Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.491/2001
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2A.491/2001/mks

            II. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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                        1. März 2002

Es wirken mit: Bundesrichter Wurzburger, Präsident der
II. öffentlichrechtlichen Abteilung, Müller, Merkli und
Gerichtsschreiberin Müller.

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                         In Sachen

A.________-B.________, geb. ........ 1977,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Andreas
Wehrle, Hauptgasse 35, Postfach 139, Solothurn,

                           gegen

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement,

                         betreffend
        Ausnahme von der zahlenmässigen Begrenzung,

hat sich ergeben:

     A.- Die aus der Türkei stammende B.________ wurde am
........ 1977 in .......... geboren und wohnte bis 1982 bei
ihren Eltern in der Schweiz. Danach verbrachte sie fünf
Jahre in der Türkei, wo sie die Grundschule besuchte. Im
Alter von zehn Jahren (1987) reiste B.________ wieder in die
Schweiz ein. Sie beendete die obligatorische Schulzeit und
begann eine Coiffeurlehre. Während eines Ferienaufenthalts
in der Türkei lernte B.________ ihren heutigen Ehemann,
A.________, kennen. Da ihr Vater nicht in die Heirat mit
A.________ einwilligen wollte, verliess sie kurz nach ihrem
18. Geburtstag vom ........ 1995 das elterliche Heim, um in
der Türkei A.________ zu heiraten. Ihr Vater, erbost über
das Vorgehen seiner Tochter, meldete diese auf der Gemeinde
ab, offenbar ohne für sie ein Gesuch um Verlängerung der
Frist für die Beibehaltung der Niederlassungsbewilligung auf
zwei Jahre zu stellen. A.________-B.________ lebte in der
Folge mit ihrem Mann in der Türkei; am 9. August 1996 kam
der gemeinsame Sohn C.________ zur Welt.

        Mit Schreiben vom 7. März 2000 wandte sich
A.________-B.________ an das "Amt für Ausländerfragen" des
Kantons Solothurn und ersuchte dieses darum, ihr ihre
Aufenthaltsbewilligung "wieder zurückzugeben". Am 13. März
2000 erklärte das Amt für öffentliche Sicherheit, Ausländer-
fragen, des Kantons Solothurn A.________-B.________, eine
Ausnahme von der zahlenmässigen Begrenzung im Sinne eines
schwerwiegenden persönlichen Härtefalles sei in ihrem Fall
nicht zu rechtfertigen, und machte sie darauf aufmerksam,
dass sie eine beschwerdefähige Verfügung verlangen könne.
Hierauf wandte sich A.________-B.________ mit Schreiben vom
27. März 2000 an den Regierungsrat des Kantons Solothurn und
informierte diesen über die Umstände, welche zu ihrer

Ausreise aus der Schweiz geführt hatten. Sie führte aus, sie
habe von der Türkei aus mit verschiedenen Kollegen in der
Schweiz Kontakt aufgenommen; niemand sei jedoch bereit ge-
wesen, die für die Erlangung eines Touristenvisums erforder-
liche Garantieerklärung abzugeben. Sie habe daher von der
Türkei aus wirklich keine Möglichkeit gehabt, in die Schweiz
zu kommen. Mit Gesuch vom 4. Mai 2000 beantragte
A.________-B.________, nunmehr anwaltlich vertreten, es sei
ihr die Niederlassungsbewilligung wieder zu erteilen; allen-
falls sei ihr sowie ihrem Ehemann und ihrem Kind eine Auf-
enthaltsbewiligung aus humanitären Gründen zu erteilen. Das
Amt für öffentliche Sicherheit des Kantons Solothurn leitete
das Gesuch am 10. Mai 2000 weiter an das Bundesamt für Aus-
länderfragen.

     B.- Mit Verfügung vom 7. Juli 2000 verweigerte das
Bundesamt für Ausländerfragen eine Ausnahme von der zahlen-
mässigen Begrenzung der Ausländer. Dagegen erhob
A.________-B.________ am 10. August 2000 eine als "Ein-
sprache" bezeichnete Beschwerde an das Eidgenössische
Justiz- und Polizeidepartement. Sie beantragte, die Ver-
fügung des Bundesamtes für Ausländerfragen vom 7. Juli 2000
aufzuheben und ihr die Niederlassungsbewilligung wieder zu
erteilen; eventualiter ihr, ihrem Ehemann sowie dem Kind
eine Bewilligung aus humanitären Gründen auszustellen. Mit
Entscheid vom 11. Oktober 2001 wies das Eidgenössische
Justiz- und Polizeidepartement die Beschwerde ab, soweit es
darauf eintrat.

     C.- Dagegen hat A.________-B.________ mit Eingabe vom
12. November 2001 beim Bundesgericht Verwaltungsgerichts-
beschwerde erhoben. Sie beantragt, die Verfügung des Eid-
genössischen Justiz- und Polizeidepartements aufzuheben und

festzustellen, dass sie im Sinne von Art. 13 lit. f der
Verordnung vom 6. Oktober 1986 über die Begrenzung der Zahl
der Ausländer (BVO; SR 823.21) von der Begrenzungsverordnung
ausgenommen sei.

        Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement
schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

     1.- Auf dem Gebiet der Fremdenpolizei ist die Verwal-
tungsgerichtsbeschwerde unzulässig gegen die Erteilung oder
Verweigerung von Bewilligungen, auf die das Bundesrecht
keinen Anspruch einräumt (Art. 100 Abs. 1 lit. d Ziff. 3
OG). Sie steht indessen offen gegen Entscheide über die von
der Bewilligungserteilung zu trennende Frage, ob für die
Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung die Höchstzahlen der
Begrenzungsverordnung anwendbar sind (BGE 122 II 186 E. 1b
S. 188). Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist demnach
einzutreten.

     2.- a) Nach Art. 13 lit. f BVO sind Ausländer den Be-
grenzungsmassnahmen dann nicht unterstellt, wenn ein schwer-
wiegender persönlicher Härtefall vorliegt. Die Ausnahme von
der zahlenmässigen Beschränkung nach Art. 13 lit. f BVO hat
zum Ziel, Ausländern die Anwesenheit in der Schweiz erleich-
tert zu ermöglichen, bei denen sich die Unterstellung unter
die Höchstzahlen als schwerwiegende Härte auswirken würde.
Aus dem Verordnungstext sowie auf Grund des Ausnahmecharak-
ters der Bestimmung ergibt sich, dass die Voraussetzungen
der Anerkennung eines Härtefalles grundsätzlich restriktiv

zu handhaben sind. Ein Härtefall setzt nach der bundesge-
richtlichen Rechtsprechung voraus, dass sich der betreffende
Ausländer in einer persönlichen Notlage befindet (grundsätz-
lich: BGE 117 Ib 317 E. 4 S. 321 ff.; 119 Ib 33 E. 4 S. 42
ff.). Das bedeutet, dass seine Lebens- und Daseinsbedingun-
gen gemessen am durchschnittlichen Schicksal von Ausländern
in gesteigertem Masse in Frage gestellt sein müssen bezie-
hungsweise die Verweigerung einer Ausnahme von der zahlen-
mässigen Beschränkung für den Betroffenen schwere Nachteile
zur Folge hätte. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein
Härtefall gegeben ist, sind alle Gesichtspunkte und Beson-
derheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen (BGE 124 II
110 E. 2 S. 112; 123 II 125 E. 2 S. 126/127; 119 Ib 33 E. 4c
S. 43; Alain Wurzburger, La jurisprudence récente du Tribu-
nal fédéral en matière de police des étrangers, in RDAF
53/1997, S. 291).

        b) Die bisherige oder eine frühere Anwesenheit
genügt für sich allein nicht zur Annahme eines Härtefalles.
Wenn der Ausländer allerdings eine besonders enge Beziehung
zur Schweiz hat, zum Beispiel weil er während längerer Zeit
mit Anwesenheitsrecht hier lebte und gut integriert ist,
kann dies die Anforderungen an die Dringlichkeit der Notlage
verringern, sofern gerade auch darin eine Härte zu sehen
ist, dass er seine Beziehung zur Schweiz nicht oder nicht
mehr hier leben kann. Liegt die Anwesenheit schon gewisse
Zeit zurück, so sind auch die Umstände wesentlich, die zur
Abreise aus der Schweiz führten. Eine Härte kann dabei darin
liegen, dass der Ausländer damals nicht einfach aus dem
Grunde abreiste, weil sich der Zweck des Arbeitserwerbs in
der Schweiz erledigt hatte beziehungsweise dahingefallen
war, sondern weil ihn ausserordentliche Gründe dazu bewogen,
auf seine in der Schweiz erworbenen Rechte zu verzichten
(BGE 117 Ib 317 E. 4b S. 322 f.).

     3.- Die Beschwerdeführerin hat die ersten fünf Lebens-
jahre in der Schweiz verbracht; nachdem sie in der Türkei
während fünf Jahren die Grundschule besucht hatte, kehrte
sie am 1. Juli 1987 als Zehnjährige in die Schweiz zurück,
wo sie bis zum März 1995 blieb. Damit hat sie bis zum
Erreichen des Erwachsenenalters dreizehn Jahre ihres Lebens
in der Schweiz verbracht; darunter auch die Jugend, die als
ein soziokulturell stark prägender Abschnitt im Leben eines
Menschen gilt (vgl. BGE 123 II 125 E. 4b S. 129 ff.). Die
Beschwerdeführerin hat während dieser Zeit eine enge Bezie-
hung zu der Schweiz aufgebaut. Die türkische Kultur ist ihr
aber nicht fremd: sie hat während fünf Jahren in der Türkei
die Grundschule besucht; dazu kommt die Erziehung durch ihre
Eltern, die ihr die türkische Kultur und Mentalität nahe
gebracht haben. Die Beschwerdeführerin hat denn auch, wie
aus dem Schreiben ihres Cousins vom 19. April 2000 hervor-
geht, regelmässig Ferien in der Türkei verbracht, wo sie
auch ihren heutigen Ehemann kennen gelernt hat.

        Die Beschwerdeführerin hat, wie sie geltend macht,
die Schweiz verlassen, um dem Druck ihres patriarchalischen
Vaters zu entkommen und um ihren Freund zu heiraten. Dass
ihr Vater sie unmittelbar darauf bei der Einwohnerkontrolle
abmelden würde, erfuhr sie nach eigenen Angaben erst ein
paar Wochen später durch einen Cousin, worauf sie am 8. Au-
gust 1995 ihren Vater vergeblich schriftlich aufforderte,
die Angelegenheit mit ihrem Aufenthalt wieder in Ordnung zu
bringen. Auch ihre Bitte um Hilfe vom 16. September 1995 an
ihre Mutter brachte die Beschwerdeführerin nicht weiter,
denn ihr Vater hatte, wie er dies inzwischen mit Schreiben
vom 5. August 2000 bestätigte, seine Tochter verstossen und
dabei den Verwandten verboten, mit ihr Kontakt aufzunehmen.

        Da die Beschwerdeführerin es unterlassen hatte,
sich innerhalb von sechs Monaten seit ihrer Abreise direkt

an die Fremdenpolizei zu wenden, zu erklären, dass die
Abmeldung nicht ihrem Willen entsprochen hatte und um
Verlängerung der Frist gemäss Art. 9 Abs. 3 lit. c ANAG
auf zwei Jahre zu ersuchen, erlosch ihre Niederlassungs-
bewilligung. Wie es scheint, resignierte sie hierauf und
versuchte, sich in der Türkei zurechtzufinden.

        Die konkreten Umstände, unter denen die Beschwer-
deführerin ihre Niederlassungsbewilligung verloren hat, sind
zwar unerfreulich und hätten im Zeitraum unmittelbar nach
dem Erlöschen der Niederlassungsbewilligung möglicherweise
ein Indiz für einen Härtefall dargestellt. Diese Umstände
haben jedoch heute an Bedeutung verloren, nachdem die Be-
schwerdeführerin mittlerweile fünf Jahre mit ihrem türki-
schen Ehemann, der in seinem Heimatland verwurzelt ist und
mit dem sie seit 1996 einen gemeinsamen Sohn hat, in der
Türkei gelebt hat. Die türkische Kultur, mit der sie schon
während ihres fünfjährigen Aufenthalts als Kind in Berührung
gekommen war und die ihr zudem durch ihre Eltern nahe ge-
bracht worden war, mag ihr weniger liegen als die schwei-
zerische; fremd ist sie ihr jedoch keineswegs. Dass die
wirtschaftlichen Verhältnisse in der Türkei weniger vorteil-
haft sind als in der Schweiz, ist für die Härtefallfrage
nicht von Bedeutung, unterscheidet sich doch die Situation
der Beschwerdeführerin diesbezüglich nicht von der durch-
schnittlichen Situation ihrer Landsleute, die in der Türkei
leben. Es liegt daher kein Härtefall im Sinne der bundes-
gerichtlichen Rechtsprechung vor.

     4.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach dem
Gesagten abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang sind die
Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 153 und Art. 153a OG).

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

     1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

     2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der
Beschwerdeführerin auferlegt.

     3.- Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem
Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement schriftlich
mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 1. März 2002

      Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                       Der Präsident:

                  Die Gerichtsschreiberin: