Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4P.81/2001
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4P.81/2001/rnd

              I.  Z I V I L A B T E I L U N G
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                        3. Juli 2001

Es wirken mit: Bundesrichterin und Bundesrichter Walter,
Präsident, Rottenberg Liatowitsch, Nyffeler und Gerichts-
schreiber Huguenin.

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                         In Sachen

1. A.________,
2. B.________,
Beschwerdeführer, beide vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Hans Jürg Zinsli, Via Maistra 2, 7500 St. Moritz,

                           gegen

1. C.________,
2. D.________,
Beschwerdegegner, beide vertreten durch Rechtsanwalt Jon
Peider Arquint, Via Stredas 4, 7500 St. Moritz,
Präsident des Bezirksgerichts  M a l o j a,

                         betreffend
  Art. 9 BV (Zivilprozess; ausseramtliche Entschädigung),

hat sich ergeben:

     A.- Im Rahmen einer mietrechtlichen Auseinandersetzung
schützte der Kreispräsident Oberengadin mit Verfügung vom
6. Dezember 2000 das Ausweisungsgesuch der Vermieter
C.________ und D.________. Die Begehren der Mieter
A.________ und B.________ auf Anfechtung der Kündigung und
Erstreckung des Mietverhältnisses wies er ab. Entsprechend
auferlegte er die Verfahrenskosten von Fr. 2'000.-- den Mie-
tern und verpflichtete sie, die Vermieter ausseramtlich mit
Fr. 6'950.-- nebst 7 % Mehrwertsteuer zu entschädigen. Weil
über das Gesuch im Befehlsverfahren entschieden wurde, setz-
te der Kreispräsident die Amtsgebühr ohne Streitwertzuschlag
fest, mit der Begründung, Art. 4 lit. a des Kostentarifs im
Zivilverfahren vom 9. Dezember 1985 (BR 320.075) sehe dafür
keinen Streitwertzuschlag vor. Die Parteientschädigung be-
mass der Kreispräsident gestützt auf die Honorar- und Kos-
tennote des Rechtsanwalts der Vermieter, jedoch ohne den
verlangten Streitwertzuschlag.

     B.- Eine von den Mietern gegen die Verfügung vom 6. De-
zember 2000 erhobene Beschwerde wies der Präsident des Be-
zirksgerichts Maloja mit Entscheid vom 19. Februar 2001 ab
(Dispositivziffer 1). Er verpflichtete die Beschwerdeführer,
die Mieträume bis spätestens 17. April 2001 ordnungsgemäss
zurückzugeben (Dispositivziffer 2), auferlegte die Verfah-
renskosten (Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.--, Schreibgebühren
von Fr. 500.--, Streitwertzuschlag von Fr. 4'500.--) den Be-
schwerdeführern (Dispositivziffer 3) und verpflichtete die-
se, die Beschwerdegegner mit Fr. 17'000.-- (Interessenwert-
zuschlag eingeschlossen) ausseramtlich zu entschädigen (Dis-
positivziffer 4).

        Der zweitinstanzliche Richter hielt im Gegensatz
zum erstinstanzlichen Streitwertzuschläge auch im summari-
schen Verfahren für zulässig. Auf Anfrage der Beschwerdefüh-
rer erläuterte er in einem Schreiben vom 28. Februar 2001,
dass die ausseramtliche Entschädigung sich aus einem nach
Ermessen festgesetzten Honorar für das Beschwerdeverfahren
von Fr. 2'000.-- sowie aus einem Interessenwertzuschlag von
Fr. 15'000.-- zusammensetze.

     C.- A.________ und B.________ haben staatsrechtliche
Beschwerde eingereicht mit dem Antrag, Ziffer 4 des Urteils
des Präsidenten des Bezirksgerichts Maloja vom 19. Februar
2001 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

        Die Beschwerdegegner stellen die Anträge, auf die
Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen.

        Der Präsident des Bezirksgerichts Maloja schliesst
auf Abweisung der Beschwerde.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- In der Sache selbst sowie mit Bezug auf die Festle-
gung und Verteilung der Gerichtskosten ist der Entscheid des
Präsidenten des Bezirksgerichts Maloja unangefochten geblie-
ben. Streitig ist einzig die Höhe der ausseramtlichen Ent-
schädigung. Die Beschwerdeführer rügen, der Bezirksgerichts-
präsident habe kantonales Recht willkürlich angewandt, na-
mentlich die Dispositionsmaxime und den Grundsatz "ne eat
iudex ultra petita partium" verletzt. Er habe ferner gegen
die Eventualmaxime und gegen das Verbot der reformatio in

peius verstossen. In diesem Zusammenhang werfen die Be-
schwerdeführer dem Bezirksgerichtspräsidenten vor, er habe
die vor zweiter Instanz erhobene Rüge der Beschwerdegegner
betreffend Streitwertzuschlag berücksichtigt, obwohl die
Beschwerdegegner selbst keine Beschwerde erhoben und zudem
ihr Begehren um Korrektur des Entschädigungsentscheids nicht
beziffert hätten.

     2.- a) Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG hat die Beschwer-
deschrift eine kurz gefasste Darlegung darüber zu enthalten,
welche verfassungsmässigen Rechte der angefochtene Entscheid
verletzt und inwiefern er gegen sie verstösst. Im Verfahren
der staatsrechtlichen Beschwerde prüft das Bundesgericht nur
klar und detailliert erhobene und soweit möglich belegte Rü-
gen (BGE 122 I 70 E. 1c S. 73 mit Hinweisen). Zudem recht-
fertigt sich die Aufhebung eines kantonalen Entscheids nur,
wenn er sich nicht nur in einzelnen Punkten der Begründung,
sondern auch im Ergebnis als verfassungswidrig erweist (BGE
122 III 130 E. 2a mit Hinweisen). Die Anwendung und Ausle-
gung des kantonalen Prozessrechts wird im Rahmen der vorlie-
genden Beschwerde bloss auf Willkür überprüft. Willkür liegt
nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht schon vor,
wenn eine andere Lösung in Betracht zu ziehen oder sogar
vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht weicht vom Entscheid der
kantonalen Behörde nur ab, wenn dieser offensichtlich un-
haltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Wi-
derspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechts-
grundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Ge-
rechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 125 II 10 E. 3a S. 15
mit Hinweisen).

        b) Die Dispositionsmaxime bedeutet, dass die Par-
teien die Befugnis haben, über den Streitgegenstand zu be-
stimmen. Daher darf das Gericht einer Partei nicht mehr und
nichts Anderes zusprechen, als sie verlangt, noch weniger,

als die Gegenpartei anerkannt hat (Art. 119 ZPO GR [Zivil-
prozessordnung des Kantons Graubünden vom 1. Dezember 1985;
BR 320.000]; Vogel, Grundriss des Zivilprozessrechts und des
internationalen Zivilprozessrechts der Schweiz, 6. Aufl.,
Bern 1999, Kp. 6 N. 6; Guldener, Schweizerisches Zivilpro-
zessrecht, 3. Aufl., Zürich 1979, S. 148). Nach dem Verbot
der reformatio in peius im Rechtsmittelverfahren darf die
Rechtsmittelinstanz nicht über die Rechtsmittelanträge der
Parteien hinausgehen (BGE 110 II 113 E. 3c; Vogel, a.a.O.,
Kp. 13 N. 65). Das Verbot beruht gleich wie die Disposi-
tionsmaxime auf kantonalem Recht (BGE 111 II 358 E. 1).
Letzteres entscheidet auch darüber, ob das Verbot der refor-
matio in peius im Rechtsmittelverfahren uneingeschränkt gilt
oder ob in einem Antrag des Rechtsmittelgegners auf Abände-
rung des angefochtenen Urteils die Ergreifung eines An-
schlussrechtsmittels zu erblicken ist (vgl. BGE 110 II 113
E. 3a; Habscheid, Schweizerisches Zivilprozess- und Ge-
richtsorganisationsrecht, 2. Aufl., Basel 1990, Rz. 721).

        In der Beschwerdeschrift wird zwar behauptet, das
Verbot der reformatio in peius sei verletzt worden, jedoch
nicht unter Hinweis auf bestimmte Gesetzesvorschriften auf-
gezeigt, dass und inwieweit dieses Verbot im Bündnerischen
Zivilprozess gilt. Mangels rechtsgenüglicher Begründung der
Rüge kann nicht geprüft werden, ob der angefochtene Ent-
scheid insoweit auf willkürlicher Anwendung kantonalen
Rechts beruht.

        c) Zu prüfen bleibt, ob dem Gerichtspräsidenten
eine willkürliche Anwendung von Art. 119 ZPO GR vorgeworfen
werden kann. Dabei stellt sich lediglich die Frage, ob die
Dispositionsmaxime dadurch verletzt worden ist, dass den
Beschwerdeführern weniger oder Anderes zugesprochen wurde,
als die Gegenparteien anerkannt hatten. Diese haben sich
zwar darauf beschränkt, die Abweisung der Beschwerde zu
beantragen, ohne selbst eine eigene Beschwerde einzureichen.

Den Verzicht haben sie in der Beschwerdeantwort damit be-
gründet, dass sie das Verfahren nicht verzögern wollten.
Gleichzeitig haben sie indes erklärt, die Rüge zu erheben,
dass der Kreispräsident bei der Zusprechung der ausseramtli-
chen Entschädigung den Interessenwertzuschlag hätte berück-
sichtigen müssen. Unter diesen Umständen kann aber von einer
Anerkennung im Sinne von Art. 119 ZPO GR durch die Beschwer-
degegner keine Rede sein. Die Beschwerdegegner haben durch
ihre Äusserung vielmehr klar gemacht, dass sie auf dem Inte-
ressenwertzuschlag beharren wollten. Eine willkürliche An-
wendung von Art. 119 ZPO GR fällt somit ausser Betracht.

        Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang eben-
falls, dass das Gericht das Recht von Amtes wegen anzuwenden
hat (Art. 117 Abs. 2 ZPO GR). Ist der massgebende Sachver-
halt in den Prozess eingeführt worden, wie das hier der Fall
war, obliegt es dem Gericht, die Rechtsfragen von sich aus
zu beurteilen und zu entscheiden. Das gilt in besonderem
Mass für Kostenfragen (vgl. Guldener, a.a.O., S. 148). Es
ist deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt nicht als will-
kürlich zu betrachten, dass der Bezirksgerichtspräsident die
Rüge der Beschwerdegegner aufgegriffen und trotz Fehlens
einer selbständigen Beschwerde von deren Seite über den In-
teressenwertzuschlag entschieden hat.

     3.- Die Beschwerdeführer werfen dem Bezirksgerichtsprä-
sidenten auch eine willkürliche Anwendung von Art. 5 der Ho-
norarordnung des Bündnerischen Anwaltsverbandes vor. Sie
bringen vor, nach dieser Bestimmung dürfe der Interessenwert
100 % des Honorars nach Zeitaufwand nicht übersteigen. Aus
der Formulierung von Art. 5 ergebe sich klar, dass es sich
dabei um eine zwingende Vorschrift und nicht um eine blosse
Richtlinie handle. Mit der Zusprechung eines Streitwertzu-
schlags von Fr. 15'000.-- statt der maximal zulässigen

Fr. 2'000.-- habe der Gerichtspräsident eine qualifizierte
Ermessensüberschreitung begangen.

        Die Beschwerdeführer stellen nicht in Frage, dass
die Zusprechung einer Prozessentschädigung in Art. 122 ZPO
GR geregelt ist. Danach wird die unterliegende Partei in der
Regel verpflichtet, der obsiegenden alle ihr durch den
Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen
(Art. 122 Abs. 2 ZPO GR). Die Höhe der aussergerichtlichen
Entschädigung richtet sich nach dem Bündnerischen Anwaltsta-
rif (Nay, Zivilprozessordnung und Gerichtsverfassungsgesetz
des Kantons Graubünden, Chur 1986, S. 84). Dieser Tarif
sieht vor, dass Zuschläge nach Massgabe des Interessenwerts
erhoben werden können, welcher seinerseits analog den Regeln
der ZPO betreffend Festlegung des Streitbetrags bestimmt
wird (Art. 5 Abs. 1 und 2 des Tarifs). Nach Art. 5 Abs. 3
des Tarifs soll der Interessenwertzuschlag in einem angemes-
senen Verhältnis zum Honorar nach Zeitaufwand stehen und
darf, falls das so berechnete Honorar nicht mehr als
Fr. 3'000.-- beträgt, dieses nicht übersteigen. Der Interes-
senwertzuschlag darf nur einmal erhoben werden, auch wenn
die Streitsache vor mehreren Instanzen ausgetragen wird
(Art. 5 Abs. 5 des Tarifs). Hinsichtlich des kantonalen Be-
schwerdeverfahrens ist ferner zu beachten, dass eine Rück-
weisung an die Vorinstanz nur erfolgt, wenn die Sache nicht
spruchreif ist; andernfalls fällt die Beschwerdeinstanz den
Entscheid selbst (Art. 235 Abs. 3 ZPO GR).

        Aus diesen Regeln ergibt sich, dass die Rechtsmit-
telinstanz bei Gutheissung der Beschwerde in jedem Fall neu
über die Verlegung und die Höhe der Parteikosten für beide
Instanzen entscheiden muss, wobei der Interessenwertzuschlag
gemäss Art. 5 Abs. 5 des Honorartarifs nur einmal erfolgen
darf. Aber auch im Fall der Abweisung der Beschwerde ist es
jedenfalls nicht willkürlich (vgl. E. 2), wenn die Beschwer-
deinstanz den erstinstanzlichen Kostenentscheid darauf hin

überprüft, ob er in Bezug auf den Interessenwertzuschlag den
Regeln des Honorartarifs entspricht. Kommt die Beschwerdein-
stanz zum Ergebnis, dass kein Interessenwertzuschlag vorge-
nommen werden darf, bleibt es beim erstinstanzlichen Kosten-
entscheid. Andernfalls hat die Beschwerdeinstanz selbst die
Höhe des Zuschlags festzusetzen, wie das im vorliegenden
Fall geschehen ist.

        Mit der Beschwerde wird nicht vorgebracht, inwie-
fern das kantonale Recht verletzt worden sein soll, indem
der Bezirksgerichtspräsident den Interessenwertzuschlag nach
dem Streitwert im erstinstanzlichen Verfahren berechnet hat.
Die Beschwerdeführer stellen zudem nicht in Abrede, dass das
für die erste Instanz der Gegenpartei geschuldete Anwaltsho-
norar nach Zeitaufwand Fr. 6'950.--, mithin mehr als
Fr. 3'000.-- beträgt, und sie machen nicht geltend, dass der
Zuschlag beim gegebenen Streitwert mit Fr. 15'000.-- den
Rahmen der vorgeschriebenen Ansätze sprengen würde. In die-
sen Punkten ist der angefochtene Entscheid mangels rechtsge-
nüglicher Begründung der Beschwerde nicht zu überprüfen. Da-
mit ist indes auch nicht ersichtlich, weshalb der angefoch-
tene Entscheid hinsichtlich der Höhe der ausseramtlichen
Entschädigungen wegen Ermessensüberschreitung willkürlich
sein soll.

     4.- Aus diesen Gründen ist die Beschwerde abzuweisen,
soweit auf sie eingetreten werden kann.

        Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die
Gerichtskosten den Beschwerdeführern unter solidarischer
Haftung aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 und 7 OG). Die Be-
schwerdeführer haben die Beschwerdegegner - ebenfalls unter
solidarischer Haftung - für das bundesgerichtliche Verfahren
zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1, 2 und 5 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Be-
schwerdeführern unter solidarischer Haftung auferlegt.

     3.- Die Beschwerdeführer haben die Beschwerdegegner für
das bundesgerichtliche Verfahren unter solidarischer Haft-
barkeit mit insgesamt Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

     4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Präsidenten
des Bezirksgerichts Maloja schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 3. Juli 2001

               Im Namen der I. Zivilabteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: