I. Zivilabteilung 4P.154/2001
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4P.154/2001/rnd I. Z I V I L A B T E I L U N G ******************************* 29. Oktober 2001 Es wirken mit: Bundesrichterin und Bundesrichter Walter, Präsident, Klett, Nyffeler und Gerichtsschreiberin Zähner. --------- In Sachen Bank A.________, B.________, Beschwerdeführerinnen, beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Niklaus B. Müller, Zürichbergstrasse 66, 8044 Zürich, Bank C.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechts- anwalt Jürg Guggisberg, Hottingerstrasse 21, 8032 Zürich, gegen D.________ AG, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Pius Huber, General Guisan Quai 36, Postfach, 8002 Zürich, Obergericht des Kantons L u z e r n, I. Kammer, betreffend Art. 9 und 29 BV, Art. 6 EMRK, hat sich ergeben: A.- Die D.________ AG (Beschwerdegegnerin) war bis Ende 1988 Kontrollstelle der E.________ AG. Am 10. Dezember 1987 wurden die Aktien der E.________ AG in die E.________ Holding AG eingebracht. Sämtliche Aktien an der E.________ Holding AG wurden am 24. November 1988 von der F.________ AG gekauft. Am 12. Dezember 1988 schlossen die F.________ AG, die E.________ AG und die Bank C.________ eine Vereinbarung zur Sanierung der E.________ AG. Darin verpflichtete sich die F.________ AG unter anderem, die Software der E.________ AG zum Preis von Fr. 3'000'000.-- zu kaufen. Der Kaufpreis war zur Hälfte bis Ende 1988 zu bezahlen, für die übrigen Fr. 1'500'000.-- sollte die E.________ AG der F.________ AG ein langfristiges Darlehen gewähren. Die F.________ AG und die E.________ AG schlossen dementsprechend am 15. Dezember 1988 einen Kauf- und Lizenzvertrag sowie einen Darlehens- vertrag. Danach sollte das Darlehen von Fr. 1'500'000.-- in jährlichen Raten von Fr. 300'000.-- amortisiert werden, erstmals per 30. November 1989. Am 5. Juli 1990 wurde über die E.________ AG und die E.________ Holding AG infolge einer Überschuldungsanzei- ge nach Art. 192 aSchKG der Konkurs eröffnet. Der F.________ AG wurde am 28. Juni 1991 eine Nachlassstundung gewährt. Der Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung wurde am 3. Dezember 1991 richterlich genehmigt. B.- Die Bank A.________, B.________ und die Bank C.________ (Beschwerdeführerinnen) sind Gläubigerinnen der E.________ AG. Im Verlauf des Jahres 1991 liessen sie sich von der Konkursmasse die Verantwortlichkeitsansprüche gegen die Organe der konkursiten E.________ AG abtreten. Am 2. September 1993 reichten die Gläubigerinnen Klage beim Amtsgericht Luzern-Stadt ein. Sie verlangten im Wesentlichen die Verurteilung von vier Beklagten, darunter die D.________ AG, zur Bezahlung von Fr. 3'000'000.-- nebst Zins gestützt auf aktienrechtliche Verantwortlichkeitsansprüche. Das Amts- gericht Luzern-Stadt wies die Klage gegen die D.________ AG am 21. Dezember 1998 ab. Das Gericht kam zum Schluss, die Beschwerdegegnerin habe ihre Pflichten als Kontrollstelle der konkursiten E.________ AG (nur) insoweit verletzt, als sie den Bestand der angefangenen Arbeiten der E.________ AG bei der Abschlussprüfung 1988 nicht geprüft habe. Das Ge- richt hielt jedoch den Nachweis des Kausalzusammenhangs zwi- schen dieser Pflichtwidrigkeit und dem eingeklagten Schaden von Fr. 3'000'000.-- nicht für erwiesen. Mit Urteil vom 18. April 2001 trat das Obergericht des Kantons Luzern auf die Appellation der Gläubigerinnen gegen das erstinstanzli- che Urteil nicht ein. Das Obergericht hielt fest, dass sich die Klägerinnen mit den Ausführungen im angefochtenen Urteil überhaupt nicht auseinandersetzten. C.- Die Gläubigerinnen haben gegen das Urteil des Ober- gerichts Luzern sowohl staatsrechtliche Beschwerde wie Beru- fung beim Bundesgericht eingereicht. Mit ihrer staatsrecht- lichen Beschwerde beantragen sie die teilweise Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Anweisung des Obergerichts, auf die gegen die Beschwerdegegnerin gerichtete Appellation vollumfänglich einzutreten und einen Sachentscheid zu fäl- len. Das Obergericht des Kantons Luzern beantragt in seiner Vernehmlassung, die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Beschwerdegegnerin ent- hält sich ausdrücklich eines Antrages, verlangt aber eine Parteientschädigung und lässt sich in der Sache vernehmen. Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1.- Die staatsrechtliche Beschwerde ist - von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen (BGE 126 I 213 E. 1c; 124 I 327 E. 4) - kassatorischer Natur. Soweit die Beschwer- deführerinnen mehr verlangen als die Aufhebung des angefoch- tenen Entscheides, ist auf ihr Begehren nicht einzutreten. 2.- Die Beschwerdeführerinnen rügen, das Obergericht habe ihnen formell das Recht verweigert, indem es in über- spitzt formalistischer Auslegung von § 249 ZPO/LU Rüge- pflichten eingeführt und sich mit wesentlichen Vorbringen in der Appellation nicht auseinandergesetzt habe. Ausserdem machen sie eine willkürliche Auslegung von § 249 ZPO/LU geltend. Weiter bringen die Beschwerdeführerinnen vor, es liege ein Verstoss gegen Art. 6 EMRK vor. Inwiefern diese Bestimmung dem Rechtssuchenden einen weitergehenden Anspruch vermittelt als die Bestimmungen in der Bundesverfassung wird nicht dargelegt. Die Prüfung der Verfassungsmässigkeit des angefochtenen Entscheides beschränkt sich somit auf die in der Bundesverfassung verankerten Rechte. a) Nach § 249 Abs. 1 ZPO/LU setzt das Obergericht dem Appellanten Frist an, um die Appellation schriftlich zu begründen. Ist der Appellant säumig, wird auf die Appella- tion nicht eingetreten (§ 249 Abs. 2 ZPO/LU). Nach den Erwä- gungen im angefochtenen Urteil gehört zur Appellationsbe- gründung die Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Ur- teil. Die Appellanten haben darzutun, weshalb sie den ge- fällten Entscheid als falsch erachten. Die Appellation dient der Überprüfung des angefochtenen Urteils auf seine Richtig- keit und nicht der uneingeschränkten Weiterführung des Pro- zesses. Daher hat das Obergericht die Wiedergabe des Sach- verhalts durch die Appellantinnen nicht als ausreichende Begründung betrachtet sondern verlangt, dass diese zu den amtsgerichtlichen Erwägungen Stellung nehmen. Das Oberge- richt hat den Beschwerdeführerinnen vorgehalten, sie legten insbesondere nicht dar, inwiefern die Begründung der ersten Instanz falsch sein sollte, wonach die Beschwerdegegnerin ihre Pflichten nur insofern verletzt habe, als sie bei der Abschlussprüfung den Bestand der angefangenen Arbeiten nicht geprüft habe. Weiter hat das Gericht festgehalten, dass ein natürlicher Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverlet- zung und dem geltend gemachten Schaden nicht hinreichend dargetan sei. b) Das Verbot des überspitzten Formalismus, das sich aus Art. 29 Abs. 1 BV (früher Art. 4 aBV) ergibt, wen- det sich gegen prozessuale Formstrenge, die als exzessiv er- scheint, durch kein schutzwürdiges Interesse gerechtfertigt ist, zum blossen Selbstzweck wird und die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise erschwert oder gar verhindert. Das Bundesgericht prüft frei, ob eine solche Rechtsverweigerung vorliegt (BGE 127 I 31 E. 2a/bb). Der Willkürrüge kommt insofern keine selbständige Bedeutung zu. Wie das Bundesgericht immer wieder betont, steht nicht jede prozessuale Formstrenge mit dem Verbot der formellen Rechts- verweigerung in Widerspruch. Prozessuale Formvorschriften sind unerlässlich, um die ordnungsgemässe Abwicklung des Verfahrens sowie die Durchsetzung des materiellen Rechts zu gewährleisten (BGE 118 V 311 E. 4; 114 Ia 34 E. 3). Eingaben an Behörden, vor allem Rechtsmittel, haben daher regelmässig bestimmten Anforderungen zu genügen. Es soll aus ihnen her- vorgehen, dass und weshalb der Rechtssuchende einen Ent- scheid anficht und inwieweit dieser geändert oder aufgehoben werden soll. Wird daher die Gültigkeit eines Rechtsmittels kraft gesetzlicher Bestimmung davon abhängig gemacht, dass es einen Antrag und eine minimale Begründung enthält, so kann darin kein überspitzter Formalismus gesehen werden (BGE 113 Ia 225 E. 1b). Auch das Bundesgericht verlangt dort, wo der Sachverhalt von Amtes wegen zu klären und das Recht von Amtes wegen anzuwenden ist, eine minimale, sachbezogene Be- gründung (BGE 123 II 5 E. 2c; 117 Ia 126 E. 5; 104 V 178). c) Das Obergericht hat den Zweck der gesetzlich verankerten Begründungspflicht im Appellationsverfahren zu- treffend dargelegt, wenn es eine sachbezogene Auseinander- setzung mit dem erstinstanzlichen Urteil und die Darstellung dessen verlangt hat, was die Partei tatsächlich oder recht- lich am angefochtenen Entscheid beanstandet. Dafür genügt die blosse Schilderung des Sachverhalts aus Sicht der Partei nicht, wenn sich daraus nicht ohne weiteres ergibt, inwie- fern diese mit dem angefochtenen Urteil nicht einverstanden ist. Den Beschwerdeführerinnen kann nicht gefolgt werden, wenn sie im Ergebnis das gesetzliche Erfordernis der Begrün- dung mit einer strengen Rügepflicht gleichsetzen, um über- haupt jegliche Auseinandersetzung mit dem angefochtenen erstinstanzlichen Urteil als überspitzt formalistisch zu be- zeichnen. Überspitzte Anforderungen an die Begründung einer Rechtsschrift - die definitionsgemäss "Rügen" zu enthalten hat - sind im Übrigen nur dann geeignet, eine unhaltbare Erschwerung der materiellen Rechtsverwirklichung zu bewir- ken, wenn aus diesem Grund eine Partei mit für den Entscheid wesentlichen, erheblichen Vorbringen nicht gehört wird. In- sofern kommen überspitzte formelle Anforderungen an die Be- gründung einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs gleich. d) Die Beschwerdeführerinnen behaupten, das Oberge- richt habe sich mit erheblichen Vorbringen in ihrer Appella- tionsschrift nicht auseinandergesetzt. So hätten sie insbe- sondere die Verletzung von Art. 8 ZGB gerügt sowie dargetan und bewiesen, dass die bilanzierten angefangenen Arbeiten tatsächlich nicht bestanden hätten. Weiter sei das Verhalten der Beschwerdegegnerin anhand aller Anspruchsvoraussetzun- gen, insbesondere auch hinsichtlich des Schadens und des Kausalzusammenhangs zwischen Pflichtverletzung und Schaden geprüft worden. Zum Schaden werde in der Appellationsschrift im Wesentlichen ausgeführt, der Gläubigerschaden hätte ver- mieden werden können oder wäre zumindest wesentlich geringer ausgefallen, wenn die Bilanz bereits im Anschluss an die or- dentliche Generalversammlung vom 30. Juni 1989 deponiert worden wäre. In diesem Fall wäre der in der nicht mehr revi- dierten Erfolgsrechnung entstandene Betriebsverlust von Fr. 3'834'592.50 nicht mehr angefallen. Zum adäquaten Kau- salzusammenhang werde in der Rechtsschrift namentlich be- hauptet, die Pflichtverletzungen der Beschwerdegegnerin hät- ten die rechtzeitige Deponierung der Bilanz verhindert. Zu- mindest die Verluste für die zweite Hälfte des Jahres 1989 und die erste Hälfte des Jahres 1990 wären damit vermieden worden. "War in der Bilanz 1988 (Beilage 40) noch ein Rein- verlust von CHF 29'173.50 ausgewiesen, belief sich der Ver- lust gemäss Bilanz 1989 bereits auf CHF 3'834'560.28 (Beila- ge 84) und im Konkurs, der am 5. Juli 1990 eröffnet wurde, lag ein Verlust von CHF 4'739'560.28 vor (Beilage 120). Die- ser Betrag errechnet sich aus Aktiven im Wert von CHF 2'978.--, Forderungen in Höhe von CHF 4'242'538.28 und einem verlorenen Aktienkapital von CHF 500'000.--. Ende 1988 dagegen - so meint der Bericht der Kontrollstelle - waren noch alle Forderungen gedeckt". e) Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde führt das vorausgegangene kantonale Verfahren nicht einfach weiter, sondern dient als ausserordentliches Rechtsmittel- verfahren der spezifischen Kontrolle kantonaler Hoheitsakte unter dem besonderen Gesichtspunkt der Verfassungsmässigkeit (BGE 117 Ia 393 E. 1c). Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss die Beschwerdeschrift daher namentlich eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Erlass oder Entscheid verletzt worden sind. Das Bundesgericht prüft nur klar und detailliert erhobene und soweit möglich belegte Rügen (BGE 126 III 534 E. 1b; 125 I 71 E. 1c). Der Rechtsschrift der Beschwerdeführerinnen ist indes nicht zu entnehmen, inwiefern sie mit ihren Ausführun- gen in der Appellationsbegründung die erstinstanzlichen Er- wägungen beanstandet haben und in dieser Hinsicht mit erheb- lichen Vorbringen nicht gehört worden sein sollten. Dass die gesamte Appellationsbegründung eine Auseinandersetzung mit dem Urteil der Vorinstanz gewesen sei und die gegenteilige Feststellung des Obergerichts mit der tatsächlichen Situa- tion in klarem Widerspruch stehe, trifft jedenfalls nicht zu. 3.- Als Verstoss gegen das Willkürverbot rügen die Be- schwerdeführerinnen schliesslich, dass ihnen nicht gemäss § 70/71 ZPO/LU Frist zur Verbesserung ihrer Rechtsmittelein- gabe gesetzt worden sei. Sie weisen darauf hin, dass nach dem Wortlaut von § 71 Abs. 1 ZPO/LU Eingaben, die den for- mellen (§ 69 ZPO/LU) oder inhaltlichen (§ 70 ZPO/LU) Anfor- derungen nicht genügen, zur Verbesserung zurückgewiesen wer- den "können". Inwiefern willkürlich sein sollte, diese Be- stimmung entsprechend ihrem Wortlaut zu verstehen, wonach die Anordnung im Einzelfall ins richterliche Ermessen ge- stellt ist (so entgegen der Behauptung der Beschwerdefüh- rerinnen namentlich Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, N 1 zu § 71) ist der Beschwerde wiederum nicht zu entnehmen. Auf die Rüge ist mangels hinreichender Begrün- dung nicht einzutreten. 4.- Die staatsrechtliche Beschwerde ist abzuweisen, so- weit darauf überhaupt einzutreten ist. Dem Verfahrensausgang entsprechend haben die Beschwerdeführerinnen die Gerichts- kosten zu tragen. Die Beschwerdegegnerin hat sich ausdrück- lich eines Antrags enthalten. Sie hat daher nicht im Sinne von Art. 159 OG obsiegt, weshalb die Grundlage für die Zu- sprechung einer Parteientschädigung fehlt. Dass ihr keine Parteientschädigung zusteht, rechtfertigt sich umso mehr, als sie für den Fall der Gutheissung der Beschwerde kein Kostenrisiko trug (vgl. Geiser/Münch, Prozessieren vor Bun- desgericht, 2. Aufl., S. 11). Dass sich die Beschwerdegegne- rin unnötigerweise zur Sache geäussert hat, ändert daran nichts (Art. 159 Abs. 5 i.V.m. Art. 156 Abs. 6 OG). Demnach erkennt das Bundesgericht: 1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 15'000.-- wird den Be- schwerdeführerinnen unter solidarischer Haftbarkeit aufer- legt. 3.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern (I. Kammer) schriftlich mitgeteilt. ______________ Lausanne, 29. Oktober 2001 Im Namen der I. Zivilabteilung des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: