Strassenverkehrsamt, Bereich Administra-
tivmassnahmen) entzog A.________ am 23. August 2000 den
Führerausweis auf unbestimmte Zeit, mindestens jedoch für
die Dauer von 18 Monaten, und ordnete an, die Wiederertei-
lung des Ausweises werde vom Ablauf der Mindestentzugsdau-
er und vom Vorliegen eines günstig lautenden verkehrspsy-
chologischen Gutachtens abhängig gemacht. Einem Rekurs
gegen diese Verfügung wurde die aufschiebende Wirkung ent-
zogen.

        Einen Rekurs von A.________ gegen diesen Ent-
scheid wies der Regierungsrat des Kantons Zürich am 14. März
2001 ab und er beauftragte die erste Instanz, den Führer-
ausweis des Rekurrenten unverzüglich einzuziehen.

     B.- Ein Gesuch von A.________ um Erteilung der auf-
schiebenden Wirkung an das Verwaltungsgericht des Kantons
Zürich wies dessen Abteilungspräsident am 14. Mai 2001 ab.

        Eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde von A.________
gegen diesen Entscheid wies das Bundesgericht am 19. Juni
2001 im Sinne der Erwägungen ab (6A.53/2001).

     C.- Am 5. September 2001 wies das Verwaltungsgericht
die Beschwerde von A.________ gegen den Entscheid des
Regierungsrats vom 14. März 2001 in der Sache ab.

     D.- A.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben
und es sei dem Beschwerdeführer der Führerausweis für an-
gemessene Dauer zu entziehen; eventuell sei die Sache zu
neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

        Das Verwaltungsgericht stellt Antrag auf Abwei-
sung der Beschwerde; das Bundesamt für Strassen beantragt
deren Gutheissung.

           Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Die Vorinstanz hält dem Beschwerdeführer vor, er
habe innerhalb von zwölf Jahren zum dritten Mal ein Motor-
fahrzeug in angetrunkenem Zustand gelenkt und in den letz-
ten sechs Jahren vor dem Vorfall vom 15. Dezember 1998
durch verschiedene Fahrfehler insgesamt vier Kollisionen
verschuldet.

        1986 sei ihm der Führerausweis wegen Fahrens in
angetrunkenem Zustand für drei Monate entzogen worden.
Dasselbe Delikt verbunden mit Nichtbeherrschen des Fahr-
zeugs und Kollisionsfolge habe 1992 zu einem 12-monatigen
Ausweisentzug geführt. Äusserst gravierend sei damit die
Wiederholung des Tatbestands im Dezember 1998 - dessen
sich der Beschwerdeführer durchaus bewusst gewesen sei,
ansonsten er sich anlässlich dieses Vorfalls nicht der
polizeilichen Kontrolle zu entziehen gesucht hätte. Auf-
fällig seien auch - soweit bekannt - die hohen Blutalko-
holkonzentrationen, mindestens 2,1 Promille 1992 bezie-
hungsweise 1,71 Promille 1998.

        Angesichts der Häufung von Verkehrsunfällen, die
leicht auch einen anderen Ausgang hätten nehmen können,
könne nicht mehr von Bagatellen gesprochen werden. Für
1992 sei ein Fall von Fahren in angetrunkenem Zustand
sowie von Nichtbeherrschen des Fahrzeugs mit Kollisions-
folge belegt. 1994 sei ein Entzug für zwei Monate wegen
Telefonierens während der Fahrt erfolgt, 1996 sei der
Beschwerdeführer zufolge ungenügender Aufmerksamkeit auf
verkehrsbedingt anhaltende Fahrzeuge aufgefahren, was zu
einem Ausweisentzug von einem Monat geführt habe. Kurz
danach im Jahre 1997 sei ein Entzug für zwei Monate ge-
folgt, weil der Beschwerdeführer einem Fahrzeug den
Rechtsvortritt verweigert habe. Schon damals sei dem Be-
schwerdeführer unmissverständlich bedeutet worden, dass
bei einem weiteren Verstoss gegen grundlegende Verkehrs-
vorschriften von einem längerfristigen Ausweisentzug nicht
mehr abgesehen werden könne und zudem die Fahreignung aus
charakterlicher Sicht überprüft werden müsse. Einem ange-
ordneten eintägigen Verkehrsunterricht in Theorie und
Praxis habe der Beschwerdeführer bezeichnenderweise zwei-
mal unentschuldigt keine Folge geleistet.

        Der Beschwerdeführer habe durch sein bisheriges
und heute zu beurteilendes Verhalten deutlich gemacht,
dass nach fünf vorangegangenen Warnungsentzügen ein er-
neuter Warnungsentzug keine Wirkung mehr zeigen würde;
folgerichtige Konsequenz sei einzig der Sicherungsentzug.
Die Anordnung einer verkehrspsychologischen Untersuchung
vor Wiedererteilung des Führerausweises sei unter diesen
Umständen ebenfalls sachlich geboten beziehungsweise
zwingend (angefochtener Entscheid S. 6 ff. Ziff. 3 d).

     2.- a) Der Führerausweis ist zu entziehen, wenn fest-
gestellt wird, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur
Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen (Art. 16 Abs. 1
SVG). Sicherungsentzüge dienen der Sicherung des Verkehrs
vor ungeeigneten Führern (Art. 30 Abs. 1 der Verordnung
vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und
Fahrzeugen zum Strassenverkehr, VZV; SR 741.51). Der Aus-
weis wird auf unbestimmte Zeit entzogen, unter anderem
wenn der Führer "aus charakterlichen oder anderen Gründen
nicht geeignet ist, ein Motorfahrzeug zu führen"; mit dem
Entzug ist eine Probezeit von mindestens einem Jahr zu
verbinden (Art. 17 Abs. 1bis SVG; vgl. auch Art. 33 VZV).
Nach Art. 14 Abs. 2 lit. d SVG darf der Führerausweis
nicht erteilt werden, wenn der Bewerber aufgrund seines
bisherigen Verhaltens nicht Gewähr bietet, dass er als
Motorfahrzeugführer die Vorschriften beachten und auf die
Mitmenschen Rücksicht nehmen wird. Anzeichen hierfür be-
stehen, wenn Charaktermerkmale des Betroffenen, die für
die Eignung im Verkehr erheblich sind, darauf hindeuten,
dass er als Lenker eine Gefahr für den Verkehr darstellt.
Für den Sicherungsentzug aus charakterlichen Gründen ist
die schlechte Prognose über das Verhalten als Motorfahr-
zeugführer massgebend. Die Behörden dürfen gestützt hie-
rauf den Ausweis verweigern oder entziehen, wenn hinrei-
chend begründete Anhaltspunkte vorliegen, dass der Führer
rücksichtslos fahren wird. Die Frage ist anhand der Vor-
kommnisse (unter anderem Art und Zahl der begangenen Ver-
kehrsdelikte) und der persönlichen Umstände zu beurteilen;
in Zweifelsfällen ist ein verkehrspsychologisches oder
psychiatrisches Gutachten gemäss Art. 9 Abs. 1 VZV anzu-
ordnen (BGE 125 II 492 E. 2a mit Hinweisen).

        b) Stellt man einzig auf die von der Vorinstanz
dargestellte Liste der Verfehlungen des Beschwerdeführers

ab (E. 1), ergeben sich erhebliche Zweifel, ob der Be-
schwerdeführer zum Führen von Motorfahrzeugen charakter-
lich geeignet ist. Eine solche Beurteilung greift jedoch
zu kurz, weil sie das zwischenzeitliche Verhalten des Be-
schwerdeführers ausser Acht lässt. Das Bundesgericht hat
heute nicht zu beurteilen, ob im Anschluss an den Vorfall
vom Dezember 1998 beziehungsweise unmittelbar nach der
strafgerichtlichen Beurteilung des Vorfalls im Oktober
1999 die Anordnung eines Sicherungsentzugs gerechtfertigt
gewesen wäre. Ausschlaggebend sind nebst den Verfehlungen
des Beschwerdeführers auch dessen persönliche Verhält-
nisse, und zwar im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Ent-
scheids.

        Aus dem Urteil des Bundesgerichts vom 19. Juni
2001 geht hervor, der Beschwerdeführer habe bereits im
Verfahren vor Vorinstanz geltend gemacht, dass er seit dem
Vorfall im Dezember 1998 mit dem Lieferwagen der Fenster-
baufirma, wo er seiner Arbeit nachgehe, insgesamt 118'000
Kilometer zurückgelegt habe, ohne dass er irgendwelche
Anstände gehabt habe. Hinzu kämen noch etliche Kilometer
mit dem Privatwagen, insbesondere die Fahrten nach
X.________, wo er seine fünfwöchige Gefängnisstrafe in
gemeinnütziger Arbeit verbüsst habe. Gleichzeitig habe er
sachdienliche Beweise offeriert und darauf hingewiesen,
dass er auf Grund seines Wohlverhaltens kein besonderes
Risiko (mehr) für die anderen Verkehrsteilnehmer sei. Das
Bundesgericht hielt dazu fest, angesichts der grossen
Fahrleistung und der relativ langen Dauer des Wohlver-
haltens des Beschwerdeführers im Strassenverkehr hätte
die Vorinstanz diesen Sachverhalt bei der Prüfung der auf-
schiebenden Wirkung nicht ausser Acht lassen dürfen (E. 2b
Abs. 2). Das gilt aber auch beim Entscheid in der Sache.

Denn die Frage, ob ein Sicherungsentzug anzuordnen sei
oder nicht, ist nicht nur anhand der Vorkommnisse, sondern
auch anhand der persönlichen Umstände zu beurteilen (BGE
125 II 492 E. 2a am Ende).

        Seit dem Vorfall im Dezember 1998 und insbesonde-
re seit der strafrechtlichen Beurteilung des Vorfalls
durch das Thurgauer Obergericht im Oktober 1999 hat sich
der Sachverhalt nicht zu Ungunsten des Beschwerdeführers
verändert (jedenfalls ergibt sich nichts Derartiges aus
dem angefochtenen Entscheid). Vielmehr hat sich der Be-
schwerdeführer in dieser Zeit offenbar korrekt verhalten.
Unter diesen Umständen erscheint die Anordnung eines Si-
cherungsentzugs, ohne dass ein verkehrspsychologisches
Gutachten dem Beschwerdeführer die Fahreignung absprechen
würde, nicht gerechtfertigt. Deshalb ist der angefochtene
Entscheid aufzuheben und die Sache an die Direktion für
Soziales und Sicherheit zurückzuweisen (Art. 114 Abs. 2
zweiter Halbsatz OG).

        c) Für die Neubeurteilung ist die Direktion für
Soziales und Sicherheit auf Folgendes hinzuweisen: Nach
dem bisher Gesagten erscheint im Falle des Beschwerdefüh-
rers die Anordnung eines Sicherungsentzugs, ohne dass ein
verkehrspsychologisches Gutachten dem Beschwerdeführer die
Fahreignung absprechen würde, nicht gerechtfertigt, womit
selbstredend auch ein vorsorglicher Sicherungsentzug ent-
fällt. Wie das Bundesgericht jedoch bereits im Entscheid
vom 19. Juni 2001 dargelegt hat (E. 3), muss der Beschwer-
deführer, falls schliesslich kein Sicherungsentzug ange-
ordnet werden sollte, einen Warnungsentzug gewärtigen.
Dessen Dauer wird mindestens sechs Monate betragen
(Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG), kann aber auf Grund der

konkreten Beurteilungsmerkmale auch länger sein. Da es
sich dabei um einen Ermessensentscheid handelt, hat das
Bundesgericht insoweit den kantonalen Instanzen nicht
vorzugreifen.

        In einer derartigen Konstellation (wo ein vor-
sorglicher Sicherungsentzug bis zur Abklärung der Fahr-
eignung nicht geboten und bei allfälliger Bejahung der
Fahreignung ein längerer Warnungsentzug auszusprechen ist)
erscheint es nicht nur sinnvoll, sondern sachlich geboten,
parallel zum Sicherungsentzug auch einen Warnungsentzug
als "Auffangmassnahme" auszusprechen. Ein solcher War-
nungsentzug hat zwei Vorteile: In Fällen, in welchen die
Anordnung eines vorsorglichen Sicherungsentzugs zumindest
fragwürdig ist, kann dieser Entscheid bis zum Zeitpunkt
des Ablaufs des parallel angeordneten Warnungsentzugs
offen bleiben. Zudem wird so die Massnahme des Warnungs-
entzugs, die sich schliesslich als rechtlich zutreffend
erwiesen hat, nicht erst nach Durchführung des Verfahrens
betreffend Sicherungsentzug, sondern schon bald im An-
schluss an das massnahmebegründende Ereignis vollzogen.

        Die Direktion für Soziales und Sicherheit wird
somit - selbst wenn sie wiederum einen Sicherungsentzug
verfügt - für den Vorfall vom 15. Dezember 1998 einen
Warnungsentzug anzuordnen haben.

     3.- Bei diesem Ausgang des Verfahrens entfällt eine
Kostenpflicht (Art. 156 Abs. 2 OG); der Beschwerdeführer
ist angemessen zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 OG).

        Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch um
aufschiebende Wirkung gegenstandslos.

            Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutge-
heissen, der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons
Zürich vom 5. September 2001 aufgehoben und die Sache zur
Neubeurteilung an die Direktion für Soziales und Sicher-
heit des Kantons Zürich zurückgewiesen.

     2.- Es werden keine Kosten erhoben.

     3.- Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für
das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu ent-
schädigen.

     4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Di-
rektion für Soziales und dem Verwaltungsgericht (1. Abtei-
lung) des Kantons Zürich sowie dem Bundesamt für Strassen
schriftlich mitgeteilt.

                        _________

Lausanne, 6. Dezember 2001

               Im Namen des Kassationshofes
            des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
    Der Präsident:              Der Gerichtsschreiber: