Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4P.56/2001
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4P.56/2001/rnd

              I.  Z I V I L A B T E I L U N G
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                        16. Mai 2001

Es wirken mit: Bundesrichterin und Bundesrichter Walter,
Präsident, Rottenberg Liatowitsch, Nyffeler und Gerichts-
schreiber Huguenin.

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                         In Sachen

A.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Gewerkschaft
Bau & Industrie GBI, Sektion Oberwallis, Bahnhofstrasse 13,
Postfach 108, 3930 Visp,

                           gegen

B.________, Beschwerdegegner,
Arbeitsgericht des Kantons  W a l l i s,

                         betreffend
              Art. 8 und 9 BV (Zivilprozess),

hat sich ergeben:

     A.- A.________ arbeitete von Juli 1998 bis März 1999
für B.________ in dessen Hotel und Restaurant. Nach Beendi-
gung des Arbeitsverhältnisses verlangte sie erfolglos eine
Entschädigung für Überstunden. Der Arbeitgeber verweigerte
eine solche Entschädigung unter anderem mit der Begründung,
die Überstunden hätten gemäss vertraglicher Vereinbarung mit
Freizeit kompensiert werden müssen.

        A.________ reichte beim Arbeitsgericht des Kantons
Wallis Klage gegen B.________ ein. Sie verlangte eine Über-
stundenentschädigung von Fr. 4'847.60. Nach Durchführung
eines Beweisverfahrens wies das Arbeitsgericht die Klage mit
Entscheid vom 28. November 2000 ab. Der Entscheid wurde den
Parteien am 1. Februar 2001 im Dispositiv zugesandt mit dem
Vermerk, er erwachse innert zehn Tagen nach Zustellung in
Rechtskraft, wenn innert dieser Frist keine der Parteien
schriftlich eine begründete Urteilsausfertigung verlange.

     B.- A.________ reichte mit Rechtsschrift vom 2. März
2001 beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde ein mit
dem Begehren, das Urteil des Arbeitsgerichts des Kantons
Wallis vom 28. November 2000 aufzuheben und die Sache zur
Neubeurteilung an dieses zurückzuweisen.

        B.________ stellt den Antrag, die Beschwerde abzu-
weisen, soweit auf sie einzutreten sei. Das Arbeitsgericht
des Kantons Wallis beantragt, auf die Beschwerde nicht ein-
zutreten, eventuell sie abzuweisen.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde ist gemäss Art. 86
Abs. 1 OG nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide
zulässig.

        Die Letztinstanzlichkeit des angefochtenen Ent-
scheides könnte problemlos bejaht werden, wenn die Beschwer-
deführerin innert Frist beim Arbeitsgericht eine begründete
Urteilsausfertigung verlangt und erst danach gegen das be-
gründete Urteil staatsrechtliche Beschwerde erhoben hätte.
Denn gegen Entscheide des Arbeitsgerichts in Fällen mit
einem Streitwert von weniger als Fr. 8'000.-- kann weder
kantonale Berufung noch Nichtigkeitsklage erhoben werden
(Art. 32c Abs. 1 des Arbeitsgesetzes des Kantons Wallis vom
16. November 1966 in Verbindung mit Art. 46 OG). Im vorlie-
genden Fall stellt sich dagegen die Frage, ob der Umstand,
dass die Beschwerdeführerin eine begründete Urteilsausferti-
gung hätte verlangen können, dies aber nicht getan hat, die
Letztinstanzlichkeit im Sinne von Art. 86 Abs. 1 OG aus-
schliesst. Das ist indessen zu verneinen. Nach der Recht-
sprechung des Bundesgerichts sind zur Erschöpfung des kanto-
nalen Instanzenzuges solche Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe
zu ergreifen, welche der Partei einen Anspruch auf einen
Entscheid geben und die geeignet sind, den behaupteten
rechtlichen Nachteil zu beheben (BGE 94 I 461 E. 2; Kälin,
Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Auflage,
Bern 1994, S. 331 f.). Das Begehren, ein bereits gefälltes
Urteil sei in begründeter Ausfertigung zuzusenden, erfüllt
diese Voraussetzungen nicht und braucht deshalb unter dem
Gesichtspunkt von Art. 86 Abs. 1 OG nicht gestellt zu wer-
den. Eine Partei, welche ein bloss im Dispositiv vorliegen-
des Urteil mit staatsrechtlicher Beschwerde anficht, muss
sich allerdings bewusst sein, dass damit unter Umständen

mehrere Begründungsvarianten offen stehen. Das hat zur Fol-
ge, dass das Bundesgericht in solchen Fällen zwangsläufig
auf die Prüfung beschränkt ist, ob der angefochtene Ent-
scheid im Ergebnis verfassungswidrig ist.

        In seiner Vernehmlassung vertritt der Beschwerde-
gegner die Auffassung, dass die Beschwerde nicht möglich
sei, weil sie sich gegen einen rechtskräftigen Entscheid
richte. Die Rechtskraft des angefochtenen Entscheides steht
der staatsrechtlichen Beschwerde jedoch nicht entgegen. Das
staatsrechtliche Beschwerdeverfahren stellt nicht einfach
die Weiterführung des kantonalen Verfahrens dar. Die staats-
rechtliche Beschwerde ist vielmehr ein selbständiges, aus-
serordentliches Rechtsmittel, bei dem geprüft wird, ob ein
kantonaler Entscheid, der an sich rechtskräftig und voll-
streckbar ist, verfassungsmässige Rechte der beschwerdefüh-
renden Partei verletzt (BGE 107 Ia 269 E. 1; BGE vom
13. April 1992 E. 1c, abgedruckt in Umweltrecht in der Pra-
xis [URP] 1993, S. 207; Kälin, a.a.O., S. 8 f.). Die formel-
le Rechtskraft des angefochtenen Entscheides schliesst somit
die Beschwerdeführung nicht aus.

     2.- a) Die Beschwerdeführerin macht geltend, die an der
Urteilsfällung mitwirkende Präsidentin und die beiden Rich-
ter des Arbeitsgerichts seien, wie sich an der Urteilsver-
handlung vom 28. November 2000 herausgestellt habe, der
deutschen Sprache in keiner Weise mächtig, so dass sie sich
sämtliche Fragen und Antworten von der Gerichtsschreiberin
hätten übersetzen lassen müssen. Aufgrund dieses Sachver-
halts sei davon auszugehen, dass das Arbeitsgericht nicht in
der Lage gewesen sei, die umfangreichen Rechtsschriften,
Protokolle und Dokumente, die ausnahmslos in deutscher Spra-
che abgefasst seien, zu lesen, geschweige denn zu verstehen.
Die Beschwerdeführerin rügt, das Arbeitsgericht habe Art. 8
und 9 BV verletzt, da nach diesen Bestimmungen niemand wegen

seiner Sprache diskriminiert werden dürfe und jede Person
Anspruch darauf habe, von den staatlichen Organen ohne Will-
kür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.

        In der Vernehmlassung des Arbeitsgerichts wird die
Darstellung der Beschwerdeführerin bestritten und behauptet,
die drei an der Urteilsfällung beteiligten Gerichtsmitglie-
der verfügten über gute Deutschkenntnisse und seien in der
Lage, Schriftstücke in deutscher Sprache zu verstehen. Zudem
wird vorgebracht, die Rüge werde verspätet, wider Treu und
Glauben erhoben; die Beschwerdeführerin bzw. ihr Vertreter
hätte sich im Verlaufe der Sitzung vom 28. November 2000
beim Arbeitsgericht beschweren müssen; sie habe aber auch
dann nicht reagiert, als das Gericht erklärt habe, die Sit-
zung sei nun beendet und es ziehe sich zur Urteilsberatung
zurück.

        b) Es kann offen bleiben, ob die Behauptung der
Beschwerdeführerin betreffend mangelnde Deutschkenntnisse
der am angefochtenen Urteil mitwirkenden Richterin und Rich-
ter zutrifft, da ihre Rüge jedenfalls verspätet erfolgt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ergibt sich aus
dem auch im Verfahrensrecht geltenden Grundsatz von Treu und
Glauben, dass es nicht zulässig ist, formelle Rügen, welche
in einem früheren Stadium hätten geltend gemacht werden kön-
nen, bei ungünstigem Ausgang des Verfahrens nachträglich im
Rechtsmittelverfahren vorzubringen (BGE 119 Ia 221 E. 5a
S. 228 mit Hinweisen). Aus diesem Grund muss beispielsweise
ein Ablehnungsbegehren wegen Befangenheit unverzüglich ge-
stellt werden, nachdem der Ablehnungsgrund der Partei be-
kannt geworden ist; tut sie dies nicht, verwirkt sie ihr
Ablehnungsrecht (BGE 120 Ia 19 E. 2b/aa mit Hinweisen). Ent-
sprechend verhält es sich auch im vorliegenden Fall. Nach
eigener Darstellung der Beschwerdeführerin hat sie während
der Urteilsverhandlung vom 28. November 2000 bemerkt, dass
die Präsidentin und die beiden Richter über ungenügende

Deutschkenntnisse verfügen sollen. Darauf hätte sie unver-
züglich reagieren, eine entsprechende Rüge erheben und al-
lenfalls das Begehren stellen sollen, über die Streitsache
habe das Arbeitsgericht in anderer Besetzung zu entscheiden.
Sie behauptet jedoch nicht, so gehandelt zu haben. Nach der
Darstellung des Arbeitsgerichts hat sie vielmehr auch dann
nicht reagiert, als dieses erklärt hat, die Sitzung sei be-
endet und es ziehe sich zur Urteilsberatung zurück. Auf die
von der Beschwerdeführerin erhobene Rüge der Verletzung von
Art. 8 und 9 BV ist somit wegen Verwirkung nicht einzutre-
ten.

     3.- Die Beschwerdeführerin rügt schliesslich unter dem
Titel materieller Willkür, das Arbeitsgericht hätte die von
ihr geführte Arbeitszeitkontrolle als Beweismittel zulassen
müssen, wie dies von Art. 21 Abs. 3 des Landes-Gesamtar-
beitsvertrags des Gastgewerbes (L-GAV) vorgeschrieben werde.
Da die Klage vollständig abgewiesen worden sei, sei klar,
dass dieses Beweismittel vom Arbeitsgericht weder zugelassen
noch im Sinne von Art. 21 L-GAV gewürdigt worden sei.

        Das Arbeitsgericht hat ein Beweisverfahren durchge-
führt, wobei es beide Parteien im Rahmen von Parteiverhören
zum Beweisthema der Überstunden angehört und einen Zeugen
zum gleichen Thema einvernommen hat. Gegenstand der Anhörun-
gen bzw. Einvernahme bildete nicht nur die Frage, ob Über-
stunden geleistet worden waren, sondern auch jene ihrer Kom-
pensation durch Freizeit. Auf dieser Basis ergibt sich aber
aus der Klageabweisung nicht zwangsläufig, dass das Arbeits-
gericht die von der Beschwerdeführerin geführte Arbeitszeit-
kontrolle weder als Beweismittel zugelassen noch gewürdigt
hat. Zum einen steht die Möglichkeit offen, dass das Ar-
beitsgericht diese Aufzeichnungen der Beschwerdeführerin als
Beweismittel zugelassen und gewürdigt, sie aber nach den

konkreten Umständen nicht für genügend beweiskräftig be-
trachtet hat. Zum andern besteht aber auch die Möglichkeit,
dass das Arbeitsgericht die Überstunden im behaupteten Aus-
mass als bewiesen erachtete, einen Anspruch auf Entschädi-
gung aber aus rechtlichen Gründen - zum Beispiel wegen der
vom Beschwerdegegner behaupteten Verpflichtung zur Kompensa-
tion mit Freizeit - verneint hat. Damit ist der Willkürrüge
der Beschwerdeführerin die Grundlage entzogen und insoweit
die Beschwerde abzuweisen.

     4.- Aus diesen Gründen ist die staatsrechtliche Be-
schwerde abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann.
Gerichtskosten werden nicht erhoben (Art. 343 Abs. 2 und 3
OR). Dagegen wird die Beschwerdeführerin dem Ausgang des
Verfahrens entsprechend entschädigungspflichtig (Art. 159
Abs. 1 und 2 OG; BGE 115 II 30 E. 5c mit Hinweis).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

     2.- Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für
das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu ent-
schädigen.

     3.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Arbeitsge-
richt des Kantons Wallis schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 16. Mai 2001

               Im Namen der I. Zivilabteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                   Der Gerichtsschreiber: