Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4P.303/2001
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4P.303/2001/rnd

              I.  Z I V I L A B T E I L U N G
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                       3. April 2002

Es wirken mit: Bundesrichterin und Bundesrichter Walter,
Rottenberg Liatowitsch, Nyffeler und Gerichtsschreiberin
Giovannone.

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                         In Sachen

L.________ AG, Beschwerdeführerin, vertreten durch
Rechtsanwalt Dr. Hans Henzen, Eisenbahnstrasse 41, Postfach
228, 9401 Rorschach,

                           gegen

M.________ AG, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsan-
walt Markus Wydler, Im Lindenhof, Postfach 41, 9320 Arbon,
Obergericht des Kantons  T h u r g a u,

                         betreffend
                         Art. 9 BV
              (Zivilprozess; Beweiswürdigung),

hat sich ergeben:

        A.- Die Rechtsvorgängerin der M.________ AG schloss
im Jahre 1993 als Bauherrin mit der Rechtsvorgängerin der
L.________ AG als Totalunternehmerin einen Werkvertrag über
die schlüsselfertige Ausführung von vier Mehrfamilienhäusern
in der Überbauung X.________ zu einem Pauschalpreis von
Fr. 8'700'000.--. Die Parteien erklärten das Leistungsver-
zeichnis sowie die SIA-Norm 118 zum ergänzenden Vertragsbe-
standteil. Die Bauten wurden im Jahre 1995 erstellt und am
20. November 1995 abgenommen.

        Nachdem die Hauseigentümerin M.________ AG im Haus
D unter dem Treppenlauf UG/EG und an der Kellerwand Feuch-
tigkeitsflecken entdeckt hatte, besichtigten die Parteien am
15. Dezember 1998 gemeinsam den festgestellten Schaden. Mit
Gesuch vom 31. März 1999 leitete die Hauseigentümerin
M.________ AG beim Bezirksgericht Bischofszell ein Verfahren
zur vorsorglichen Beweisaufnahme u.a. hinsichtlich konstruk-
tiver und planerischer Mängel in den Häusern A, B, C und D
ein. das Verfahren wurde nach Einholung einer gerichtlichen
Expertise mit Verfügung vom 7. September 1999 abgeschlossen.

     B.- Mit Urteil vom 19. Juni/15. November 2000 hiess das
Bezirksgericht Bischofszell die Klage der Hauseigentümerin
M.________ AG auf Bezahlung von Fr. 144'623.35 nebst Zins
als Minderwert zufolge Werkmängeln an den Häusern A bis D
vollumfänglich gut. Die dagegen erhobene Berufung der Unter-
nehmerin L.________ AG wies das Obergericht des Kantons
Thurgau ab. Es reduzierte jedoch das Klagebegehren von Amtes
wegen, mit dem Einverständnis der Klägerin, auf
Fr. 104'632.35 und korrigierte damit ein Missverständnis der

beiden Parteien und des Bezirksgerichts hinsichtlich der Be-
rechnung des Minderwerts im gerichtlichen Gutachten.

     C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt die Un-
ternehmerin L.________ AG dem Bundesgericht, das obergerich-
tliche Urteil sei aufzuheben. Gleichzeitig erhebt sie Beru-
fung.

        Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet,
die Beschwerdegegnerin beantragt die Abweisung der Beschwer-
de, soweit darauf einzutreten sei.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Die Beschwerdeführerin hat gegen das obergerichtli-
che Urteil sowohl staatsrechtliche Beschwerde als auch Beru-
fung eingereicht. Es besteht hier kein Anlass, von der Regel
des Art. 57 Abs. 5 OG abzuweichen, wonach zuerst die staats-
rechtliche Beschwerde zu behandeln ist.

     2.- Vor Obergericht streitig war im Wesentlichen die
Frage, ob die geheimen Mängel rechtzeitig gerügt worden
sind. Dabei hat das Obergericht unterschieden zwischen der
Rüge betreffend das Haus D, bei welchem der Mangel aufgrund
eines Feuchtigkeitsfleckens zu Tage getreten war, und derje-
nigen betreffend die Häuser A bis C, deren Mängel infolge
der Untersuchungen zum Haus D entdeckt wurden.

        Mit staatsrechtlicher Beschwerde rügt die Beschwer-
deführerin zur Hauptsache Willkür in der Sachverhaltsfest-
stellung bzw. der Beweiswürdigung.

        a) Im Bereich der Beweiswürdigung steht den kanto-
nalen Gerichten ein weiter Ermessensspielraum zu. Rügt der
Beschwerdeführer Willkür in der Feststellung des Sachver-
halts, so greift das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung ein
und hebt den angefochtenen Entscheid lediglich dann auf,
wenn die Beweiswürdigung offensichtlich unhaltbar ist, mit
der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, auf
einem offenkundigen Versehen beruht oder in stossender Weise
dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 120 Ia 31 E. 4b
mit Hinweisen). Da das Bundesgericht im Verfahren der
staatsrechtlichen Beschwerde nur klar und detailliert erho-
bene und, soweit möglich, belegte Rügen prüft (Art. 90 Abs.
1 lit. b OG; BGE 125 I 492 E. 1b S. 495, 127 I 38 E. 3c, je
mit Hinweisen), genügt es nicht, Willkür zu behaupten. Viel-
mehr hat der Beschwerdeführer im Einzelnen zu zeigen, inwie-
fern der angefochtene Entscheid gegen das Willkürverbot ver-
stösst.

        b) Was die Mängelrüge betreffend Haus D anbelangt,
ist unbestritten, dass die Vertreter der Parteien den Scha-
den am 15. Dezember 1998 besichtigten, und dass der Besich-
tigungstermin zuvor telefonisch vereinbart worden war.

        aa) Willkür wirft die Beschwerdeführerin dem Ober-
gericht insofern vor, als es angenommen hat, der Mangel sei
anlässlich der telefonischen Vereinbarung des Besichtigungs-
termins vom 15. Dezember 1998 gerügt worden.

        Das Obergericht hat seine Annahme nicht etwa, wie
die Beschwerdeführerin sinngemäss behauptet, aus der Luft
gegriffen, sondern auf die Tatsache gestützt, dass am ver-
einbarten Termin der Feuchtigkeitsschaden besichtigt wurde.
Wenn sie rückschliesst, der Vertreter der Beschwerdegegnerin
müsse anlässlich der telefonischen Vereinbarung der Orts-
schau erklärt haben, weshalb er eine solche wünschte, ist
dies nachvollziehbar. Die Beschwerdeführerin macht denn auch

nicht geltend, der Termin sei zu einem anderen Zweck verein-
bart worden. Ein Widerspruch zu den Akten wird zwar behaup-
tet, ist aber in keiner Weise belegt (Art. 90 Abs. 1 lit. b
OG). Willkür liegt insoweit nicht vor.

        bb) Die Beschwerdeführerin rügt die Feststellung
des Obergerichts, dass die telefonische Mängelrüge einige
Tage vor der Besichtigung vom 15. Dezember 1998 erfolgt sei,
als willkürlich. Der Zeuge N.________ habe das genaue Datum
des Telefonats nicht zu nennen vermocht und unpräzise Anga-
ben gemacht. Demgemäss habe der Termin auch am 14., ja sogar
am 15. Dezember 1998 vereinbart worden sein können.

         Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin er-
scheint die Eingrenzung des Zeitraums der Mängelrüge auf
einige Tage vor dem 15. Dezember 1998, gleichbedeutend mit
"kurz vor dem 15. Dezember" und "wenige Tage [...] vor dem
15. Dezember", nicht als unhaltbar, zumal es üblich ist,
Terminabreden einige Tage im Voraus zu treffen. Dass auch
möglich gewesen wäre, das Telefonat auf den Vortag, sogar
auf den Tag der Besichtigung selbst festzulegen, ändert
daran nichts, denn Willkür liegt nicht schon dann vor, wenn
eine andere als die vom kantonalen Gericht gewählte Lösung
ebenfalls vertretbar oder gar vorzuziehen wäre (BGE 122 III
130 E. 2a; 127 I 54 E. 2b, je mit Hinweisen).

        c) Hinsichtlich der Mängel an den Häusern A bis C
ist das Obergericht davon ausgegangen, dass diese erst nach
dem Vorliegen der gerichtlichen Expertise mit der erforder-
lichen Sicherheit feststanden.

        Mit ihren Ausführungen hat die Beschwerdeführerin
Willkür nicht rechtsgenügend dargetan. Zwar wies die Be-
schwerdegegnerin in ihrem Schreiben vom 31. März 1999 auf
konstruktive und planerische Mängel an allen vier Häusern
hin, wie die Beschwerdeführerin vorbringt. Das muss jedoch

nicht heissen, dass sie bereits damals sichere Kenntnis da-
von hatte. Diese setzt - zumindest vorliegend - deren (si-
chere) objektive Erkennbarkeit voraus. Inwiefern den Ende
März vorliegenden Expertisen O.________ und P.________ zu
entnehmen gewesen wäre, dass mit Bestimmtheit alle Häuser an
denselben Planungs- und Konstruktionsmängeln leiden wie Haus
D, zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf und ist nicht er-
sichtlich. Indem das Obergericht angenommen hat, dass die
Beschwerdegegnerin die Mängel ab Vorliegen des gerichtlichen
Gutachtens gekannt hat, ist es vom frühestmöglichen Zeit-
punkt ausgegangen. Die Rüge, es habe den Zeitpunkt der Ent-
deckung des Mangels willkürlich spät angesetzt, entbehrt so-
mit jeder Grundlage.

     3.- Schliesslich rügt die Beschwerdeführerin die will-
kürliche Anwendung kantonalen Prozessrechts. Das Obergericht
habe den Streitwert um Fr. 40'000.-- herabgesetzt und die
Forderung der Beschwerdegegnerin in um diesen Betrag redu-
zierter Höhe bestätigt. Dass es der Beschwerdeführerin im
Rahmen der Kostenverlegung dennoch sämtliche Kosten über-
bunden habe, stelle eine krasse Verletzung von § 75 Abs. 2
ZPO/TG dar.

        a) Nach § 75 Abs. 1 ZPO/TG trägt in der Regel die
unterliegende Partei die Gerichtskosten und sie hat der Geg-
nerin auf Antrag ihre Parteikosten zu entschädigen. Geht das
Verfahren nicht vollständig zugunsten einer Partei aus, wer-
den gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung die Kosten in der Regel
anteilsmässig verlegt.

        b) Das Obergericht hat erwogen, eine nachträgliche
Reduktion des eingeklagten Betrags habe grundsätzlich unbe-
achtet zu bleiben. Der Beschwerdegegnerin dürfe aber daraus,
dass beide Parteien und auch das Bezirksgericht die gutach-
terlichen Berechnungen falsch interpretierten und während

des ganzen erstinstanzlichen Verfahrens von einem zu hohen
Streitwert ausgingen, nachträglich kein Nachteil erwachsen.

        c) Inwiefern das Obergericht den ihm nach § 75 ZPO
zustehenden Ermessensspielraum willkürlich überschritten ha-
ben soll, legt die Beschwerdeführerin nicht rechtsgenügend
dar. Dass sie im kantonalen Verfahren vorgebracht hätte, die
Beschwerdegegnerin habe sich um Fr. 40'000.-- überklagt, sie
mithin die Forderung bezüglich ihrer Höhe angefochten hätte,
macht sie ebenfalls nicht geltend. Da das Obergericht die
Korrektur ohne Antrag der Beschwerdeführerin zu deren Guns-
ten vorgenommen hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu bean-
standen, dass es gleichzeitig von der üblichen Kostenverle-
gung abgewichen ist.

     4.- Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde
abzuweisen ist. Die Beschwerdeführerin wird damit kosten-
pflichtig und hat der Beschwerdegegnerin eine Parteientschä-
digung zu bezahlen (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 1 und
2 OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 5'000.-- wird der Be-
schwerdeführerin auferlegt.

     3.- Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin
für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 6'O00.-- zu
entschädigen.

     4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht
des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 3. April 2002

               Im Namen der I. Zivilabteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                  Die Gerichtsschreiberin: